Das Ideal einen vollständigen Wettbewerbs

Aporetisch seien Analyse und Lösungsvorschläge aus den Reihen der Vertreter moderner Volkswirtschaftslehre in Hinblick auf die derzeitige Situation in der EURO-Zone. Und vorher sahen wir schon desgleichen beim Thema Finanzkrise. Aporetik 1 ist aber nicht gleich etwas schändliches, unnützes, sondern schlicht eine Auseinandersetzung mit un- bzw. derzeit noch nicht lösbaren Fragen, Problemstellungen und Sachverhalten und zwar derart, dass die ‚Sache‘ als solche, ohne Rücksicht auf ihre Lösbarkeit oder Unlösbarkeit bzw. auch ohne Rekurs auf vorhandene Lösungsansätze betrachtet und durchdacht wird. Es geht also darum, ob jene Sachverhalte, die wir unter den Begriff der „Krise“ gefasst haben und zwar sowohl als eine Wissenschafts- wie als eine Krise der Marktwirtschaft selbst.

Aporien sind wichtig für den Fortgang jeder Wissenschaft, sind gewissermaßen Steighilfen des Denkens. An den heftigen Auseinandersetzungen und den verschiedenen, teils krass widersprüchlichen Lösungsvorschlägen zur Krise der EURO-Zone haben wir als Ursache eine Wissenschaftskrise ausgemacht, deren Methoden zu den makroökonomischen Realvorgängen der Wirtschaft anscheinend nicht mehr in einem aussagerelevanten Verhältnis stehen.

Um zu verstehen, welche Prozesse so marktverändernd wirken, dass auch ein strukturelles Mißverhältnis in ihrer wissenschaftlichen Abbildung sich ergeben kann, drängt sich natürlich eine Reflexion auf die fundamentalen Marktvorgänge innerhalb einer Marktwirtschaft auf. Der fundamentalste aller Vorgänge auf den heutigen Märkten ist aus wissenschaftlicher Sicht der Wettbewerb. Und es gibt keine wissenschaftliche Lektüre, die dem nicht Rechnung trägt, zumal der Wettbewerb aus makroökonimscher Sicht über die Preise Angebot und Nachfrage wie über die Erlöse und Gewinne Erfolg und Mißerfolg von Unternehmen und ganzer Branchen beeinflusst.

Damit überhaupt eine Wissenschaft vom Wettbewerb möglich wurde, musste der Begriff und seine ‚Sache‘, also die ihm entsprechenden Vorgänge fundamental formalisierbar gemacht werden, was am besten gelingt, definiert man Wettbewerb aus der Annahme eines „vollständigen“ Wettbewerbs2. Der vollständige Wettbewerb beschreibt ein Marktgeschehen unter weitgehenden Homogneitätsbedingungen.

Dies besagt zuerst einmal, dass die Güter, welche auf dem Markt gehandelt werden, identisch sind. Im vollständigen Wettbewerb gibt es aufgrund gleicher Güter keine Güter-Präferenzen. Das heißt, die Güter eines Marktteilnehmers können nicht denen der anderen Marktteilnehmer vorgezogen werden. Es besteht also ein Gütermarkt, auf dem die angebotenen Produkte es nicht erlauben, sie durch Qualitätsunterschiede besonders hervorzuheben, um so andere Preise zu erzielen.

Das heißt im Ergebnis, dass der Markt von den Narktteilnehmern und ihren Produkten her betrachtet eine atomistische Marktstruktur aufweist wie etwa Schrippenbäcker und vor vielen Jahren auch die Finanzmärkte, innerhalb der es für keinen Marktteilnehmer möglich ist, den Marktpreis durch das eigene Handeln, weder durch Preisgestaltung, Qualitätsdifferenzierung oder Mengenproduktion zu beeinflussen. Hinzu kommt, dass jeder Marktteilnehmer für sich betrachtet in Bezug auf den Gesamtmarkt unbedeutend ist, als einzelner keine marktbeeinflussende Dominanz ausüben kann.

