Die neue Semantik des Wandels

Grundsätzlich stimmen wir zu, dass der gesellschaftliche Wandel, hier Historie einer Gesellschaft genannt, sich nicht nur zusammenfassen lässt in Epochen, sondern auch in verschiedene Typen von Gesellschaft. Wir bleiben nicht zulange bei dieser Ansicht, die jeder nachlesen kann bei den verschiedensten Autoren, die aktuell gehandelt werden, besonders ausführlich bei Piketty in Ökonomie der Ungleichheit. Wir haben die gesellschaftliche Differenzierung bereits betrachtet im Unterschied von funktionaler und stratifikatorischer Differenzierung, fügen wir nun der Vollständigkeit halber noch die segmentäre Differenzierung hinzu. Hier findet die Soziologie eine Form der Rollenverteilung, die im Wesentlichen auf Merkmalen von Gleichheit und Unterschied beruht wie sie in ländlichen Gesellschaften, räumlich voneinander getrennten dörflichen und kleinstädtischen Gesellschaften rudimentär bis heute sich erhalten haben. Da gibt es den Bäcker und den Dorf- oder Kommunalvorsteher, den angesehenen Lehrer und den höher angesehenen Dorf-, Land- und Tierarzt und ganz wesentlich eine Kommunikation aller Bewohner mit allen, wenn auch Unterschiede jederzeit sichtbar werden.

Diese Kernmerkmale finden wir nur rudimentär in antiken Gesellschaften, die wir zu den Hochkulturen zählen und die weitgehend Sklaventum kannten, und nicht mehr so ausgeprägt im Mittelalter mit seinem sozialen Schichtenmodell von Klerus, Adel, Bürger, Bauern und Besitzlosen usw. Die städtischen und die ständische Ordnung sowie die hierarchisch geordneten Schichten bilden bereits stratifikatorische Differenzierungen aus, also soziale Teilsysteme mit markanten Grenzziehungen. Der Mensch im Mittelalter gehörte einer Schicht und einem Teilsystem an im Unterschied zu seiner funktionalen Zugehörigkeit zu verschiedenen Teilsystemen, die sich in der modernen, nachindustriellen Gesellschaft immer weiter und verfeinert entwickelt hat, so dass man heute bereits die Ausweitung der Selbstreferenzialität der Teilsysteme zu inklusiven Systemen erkennen kann. Inklusion, oder wie die Mathematik der Mengenlehre sie definiert als die „Beziehung des Enthaltenseins“, beschreibt in der Moderne – bleiben wir einmal bei diesem grob holzschnittartigen Bild – einen Prozess der gesellschaftlichen Differenzierung von der sozialen Differenzierung über die politisch-ökonomische Differenzierung hin zu einer universellen Differenzierung.

War noch in der frühen Neuzeit stets die Beziehung zwischen Religion und Politik inklusiv, insofern alle politischen Entscheidungen ihre Legitimität allein in der Religion fanden, so haben wir gesehen, dass Politik eine Form der Selbstlegitimation entwickelt hat, insofern sie durch und innerhalb ihrer Entscheidungsprozesse allein auf politische Mehrheiten der Gesellschaft sich beruft und aus dieser Berufung ihre Rechtfertigung und Rechtmäßigkeit bezieht. Die Rechtfertigung und Begründung politischer Entscheidungen hat sich in den letzten Jahrzehnten noch einmal im Kern geändert und führt in immer weiteren Bereichen zu einer neuen Semantik des Wandels, der wir uns widmen möchten und müssen.
Allgemeinheit. Das Ganze.
“We are all alone, born alone, die alone, and—in spite of True Romance magazines—we shall all someday look back on our lives and see that, in spite of our company, we were alone the whole way. I do not say lonely—at least, not all the time—but essentially, and finally, alone. This is what makes your self-respect so important, and I don’t see how you can respect yourself if you must look in the hearts and minds of others for your happiness.”

Zu Beginn des letzten Jahrhunderts war der Begriff der Allgemeinheit vorherrschend ein politischer und juristischer Begriff. Er korrelierte mit dem Staat, mit der Nation. Das war der Realitätsraum des Menschen, worin er entfremdet von sich selbst, angewiesen auf die anderen, zu sich zurückzukehren versuchte im Selbstbewusstsein und „self-respect“. So folgte auch der deutsche und der französische Existenzialismus dieser Differenzierungspur, die bereits im deutschen Idealismus angelegt worden war als eine Reflexion zwischen Besonderem und Allgemeinen, nun zwischen einem Dasein und In-der- Welt-sein, aus dem ein Individuum am Ende hervorgehen sollte, welches sich allen seinen Entfremdungen und Widersprüchen in seiner Realität bewusst ist, sich von einigen davon zumindest, jedenfalls die, die intellektuell zugänglich sind, auch entledigen wollte; alle anderen, die dem politischen Umgang mit ihren sozialen Problemen politisch folgenlos sich verhielten, waren Mitläufer.

Wir haben an vielen Beispielen dargelegt, dass das In-der-Welt-sein längst nichts mehr zu tun hat mit unserer Nation, unserer Umgebung und unseren Mitmenschen allein, aus deren überschaubarer Interaktion das Individuum sich selbst verwirklicht. Auch das existenzialistische Selbstbewusstsein, welches darum weiß, dass es seine Existenz einem Zufall verdankt, eben zu jenem Datum an jenem Ort geboren zu sein, und einer Unvermeidlichkeit, sein Tod, wusste nun, dass es auf ihn selbst und allein auf ihn ankommt, zu sich selbst zurückzufinden, wofür die Zeit eines Daseins genügen muss. Waren die Begriffe des Ganzen und des Allgemeinen noch wenige Jahrhunderte vorher Universalien, galten für alle Menschen bzw. die Menschheit und jedes Bewusstsein, also für die Möglichkeiten der menschlichen Vernunft, so entdeckte sich der Mensch nun in seiner Vereinzelung. Der Blick wandte sich dem Individuum so radikal zu, dass alle Wirklichkeit und alle Möglichkeiten sich auf es selbst bezogen und so ihm keine Möglichkeiten mehr ausstanden oder zugänglich waren, dies gleichbedeutend war mit seinem Tod, kategorial gesprochen die Selbstreferenzialität des Daseins zum „Nicht-mehr-Dasein“ (SuZ S. 236). In seiner monadischen Selbstbezogenheit hat der Mensch alles, inklusive sich selbst, derart optimiert und seinen eigenen Möglichkeiten nach genutzt, dass ihm der Müll und der Dreck in seinem selbstischen Universum nicht auffallen wollte und musste, zumal man ihn ja in die ganze Welt zu exportieren vermochte, wo Wasser, Land und Luft vor der eigenen Haustüre nicht reichten, ihn aufzunehmen; aus dem Blick, aus dem Sinn. Es gab keine Tradition der Verantwortung für die Lebensgrundlagen, nur für die eigenen Lebensverhältnisse, wenn überhaupt noch eine. Die Krise bzw. die Diskrepanz zwischen gesellschaftlicher Wirklichkeit und gesellschaftlicher Semantik musste Dimensionen erreichen, die den Menschen die Erfahrung einer größeren Einheit von Intersubjektivität und Interaktion näherzubringen vermochte, sich regelrecht aufdrängen und ihn aus der ausweglosen Selbstbezüglichkeit herausfinden lässt.

Ein mehr als bemerkenswertes Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG) vom 24. März 2021 erinnert ein konsequent auf sich selbst gerichtetes, gesellschaftliches Bewusstsein an seine Verantwortung für alle zukünftigen Generation und macht dieses Bewusstsein zur obersten Gesetzesnorm. Klimapolitik steht, so das BVG, nicht im Ermessen der aktuellen Politik und ihrer Legitimation in der aktuellen Gesellschaft der Wähler, sondern muss nun eine langfristige und auf Dauer verlässliche Politik gestalten, die die Grundrechte und die Idee der Freiheit künftiger Generation berücksichtig und realpolitisch per Gesetz im Hier-und-Jetzt bereits wahrt. Es zählt nicht allein unser Dasein und was wir darin als unsere Möglichkeiten entdecken und verwirklichen und die mit unserem Tod unsere „Vorläufigkeit“ in jeder Hinsicht beendet werden, es zählt unsere politische wie auch unsere eigene Verantwortung für die heute jungen Menschen, deren Dasein wir durch willen- und konsequenzlose Klimapolitik in fast allen Bereichen bereits heute einschränken, nicht nur massiv finanziell, sondern auch gesundheitlich und vor allem zeitlich. Denn Umweltschäden, die sich derart auswachsen, dass sie nur mit erheblichem finanziellem und zeitlichem Aufwand beseitigt werden können, wenn überhaupt, schränken die Möglichkeiten zukünftiger Generationen derart ein, dass sie ihre Grundrechte kaum mehr wahrnehmen werden können, so das BVG.

Die Richter störte, dass die von der Bundesregierung ergriffenen Regelungen zum Klimaschutz hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf den Zeitraum nach 2030 verschieben, und dass durch solcherart Verschiebungen die Freiheitsrechte der bereits lebenden jungen Generation beschnitten werden und gab den „zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden“ damit Recht. Bemerkenswert am Urteil ist auch, dass das BVG den Gesetzgeber nicht nur was den Generationenvertrag angeht zu langfristigem Denken und politischen Handeln verpflichtet und dabei die Gesundheit und die Freiheit der nachfolgenden Generation im Blick behalten soll, sondern diese vorausschauende Sichtweise auch auf die Wirtschaft bezieht. Das BVG erwähnt in diesem Zusammenhang Planungssicherheit für die Wirtschaft, ein ökonomischer Begriff, der gerne die Bedeutung der gemeinten Investitionssicherheit ersetzt. Gleichwohl, vorausschauendes politisches Handeln steht nun in einem viel weiteren Horizont als einem, der auf eine Generation künstlich reduziert ist. Denn, was soll das sein, eine Generation? Was eine Planungssicherheit? Über welchen Zeitraum reden wir, über fünfundzwanzig Jahre wie üblich bei der Generation? Der Schutz der Lebensgrundlagen gilt für ewig, gilt für alle zukünftigen Generationen, gilt für den Begriff Menschheit an und für sich.
Natürlich ist politisches Handeln also nicht als abgeschlossenes Handeln zu erfahren, kein Politiker kann die Vollständigkeit bzw. die Vollkommenheit seiner Handlungen übersehen wie dies auch kein Individuum kann. Daher, weil es als seiendes Ganzes, also eines Lebens, nicht auf alles Leben qua Erfahrung bezogen sein kann, kann es doch nur zu gut ontologisch, das heißt nach den Möglichkeiten des Erkenntnisvermögens und der Vernunft auf spätere Generationen sich beziehen, wie dies eindrucksvoll das höchste deutsche Gericht gerade bewiesen hat. Insofern entzieht sich hier auch kein zukünftiges Sein der Erfahrung der Menschen und relativiert ihr Wissen auf ihre eigene Erfahrung hin als unvollständig. In jeder Sekunde seines Daseins geht der Mensch mit seiner Vergangenheit um, ob in der Sprache, der Kultur oder dem Erbe seiner Eltern und Verwandten. Und in jeder Sekunde greift er aus in die Zukunft seiner Nachkommen und der folgenden Generation. Dass der Atommüll weit in die Zukunft strahlt, weiß er. Dass Müll und Mikroplastik hunderte von Jahren noch auf den Tisch nachfolgender Generationen kommen wie die giftigen Aerosole und in Luft gelösten und gebundenen Substanzen Volkskrankheiten konservieren und ausbreiten, mit denen sich die Menschen in Zukunft beschäftigen müssen, die ihr Leben einschränken, krank machen und sie sterben lassen ohne Schuld und Eigenverantwortung.

