Angst – Schweiß – Tränen

Wir vergessen nicht, was dieser Politik der Abschottung, des Protektionismus und Rassismus (der Chauvinisnmus gehört natürlich auch dazu) den Weg bereitete: der Rust Belt. In ihm manifestiert sich der Niedergang der US-Schwerindustrie und symbolisiert die Angst vor sozialem und materiellen Abstieg einst auskömmlicher bis wohlhabender Menschen.

Zwei Zahlen machen die US-Wirtschaft in den Augen der Administration kirre. Der mit 280 Mrd. Dollar größte Leistungsbilanzüberschuss der deutschen Wirtschaft, der größte weltweit, noch vor Japan und China. Und das dagegen stehende Leistungsbilanzdefizit von ca. 440 Mrd. US-Dollar der US-Wirtschaft. Und dabei spielt es keine Rolle, dass Amerika immer noch die führende Volkwirtschaft weltweit ist.
Die deutschen Exporte in die USA sind binnen einer Dekade um über 60% gestiegen. Die USA ist mit knapp 10% größter Abnehmer deutscher Exporte. Die Hälfte der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung geht als Ware oder Dienstleistung ins Ausland und über 110 Mrd. € fließen dabei von den USA nach Deutschland.

Die Milchmädchenrechnung des Oval Office ist, von der begrenzten Menge der internationalen Kaufkraft geht ein zu großer Anteil nicht an die USA, dem muss entgegen gewirkt werden. Mit der Aufkündigung von Nafta erschwert das Office den deutschen Autobauern, von denen viele in Mexiko für den amerikanischen Markt produzieren, den Marktzugang. Die Energiesanktionen der „Firma“ gegen Russland treffen mittelbar auch deutsche Interessen, vor allem bei Bau von Gaspipelines etc.

Die Milchmädchenrechnung basiert auf der Vorstellung, dass Globalisierung eine „Arena“ ist, wo „Nationen und ihre Unternehmen um Vorteile ringen“ und nach dem Königsweg der Konkurrenz nur einer gewinnt: The Winner takes it all.
Wenn Globalisierung für die westlichen Industrienationen prima vista bedeutete, berechenbare Abkommen, offene Märkte, fairer Leistungswettbewerb und internationale Kooperationen, dann ist die US-Politik gerade das Gegenteil dazu. Wir werden in einem anderen Kontext natürlich die Frage zu stellen haben, ob der freie Welthandel wirklich für die ganze Welt eine Win-Win-Situation darstellt, wie dies gerne bei den Protagonisten der Globalisierung gesehen wird, aber, da es den USA gerade nicht um den Kampf für die Partizipation und die Rechte der Dritten Welt am Welthandel geht, verschieben wir diesen Punkt an andere Stelle.

Die „Firma“ macht den Freihandel für die Verluste von Jobs in erheblicher Anzahl verantwortlich und für ein Loch von 500 Mrd. US Dollar durch Nafta. Dazu kämen noch Verlagerungen von Unternehmen aus den USA nach Kanada und Mexiko in erheblicher Zahl. Nimmt man dies als krude Faktizität, dann muss dennoch gefragt werden, warum das so ist und obe man etwas dadurch gewinnt, wenn man fast ein Vierteljahrhundert an Nafta negiert.

Betrachtet man allein nur die kürzlich veröffentlichten Zahlen des Councils on Foreign Relations (CFR)1 in New York, dann beläuft sich das gesamte Handelsvolumen zwischen USA, Kanada und Mexiko im Jahr 2016 auf etwas mehr als 1,1 Billionen US-Dollar, was einer Vervierfachung innerhalb von zwanzig Jahren entspricht und was Kanada und Mexiko nach der VRC zum dritt- bzw. zweitgrößten Exporteur in die USA haben werden lassen, dann wird ein wenig von dem Ausmaß deutlich, wie vernetzt Handelsnationen heute sind. Produktions-, Liefer- und Logistikketten funktionieren im globalen Handel und in der globalen Fertigung nicht mehr zentralgesteuert.

Globalsierung kann leicht zu Jobverlusten führen, allein schon durch Outsourcing von Leistungen aus den nationalen Wirtschaftsgebieten. Allein darauf geschaut verzerrt ein Gesamtbild, dass nämlich eben so leicht wie im Falle der USA zu erheblichen Wohlstandsgewinnen, zu Produktivitätszuwächsen und deutlich geringeren Verbraucherpreisen2. Scheitert Nafta sind die Wohlstandsgewinne auch weg; was für ein Unfug?
„President Trump has promised to reduce the trade deficit, though the administration’s plans remain unclear. Trump’s original suggestion, slapping high tariffs on Chinese goods, would likely be ineffective, but some economists say negotiating better access to the Chinese market for U.S. exporters could help.“(CFR)

