Es ist nie derselbe König.
Noch lange nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war und das nicht nur in Deutschland die Monopolisierung, die Konzentration von Unternehmen und deren Lieferanten wie auch von Unternehmen unterschiedlichster Branchen wie etwa in den japanisches Corporations etwas völlig Normales. Marktbeherrschung war das Ordnungsprinzip. Konkurrenz das Mittel der Wahl und Mittel zum Zweck.
Bis Ende der Achtzigerjahre z. B. unterbanden hierzulande und in den meisten europäischen Staaten staatliche Telekommunikationsmonopole jede technologische Entwicklung konsequent, stand die Post für ewig währende Rückständigkeit, wurde die Schwerindustrie des Ruhgebiets im Formalin des Kohlepfennings konserviert.
Eine zeitlang hielt sich der Pott noch über Wasser durch den Export kompletter Anlagen für die Eisen- und Stahlerzeugung in die Volksrepublik China (VRC), die heute einen tieferen Einblick in die Wettbewerbsmechanismen von Volkswirtschaften erlaubt, als manche Ökonomen sich haben erträumen lassen.
Nicht dass die VRC den Prozess der Industrialisierung eins-zu-eins wiederholte, aber die sichtbaren Parallelen – wie auch die Versuche, es besser zu machen und die Fehler in Europa zu vermeiden – sind signifikant. Die Industrialisierung der VRC lief hauptsächlich über die Schwerindustrie. Heute will, ja muss die VRC sich wie damlas das Ruhrgebiet von der Engführung von Energiebedarf und fossiler Energieträger lösen, zu groß die Kosten für die Beseitigung oder auch nur für die medizinische Eindämmung der Umweltverschmutzung. Trotzdem hat die Schwerindustrie über Jahrzehnte das rasante Wachstum angetrieben und dabei stand deren globale Wettbewerbsfähigkeit im Zentrum, gebildet aus immmer größeren Anlagen und Billiglöhnen (im Vergleich zu den westlichen Wettbewerbern).
Auf der Seite der Arbeit wurden Millionen von Tagelöhnern zu Vollbeschäftigten und das Privateinkommen stieg, so auch der Konsum. Heute ist in der VRC aber nicht mehr die Schwerindustrie, sondern die Dienstleistungsbranche der Wachstumstreiber, was zu einem ernst zu nehmendem Problem führt. Die VRC trennt sich in zwei Wachstumsregionen, einmal die immer reicher werdenden Küstenregionen mit ihren Dienstleistungsökonomien und das ärmeren, von Schwerindustrie geprägte Hinterland, das immer weiter an Wettbewerbsfähigkeit verliert.
Der – tendenzielle – Fall der Profitrate in den ärmeren Regionen ist gigantisch. Von den 22 Provinzen (ohne Taiwan), fünf autonomen Gebieten, vier regierungsunmittelbaren Städten und zwei Sonderverwaltungszonen, also von 33 Verwaltungskörperschaften erwirtschafteten fünfundzwanzig Jahr für Jahr gigantische Defitite, wobei in manchen die staatlichen Kohlefirmen in einem Jahr mehr Kredite aufnehmen als die Wirtschaftsleistung der gesamten Provinz.
Defizite türmen sich auf, gleichzeitig sinken die Steuereinnahmen und zudem fressen steigende Sozialausgaben immer größere Löche in die staatlichen Kassen. Die lediglich sechs Provinzen und eine Stadt, die noch Gewinne erwirtschaften, können die Transferleistungen zu einem ausgeglichenen Haushalt nicht erbringen – und bis hierher ist von der Korruption in der VRC noch gar nicht die Rede gewesen.
Anders als im Zeitalter der Industrialisierung in Europa, jedenfalls in den meisten Teilen, basiert das auf Schwerindustrie gebaute Wachstum der VRC nicht auf Kapitalinvestitionen für die ständige Verbesserung der Anlagen. Chinas Wachstum auf Pump gerät zur Zeit deshalb außer Kontrolle, weil es auch eingesetzt wird, um Staatsbetriebe in Megafusionen zu gigantischen Kolossen zu verschmelzen, ähnlich wie dies am Ende der Blütetzeit der Schwerindustrie im Ruhrgebiet – und vielen anderen Regionen in Europa, vor allem in UK, Frankreich, Italien und Belgien – geschah. Aber anders als etwa bei Thyssen und Krupp sind die Fusionen in der VRC im Energiesektor, der Zugherstellung und in der Stahlindustrie nicht der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit geschuldet, nicht mit der Absicht der Steigerung von Produktivität und Effizienz der Anlagen durchgeführt worden.