Und es ist nur ein abstrakter Trost, dass das eigene Dasein im Vorgriff auf das nächste die Sorge nicht endet, wie es weitergeht. Nur, dass die Sorge kein abstraktes Gut ist, welches dem Ganzen des Daseins als sein Sein zugute kommt, sondern höchst konkret erkannt und bedacht werden kann: …“der Gesetzgeber habe keine geeigneten Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels ergriffen und hierdurch verbindliche unionsrechtliche Vorgaben zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen missachtet.“ Etwas weiter: „Der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schließt den Schutz vor Beeinträchtigungen durch Umweltbelastungen ein, gleich von wem und durch welche Umstände sie drohen. Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates umfasst auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels, etwa vor klimabedingten Extremwetterereignissen wie Hitzewellen, Wald- und Flächenbränden, Wirbelstürmen, Starkregen, Überschwemmungen, Lawinenabgängen oder Erdrutschen, zu schützen. Sie kann eine objektivrechtliche Schutzverpflichtung auch in Bezug auf künftige Generationen begründen. Da infolge des Klimawandels Eigentum, zum Beispiel landwirtschaftlich genutzte Flächen und Immobilien, etwa aufgrund steigenden Meeresspiegels oder wegen Dürren Schaden nehmen können, schließt auch das Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG eine Schutzpflicht des Staates hinsichtlich der Eigentumsgefahren des Klimawandels ein.“ Weiter: „Danach darf nicht einer Generation zugestanden werden, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde. Künftig können selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein; gerade deshalb droht dann die Gefahr, erhebliche Freiheitseinbußen hinnehmen zu müssen. Weil die Weichen für künftige Freiheitsbelastungen bereits durch die aktuelle Regelung zulässiger Emissionsmengen gestellt werden, müssen die Auswirkungen auf künftige Freiheit aber aus heutiger Sicht verhältnismäßig sein. Auch der objektivrechtliche Schutzauftrag des Art. 20a GG schließt die Notwendigkeit ein, mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten.“

Galt es also bislang, die Welt aus einer Sicht als Ganze zu begreifen, die das eigene Dasein umfasst und damit den Tod als eine biologische Tatsache zu verstehen, die aber existenziell, sagen wir geschichtlich über uns hinausweist, so war diese Blickrichtung des über-uns-hinaus mit dem Existenzialismus nach hinten, zurück in die Geschichte gerichtet, fatalerweise. Für die Fakten, in die wir hineingeboren werden, haben wir keine Verantwortung und für die Entwürfe in unsere Zukunft müssen, brauchen wir keine Verantwortung zu übernehmen, da sie ja unvollständig sind, da eigentlich ja die nächste Generation nicht irgendwo auf uns wartet, sondern weil sie bereits anwesend ist und also Teil unseres Entwurfs ist. Was schwerer wiegt ist, dass im deutschen Existenzialismus das Element der Utopie ebenso verworfen wurde wie die Inblicknahme des Menschen als zoon politicon mit weit vorausgreifenden Möglichkeiten und Fähigkeiten. Umso schwerer wiegt, dass nicht Philosophie, deren ureigenstes Geschäft stets auch die Utopie war, sich nun vor der Situation sieht, dass Juristen sie daran erinnern müssen, was ihr eigentliches „Geschäftsmodell“ ist.

Die Semantik der Freiheit

Wir haben am Urteil gesehen, dass Freiheit weit über das herkömmliche Freiheitsverständnis hinausreicht. Wir definieren das traditionelle Freiheitsverständnis bereits seit einigen Bänden unserer Philosophie als angelsächsische Form des bürgerlichen Liberalismus, die besonders in der US-amerikanischen Verfassung und ihren Zusatzartikel, wie weiter vorne beschrieben, der Vorstellung zum Recht verhilft, dass der einzelne Bürger im Rahmen der bestehenden, seit Niederschrift und Ratifizierung der Verfassung, also seit mehr als vierhundert Jahre geltenden Rechts, alles tun darf, was er will, solange er anderen Menschen, Mitmenschen nicht schadet; so haben wir auch in Verbindung dieses Geistes mit der Ökonomie auf den Satz verwiesen: wenn jeder den größtmöglichen Nutzen verwirklicht, ist auch der größte Nutzen für die gesamte Gesellschaft verwirklicht. Das aus der traditionellen angelsächsischen Rechtsauffassung hervorgegangene Freiheitsverständnis hat, so konnten wir nachzeichnen, eine Bindung an das traditionelle Recht, woraus das Richterrecht mit der Präzidenzordnung herrührt, aber keine Bindung an sich verändernde, zukünftige Rechtsauffassungen, die aufwendig und selten gelungen im Rahmen aktueller Gesetzgebungsverfahren hergestellt werden müssen.

Zwei Elemente kennt dieses Freiheitsverständnis gleichsam als dessen Grenzwerte. Einmal ist die Freiheit beschränkt an der Freiheit des Anderen und somit wird dieser möglicherweise und faktischer Weise als Grenze und Beschränkung der eigenen Freiheit erfahren. Zugleich ist dieser liberale Freiheitsbegriff ein Antonym zur Regelbindung des Individuums, also zu allen Formen der Handlungsbeschränkung, die dem Einzelnen auferlegt werden können. Vom Individuum aus gedacht ist dessen Liberalität ganz wesentlich davon abhängig, dass keine Handlungsbegrenzungen und Einschränkungen seiner Freiheit Realität sind oder werden können und deshalb ist es auch erlaubt zu sagen, dass das libertäre Selbstverständnis eins ist, was jede Form der Bindung zugleich auch als Einschränkung und Beschränkung der individuellen Freiheit denkt; Bindung grenzt Freiheit ein, gilt gleichsam paradigmatisch für das Individuum und seinen gesamten Daseinsvollzug.
Das Problem damit ist bekannt. So schrieb bereits Hegel in jungen Jahren und widersprach damit seinem Idealismus-Kollegen Fichte in seinem traditionellen Freiheitsverständnis:
„Die Gemeinschaft der Person mit anderen muss […] wesentlich nicht als eine Beschränkung der wahren Freiheit des Individuums, sondern als eine Erweiterung derselben angesehen werden.“ Wir haben dieses Freiheitsverständnis bereits von allen Seiten her betrachtet und können diese Betrachtung unter einen Terminus versammeln, den der sozialen Freiheit im Gegensatz zur individuelle Freiheit, woraus sich die Notwendigkeit herleitet, Freiheit im intersubjektiven Raum und innerhalb sich entfaltender Interaktionen mit den anderen zu verstehen. Dies ist dann gewissermaßen eine Denknotwendigkeit, dass, wenn Freiheit grundsätzlich als eine soziale Freiheit begriffen werden muss, alle möglichen Formen, auch die der individuellen Freiheiten, nicht als Freiheiten von einer Gesellschaft, sondern als Freiheiten in einer Gesellschaft zu verstehen sind. So haben wir dann auch kooperatives Handeln und ökonomische Tauschvorgänge als Freiheit in einem nationalen, aber auch transnationalen Sinne verstanden als eben eine grenzüberschreitende Interaktion, die ihre Freiheit darin findet, dass Kooperation als Kooperation gelingen kann. Und dies gelingt natürlich nur in der Reziprozität verbindlicher Regeln, die die Freiheit des anderen anerkennen wie dies vom anderen für die eigenen Freiheitsrechte erwartet werden darf. Hier die Wettbewerbsrechte, dort die privaten Freiheitsrechte sind also im Sinne Hegels Anerkennungsrechte, wechselseitige Anerkennung von z.B. ökonomischen bzw. politischen Bindungen, Vereinbarungen und multilateralen Regeln.

Der Einwand, wenn man sich Regeln unterwirft, sei Freiheit zu sehr eingeschränkt, steht in einer Konnotation mit jener liberalen Auffassung von Freiheit, die wir als zu kurz erachten. Im Gegenteil gilt und ganz im Sinne Hegels, dass durch wechselseitige Anerkennung und so durch Selbstverpflichtung und Bindungen an Regeln, Vereinbarungen und Gepflogenheiten wie etwa eine gute Kaufmannschaft neue und ungleich erweiterte Kooperationsmöglichkeiten geschaffen werden, wie es sie vorher nicht gab, weil sie vorher ohne Regelwerk nicht möglich waren. Wir sehen auch wie dies umgekehrt in Gefahr gerät, wenn ehemalige Partner die Bindungen in Frage stellen, sich an Regeln wie den fairen Wettbewerb oder des internationalen Handels nicht mehr gebunden fühlen. Dem folgt dann quasi zur Legitimation nachgereicht die Theorie der Deliberalisierung, Deglobalisierung, der Modern Money Theorie und alle anderen, die wir bereits ausführlich und im Kontext besprochen haben. Die USA des donald t., die VRC im Wandel zur militärischen und wirtschaftlichen Machtoption und auch das kleine britische Königreich unter dem hegemonialen Führungsanspruch englischer Eliten sprechen mehr als eindeutig die Sprache der neuen Semantik der Freiheit, die allesamt die globale und die universelle Semantik der Freiheit in Kooperation zusammenstutzen auf nationale Eigeninteressen hin.

Solidarität.

Aus der segmentären Differenzierung der Gesellschaft wissen wir, dass der Begriff der Solidarität im Kern aus der Erfahrung mittelalterlicher Gesellschaften stammt, aus dörflichen oder kleinstädtischen Gemeinschaften, die darauf angelegt und angewiesen waren, dass man sich gegenseitig half, wenn Not war. Die kleinteilige Sozialstruktur kleiner Gemeinschaften mit einer Face-to-Face Solidarität, also mit wechselseitigen Hilfsleistungen und der Bereitschaft für in Not durch Krankheit, Tod, Armut, Natur und Krieg etc. geratenen Mitglieder war auf dem Boden von Reziprozität gewachsen. Dies galt dann auch für größere Einheiten, die etwa über die städtischen Berufsstände, über kirchliche Solidargemeinschaften, selten über politische eine Form der rudimentären Assekuranz, von Solidargemeinschaften in Versicherungssystemen sich entwickelten, die wir heute noch kennen und die nach wie vor zu den großen, institutionellen Investoren auf den internationalen Finanzmärkten zählen. Und die, darüber hinaus, wie etwa in den USA, privatwirtschaftliche Träger gesellschaftlichen Wohlstands und Wohlfahrt zugleich sind.

Die Französische Revolution war der historische Beginn einer Semantik der Solidarität, die diese in die gleiche Größenordnung wie die Gesellschaft oder den Staat setzte und als Brüderlichkeit neben Freiheit und der Gleichheit vor dem Gesetz eine der drei tragenden Säulen der modernen Gesellschaft wurde. Vor allem in Europa, so haben wir ausführlich behandelt (Band IV. Kap. 5), wurde die Idee der Solidarität zur Staatsidee, gleichgewichtig wie alle anderen Ideen und in der Idee des Wohlfahrtsstaates verwirklicht. Die Idee der Solidarität wurde also zu einer Zeit konstitutiv, die in Europa, in UK und in den USA neben stratifikatorische bereits funktionale Differenzierungen ausgebildet hat und somit auf soziale Kontexte angewandt wurde, die kaum mehr bis keine Reziprozität mehr in einer Form der sozialen Verankerung kannten. Gerade die vielfältigen Arrangements von Assekuranzleistungen richteten sich nach den Differenzierungen der Großstädte und Wirtschaftszentren, nach Ballungsräumen und wenig nach ländlichen oder kleinstädtischen Räumen aus. Waren Solidargemeinschaften hier noch eine in der jeweiligen Realität der Menschen vorhandene soziale Praxis, Face-to-Face gewissermaßen, so wurde diese Sozialpraxis und mit ihr auch die Semantik transformiert zu fast ausschließlich nur noch normativen Systemen, deren Versprechen darin lag und liegt, eine solidarische Praxis im Notfalle auch verlässlich herbeizuführen. Wir gehen an dieser Stelle nicht auf den fortwährenden Streit zwischen Kunde und Assekuranz ein, dass jener den Notfall behauptet und die verbindlich zugesagte Leistung einfordert, und den Reihen von Rechtsvertretern der Assekuranz-Unternehmen, die dies bezweifeln und zu verhindern suchen; die geschieht auch wegen der vermeintlichen „Solidarität“ der Rechtsabteilung mit den Eigentümern der Gesellschaft, meist aber aus rein wirtschaftlichen Gründen.

