Danse macabre

Peter Bofinger, ehemaliger Wirtschaftsweiser, nimmt reißaus bei der Einladung seines Kollegen Sinn zum Tanze um die Target-Salden:
„Hans-Werner Sinn hat in seinem Gastkommentar vom 24. Juli das Patentrezept für den Abbau des deutschen Leistungsbilanzüberschusses gefunden. Südeuropa und die USA müssten endlich zu einer Politik der Schuldendisziplin zurückkehren. Zugleich sollte die lockere Geldpolitik in den USA und in Europa beendet werden. Die Defizitländer fordert er auf, die Löhne zu senken, mehr zu sparen, weniger zu konsumieren oder weniger zu investieren. Das wäre in der Tat eine effektive Therapie zum Abbau des deutschen Leistungsbilanzüberschusses. Folgten die Regierungen und Notenbanken dem Rezept von Sinn, käme es aller Wahrscheinlichkeit zu einer Weltrezession.“1

So übertrieben dies erscheint, so wenig unwahrscheinlich sollte man dieses Szenario erachten. Was heute lebende Ökonomen sich ausdenken, sei es bei der Analyse der Ursachen der Krisen zu Beginn des neuen Jahrtausends wie auch zu deren Lösung, lässt einem aber dann schon den Atem stocken. Hans-Werner Sinn jedenfalls scheint Gefallen gefunden zu haben, sich vom Tod zum Tanz bitten zu lassen:
„Die Ökonomie kollabiert, die Immobilienpreise fallen, die Währung wertet ab, Firmen gehen in Konkurs. Grundstücke, Fabrikgebäude, Wohnhäuser und nicht zuletzt Arbeitskräfte werden frei. Bei niedrigen Preisen, einem niedrigeren Wechselkurs und günstigen Arbeitslöhnen steigen wieder neue Investoren ein, die neue Firmen mit neuen Geschäftsideen aufbauen. Nach der ’schöpferischen Zerstörung‘ setzt eine neue Gründerzeit ein.“2

Die etwas spinnerten Ideen von einer disruptiven Kraft, mit der mehrheitlich junge Menschen in Garagen und auf dem Campus in Palo Alto der etablierten Wirtschaft die Leviten lesen möchten, hat Sinn nun zu einer überlebensgroßen Idee der Erneuerung hypostasiert, einem exzessiven Keynsianismus, der den Erneuerungsprozess der realen wie seiner theoretischen Ökonomie als ein Nachkriegsszenario der deutschen Nation nach dem Zweiten Weltkrieg erinnern lässt. Sind das Gedanken eines Endspiels von Wirtschaft und Ökonomik? Wo einer auf etwas wartet, auf Godo, der aber nie kommt? Delirante, halluzinative Endzeitstimmungen weisen immer auf ein nahes, eschatologisches Ende einer großen Idee, wie dies einst Europa für viele war.

Auch die Idee einer Wissenschaft, deren Innerstes das Verständnis wirtschaftlicher Vorgänge ist, kann daran verzweifeln, dass die Dinge einfach nicht so sein wollen, wie sie klar und berechenbar gedacht sind. Für Sinns Gegenspieler, Peter Bofinger, wird die „schwarze Null“ zum phantasmatischen Abgrund, um die die Hoffnung tanzt, die Sinn mit ihr verbindet, hinab stürzen sieht.

In der Tat, für die „schwarze Null“, also einen durch rationales Geldmanagement ausgeglichen Haushalt zwischen Bruttowertschöpfung und staatlichen Investitionen gibt es keine wissenschaftliche Begründung, allenfalls ein naives Märchen von der schwäbischen Hausfrau, die nur ausgibt, was sie an Hauhaltsgeld vom Mann oder durch eigene Erwerbsarbeit erwirtschaft zur Verfügung hat. So erklären uns mithin unsere Finanzpolitiker der ersten Reihe ihre Idee stattlichen Haushaltens wohl wissend, das die Wirklichkeit damit nichts, aber auch nicht das geringste zu tun hat. Die Alternative zwischen Weltrezession und schwäbischer Hauhaltsdisziplin ist in Wahrheit keine wie der Satz: Geld oder Leben nimmt am ihn grundsätzlich.

