Pleite durch Arbeit

Ein Utilitarist ist einer, der etwas zu seinem eigenen Nutzen tut. Das scheint in heutigen Zeiten durchaus eine smarte Einstellung zu sein, wenig unklug also noch unclever. Und warum sollte ein auf seinen Nutzen fixierter Mensch etwas ändern, wenn sein Nutzen mit jeder seiner Handlungen steigt?

Bei dieser Bestimmung von Utilitarismus geht man davon aus, dass das Verhalten des Utilitaristen auch rational ist, dass er also weiß, was für ihn von Nutzen ist, aber das ist nicht immer und in Geldagelegenheiten eher selten der Fall. Besonders, wenn es sich um den EURO handelt. Wir haben eben gesehen, dass die deutsche Wirtschaft ihre Exportblüte zur Zeit der lockeren Geldpolitik der EZB verdankt mit dem Nachteil, dass die auf Pump gekauften Waren auf deutscher Seite zu Forderungen geführt haben, von denen der Michel nicht weiß, ob sie überhaupt und durch wen und wann letztelich gedeckt sind und beglichen werden.

In der realen Wirtschaft kennt man seine Kunden einigermaßen, selbst im internationalen Geschäfts- bzw. Warenverkehr. Was die EZB macht, versteht sie teilweise selber nicht, der deutsche Michel bestimmt nicht. Wenn man nun den deutschen Erwerbstätigen heute sagen würde, dass die gepriesene Beinahe-Vollbeschäftigung, der private Wohlstand wie auch der Leistungsbilanzüberschuss Deutschland stetig näher in den Staatsbankrott treibt, würde man wahrscheinlich nur mitleidiges Kopfschütteln ernten; aber dem ist so.

Mit der sog. EURO-Rettungspolitik der EZB sind nicht nur gigantische Bilanzrisiken bei der Deutschen Bundesbank, den sog. Target-Salden, entstanden, deren Zuwachs von heute ca. 500 Mrd. Euro auf jährlich weitere 200 Mrd. EURO beziffert werden, sondern ein strukturelles Risiko. Dieses strukturelle Risiko besteht darin, dass weder Deutschland noch die EZB, ganz zu schweigen von den Gläubiger-Ländern wie Italien und Griechenland, etwas an den katastrophalen Zuwächsen der Target-Salden ändern können. Politik hat sich selbst in Geiselhaft genommen.

Helmut Schlesinger, ehemals Präsident der Deutschen Bundesbank, heute im Ruhestand, hat 2016 eine Diskussion ausgelöst, die, nachdem Hans-Werner Sinn, ehemals Chef des ifo-Instituts sich der Salden genauer gewidmet hat, ein Problem hat sichtbar werden lassen, hinter dem einmal mehr ein gewisser wissenschaftlicher Offenbarungseid zutage trat, da auch bezüglich der Target-Salden die Ökonomik keinerlei Ahnung sich frühzeitig verschafft hat und zum anderen ein politscher Offenbarungseid, der leider von weiterer Tragweite ist als der wissenschaftliche und von exorbitanten Folgen.

Schon 2010 standen in den Tabellenanhängen der Monatsberichte der Deutschen Bundesbank Forderungen gegenüber anderen Notenbanken des Euro-Systems von damals mehr als 300 Milliarden Euro, fast das 20-Fache dessen, was vor der Finanz- und Euro-Krise unter diesem Punkt verbucht worden war. Sinn forschte nach und kam zu dem Schluss, die Bundesbank leiste versteckte Krisenhilfe, die sich jeder demokratischen Legitimation entzieht und die das Zeug zu einem nicht mehr einholbaren Sekundäreffekt der EZB hat, die das gesamte europäische Finanzsystem in den Ruin führt; also geradezu das Gegenteil von dem bewirkt, wofür es erfunden und heute durchgeführt wird.1

Im Kern geht es darum, dass diese Target-Salden heute zu Kontokorrentkreditkonten geworden sind, die Deutschland andere EU-Ländern gewährt und die, ohne jede Ausfallsicherheit und Zins zum Damoklesschwert der deutschen Zahlungsbilanz geworden sind: „Wenn die Länder, deren Banken die Kredite gegeben wurden, zahlungsunfähig werden, haftet Deutschland. Es tun sich Abgründe auf.“2

Deutschland und die EZB fanden sich plötzlich gemeinsam wider Willen in einem Boot sitzen, das seit seiner Fertigung unterhalb der Kiellinie ein riesige Loch versteckt. Die Target-Salden waren von Beginn an unbegrenzt und auch wenn es anfangs noch half, die damit zsammenhängende Probleme durch kleinreden fast unsichtbar zu machen, sind die jetzt aufgefallenen Summen dann doch zu sichbar geworden und deuten auf ein Problem, das man fast schon ein Perpetuum Mobile nennen kann.

Denn die lockere Geldpolitik treibt die Target-Salden stetig weiter in die Höhe und verringert so die Reformanreize für die Krisenländer, die doch nötig ist, um zu ausgeglichenen Salden durch Wirtschaftsreformen und strikte Ausgabenvernunft zu kommen. Von Wirtschaftsreformen ist nicht viel zu sehen und Ausgabendisziplin ist ein zusammengesetztes Wort, dessen zweiter Teil auch in den südeuropäischen Politik-Lexika wie in allen anderen in der EU nicht vorkommt.

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EURO-RettungspolitikTarget-Salden


1 Vgl. WirtschaftsWoche,31. Juli 2017: Target-Salden drängen Deutschland an den Abgrund vom 05.03.2012.
2 Sinn, ebenda


Hans-Werner Sinn (* 7. März 1948 in Brake bei Bielefeld)

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