Lange Zeit beschäftigten sich verschiedene Wissenschaften mit dem Begriff der Klassensolidarität, worunter eine bestimmte Form der Solidarität mit und unter den Werktätigen, heute den Lohnbeschäftigten verstanden wurde. Solidarität wurde hier zum Ausgangspunkt einer Form der Annäherung an besser bezahlte Werktätige und diese Annäherung wurde verstanden als Lohn- bzw. Angleichung der Vergütung durch Umverteilung des gesellschaftlichen Wohlstands. Eine Zeitlang wurde es recht ruhig um diesen Gedanken der Solidarität durch Umverteilung, die ja im Kern nichts anderes will, als eine nicht durch Produktivität hervorgebrachte Form der Umverteilung, sondern die Verwirklichung einer wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Vorstellung, nämlich die Vorstellung der Leistung ohne Gegenleistung. Besonders in der Diskussion um die finanzielle Diskrepanz zwischen Arm und Reich entwickelte diese Vorstellung sich bis hin zu jener, vor kurzer Zeit eingeführten Diskussion über das bedingungslose Grundeinkommen.

Ursprünglich aber verzweigte sich die Vorstellung der Solidarität durch Umverteilung als eine Vorstellung, die neben der Vorstellung der Solidarität im nationalen Interesse als Sozialhilfe wie auch neben der Vorstellung von internationaler Solidarität als Entwicklungshilfe sich entwickelte; andere Formen der internationalen Solidarität waren hauptsächlich politische Forderung zur Befreiung der Arbeiterklasse aus dem asymmetrischen Verhältnis von Kapital und Arbeit und dessen Ausbeutungscharakter. Wenn es aber stimmt, was Marx schrieb, dass der gesellschaftliche Wohlstand allein durch die menschliche, durch individuelle Arbeit zustande kommt, dann widerspricht die Vorstellung vom bedingungslosen Grundeinkommen den Eigeninteressen derer, die solidarisch sein sollen, generell, also auch den Eigeninteressen der Werktätigen. Denn Solidarität im Umverteilungsparadigma rechnet sich als halbierte Summe einer vollständigen Reziprozität und ist, mathematisch gesprochen, ein Nullsummenspiel. Als Positivsummenspiel müsste es möglich sein, allein den Faktor Kapital zu belasten, ohne damit wiederum den Faktor Arbeit mit geringeren Investitionen und dem Abbau von Arbeitsplätzen zu belasten. Dies wird auch dann nicht gelingen, wenn der Staat diese Umverteilung qua Steuerbelastung von Unternehmern vornimmt, denn selbst wenn es möglich ist, die private Einkommensteuer, wie dies Piketty postuliert und aufzuzeigen versucht, exakt zu ermitteln und zu belasten und diese Einnahmen abzüglich von Verwaltungskosten an die Gesamtheit der Werktätigen zu übertragen, die eine Wohlstandsgrenze unterschreiten, hätte diese Form der Umverteilung auf der Habenseite wenige Positiva. Das Paradigma der Barmherzigkeit, wie dies in der Geschichte des St. Martin aufgezeichnet ist, ist kongruent mit allen Formen des Nullsummenspiels, welches nichts anderes propagiert als dass der eine erhält, was ein anderer verliert.

St. Martin, Robin Hood und andere solcher Märchengeschichten und Solidaritätsmythen haben sich bei näherer Betrachtung stets als irreführend erwiesen, vor allem, wenn man davon ausgehen muss, dass Gesellschaften keine statischen Entitäten sind, deren Gesamtbilanz sich in Nullsummenspielen arrangieren lässt. Sie sind keine Assekuranzsysteme, nicht einmal in der Idee der Generationengerechtigkeit. Gesellschaften waren immer, bleiben wir bei dem Bild, Positivsummenspielen, wenn man schon einmal so will. Gesellschaften sind dynamisch und im Ergebnis auch fortschreitend Ergebnis-positiv, d. h. auch sich ökonomisch entwickelnd. Wir haben gezeigt, dass diese Entwicklung, mit einem anderen, ideologisch schwer belasteten Terminus belegt, als Fortschritt beschrieben, auch die finanzielle Entwicklung von Arm und Reich miteinschließt. Diese Entwicklung, die also alle Mitglieder einer Gesellschaft prinzipiell, gleichwohl asymmetrisch verteilt, betrifft, ist eine der positiv zu Buche schlagenden Erträge aus erweiterter Interaktion. Ob man dies im Sinne einer eher evolutionären Entwicklung der Gesellschaften durch immer weiter entwickelte Differenzierungen betrachtet, also von einem Modell der segmentären, über die stratifikatorische bis zur funktionalen Differenzierung aus betrachtet, oder diese Betrachtung auf globale Differenzierungen hin erweitert, bleibt letztlich gleich, allein die Differenzierungen geben den Blick auf die Phänomene der Entwicklung frei.

Wir haben betont und definiert, das Globalisierung eine Form der transnationalen Kooperation bedeutet, weil nur so die Idee einer transnationalen Kooperation zum gegenseitigen Vorteil aller beteiligten Länder, Firmenkonglomeraten, Finanzströmen und kulturellen Einflüsse erfasst werden können. Und in dieser Betrachtung erschließt sich nach unserer Auffassung die Gesamtbilanz solcher Kooperationen als neue, erweiterte Formen der Erwirtschaftung neuer Ertragsfelder und Prozessoptimierungen wie etwa bei der Skalierung von Geschäftsideen wie wir dies ganz besonders deutlich in den Informations- und Kommunikationstechnologien herausgearbeitet haben. Das hat sich heute ins Bewusstsein geschrieben, dass Globalisierung, also der transnationale Prozess der Erzeugung von Wohlstand durch globale Interaktion neue Interaktionserträge sichtbar werden lässt, die es vorher nur in eigeschränkter Weise durch international operierende Konzerne gab. Als eine sozialpolitische Konklusio dieser Form globaler Wirtschaft hat sich noch nicht ins Bewusstsein eingeschrieben, dass die Angleichung von Armut und Reichtum nicht als ein Nullsummenspiel gedacht werden muss und darf, bei dem die Besserstellung der Armen bzw. prekären Schichten der Gesellschaft zu Lasten der Reichen bzw. Besserverdienenden allein geht, sondern sich aus den neuen Formen der globalen Produktion und deren Finanzströmen ergeben muss, weil hier und nur hier die neuen Interaktionserträge erwirtschaftet werden.

Zum freien Austausch von Waren gehört, so ist dies in den Verträgen der EU festgeschrieben, auch der freie Austausch von Menschen, also von Werktätigen, Wissenschaftlern, Finanzdienstleistungen, Kulturschaffenden usw. Wem gehört Waltraut Meier? Die großartige Sängerin ist Deutsche von Geburt, mehr nicht. Sie ist eine Weltbürgerin und zu ihr gehört das Publikum auf allen Opernbühnen der Welt, wie auch Maria Callas, Birgitt Nilsson, Peter Hofman, Daniel Barenboim, Patrice Chereau Weltbürger waren oder sind. Die Künste, so sie nicht vom kleinsinnigen Kommerz erstickt zu werden drohen, sind globale Ereignisse, die Künstlerinnen und Künstler allesamt Weltbürger wie deren Werke Weltkunst sind. Wir sprechen also von einer viel weiteren Form der Solidarität als von einem geistlosen Nullsummenspiel. Wenn Künstlerinnen und Künstler ihr Publikum weltweit begeistern ist dies kulturelle Solidarität in Wechselwirkung, insofern Künstler aus allen Ländern der Erde in alle Erdteile reisen, und es ist ein kultureller Ertrag, der weit über eine Kosten-Nutzen-Kalkulation auch rechnerisch hinausgeht. Eine angemessene Semantik der Solidarität lässt sich somit nicht auf einen distributiven Kern verkürzen, auf ein kindisches Wegnehmen von etwas und dies dann anderen geben. Sie konnotiert also mit Inklusion und assoziiert nicht mit Distribution, zumal die Idee einer Umverteilung ignoriert, ob denn überhaupt die, die Zuteilung genießen sollen, diese auch zurecht verdienen. Wer will wirklich, dass jeder der Armen, gleichwohl darunter mit Sicherheit einige sind, die ihre Frauen und Kinder schlagen, wahllos Ältere verprügeln und abziehen, rumpöbelnd neofaschistisches Gedankengut verbreiten und so weiter, bedingungslos Nutznießer von Enteignung werden? War da nicht schon mal so etwas Ähnliches?
Also, was geht über die bestehende Solidarität als zivile Hilfsbereitschaft und in Form der sozialen Hilfesysteme hinaus? Sicherlich kann über Formen der Alimentierung wie auch über Formen der Berechnung von Mindestlöhnen weiter nachgedacht werden. Aber heute haben wir weit darüberhinausgehende Möglichkeiten, etwa in der Transformation des Assekuranz-Gedankens, die die Einbindung von Menschen, die bis heute nicht oder nur ungenügend eingebunden sind in die neuen, globalen Interaktionserträge ermöglicht. Um an den globalen Wertschöpfungsketten auf den internationalen Finanzmärkten besser partizipieren zu können, müssen keineswegs bildungsfernen Schichten Riester-Renten oder ähnliche Spar-Derivate wie Kartoffel-Chips verkauft werden. Die Einbindung auch von Menschen mit weniger Einkommen und Erfahrung auf Finanzmärkten kann, ähnlich wie ja auch das Sparkonzept der Sparkassen, Banken sowie von Versicherungsunternehmen im Rahmen von modernen Fonds, staatlich kontrolliert aber privatwirtschaftlich gemanagt neu gedacht werden; wir kommen später detaillierter darauf zurück.

Es bieten sich eine ganze Reihe neuer Möglichkeiten, die die bestehenden durchaus erweitern und ergänzen können. Solche neuen Möglichkeiten wollen also keine Umverteilung und sind daher gleichzusetzen mit investivem Verhalten. Einmal ist die Verwendung der Steuereinnahmen des Staates, nicht die Einkommensteuer der Unternehmer allein, als Investition verwendbar und vornehmlich als deutlich erhöhte Investitionen in Bildung, in Sozialhilfe und wie die Pandemie gezeigt hat, in Formen der Digitalisierung, die es besonders prekären Schichten erlaubt, staatliche Dienste und Kriseninterventionen am Bildungs- und am Arbeitsmarkt, wahrzunehmen; auch das gehört zum modernen Solidarsystem, bislang ausgeschlossenen Gruppen der Gesellschaft generell und nicht nur schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen einen Zugang z.B. zum Homeschooling, weiteren schulischen, aber auch berufsbegleitenden und sozialen Betreuungsmöglichkeiten zu ermöglichen. Und nicht zuletzt wäre neu zu bedenken, wie Menschen auch mit kleineren Beiträgen an staatlich kontrollierten Fonds Beteiligungen erwerben können, mit denen Startups und Verbriefungen in Risikoproduktivität gefördert werden, ohne dass dies gleich über Bankprodukte bzw. Börsenplätze geschehen muss; wir kommen darauf zurück. Weiter als auf ein Land bezogene Solidaritätsaktivitäten reichen vom Abbau aller protektionistischen Strukturen besonders in den Bereichen Agrarwirtschaft und Textilwirtschaft bis hin zur Bekämpfung von Korruption, die, übrigens keine Angelegenheit von Entwicklungsstaaten allein ist, sondern auch in vielen Ländern der EU nottut. Ein weiterer wichtiger Solidarbeitrag wäre die Durchforstung wettbewerbsverzerrender Subventionspolitik wie überhaupt die Überprüfung aller Maßnahmen der Renationalisierung und Deglobalisierung in Wirtschaft und normativer Politik, was auch zu einer Neubestimmung der bestehenden staatlichen wie privatwirtschaftlichen Good Governance Strukturen führen muss.