Derselbe Autor empfiehlt, die nationale Sparrate zu erhöhen und so das Defizit zu reduzieren. Mit einem etwas schwächeren Dollar könnte dies zusammen recht schnell schon zu einer erheblichen Reduktion des Außenhandelsdefizits führen. Weniger hilfreich erscheint eine Absenkung der Unternehmenssteuern:
„In the domestic policy arena, boosting the U.S. savings rate could also bring down the trade deficit. As the International Monetary Fund and others have pointed out, one of the most direct ways to do that is to reduce the government budget deficit. Yet, observers have noted, that is unlikely, given that Trump’s budget proposal includes higher defense and stimulus spending, and a tax reform plan is likely to increase the budget deficit. Additionally, the Federal Reserve’s plan to steadily increase interest rates could, as in the past, strengthen the dollar, thus increasing the trade deficit.“(CFR)

Uns interessieren weniger die konkreten Maßnahmen als vielmehr die Beziehungen, die zwischen einerseits der Entwicklung von Im- und Exportwirtschaft und andererseits nationalem Wohlstand und Arbeitsmarkt bestehen. Der Kampf um Arbeitsplätze war und ist bis heute der zentrale politische Ansatz zur Wohlstandsverbesserung. Der Bezugspunkt war stets der nationale Arbeitsmarkt und das Pro-Kopf- bzw. Haushaltsnettoeinkommen (HNE).
Nun zeigt die Entwicklung unter globaler Betrachtung, dass etwa in den USA ein verlorener Arbeitsplatz einen Wohlstandsgewinn von 450 000 US-Dollar in Form von Produktivitätszuwächsen sowie geringeren Verbraucherpreisen verbuchen konnten. So urteilt die Bertelsmann Stiftung: „Schon die Wiedereinführung von Zöllen und nicht-tarifären Handelshemmnissen in der nordamerikanischen Freihandelszone würde die amerikanische Volkswirtschaft schädigen“ und beziffert die Einbußen beim Pro-Kopf-Jahreseinkommen in den USA bei rund 0,2 Prozent beziehungsweise bzw. 125 US-Dollar.

Das klingt pro Kopf nicht viel, beziffert sich aber bei den Einbußen des jährlichen Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Kanada auf rund 26 Milliarden Dollar und in den USA entsprechend auf 40 Milliarden Dollar3. Aber selbst mit diesen Zahlen sind die Rechenkünstler viel zu kurz gesprungen. Denn welchen Schaden die Aufkündigung von internationalen Handelsabkommen in den anderen Industriestaaten von Asien und Europa anrichten, kennt niemand. Niemand kennt den Schaden in den Ländern der Dritten Welt und auf den Finanzmärkten, der hier wohl am größten ausfallen dürfte.

Die „Bären-Spekulaten“ prognostizieren einen Fall des Dow-Jones Index um 5000 Punkte innerhalb kürzester Zeit. Ein Horrorszenario von sog. Perma-Bullen, das aber durchaus im Bereich des Möglichen ist nach Meinung des derzeitigen Aussenministers Rex Tillerson und der ist kein irrer Crash-Fanatiker. Und der Krieg der Worte wird auch andernorts heftig geführt. Etwa in der American Chamber of Commerce, der mit Abstand einflussreichsten Lobbyvereinigung der USA. Oder in der Washingtoner Denkfabrik Eurasia Group, wo deren Chef, Ian Brenner, nach einer einseitigen Aufkündigung des Freihandelsvertrags durch die USA eine Klagewelle in den USA prophezeit, gegen die das Brexit-Chaos mit all seinen unabsehbaren Folgen für die nächsten Jahre in Großbritannien ein Kinderspiel sei.

Es sieht demnach alles so aus, dass aus dem Schweiß der US-Schwerindustrie nun Angst gewachsen ist, Angst vor einem sozialen und materiellen Abstieg, der in der Verzweiflung nach jeglicher Art von Ausweg sucht, Wegen, die kein wirkliches Ziel haben, sondern wie Sackgassen ohne Kennzeichnung sich durch die Landschaft ziehen. Und wie üblich in solch einer Situation, werden die Tränen exterritorialisiert und vor allem den Mexikanern angelastet. Dann ist es auch legitim, wenn an der südlichen Grenze der USA ein Land entstehen soll, in dem 100 Millionen Menschen allenfalls noch vom Drogenhandel leben können; wird das die US-Wirtschaft retten?

[sidebar]
[title]Begriffe – Anmerkungen – Titel – Autoren[/title]

ProtektionismusLeistungsbilanzüberschussOval OfficeGlobalsierungWohlstandsgewinn


1 Vgl: CFR Webseite CFR.
2 Vgl. Peterson Institute for International Economics (PIIE) in Washington Webseite PIIE.
3 Nach Berechnungen des Münchener Ifo-Instituts für die Bertelsmann Stiftung.


[/sidebar]