So entgeht Bofinger zwar dem Phantasma der schwarzen Null und dem volkswirtschaftlichen Reigen um sie herum, aber seine, am IWF orientierte Therapie, Deutschland möge mehr investieren und konsumieren, zeigt den gleichen Mangel volkswirtschaftlichen Denkens wie bei seinem Kontrahenten. Da wird gerechnet und in Beziehung gesetzt, was gar nicht wirklich zur Debatte steht.
Es ist richtig, dass eine vorausschauende Fiskalpolitik notwendige öffentliche Investitionen über Kredite finanzieren kann, zumal in einer Zeit der Niedrig- bis gar Minuszinen.

Es ist richtig, dass politische Institutionen bei ihren Investitionsentscheidungen auch die Entwicklung der Staatsschuldenquote, also das Verhältnis von öffentlichen Schulden zur Wirtschaftsleitung im Auge behalten müssen, liegt in diesem Verhältnis ja, so die Datenerfassung dieser Big Data Aussagen zuverlässig, valide und objektiv ist, ein Ausblick auf die Wertentwicklung einer Volkswirtschaft für die nahe und mittelfristige Zukunft.

Im Falle von Deutschland, so haben wir gesehen, ist diese Quote bei 68% angekommen und, folgt man der Berechnung Bofingers, bei einem „unterstellten Wachstum des nominellen Bruttoinlandsprodukts von drei Prozent wird diese Relation bis zum Jahr 2040 auf 33 Prozent sinken.“3 Da macht es wenig Sorgenfalten im Gesicht, wenn der Staat seine investiven Ausgaben um 1% oder ca. 30 Mrd. EURO/p.a. steigert, was die Schuldenquote im gleichen Zeitraum auf 50% erhöht, also immer noch unter dem heutigen Wert beließe. Das klingt ein wenig wie die Gespräche in der schwäbischen Küche, wie man Schulausflüge, Handies, Klamotten, Tablets etc. der süßen Kleinen finanzieren soll, wenn Papa sich gerade einen Straßenräumpanzer in X5-Format zulegen will.

Rein rechnerisch könnte Bofinger aber auch schnell dahinter kommen, dass bei einem Zuwachs der Target-Schulden von 200 Mrd. jährlich auf der Sollseite und mit 30 Mrd. auf der Habenseite beide Seiten kaum jemals augeglichen werden können. Dazu kommt aber wesentlich, dass in dieser Rechnung der unangenehme Ausgangszustand auch weiterhin bestehen bleibt, dass nämlich südeuropäische Haushalte darüber letztlich entscheiden, wann in Deutschland, Finnland und den Niederlanden in Bildung investiert werden soll, wann dort der private Konsum belebt werden muss und in welcher Höhe und Tempo. Würde Deutschland nach der Bundestagswahl 2017 damit beginnen, die Target-Salden mit dem Bofinger-Modell auszugleichen, dann würde es wohl bis ins Jahr 2080 dauern, selbstverständlich bei bis dahin gleichen Anleihezinsen wie heute und konstantem Schuldenverhalten der Peripherieländer.

Tanzt der eine Volkswirt um die dumme Kuh der Austeritätspolitik dann bittet gleich ein anderer zum Hüftschwung um das goldene Flies des Konsums. Führe man so Auto, in schnell abwechselnden Phasen von Vollbremsung und Vollgas, die Kiste flöge einem wohl schnell um die Ohren.

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1 Peter Bofinger in Handelsblatt print: Nr. 147 vom 02.08.2017 Seite 048 / Gastkommentar
2 Hans-Werner Sinn – in „Wirtschaftswoche“, 6. September 2016
3 Peter Bofinger, ebenda


Peter Bofinger (* 18. September 1954 in Pforzheim)

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