Blicken wir kurz auf das Jahr von Corona, dann überrascht einmal die hohe zivile Hilfsbereitschaft, wenn auch fast ausschließlich nicht darüber, sondern über die egozentrischen Verhaltensweisen von Bürgern und Politikern berichtet wurde und wird. Die Diskussion über einen auf das Individualrecht eingegrenzten Freiheitsbegriff, wie dies von Linder (FDP) zum Eigennutz seiner Funktion und Partei inszeniert wurde, macht aber darüber hinaus sehr deutlich, dass eine solidarische Gesellschaft sich in großen Krisen und Pandemien schwer tut mit solidarischem Verhalten und Handeln, wenn alle Gesetze bis zum Grundgesetzt nur Individualrecht kennen. Eine Neubestimmung der gesetzlichen Grundidee auf einen erweiterten Begriff der Person, der aus der katholischen Episteme stammenden Idee der Schuld und der daraus erwachsenden Verantwortung ist mehr als dringlich, da in einer Welt notwendig zunehmender Kooperationen und einem Zwang zur Kooperation beim Klimaschutz, Naturschutz, vernetzter Finanzmärkte, verteilter und schneller sich verändernder Eigentümerstrukturen in allen Bereichen der Wirtschaft und schließlich einer tief vernetzten Struktur von Politik in transnationale Konglomerate und Sachverhalte dies unausweichlich wird. Wenn heute nach etwas mehr als sechs Monaten, nachdem der erste Impfstoff gegen Covid-19 auf den Markt kam, die USA Reserven für eine dritte und vierte Impfung bereits gehortet haben, achtzig Prozent aller verfügbaren Ressourcen gegen Corona in den Händen weniger westlicher und asiatischer Staaten liegt, während in Indien das Gesundheitssystem völlig zusammengebrochen ist, dann zeigt dies, dass die Semantik der Solidarität immer weiter sich von der Realität entfernt.
Indien hat als Outsourcing-Wirtschaft für den Westen mehr aus ausreichend Ressourcen zur Impfstoffproduktion, darf aber keine produzieren, weil nicht einmal eine Lizenzproduktion von den Herstellern im Westen erlaubt wird. Und kein Argument der illegalen Re-Importe ändert etwas maßgeblich an der Tatsache, dass die Semantik der Solidarität längst nicht überall und selbst bei existenzgefährdenden Sachverhalten keine der Inklusion, sondern eine der Alimentation ist. Was somit die neue Semantik der Solidarität anspricht ist etwas, was Umverteilungsideologien mit ihrer Alimentierungslogik nicht denken können, ist eine Investition in eine möglichst nicht als Nullsummenspiel funktionierende soziale und politische Zusammenarbeit, die das Gelingen einer Gesellschaft nicht verteilt, sondern erst befördert, und dann verteil. Ist Inklusion als national wie international gelingende Solidarität auf der Grundlage bestehender wie neuer Institutionen und normativer Systeme, die es möglichst vielen Menschen ermöglichen, an allen Teilsystemen sich zu beteiligen, die für sie offenstehen wie für andere Menschen der Gesellschaft mit besseren, privilegierten Formen des Zugangs.

Verantwortung.

Wir haben an vielen Stellen den Begriff der Verantwortung beleuchtet und müssen ihn nun aus unseren Bestimmungen von Intersubjektivität und Interaktion genauer, schärfer konturieren. Hierzu gehören nun die Gedanken, die wir uns hinsichtlich einer neuen Bestimmung des Willens gemacht haben. Der traditionelle Begriff der Verantwortung stammt aus der Semantik des Rechts und beschreibt einen Zustand des sich-verantworten-müssens für die Folgen eigenen Handelns, ob diese nun bewusst und freiwillig oder unfreiwillig und aus Unwissenheit entstanden sind. Wir haben bestimmt, dass der Erkenntnisgrund einer willentlichen Handlung auch eine Verantwortung für die Folgen der Handlung nach sich ziehen kann, so der Erkenntnisgrund oder die Handlungsmotivation auch bewusst einen Dispens mit dem Gesetz, mit berechtigten Erwartungen, mit expliziten wie impliziten Regeln in Kauf nimmt. Jede Unterschrift unter einen Vertrag, einen Letter of Intend, eine Vereinbarung ist rechtsgültig wie heute in den meisten Fällen auch der kaufmännische Handschlag unter Zeugen dies sein kann.

Wie in diesen Fällen setzt Verantwortung die Kenntnis der Gesetze, Regeln, Normen etc. voraus, Unwissen aber schützt vor Strafe nicht, wie man richtig sagt. Denn auch eine unfreiwillige Übernahme von Verpflichtungen wie etwa die Erziehung der eigenen Kinder, deren Obhutspflichten, erfordern im Streitfall Rechenschaftspflicht und gegebenenfalls die Übernahme der Verantwortung für die Folgen einer Handlung, die man selbst weder „geplant“ hat noch ausgeführt hat. Verantwortung ist somit auch eine Form der Stellvertretung, ob man nun stellvertretend für die Eltern Erziehungs- oder Aufsichtspflichten übernimmt oder ob man wie z.B. als Vertreter einer Körperschaft des Rechts, einer GmbH o. ä. handelt.

Wie dem auch sei, Verantwortung wird abgeleitet aus einem individuellen Rechtsgeschehen, das beginnt mit einem Erkenntnisgrund und einer institutionellen wie auch privaten Beurteilung der willentlichen wie der stellvertretenden Folgen einer Handlung zum Schaden einer anderen Person, Institution oder Körperschaft. Persönlich oder stellvertretend trägt also eine Person oder eine Körperschaft die Verpflichtung, für etwas Geschehenes einzustehen und ggf. entstandenen Schaden zu begleichen; das sind dann Fälle eines Aktionsergebnisses, das zu unterscheiden ist von einem Interaktionsergebnis. Letztere sind also keine Folgen eines individuellen Handelns, sondern Folgen, die auf keine individuellen Handlungen und somit auch auf keinen handlungsführenden Erkenntnisgrund zurückgeführt werden können. Dazu gehören Folgen gesellschaftlichen Handelns wie etwa der Klimawandel aber auch Folgen politischen und ökonomischen Handelns, die als anhaltende Arbeitslosigkeit z.B. erhebliche Folgen persönlicher, aber auch gemeinschaftlicher Art nach sich ziehen, ohne dass hierfür ein eindeutiger Erkenntnisgrund nachvollziehbar wäre, wie auch wie im Falle einer zunehmenden Verzweigung von Politik und Ökonomie zu einer Politischen Ökonomie kein Verantwortlicher im juristischen Sinne nachweisbar ist.

Was wir aber allenthalben erleben ist, dass, obwohl die traditionelle Semantik von Verantwortlichkeit heute in vielen Fällen obsolet bis irreführend ist, gleichwohl an ihr festgehalten wird. Selbst in Zeiten immer feiner differenzierterer Zuständigkeiten wird es immer schwerer, Verantwortung nach Maßgabe der traditionellen Systematik zuzuordnen und zu sanktionieren. Das liegt daran, dass zur Bewältigung gesellschaftlicher bzw. systematischer Probleme wie etwa der Klimawandel, die Systematik der individuellen Willensbekundung und somit der individuellen Handlungsverantwortung keinen adäquaten systematischen Ansatzpunkt mehr hergibt und wir uns und bis in die Juristerei hinein sich einer obsoleten Semantik und Systematik bedient wird.
Mehr denn je erfordert daher ein vielfältig vernetzter intersubjektiver und kooperativer Handlungszusammenhang schon innerhalb nationaler Gesetze, Normen und Regeln eine völlig neue semantische und systematische Differenzierung, die nicht einfach das traditionelle Prinzip von Verantwortung als gesamtgesellschaftliche Verantwortung erweitert und eine kollektive Haftung an die Stelle einer Individualhaftung nach dem Verursacherprinzip setzt. Die Sachlage wird noch deutlich erschwert dadurch, dass das Stellvertreterprinzip Staat und Bürger zunehmend als Haftungsprinzip in Anschlag kommt und damit eine Ordnungshaftung weiterhin ausbleibt zuungunsten der kollektiven Bürgerhaftung. Hier stellen sich einige ganz grundsätzliche Fragen der politischen Haftung, wenn man etwa die Beispiele bedenkt, die kürzlich aufgetreten sind wie etwa das „Maut-Desaster“, der „Wirecard-Skandal“, der „Cum-Ex-Skandal“, der „Diesel-Skandal“. Nicht einmal persönliche Konsequenzen hat irgendein Politiker dafür gezogen und sonnt sich bequem an der Nichtnachweisbarkeit persönlicher Verfehlungen. Was also kann eine Ordnungsverantwortung denn überhaupt bringen und wie sollte oder könnte sie aussehen?

Private Verantwortung mag in vielerlei Hinsicht löchrig geworden sein, funktioniert aber leidlich. Bei Klein- und Mittelstand funktioniert sie ebenso aufgrund der persönlichen Haftung, die ja auch hier eine Stellvertreterhaftung einschließt. Bei Konzernen, vor allem bei internationalen Großkonzernen, dagegen funktioniert sie meist „by accident“ oder im Rahmen staatlicher Sanktionsmechanismen wie etwa beim Dieselskandal, der die deutschen Autobauer in den USA hart traf, aber kein einziges US-Unternehmen aus der Automobilbranche, obwohl die Sprit-fressenden US-Cars und Pickups wahre Dreckschleudern sind. Und was US-Unternehmen in Afrika und Asien an Umweltschäden zu verantworten hätten, ist in einem Buch kaum aufzuzählen. Es gibt eben kein wirkliches Gesetz, das eine Ordnungsverantwortung regelt; bislang nicht.

Machen wir uns also für die Zukunft in eine neue Semantik der Ordnungsverantwortung vertraut, die etwas aufnimmt, was wir bereits kennen im zivilen Leben als Ordnungswidrigkeit, die mit einem Bußgeld geahndet wird. Im Bereich der Wirtschaft kennen wir das national wie international als Ordnungsstrafe für Unternehmen bei Verletzung des Datenschutzes, die mit erheblichen Bußgeldern sanktioniert wird, wobei diese Bußgelder wieder keine Vertreterhaftung zur Folge haben, sondern eine Form der Kollektivhaftung des Unternehmens insgesamt bleiben. Es gilt also das Haftungsprinzip auf die Verantwortungsebene zu holen, also dahin, wo bereits heute Haftpflichtversicherungen für grobe Managementfehler existieren, was aber auch eine Form der Kollektivhaftung beinhaltet, insofern das Management diese Versicherungsleistung als Teil ihrer Bezüge ausgehandelt hat. Es sind zwar, wie wir dies weiter vorne ausführlich beschrieben haben, Manager in ihrer Steuerungsfunktion eines Unternehmens tätig, verantworten und haften aber nicht persönlich für ihre Fehler oder die ihrer Teams, Abteilungen, Niederlassungen, Gesellschaften usw. Immer wenn es zur Verantwortung kommt, versteckt sich das Management hinter einer Gruppe. Kommt es zur Vergütung, ist diese geradezu in umgekehrt reziproker Weise in eine Semantik der persönlichen Leistung eingebettet.

Es gibt überhaupt keinen Anlass, über die Einführung einer Steuerungshaftung (Pies, Beckmann 2009) nicht nachzudenken. Wir übernehmen in diesem Kontext die schönen Bezeichnungen „Verantwortung im Spiel“ und „Verantwortung für das Spiel“ von Pies und Beckmann, bestimmen diese aber zu Begriffen mit unterschiedlichen Bedeutungen, vor allem in politischen Zusammenhängen. Management hat Steuerungsfunktion und ist somit verantwortlich für das Spiel, während Arbeiter und Angestellte verantwortlich sind für das Spiel. Wir favorisieren den Begriff Spiel aus vielen Gründen, die wir vorne dargelegt haben, hier kommt es uns darauf an, dass in der Wirtschaft das Management verantwortlich ist für die Spielteilnehmer, die oft und sehr stark wechseln können. Etwa, wenn bei Großprojekten unterschiedliche Sub-Firmen, Lieferanten, Dienstleister etc. zusammengestellt werden, auch zu international operierenden Projektteams oder durch Fusionen und Übernahmen ganze Firmen integriert werden.