Aufgrund dieser Annahmen werden die Akteure auf dem Markt vollständiger Konkurrenz auch als „Preisnehmer“ bezeichnet. Preisnehmer heißen sie, da sie den vom Markt bestimmten Preis hinnehmen müssen und lediglich als Mengenanpasser, also in Bezug auf ihre Grenzkosten auch auf die Menge ihres angebotenen Guts nur geringen und vom Markt mitbestimmten Einfluss nehmen können.

Vollständige Märkte sind, wenn man es einmal so ausdrücken möchte, der „Wärmetod“ des Wettbewerbs. Die Unternehmen bieten ihre Waren abhängig von ihrer Grenzkostenrechnung an. Das bedeutet aber zugleich, dass die Preisabsatzfunktion3 in der innerbetrieblichen Kosten-Nutzen-Rechnung sich immer einem Gleichgewichtspreis anpassen muss, der Anbieter wie der Nachfrager bzw. Kunde kaum bis keine Preisdifferenzen, egal wo er kauft oder anbietet erleben wird. Gewinne sind so kaum zu erzielen, aber auch kaum Wettbewerb zu verzeichnen.

Wir haben es also mit einem sog. Marktgleichgewicht zu tun, auf dem sich das Angebot der Menge nach der Nachfrage richtet und die Preis sich auf einem stabilen Niveau, ohne nennenswerte Schwankungen einpendeln. Die Volkswirtschaftslehre erkennt ein Marktgleichgewicht, wenn sich zwei Kurven, einmal die Nachfrage- und zum anderen die Angebotskurve in einem Diagramm, hier dem sog. Preis-Mengen-Diagramm schneiden. Und ganz nach der Lehre der Marktrationalität, die aufseiten der Nachfrage von möglichst niedrigen Preisen und auf der Angebotsseite von möglichst hohen Erlösen ausgeht, bildet die vollständige Konkurrenz seltsamerweise den idealen Markt dar.

Ideal insofern, als die Marktrationalität auf beiden Seiten der Marktteilnehmer maximal ist. Konsumenten- und Produzentenrente pendeln sich bei einer bestimmte Menge idealiter ein und definieren dort zugleich auch den Referenzpunkt für die beste Markteffizienz. Gleichwohl in diesem Modell alle Marktfaktoren gegenseitig derart beeinflussen, dass ein statische Bild, ein völliger Stillstand des Wettbewerbs die Folge ist, dient diese Vorstellung doch trotzdem oder gerade deswegen als „Idealvorstellung“, als eben jene Vorstellung der wesentlichen Marktvorgänge, die die Grundlage für alle weiteren bildet.

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[title]Begriffe – Anmerkungen – Titel – Autoren[/title]

Wettbewerbvollständige Wettbewerbatomistische Marktstruktur„Preisnehmer“MarktgleichgewichtMarkteffizienz


1 Aporetik: griechisch: aporētikē, „zum Zweifeln geneigt“.
Unter Aporie (altgriechisch ἡ ἀπορία he aporía, deutsch ‚die Ratlosigkeit‘, eigentlich ‚Ausweglosigkeit‘, ‚Weglosigkeit‘, von ὁ πόρος ho pόros, deutsch ‚der Weg‘ mit Alpha privativum: ἄπορος ὤν áporos on, deutsch ‚ohne Ausweg seiend‘, ‚ausweglos‘) versteht man ein in der Sache oder in den zu klärenden Begriffen liegendes Problem oder eine auftretende Schwierigkeit, weil man zu verschiedenen entgegengesetzten und widersprüchlichen Ergebnissen kommt.

2 Unter vollständiger Konkurrenz (engl. perfect competition) versteht man ein theoretisches Modell bzw. eine Marktform der Volkswirtschaftslehre, insbesondere der Mikroökonomik. Der Begriff ist in der Literatur teilweise auch unter vollkommener Konkurrenz, Polypol auf dem vollkommenen Markt oder homogenes Polypol zu finden.
3 Die Funktion gibt an, welchen Preis für ein Gut die anbietenden Unternehmen in Abhängigkeit von der abgesetzten Menge erzielen können.


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