In allen diesen Bereichen hat die Politik in Peking es geschafft, die meisten der Unternehmen zu Weltmarktführern zu formen, die aber trotzdem kurz vor dem Kollaps stehen. Die Löhne der Mitarbeiter werden in vielen Fällen nur teilweise, oft gar nicht ausgezahlt. Gleichzeitig wurden Privatfirmen vernachlässigt bzw. vom Markt zurückgedrängt und alle Subventionen in letztlich sieben Staatsbetriebe gesteckt, die die zukünftigen Champions abgeben sollten.
Bereits nach weniger als zwei Jahrzehnten zeigt sich in der VRC, dass in diesen Betrieben keine Effizienzsteigerung stattfindet, gigantische Subventionen auf den Märkten verpuffen, da diese keine höheren Erzeugerpreise akzeptieren und so Mitarbeiter die Zeche zahlen, bis das passiert, was längst schon feststeht, dass die Unternehmen ihren Bankrott, der lange schon dejure Einzug gehalten hat, auch defacto vollzogen haben.
Wie im Eiltempo sieht man einen Prozess in struktureller Parallelität sich wiederholen, der im Ruhrgebiet mehr als doppelt solange gedauert hat. Und der nicht nur in der VRC um ein Vielfaches schneller vonstatten ging, sondern auch um ein Vielfaches riskanter, betrachtet man das ganze aus einer globaleren Perspektive. Das Wachstum in der VRC hat Ende 2017 trotz oder wegen der gigantischen Verschuldung des Staates, hauptsächlich bei inländischen Investoren, global gesehen einen fatalen Höchstand erreicht. Selbst der US-dominierte IWF (Internationaler Währungsfond) hat seine Prognosen in 2017 ganze viermal nach oben korrigieren und feststellen müssen, dass die Volkswirtschaft der VRC etwa 30 Prozent zum Wachstum der gesamten Weltwirtschaft beiträgt. Das ist bedeutend.
Bedeutend ist es deshalb, weil die Ratingagenturen S&P und Moody’s die VRC geradezu konträr dazu gleich drei Stufen niedriger bewerten als die im Ausland hoch verschuldeten USA. Bedeutend daran wiederum ist zunächst einmal, dass die Ratingagenturen der VRC sehr viel weniger Innovationskraft und somit Wetbewerbsfähigkeit zutrauen als den USA. Nach den Kriterien der WTU (Welthandelsorganisation) ist die VRC keine Marktwirtschaft und bietet keine fairen Wettbewerbsbedingungen, was u.a. auch die Legitmität von Strafzöllen auf Dumping Importe und eine Reihe von Nachteilen auf den internationalen Finanzmärkten begründet. Ihre Wettbewerbsfähigkeit erkauft sich die VRC durch Schulden, die bedrohliche Ausmaße erreichen und laut Schätzungen der Standard Chartered Bank Ende Juni 2017 etwa 250 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung erreicht haben, was, nimmt man die Liste des IWF zur Grundlage, Platz 1 noch vor Japan ausmacht.1
Die so berechneten Gesamtschulden ergeben sich aus den Verbindlichkeiten von Regierung, Unternehmen und Haushalten im Vergleich zur Jahreswirtschaftsleistung. Zum Vergleich: In den wirtschaftlich wesentlich weiter entwickelten USA habe sich laut Financial Times (FT) die Quote Ende vergangenen Jahres auf 260 Prozent belaufen, in Deutschland auf knapp unter 200 Prozent. Besonders bedenklich sei der rasche Anstieg der Gesamtschulden in China. Ende 2008 hätten sie laut FT erst 147 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung betragen.
Das Wachstum der VRC ist demnach auch aus diesem Quellen betrachtet auf Pump aufgebaut. Um einen künstlichen Wettbewerbsvorteil auf den internationalen Märkten aufrecht zu erhalten reichten Chinas Banken allein im Juni 2017 1,08 Billionen Yuan (128 Milliarden Euro) an neuen Krediten aus, fast 20 Prozent mehr als erwartet. Auch der Staat erhöhte seine Ausgaben im Juni um 26,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat auf 1,65 Billionen Yuan (195 Milliarden Euro). Das Wirtschaftswachstum sinkt dennoch, Anfang des Jahrzehnts war es noch zweistellig.