Für alles dies ist das Management verantwortlich und die unterschiedlichen Verantwortungsebenen sind auch leicht zu unterscheiden. Fehler können als Teilverantwortung und als Gesamtverantwortung differenziert werden und so wird ja auch gehandelt im Alltag. Was es nicht gibt, ist die persönliche Haftung im Top-Management. Sie zu ermitteln ist nicht schwer, muss ja auch bei jeder Bilanzerstellung vorgenommen werden. Hieraus einen Katalog an differenzierten Ordnungsstrafgeldern zu erstellen und diesen Betrag der Einkommenssteuer des Managements als Einnahmen aufzuaddieren ist auch möglich, so der Sachverhalt in einem Bundesgesetz verabschiedet worden ist. Mit der Einkommenssteuer hat man dann eine persönliche Haftung für Fehler im Management erreicht und zugleich ein Anreizsystem geschaffen, mehr auf mögliche Management-Fehler zu achten und sie zu vermeiden bei jedem einzelnen bis ins Top-Management.
Schwieriger wird es im politischen Zusammenhang, aber nicht unmöglich. Die Eckpunkte der neuen Semantik der politischen Verantwortung sind denen der Wirtschaft gleich oder ähnlich. Nehmen wir das Beispiel Pkw-Maut. Der Fall fällt in die politische Verantwortung von einem Minister. Die Beratungsfirma PwC kommt zu dem Ergebnis, dass potenzielle Entschädigungsbeträge von „rund 480 Mio. EUR bis 776 Mio. EUR“ fällig sein könnten. Im Dezember 2019 fordern die beteiligten Betreiberunternehmen einen Schadensersatz in Höhe von 560 Millionen Euro vom Bund. Minister Scheuer kommentierte damals so: „Die Betreiber haben keinen Anspruch auf Entschädigung.“ Und: „Die Zahlen sind falsch und entbehren jeglicher Grundlage.“ Hier bemerkt man schon die Semantik der wechselseitigen Schuldzuschreibung bzw. der Weigerung, Verantwortung auf Ministerseite zu übernehmen. Der Minister hat die Entscheidung für die Einführung der Pkw-Maut aus egoistischem, politischem Eigeninteresse getroffen und sich verzockt; es gab mehrere Hinweise und Warnungen, so nicht zu entscheiden und die Entscheidung in den EU-Institutionen abzuwarten, bevor die Maut in Deutschland eingeführt wird. Was spricht dagegen, den Minister dafür mit einem Bußgeld über seine Einkommenssteuer zu belasten, zumal diese auch alle anderen Einkünfte neben seiner politischen Tätigkeit als Minister berücksichtigt?

Die Feststellung des Bußgeldes müsste eine nicht-, oder halbstaatliche Institution übernehmen, etwa der Bund der Steuerzahler nach einem Bußgeldkatalog, der flexible Von-bis-Beträge auflistet. Und die Öffentlichkeit erlebte durch den neuen Tatbestand der Ordnungshaftung nicht nur in Unternehmen, sondern ganz besonders in der Politik eine neue Semantik der Aufklärung von ordnungswidrigen Tatbeständen, weil jeder Beschuldigte in seiner Verteidigung seiner Verantwortung an einer Veröffentlichung von Absprachen, zur Aufklärung relevanter Vertragsdetails und Nebenabsprachen etc. großes Interesse hätte. Dazu muss kein „Geheimnisverrat“ legalisiert werden, keine wirklich vertraulichen Informationen und Geschäftsgeheimnisse veröffentlicht werden, lediglich aufklärungsrelevante Sachverhalte durch Experten und Öffentlichkeit sowie Zeugen sind betroffen.

Dass eine neue Form der Steuerungs- bzw. Ordnungsverantwortung dringlich ist, zeigen die vielen Fälle, die heute nicht mehr aus strukturellen Gründen der Intersubjektivität von Handlungen und deren vernetzten Interaktionen in eine nachvollziehbare, personelle Verantwortungssemantik übersetzt werden können. Seit Aristoteles wird Verantwortung immer in denselben bzw. modifizierten Semantiken von Individuum und Gesetz, von Individuum und gesetzlichen, ethischen und moralischen Normen und Erwartungen diskutiert. Ob Kant, Kierkegaard oder Max Weber, Nietzsche, Jaspers oder Levinas, nirgends findet sich eine Philosophie der Ordnungs- oder Steuerungsverantwortung, weil Verantwortung über zweieinhalbtausend Jahren selbst in der christlichen Theologie immer als eingeschränkter Begriff von Subjektivität und persönlichem Willen diskutiert wurde. Philosophisch gesprochen stand und steht eine Diskussion über Steuerungs- und Ordnungshaftung noch aus, und sie ist dringlicher denn je geworden. Ganz im Sinne des Begriffs Ausstand, der etwas anzeigt, was zum Dasein, privat, politisch, ökonomisch und kulturell gehört, aber bislang noch fehlt, muss diese Diskussion geführt werden, um eine so lange Diskussion auch zu ihrem Abschluss zu bringen, denn der Abschluss gehört wie das Fehlende zum Ausstand. Es reicht nicht und ganz besonders nicht für eine digitale Zukunft, in der weltweit kommuniziert, interagiert, entschieden und gehandelt wird auf der Basis impersonaler Interaktion, Verantwortung wie bisher traditionell aus der begrifflichen Semantik von Individuum und Gesellschaft zu bestimmen.

Gerechtigkeit.

Auch für diesen Begriff gilt an dieser Stelle der Diskussion: wir haben an vielen Stellen und in vielen Zusammenhängen Gerechtigkeit untersucht und konzentrieren uns hier auf jene Aspekte, die uns eine Öffnung in eine neue Perspektive und eine neue Semantik der Gerechtigkeit erlauben. Dass der Begriff einer der fundamentalsten Grundbegriffe für die Beurteilung und Bewertung des menschlichen Zusammenlebens, also von Intersubjektivität weltweit ist, zeigt sich allein schon daran, dass er als Grundnorm weltweit in fast allen Staaten gilt und in deren jeweiliger Rechtsauffassung verankert ist, wobei nicht jeder Staat, der sich auf Gerechtigkeit beruft, zu den ‚weltlichen‘ Staaten, zu Staaten mit einer Ordnung als Rechtsstaat gezählt werden kann. Das liegt daran, dass die Grundnorm gerechten Handelns, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist, von den Wertmaßstäben abhängt, die ein Rechtsstaat dem Gerechtigkeitsbegriff zugrunde legt. Über die jeweiligen Wertmaßstäbe ist somit der Gerechtigkeitsbegriff jeweils bestimmt und ändert so seine rein formale Bestimmung in eine konkrete Rechtsbestimmung. So finden wir heute sehr unterschiedliche Systeme von Gerechtigkeit wie etwa die soziale, die egalitäre Gerechtigkeit, die Leistungs- und die Generationengerechtigkeit, die ökologische, die Vertrags- und die Verfahrensgerechtigkeit, denen ebenso viele Kriterien zugeordnet werden können, ja müssen, nach deren Maßgabe das Maß der Gerechtigkeit bewertet und beurteilt werden kann.

Wir unterscheiden das Gleichheitsprinzip wie das im Egalitarismus geregelt ist, nachdem jeder von einer Sache das Gleiche bzw. den gleichen Anteil bekommt. Das Bedürfnisprinzip, welches versucht, den verschiedenen bzw. verschieden großen Bedürfnissen gerecht werden. Das Vertragsprinzip, das dem Vereinbarten gerecht zu werden versucht. Das Leistungsprinzip, das einmal heißt, wer individuell mehr leistet, dem steht auch individuell mehr zu, zum anderen übertragen auf eine soziale Dimension hin, dass wer viel für die Gemeinschaft leistet, dem steht auch mehr zu, wie dies im Sozialsystem nach Beitragsaufkommen differenziert wird. Wir kennen das Gleichberechtigungsprinzip, das einen Ausgleich bzw. eine Angleichung von Rechten und Chancen – zum Beispiel zwischen Mann und Frau – zu regeln versucht. Es gibt das Zufallsprinzip, das heißt, jeder bekommt die gleiche Chance eingeräumt, etwa eine Wahl durch ein Losverfahren und dazu erweitert angehörig die Verfahrensgerechtigkeit, die wie etwa im Mannschaftssport unterschiedliche Leistungen unterschiedlich bewertet.
Das Maximin Prinzip bzw. die Minimax-Regel, die regelt, dass der Schlechtestgestellte mindestens das erhält, was der Schlechtestgestellte in einer anderen Verteilung erhalten hätte; dieses Prinzip wird bei John Rawls als Unterschiedsprinzip bezeichnet . Es gibt noch das autoritäre Machtprinzip, das jedem das Seine zwangsweise zuordnet und neuerdings das Nachhaltigkeitsprinzip als Grundsatz der Umweltethik, was bedeutet, nicht mehr zu verbrauchen als an natürlichen Ressourcen nachwächst bzw. sich von selbst regeneriert; mit Abstrichen gehört hierhin auch die Aktion Wiederaufforstung nach Abholzung.

Rawls wird als der Erfinder der Verfahrensgerechtigkeit diskutiert, fälschlicherweise. Denn auch Rawls folgt letztlich einer bereits seit Aristoteles tradierten Semantik von Gerechtigkeitsvorstellungen, die Gerechtigkeit aus einem Handlungszusammenhang bestimmen, wonach der gerecht handelt, der Regeln befolgt. Wir haben gesehen, dass Regeln, die gelten sollen und gelten aber abhängig sind von der jeweiligen Systematik, der jeweiligen politischen und juristischen Definition, wie etwas, was ist, auch im Sinne der Gerechtigkeit zu beurteilen und zu bewerten ist. Aber hat der Begriff der Gerechtigkeit diese Semantik der unterschiedlichen Bedingungen für seine Realität überhaupt aufgenommen? Er hat dies nicht. Aber umso mehr ist dies heute dringlich geworden. Schauen wir uns die verschiedenen Eingangssituationen an, die für verschiedenen Formen der Gerechtigkeit konkrete Bedingungen abgeben, dann werden wir bei strenger begrifflicher Arbeit herausfinden, dass im Kern zwei hauptsächliche Bedingungen für Gerechtigkeit existieren, die wir im Alltag vorfinden.

Einmal eine Verteilungsgerechtigkeit und zum anderen eine Verfahrensgerechtigkeit. Die Verteilungsgerechtigkeit kennen wir bereits als eine Form des Nullsummenspiels im Zusammenhang mit Verantwortung und Solidarität und wir finden es auch hier wieder im Wertekanon der Gerechtigkeit. Scheinbar unauslöschbar ist dieses Prinzip des Gleichgewichts in allen möglichen Zusammenhängen im Abendland seit Jahrtausenden und in den verschiedensten epistemologischen Mustern enthalten. Es besagt nichts weniger, als dass eine gerechte Verteilung dann gerecht ist, wenn alle dasselbe vom Ganzen erhalten oder gleichen Zugang zu einem Teilergebnis des Ganzen haben. Diese Vorstellung von Gerechtigkeit setzt somit stets ein Ganzes als eine Entität voraus, ohne die eine gerechte Verteilung nicht möglich ist. Wenn also jeder seinen gleichen Anteil vom Ganzen bekommt, ist die Summe aller Teilmengen gleich Null; es bleibt nichts übrig. Es zählt somit keine Eigenschaft oder Besonderheit bei der Bewertung der Teile, nur deren gleiche Größe. Nicht der Stärkere gewinnt, nicht der Klügere, der Schönere oder der Cleverste, sondern alle gewinnen oder verlieren zu gleichen Maßen. Dies gilt auch für die Bedürfnisgerechtigkeit, bei der es nur darauf ankommt, dass, wenn einer ein Bedürfnis erfüllt bekommt, der andere dies auch erfährt, ohne Ansehung der unterschiedlichen Werthaftigkeiten. Bekommt der große Sohn zum Abi ein großes Auto, hat der Kleine ein Recht auf ein kleines Auto. Die Ergebnisgerechtigkeit aber ist in den meisten Fällen des Alltags nicht anwendbar, ihre Anwendung wäre sogar kontraindiziert und dysfunktional, wenn es um Wettbewerb geht und wenn das Ganze, was zur Verteilung ansteht, sich dynamisch entwickelt, also eine offene Größe darstellt; im Übrigen gilt dies auch für die Verteilungsgerechtigkeit in Mangel- und Krisensituationen.

Schauen wir uns diese Fälle an, dann sehen wir, sie alle können eigentlich nicht in der Form einer Gerechtigkeit gedacht werden, bei der das Ergebnis ein berechenbares Ganzes ist, im Gegenteil. Solche Fälle fallen unter den Terminus der Verfahrensgerechtigkeit, weil hier allein die Bedingungen zählen, die zu einem Ergebnis führen, nicht das Ergebnis a priori. Aber was finden wir vor z.B. im ökonomischen Wettbewerb? Wir finden Verfahren, die eine Verteilungsgerechtigkeit vorstellen und von einer berechneten bzw. zu erwartenden Größe eines Ganzen ausgehen. Der Bundeshaushalt wird aufgestellt, indem über den Sachverständigenrat eine Einschätzung der Konjunktur und gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – meist mehrmals im Jahr nötig – vorgenommen wird, auf deren Grundlage eine Steuerschätzung basiert, an die wiederum eine Ausgabenrechnung und hier eine Verteilungsrechnung sich anschließen. Wir sehen, das Ganze ist als eine Größe eigentlich ausstehend, d. h. noch nicht festgelegt, und selbst die wissenschaftlich besten Berechnungen sind Schätzungen, die wie im Falle des Bundeshaushaltes mehr wahrscheinlich als unwahrscheinlich eine Differenz in der Summe ausweisen.

Denn in der Summe als Ganzes ist die Differenz als Schätzung bereits mitenthalten, anders geht es gar nicht. Und da die Verteilungsgerechtigkeit, einmal im Bundeskabinett angelaufen, jeweils von einer festen Summe ausgeht, kommt es zu den bekannten Haushaltsdefiziten, die nun nicht mehr über die Einnahmen aus Steuern und Abgaben, sondern schulden-finanziert bestritten werden müssen; Nachtragshaushalte sind daher nicht selten, sondern strukturell erwartbar. Desgleichen gilt für die Finanzplanung in Unternehmen, fast nie aber für die private Finanzplanung, da in diesen Fällen die Größe der Einnahmen, deren Summe exakt angegeben werden kann; der Vergleich der „schwäbischen Hausfrau“ mit Politik und Ökonomie ist daher grober Unfug und eher eine bewusste Irreführung.
Wir finden somit in den Fällen, die eine Verteilungsgerechtigkeit auf der Basis eines Ergebnisses, welches zur Verteilung ansteht, ein Verfahren und eine Semantik der Ergebnisgerechtigkeit, die aber mehr als oft zur Sachlage dysfunktional ist, insofern ja die Ergebnisoffenheit unter den angenommenen Bedingungen gar nicht zur Anwendung kommt; man verfährt gewissermaßen wie eine schwäbische Hausfrau, ohne die haushalterischen Bedingungen eines schwäbischen Haushaltes anzusetzen. Weder passt also das Verfahren zur sozialen und ökonomischen Struktur, noch kann die Summe dessen, was als Ganzes in Anschlag gebracht wird, als etwas berechenbar Fehlendes, als ein ausstehender Betrag ermittelt werden. Die Konsequenz daraus ist, dass, insofern die ausstehende Summe bereits einkalkuliert ist, das Ganze des Haushaltes in faktischer Hinsicht nur als eine Form der Anstückelung, als ein Hinzurechnen ermittelt werden kann. Das ist der „Trick“ der Haushaltsplaner, sich in eine fortlaufende Anstückelung zu begeben und diese als haushalterische Notwendigkeit zu legitimieren, als wären sozusagen von außen Bedingungen eingetreten, die diese Anstückelung von Beträgen notwendig machen würden, dabei ist die ganze Planung bereits von Beginn an auf einer Logik der stückweisen Annäherung a priori angelegt. Haushaltsplanung läuft somit der Zeit voraus, um dann den in der Zeit konkreten Anforderungen hinterherzulaufen. Das wäre im Ergebnis verkraftbar, wenn nicht während der Verteilung des geschätzten Haushaltsvolumens das Nullsummenspiel der gerechten Verteilung und den Ressorts stattfinden würde, die keinen geschätzten, sondern eine als vollständig vorgestellte Summe verteilen, gewissermaßen das Fell des Bären noch bevor er erlegt wurde verteilen. Und das hat nicht nur immense Schulden zur Konsequenz, sondern es entsteht auch ein Nullsummenspiel im Ausgabenverhalten von Bund und Ländern, was keinen Anreiz zu sparen beinhaltet. Wenn a priori kalkuliert ist, dass ich meinen gleichen Teil vom Kuchen bekomme, was soll mich dann anreizen, für diesen meinen Teil auch etwas leisten oder unangenehme Konsequenzen in Kauf zu nehmen?

Die Ergebnisgerechtigkeit hat somit nicht nur eingeschränkte Bedingungen, für eine Realität zu taugen, die eine Verfahrensgerechtigkeit erfordert und auch besser abbildet. Das erklärt auch, warum in der Ökonomik, was wir an vielen Stellen haben zeigen können, der Wettbewerb wie auch die Finanzmärkte kaum bis gar nicht in den gängigen Verfahren der Ergebnisgerechtigkeit erfasst werden können. Wir haben gesehen, das ökonomische Berechnungsmethoden Nullsummenspiele sind, die aus alltäglichen Erfahrungen wie etwa in kleinen sozialen Gruppen oder privaten Haushalten auf riesige soziale und ökonomische Bereiche übertragen werden, die als eine Summe gesamtgesellschaftlicher Verteilungsgerechtigkeit imponieren. Und dabei wird der Begriff der sozialen Gerechtigkeit immer weiter ideologisiert und als Legitimation für eine Umverteilung von Reich zu Arm missbraucht. Wenn Gerechtigkeit überhaupt etwas zu tun hat mit einer Regelung des zwischenmenschlichen Zusammenlebens und der Verteilung von Lasten und Hilfen in einer Gemeinschaft, wenn also Gerechtigkeit ein sozialer Kern immanent ist, dann müssen wir kurz hinschauen, ob der Begriff der sozialen Gerechtigkeit auch damit kompatibel ist.

Hayek untersuchte den Begriff und kam zu dem Ergebnis, das in der Semantik der sozialen Gerechtigkeit gerade das „Sozial“ darin entwertet wird und übrig bleibt ein Appell an das Soziale, der mit mehr willkürlichen Vorstellungen und wünschenswerten Zuständen angefüllt ist, die mit den Postulaten und Forderungen an eine vermeintlich gerechte Verteilung verbunden sind. Was daran aber letztlich als sozial bestimmt ist, ist unbegründet. So ist, Hauptsache es ist als sozial etikettiert, ein semantischer Realismus entstanden, der anstelle von Begründungen mit Postulaten operiert, nicht selten mit hoher Emotionalität unterlegt, der sich zudem über die sogenannten Sozialen Medien extrem schnell verbreitet und dort seine Affirmation erhält. Zum Postulat nach sozialer Gerechtigkeit gehört nicht nur eine abstrakte Verteilungslogik, sondern auch eine Benennung von Verantwortlichkeiten für jede Form von Ungleichheit und vermeintlicher Benachteiligung, die als ungerecht empfunden und beurteilt werden kann. Dann ist es kein Zufall, sondern ein vermeintlich kleiner logischer Schritt, aus dem Postulat eine politische Forderung werden zu lassen und den Staat bzw. die Politik herbeizuzitieren, um mit staatlichen Zwangsmaßnahmen Abhilfe zu schaffen, als sei es die ureigenste Aufgabe des Staates bzw. einer Regierung, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen; dass diese Sorge stets nur eine Verteilungsangelegenheit sein kann, da der Staat ja nur in kommunistischen Gesellschaften oder in Form einer staatlichen Lenkung Durchgriff auf die Produktion und deren Bedingungen hat, versteht sich von selbst. Ebenso selbstverständlich ist auch die Frage nach dem „Schuldigen“ bzw. dem Verursacher von Ungleichheit und Ungerechtigkeit, das sind natürlich die Reichen und Vermögenden, denen man zur Erreichung von Gleichheit eben etwas wegnehmen darf und muss.

Es war in der Geschichte stets eine unheilvolle Allianz, die die missionarischen Ideologen der sozialen Gerechtigkeit mit autoritären Staaten eingegangen sind, um mit staatlichen Zwangsmaßnahmen soziale Gerechtigkeit herzustellen. Nicht nur, dass demokratische Staaten diese Mittel nicht anwenden, sie haben auch keine Lizenz dazu, nichts dazu legitimiert sie durch eine Verfassung. Der demokratische Staat ist für solche Postulate der sozialen Gerechtigkeit weder zuständig noch legitimiert und nur als ein autoritärer Staat dazu in der Lage. Das Postulat der sozialen Gerechtigkeit steht somit in direkter Verbindung mit der Semantik autoritärer Staaten; man möge doch einmal die Reden und Eingaben der AfD im Bundestag daraufhin sich vergegenwärtigen. Und natürlich muss es gerechtfertigt sein, wenn Verursacher von Ungleichheit benannt werden können, ihnen im Namen der sozialen Gerechtigkeit durch Zwang vom Eigentum so viel abzunehmen, dass alle, die zu wenig haben, nun mehr haben. Nicht nur dass dies in einer Demokratie mit Marktwirtschaft ungesetzlich ist und ein Unrecht darstellt, der Staat soll auch noch zu einer Räuberbande umgestaltet werden. Wenn in einer demokratisch verfassten Volkswirtschaft, die juristisch per Grundgesetz Eigentum vor jedem staatlichen Zugriff schützt und alle sozialen Unterschiede, so sie nicht durch Zwang zustanden kommen, sich im Wettbewerb ergeben ebenso schützt, sind die Rufe nach sozialer Gerechtigkeit zugleich auch Aufrufe zum Gesetzesbruch. Dieses Unrecht ist auch nicht dadurch nicht zu kaschieren, dass man in der Semantik der Verteilungsgerechtigkeit verbleibt und Steuererhöhungen für die Reichen fordert, um das steuerliche Surplus dann den Armen zu geben.
Wir haben gezeigt wie wichtig es ist, dass möglichst viele Menschen Zugang zur Bildung bekommen. Bildung in einer Marktwirtschaft ist ein Wettbewerbsfaktor auf dem Feld der Arbeit und zeigt sich in unterschiedlichen Funktionen und Positionen im Berufsleben mit unterschiedlichen Vergütungsgrößen; andere Unterschiede seien hier mal vernachlässigt, die aber in anderen Zusammenhängen durchaus wichtig sind wie etwa Beteiligungen am Kapitalvermögen, spezielle, betriebliche Vergünstigen usw. Will man eine Marktwirtschaft, kommt man nicht umhin, die Unterschiede als notwendig, was nicht heißt, als statisch notwendig zu betrachten, und dann greifen Vorstellungen von einer am Ergebnis gesamtwirtschaftlicher Größen orientierten Verteilungsgerechtigkeit strukturell vollends daneben, da eine Marktwirtschaft auf der Basis einer Verfahrensgerechtigkeit funktioniert.