Die Frage steht nun im Raum, wie lange dieser an der Wettbewerbsfähigkeit einer Marktwirtschaft orientierte Kurs einer staatspolitischen Ökonomie gut gehen kann? Was heißt, ob die VRC nicht wie viele andere Staaten auch jene Phase durchleben muss, die nach einem derart steilen Schuldenwachstum in aller Regelmäßigkeit eine veritable Bankenkrise nach sich gezogen hat.
Wir sehen eine Parallele zur Volkswirtschaft in Japan, wo die Schuldenquote seit Jahrzehnten ebenso hoch ist, wie die derzeit in der VR, dass nämlich nicht nur die Höhe der Schuldenquote wichtig ist, sondern auch, wer die Gläubiger sind. In Japan sind das gleichsam japanische Gläubiger, also einheimischen Schulden. Das hat immer den Vorteil auf die Finanzmärkte und die Ratingagenturen, dass man als Schuldner höher, besser als z.B. Griechenland mit einer Quote von etwa 140 Prozent geratet wird. Dies verdankt sich dem Umstand, dass man in den Ratingagenturen wie auf den int. Finanzmärkten längst schon erkannt hat, dass Regierungen jederzeit den Durchgriff auf die innerstaatlichen Vermögensträger und -körperschaften haben und auch im Extremfall einer drohenden Staatspleite darauf durchgreifen würden, was also einer Enteignung, zumindest einer partiellen Enteignung gleich käme. Banken sind wie man häufig sah im letzten Jahrzehnt, vor allem in den USA, im Vereinigten Königreich und in Griechenland, schnell geschlossen und wenn auch nur für Tage oder Wochen. Kapitalverkehrskontrollen2 einzuführen dauert heute auch nur noch Tage oder Stunden.
Diese Möglichkeit der Enteignung der eigenen Bürger und institutionellen Anleihehalter bzw. Gläubiger reicht über fast jeden Verschuldungsgrad hinaus und illustriert die Wahrheit des Satzes: ein Staat kann nicht pleite gehen. Nur seine Menschen. In der VRC ist das noch extremer. Die chinesische Regierung hat einen gewaltigen Vorteil. Ihr gehören alle wichtigen Banken und viele der besonders hoch verschuldeten Unternehmen, d.h. Banken und viele der größten Unternehmen gehören in der VR nicht zum privatwirtschaftlichen Sektor. Das also limitiert zumindest das Risiko eines Finanz-Crashs, vornehmlich für ausländische Investoren, insofern niemand die Regierung davon abhalten könnte, auf die Vermögen der eigenen Mitbürger und Inlandsinvestoren auszugreifen.
Halten wir nun fest, dass, wie man in der VRC, aber auch bedingt an Japan sehen kann, trotz immer höherer Schulden das Wachstum, der Wohlstand tendenziell und die Wettbewerbsfähigkeit nominell weiter sinken, wenn zu den strukturellen Problemen einer staatspolitisch organisierten Semimarktwirtschaft immer mehr Kredite nicht für Innovationen, nicht einmal für sinnvolle Optimierungen, sondern lediglich für die Ablösung alter durch neue Kredite verwendet werden. Das wird als nicht mehr gegebene Schuldentragfähigkeit bezeichnet.
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Kapitalverkehrskontrollen – Schuldentragfähigkeit
1 Beim IWF belegt die VRc bei den Staatschuldenquoten Platz 100. Diese erhebliche Diskrepanz erklärt sich durch die sehr unterschiedliche Datenbasis, also durch die nicht an den westlichen Standards angepasste Staatspraxis bei der Bilanzierung des Staatshaushaltes. Auch heirin liegt einer der Gründe, warum die WTO China nicht in die Standards einer Marktwirtschaft bislang aufgenommen hat; wir kommen später auf diesen Sachverhalt zurück.
2 Kaptalverkehrskontrollen: administrative Behinderungen des internationalen Kapitalverkehrs. Diese können in Gestalt von Steuern auf Kapitalimporte bzw. Kapitalexporte vorliegen, oder in Form von Mengenrestriktionen, Genehmigungspflichten oder Meldepflichten für internationalen Kapitalverkehr (Gabler).
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