Selbst wenn der Zugang zur Bildung einigermaßen gerecht geregelt ist, was eine Angelegenheit der staatlichen Institutionen ist, bleiben doch die Unterschiede in der Realisierung von Bildungschancen erhalten. Auch die Vorstellung, mithin eine hoch-betagte sozialistische Sozialromantik, einer Gesellschaft, die in der Verteilung des gesellschaftlichen Wohlstands zu einer Gleichheit bei den Lebensstandards und bei den Freiheitsspielräumen führe ist eine leere Illusion, und wer will denn irgendetwas zwischen Plattenbau und Luxusvilla, also vielleicht eine Republik auf Reihenhäuschen mit Vor- und Spielgarten sehen soweit das Auge reicht? Unterschiede sind die kulturellen Triebkräfte und Wettbewerb und Privateigentum die ökonomischen Triebkräfte einer Gesellschaft mit marktwirtschaftlicher Ökonomie – und das gilt auch für globale kulturelle und ökonomische Wertschöpfung; wer also hier die Axt anlegt, muss sagen, welche Form der gesellschaftlichen Übereinkunft und ökonomischen Spielregeln er sich vorstellt.

Die ideologische Semantik der sozialen Gerechtigkeit kocht ihr billiges Süppchen genau auf diesen Herdplatten, indem sie notorisch unbelehrbar die Abschaffung von Wettbewerb und Privateigentum fordert. Wie der Wertschöpfungsprozess in kultureller wie ökonomischer Blindheit endet, haben die politischen Umsetzungen des historischen Materialismus in vielen Ländern der Welt im letzten Jahrhundert gezeigt. Unterschiedslos blieb auf allen Ebenen des Staates einfach alles im Stillstand, zivil wie ökonomisch. Es reicht beileibe nicht aus, Menschen in Lohn und Brot zu bringen, das ist nicht einmal genügsam genug für Entwicklungsländer. Wenn alle Arbeit haben und alle dasselbe verdienen heisst das noch nicht, dass Arbeit für irgend jemanden den minimalsten Sinn macht. Blauäugig zu denken, dass alle wirklich mit der Arbeit auch so viel Brot zum Leben haben, das es für zwei Generationen reicht. Zählt man den Überschuldungsstand solcher Staaten mit zum BNP hinzu, macht Arbeit weder Sinn noch satt.

Eine Marktwirtschaft trägt mit ihren Strukturen der Unterschiede im Wettbewerb und im Privateigentum zur Ungleichheit in den Ergebnissen der Arbeit bei. Das Privateigentum als akkumuliertes Kapital erhöht bei günstiger, also positiver Entwicklung seine Fähigkeit als Kreditpfand und fließt so, wenn nicht direkt als money proper so als money of account, als Kredit zurück ins Unternehmen, wo es als Investitionsvermögen weiteres Wachstum und bessere Produktivität begünstig und bei richtigen Entscheidung in ein optimales Verhältnis von Technik und Technologien sowie produktiver Arbeitskraft Wettberwerbsvorteile erreichen kann, was wiederum Wachstum und damit ein Mehr an besseren Arbeitsplätzen dynamisch sich entfalten lassen kann (Band II. Kap. 5). Es ist das Gesetz der sozialen Marktwirtschaft, dass soziale Gerechtigkeit ein Ergebnis verschiedener Ebenen von Arbeit und Kapitaleinsatz ist, dass also nur der Unternehmer immer reicher werden kann, wenn er im Wettbewerb auch auf dem Feld der Arbeit und Produktivität erfolgreich ist. Das zahlt sich auch im Faktor Arbeit aus. Ohne hier auf die globalen Wertschöpfungsprozesse einzugehen – wie haben dies an vielen anderen Stellen bereits gemacht – lässt sich ökonomisch bilanzieren, dass eine Marktwirtschaft durch Steigerung der Wirtschaftlichkeit und Produktivität sowie durch Erfolg im Wettbewerb mehr und besser bezahlte Arbeitsplätze schafft und so den gesamtwirtschaftlichen Wohlstand bereits an der Basis, in der optimalen Produktsweise als Einsatz von Arbeit und Kapital, gerecht verteilt.

Und in der Sozialen Marktwirtschaft ist auch das Kapital am Wachstum der gesellschaftlichen Wohlfahrt beteiligt, z.B. in den Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung und einigem mehr. Wenn es also das Sytem der Sozialen Marktwirtschaft ist, das die Ungleichheit zwar auf höheren Niveaus, aber doch strukturell beibehält, nutzt es wenig, oben etwas abzuschöpfen und umzuverteilen, denn an der Basis in der Produktion bliebe alles beim alten. Wir werden später sehen, dass nicht nur generell die immer weiter aufgehende Schere zwischen Arm und Reich auf ökonomische Art und Weise verringert werden kann ohne Nullsummenspiele, sondern auch und von Innen heraus so verändert werden kann, dass der Aufbau von Privateigentum auf der Seite der Arbeit zu einer dauerhaften, d. h. nachhaltigen und materiell deutlich besseren Wirklichkeit wird.

Gehen wir also zurück von der Ergebnisgerechtigkeit in eine Verfahrensgerechtigkeit, dann meint dies, dass generell der Begriff der Ergebnisgerechtigkeit nicht von außen betrachtet werden kann, da er bereits als ein Nullsummenspiel Teil der Distribution ist, die wiederum im Kern Teil der Produktion ist. Besserstellungspotenziale partizipieren, so sie als Distributionsverfahren von der Summe der Produktion abgeschöpft und nur anders verteilt werden, eben nicht an und von der Dynamik der Produktion, im Gegenteil, sie schwächen sie qua Entzug von Kapital und schädigen so letztlich wiederum den Faktor Arbeit. Und, clever gemacht, kann das Kapital sich auch darin schadlos halten, etwa durch Reduktion von Arbeitsplätzen bei gleichen oder sogar noch höheren Gewinnmargen am eingesetzten Kapital. Massenentlassungen kennen wir und haben die jemals wirklich die Eigentümer von Konzernen gleichermaßen wie die Arbeit in Haftung oder zum Schaden gebracht? Wenn wie zurzeit die deutsche Lufthansa durch die Pandemie in Schwierigkeiten gerät, wem schadet dies? Der Steuerzahler verringert sein Vermögen erheblich durch Milliarden-Transfers zur Liquidität, Tausende von Arbeitsplätzen wurden und werden abgebaut, der Kurs der Aktie stand am 06. Mai 2020, also am Beginn der Pandemie bei 7,93 € und steht heute am 06. Mai 2021 bei 10,85€, ein Kursgewinn von 38%, auch ohne eine Dividendenzahlung eine erkleckliche Rendite, oder?

Wir wissen, verteilt werden kann nur, was da ist, und wenn man nicht auf ein Ergebnis spekuliert, sondern an der Wertschöpfung direkt beteiligt sein möchte, dann ist Verfahrengerechtigkeit gegenüber einer Ergebnisgerechtigkeit der richtige Denkansatz. Nicht, wie Marx dies versanden hat, als Vergesellschaftung der Produktionsmittel, sondern als Partizipation an der marktwirtschaftlichen Wertschöpfung. Die semantische Kategorie der Ergebnisgerechtigkeit kann diesen Gedanken nicht denken. Erst eine Semantik der Verfahrensgerechtigkeit kommt mit diesem Denkansatz zurecht. Verfahrensgerechtigkeit, also gleiche Bedingungen für die Ermittlung von partizipativen, also anreizbedingten Wirkungen eines Positivspiels, eines fairen Wettbewerbs bei der Partizipation von Wachstumswerten, also zwischen Kapital und Arbeit auf der Basis der Arbeit als Beteiligungskapital, sind der bessere Ansatz als eine ergebnisbezogene Umverteilung. Wie wir ausgeführt haben (Band II. Kap. 5 u. 6) ist die Wertschöpfung und damit die Kapitalakkumulation keine Angelegenheit der Ökonomie allein. So wird zwar seit zwei Jahrhunderten argumentiert und so hat sich auch die Semantik der Umverteilung stets erneuert, aber es stimmte in der Sache nie und wird auch durch Wiederholung nicht richtig. Wertschöpfung wie überhaut jede Wertsemantik verschleiert die Ebene der Rechtsordnung, die konstitutiv ist für jede Wertsemantik, ob diese eine soziale oder eine ökonomische ist. Was als gerecht und ungerecht gilt, hat seine Gültigkeit nicht außerhalb, sondern innerhalb einer Rechtsordnung, ohne die es auch keine marktwirtschaftliche oder soziale Systematik gäbe. Der „springende Punkt“ ist, die Bedeutung der Wertsemantik von der verteilenden in eine allokative Wertsemantik zu transformieren, wo sie auch hingehört. Diese Transformation von Fehlanreizen zu Positiv-Anreizen geht nicht ohne den Gesetzgeber.

Wir haben ausführlich die politische Basis der Finanzkrise in den USA und in Europa freigelegt (Band V. Kap. 6 u.a.). Sie machte uns klar, welche fragwürdigen Rollen die Geld- und die Finanzpolitik dabei gespielt haben, dass der Staat aus vorgegeben sozialen Gründen mit staatlicher Garantie die Wähler zu finanziell überforderten Immobilienbesitzern und die Banken zu verantwortungsloser Hypothekenvergabe nach dem Hurra-Prinzip an jedermann angetrieben hatte. In der Folge kam es zu geradezu perversen Verbriefungsprodukten und einer ganzen Reihe anderer Fehlanreize. Die Privatpersonen erhielten auf steigende Hypothekenwerte eine Kreditkarte nach der anderen und die Banken die Lizenz für jede Form von Exzessen auf den ungeregelten Finanzmärkten; das Ende ist bekannt und trägt den Namen Lehman Brothers Holding, eine der ältesten Investmenthäuser an der Wall Street, deren Mitarbeiter nach 158 Jahren in New York City ihre wertlosen Kartons aus den Büros auf die Straße und nachhause schleppten; ein wahrlich apokalyptisches Bild von Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und Endzeitstimmung (Band V. Kap. 1).
Nicht besser könnte es ausgehen, wenn die gegenwärtige Zentralbankpolitik des anhaltend billigen Geldes durch die EZB in den Strudel steigender Zinsen gerät. Nur, dass dann nicht ein paar Hundert Banker der Wall Street Kartons nachhause schleppen, sondern der Beruf des Kartonschleppers für Millionen Bürger in der EU zum einzigen Beruf, den sie noch ergattern könnten, würde. Damit dies nicht geschieht, und das kann auch als ein Fall verkehrter Verfahrensgerechtigkeit betrachtet werden, lässt der EZB-Rat und die Mitglieder des EU-Rates, also die Regierungen, eine anhaltende Umverteilung von unten nach oben zu. Unten werden die Sparer um Milliardenbeträge Jahr für Jahr betrogen, die Zinsen liegen weit unter der Inflationsrate (2021), die Prämien-Vereinbarungen in Spar- und Versicherungsprodukten werden unrechtmäßig durch die Unternehmen, sogar durch die deutschen Sparkassen gekündigt, also nicht ausgezahlt, die Mieten steigen immens usw. was einer sanften Enteignung in Billionenhöhe entspricht; die „unten“ zahlen die Zeche der EZB. Wer aber in Aktien und Immobilien investieren kann, hatte in den letzten Jahre Dauerkirmes auf seinen Konten und genießt einen Höchststand an den Aktienmärkten nach dem andern, genießt fast zinslose Baudarlehn und streich die höheren Mieten ein.

Wir stehen vor einer neuen Semantik der sozialen Ungerechtigkeit, deren Verursacher die Regierungen sind, deren Semantik die Modern Money Theorie jenseits des Atlantiks und die Kriseninterventionssemantik diesseits des Atlantiks bilden. Hier wie dort wird die überbordende Staatsverschuldung über bereits fast einem Jahrzehnt stark ansteigend in den USA, kürzer, aber heftig auch in Europa, mit unterschiedlicher Begründungssemantik gerechtfertigt. In den USA und in Europa aber läuft es auf dasselbe letztlich hinaus, dort wird behauptet, die nachfolgenden Generationen müssen für die heute verursachten Schulden gar nicht aufkommen, weil ein Staat gar nicht Pleite gehen kann, es also zur Rückforderung der Schulden nicht kommt. Hier wird argumentiert, dass Schuldenmachen ganz im Sinne der nachfolgenden Generation sei, weil Arbeitsplatzsicherung, Investitionen in technologische Innovationen usw. Wohlstandssicherung bedeutet und dies den „Jungen“ zugutekommt; nicht, dass man Jahrzehnte lang hier im Dauerschlaf lag und die erheblichen Einnahmen des Staates fast vollständig fehlalloziert hat. Und in Deutschland ventiliert eine Semantik der guten Haushaltspolitik mit der „Schwarzen Null“ als Letztbeweis die Köpfe der Bürgerinnen und Bürger schwindelig. Aber die „brummende“ Wirtschaft ist ein Boom, der nicht auf deutsche Fiskalpolitik zurückgeführt werden kann. Deutschland profitiert auch vom schwachen Euro, von extrem niedrigen Zinsen u.a. m., die unsere Exportwirtschaft begünstigen und der Regierung sagenhafte Mehreinnahmen verschaffen, für die sie nun wirklich nichts kann und also auch nicht verantwortlich ist.

Aber was waren das für Investitionen? Digitalisierung fand nicht statt, die Schulen sind marode, das Bildungssystem schwächelt, die Versorgung im Alter wird mehr und mehr Privatangelegenheit. Die Regierungen haben den Konsum angekurbelt auf allen Ebenen, die Automobilindustrie gefördert als schon feststand, dass die deutsche den Anschluss an neue Formen der Mobilität bereits verpasst hatte. Die deutsche Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik war alles andere als innovativ oder gar agil, sie hat Besitzstände gewahrt, fast verwahrt, und den privaten wie den öffentlichen Konsum bis zur Bewusstlosigkeit angekurbelt. Wären nicht die Unternehmen so erfolgreich gewesen in der Internationalisierung und Globalisierung, bei den traditionellen, industriellen Innovationen, die soziale Gerechtigkeit in Deutschland sähe schlechter aus als die vollmundigen Versprechungen der deutschen Politik den Bürgern glauben machen möchte; zum Glück glaubt ein zunehmend wachsender Teil der Bevölkerung nicht einmal mehr den Versprechungen nach mehr Gerechtigkeit der SPD; erinnern wir uns an die Kampagne von Kanzlerkandidat Schulz und deren Ausgang am Wahlabend. Was sich abzeichnet ist, die Semantik der Ergebnisgerechtigkeit verliert ihre Bedeutung. Gleichwohl sie laut vernehmlich aus der Mitte kritischer Sozialwissenschaften immer wieder aufkeimt, sie zieht nicht mehr in ihren Bann. Umverteilungsideologien werden zunehmend unglaubhaft, ihr irreführender Charakter dagegen immer sichtbarer.

Das sind kleine semantische Verschiebungen, die aber den semantischen Realismus immer weiter durch ihre Öffnungen auf die Untugenden sozialer Institutionen und Unglaubwürdigkeiten von Umverteilungsideologien auf eine andere, eine mehr und mehr auf faire Verfahren bei der Partizipation an gesellschaftlichem Wohlstand hin verändern. Hier kann eine neue Perspektive im semantischen Realismus entstehen, die anderes in den Blick nimmt und eine andere politische Bedeutung bekommt. In den Blick geraten Vorstellungen und Möglichkeiten neuer, moderner Gouvernance-Strukturen, in denen soziale Gerechtigkeit außerhalb des juristischen Diskurses neu geregelt werden können. Und wie? Soziale Gerechtigkeit muss bei Wahrung aller Unterschiede der Individuen oberstes Gebot politischer Institutionen werden und zwar derart, dass ein politischer Wille zur Gerechtigkeit im Sinne individueller Partizipation oberste politische Tugend ist.
Governace. Der Terminus Governance wird häufig mit unscharfen Bestimmungen und wechselnden Bedeutungen verwendet. Es gibt ihn in der Bestimmung als Regierungs-, Amts- bzw. Unternehmensführung, oft bezeichnet er allgemein das Steuerungs- und Regelungssystem innerhalb von Strukturen wie etwa bei Aufbau- und Ablauforganisationen einer politisch-gesellschaftlichen Einheit wie Staat, Verwaltung, Gemeinde, privaten oder öffentlichen Organisationen, oder man verwendet ihn sogar ganz generell im Sinne einer Steuerung oder Regelung einer jeglichen Organisation öffentlicher oder privater Rechtsformen. So haben sich in der deutschen Sprache, zumal es hier keine sprachlich korrekte Übersetzung vom französischen Gouvernance zu Governanz gibt, zahlreiche Bedeutungen in der deutschen Sprachwirklichkeit herausgebildet, die man unter einen Terminus oder Begriff kaum noch zusammenfassen kann, aufgrund zu starker Heterogenität der einzelnen Bedeutungen. Im politischen Umfeld wird der Terminus alternativ zum Begriff Government – für Regierung – gebraucht und verweist darauf, dass innerhalb der jeweiligen politisch-gesellschaftlichen Einheit Steuerung und Regelung nicht nur vom Staat („Erster Sektor“), sondern auch von der Privatwirtschaft („Zweiter Sektor“) und vom „Dritten Sektor“ (Vereine, Verbände, Interessenvertretungen, Ehrenamt) durchgeführt werden.

Diese Erweiterung von Steuerung und Verantwortung außerhalb des politischen Sektors deutet schon an, worauf der Terminus zielt, nämlich auf Elemente und Strukturen von Eigenverantwortung in zivilen Sektoren einer Gesellschaft. Oft findet man heute noch innerhalb politikwissenschaftlichen, organisationssoziologischen und betriebswirtschaftlichen Diskussionen einen negativen Rekurs, eine Abgrenzung gegenüber vornehmlich auf „imperative Steuerung“ (englisch command and control) ausgerichteten Strukturen. Gleichwohl, auch hier bedeutet Eigenverantwortung eine Steuerung von Organisationen durch Akteure ziviler Provenienz, seien dies Einzelpersonen oder auch Einheiten, die eine aktive Rolle in der Bewältigung der jeweiligen Aufgaben bzw. Herausforderungen einnehmen. Zugleich beinhaltet der Begriff Governance häufig auch Formen der Kooperation mehrerer Akteure, was für uns von zentraler Bedeutung sein wird. Lenkung über kooperative Formen ist dann, wenn keine Kooperation mit dem ersten Sektor stattfindet, sondern im zweiten oder dritten Sektor verbleibt, kann dann als vollständige private Selbststeuerung bestimmt werden. Im Zusammenhang mit dem Europäischen Integrationsprozess wurden spezielle Lenkungsstrukturen entwickelt, die in der Forschung auch unter dem Begriff der New Governance bzw. New Public Governance versammelt wurden.

Die wesentlichen charakteristischen Merkmale unterschiedlicher Governance Formen fassen Klenk und Nullmeier zusammen unter: Hierarchie, Markt und Wettbewerb, Netzwerk, Assoziation und Gemeinschaft und zeigen einen sich in schneller wachsender Differenzierung befindenden Prozess auf, der die traditionellen Semantiken immer mehr auflöst auf einem Weg wachsender und einflussreicher Bürgergesellschaften, die sich aktiv in die politischen Gestaltungsprozesse einbringen. Corporate Citizenship, also das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen, hat sich in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt, weiter, als man gemeinhin angenommen hat. Nicht alles daran war und ist mehr als Lobbyismus, vieles aber verdient eine nähere Betrachtung. Denn es gibt mittlerweile viele Probleme, die sich einfach nicht mehr mit den traditionellen Mechanismen der Regierungen und der Nationalstaaten lösen lassen; wir haben den Klimawandel erwähnt, den Hunger in der Welt, die aktuelle Pandemie. Und es sind nicht nur die in der Medizin forschenden Unternehmen, die ihren Beitrag zur Bekämpfung und Überwindung der Covid-19 Pandemie geleistet haben und dabei zu neuen Kooperationen gefunden haben.

Nicht nur wandelt sich das Selbstverständnis der Unternehmen durch neue Wege der Kooperation und durch ihre gesellschaftsrelevanten Beiträge zu Problemlösungen bzw. in Krisensituationen. Immer mehr Unternehmen erkennen, das Corporate Citizenship in ihrem eigenen Interesse liegt und behandeln das wie einen „Business Case“, indem sie Ordnungsverantwortung übernehmen. Sie zielen dabei auf eine soziale Akzeptanz ihrer geschäftlichen Aktivitäten in z.B. Public-Private-Partnerships und erkennen immer mehr, wie wichtig die soziale Akzeptanz ihrer Aktivitäten für das gesamte Unternehmen ist. Bislang galt, Unternehmen und Politik, Unternehmen und Gesellschaft sind autonome Regelkreise von Steuerungs- und Verantwortungsprozessen und Unternehmen können lediglich von außen qua Lobby auf die Politik, die Zivilgesellschaft nur über die Beschäftigten und über ihre Vertretungsorgane auf die Unternehmen, vor allem bei den Tarifverhandlungen, einwirken.
Betrachtet man die hier nur skizzenhaft aufgezeichneten Beispiele stattfindenden Wandels in verschiedenen Sektoren der Gesellschaft, dann fordern diese natürlich nicht nur eine veränderte Sprache, sie fordern auch eine veränderte gesellschaftliche Praxis. Da der Wandel auch Ausdruck ist für eine Insuffizienz traditioneller Denkmuster und Umgangsformen der Problemlösung und zugleich ein Aufscheinen eines differenzierteren Umgangs mit Krisen, systemischen Varianzen und Diskrepanzen zwischen den gesellschaftlichen und innerhalb der einzelnen Sektoren, so bleibt die Frage nur noch zu klären, ob der Wandel vorübergehend ist, oder ob darin eine nachhaltige Transformation angenommen werden muss. Die Antwort dazu ist eindeutig, der Wandel findet statt und ist in fast allen Sektoren so deutlich sichtbar als ein Wandel, der seine neue Richtung und Neu-Orientierung längst in nachhaltigen Bedeutungen formuliert.

Wir haben gesehen, dass Begriffe wie Solidarität, Verantwortung und Gerechtigkeit sich weit über ihre traditionellen Semantiken hinaus ausdehnen und eine Gesellschaft, die diese Ausdehnung nicht als einen grundlegenden Wandel begreift, die eine unreflektierte Ausdehnung dieser Semantiken auf immer weitere Kontexte und Sektoren letztlich zu einem „falschen“ Bewusstsein führt und zu einer dysfunktionalen Überdehnung, zu Fehlbewertungen und Fehlanwedungen. Wie immer in der Geschichte, so muss auch die Epistemologie sich damit auseinandersetzen und reflexionsbedürftige Semantiken überdenken, ihre Kategorien und Begriffe neu bestimmen und so weiterentwickeln, dass sie auch im Wandel sektoraler Bedingungen wieder Anwendung finden können.
Unsere Skizzen des Wandels sollten dazu dienen, aus dieser mehr semantischen als rein begrifflichen Reflexionsarbeit Öffnungen zu Ansätzen neuer Reform Heuristiken zu generieren, die zugleich auch Suchanweisungen für die zukünftige Gestaltung der Sozialstruktur formulieren lassen. Das Konzept der Ordnungsverantwortung, die Idee der Verfahrensgerechtigkeit, die Semantik der Nachhaltigkeit, der Begriff von New Governance und Corporate Citizenship usw. illustrieren Beispiele für Semantiken, die einer Reformheuristik vorausgehen und gerade dadurch Anstöße für gesellschaftliche Entwicklungen geben können, die die Diskrepanz zwischen traditionellen Denkmustern und sich wandelnden gesellschaftlichen Strukturen in der Zivilgesellschaft zu verringern hilft.