Konzentration – Zyklen: Das japanische Modell

Es war im Jahr 1990, als der Nikkei um satte 40% ein- und die sog. Japan Ag zusammenbrach. Die Krise, über die wir hier nachdenken, bezeichnet nicht dieses Datum, sondern den Zustand, dass Japan und seine Wirtshaft bis heute sich nicht davon erholt haben.

Wie Deutschland, hat Japan nach dem Zweiten Weltkrieg einen enormen Aufschwung erlebt, wurde noch vor Deutschland in der Welt eine führende Wirtschaftsnation. Selbst eine ganze Serie von externen Krisen wie bspw. die Auflösung des System fester Wechselkurse von Bretton Woods (1971-1973) oder die Ölkrise (1973/74) konnten der japanischen Wirtschaft nichts anhaben, zumal Japan selbst, während der Yen ständig an Wert zulegte, durch die Deregulierung des Außenhandels und der Finanzmärkte das beschleunigte Wachstum aufrecht erhalten konnte.

In den 80er Jahren war Japan zeitweise der weltwirtschaftliche Motor, seine Dynamik und Innovationsfähigkeit waren, neben moderner Management- und Produktionsmethoden beispielgebend. Just in time, on demand, Kaizen u.v.a.m. waren Stichwörter japanischer Wirtschaftsüberlegenheit mit industriellen Schwerpunkten in Schwerindustrie, wie etwa Stahl, Chemie, Hightech- und Elektroindustrie, audf die etwa 60% der jählichen Gesamtexporte fielen. Automobil- und Schiffsbau folgten mit wenig Abstand.

Japans Wirtschaft glänzte durch ständige technische Innovation. Was weniger kolportiert, aber dennoch nicht weniger relevant war und als Auslöser des sagenhaften Booms jener Zeit galt, war die Zinspolitik der Bank of Japan. Seit 1982 waren die Leitzinsen in Japan stetig gefallen. Der Diskontsatz fiel von 5,5 Prozent im Jahr 1982 bis auf 2,5 Prozent in 1987, wo er dann weitere zwei Jahre blieb. Hohe staatliche Investitionsausgaben und massive Senkung der Leitzinsen waren die Hauptgründe dafür, dass die Kapitalbeschaffung für die Finanzierung einer expansiven und sich zu immer größeren Einheiten konzentrierenden Wirtschaft zu extrem niedrigen Zinsen am Finanzmarkt zu bekommen war. Dadurch wurde der Aufschwung in der Wirtschaft des Landes, insbesondere in der Exportindustrie, signifikant verstärkt. Gleichzeitig forcierten die geldpolitischen Maßnahmen auch den Preisanstieg am Aktien- und Immobilienmarkt.

Damals waren die realwirtschaftlichen Prozesse in aller Munde, aber und vor allem in Deutland wusste man wenig bis nichts über die Börsengänge großer Unternehmen damals vor dem Einbruch der Krise. Im Zuge der Börseneinführung der Nippon Telephone & Telegraph (NTT) im Jahr 1987, die bereits in der ersten Tranche satte Kursgewinne zeichnete, begann ein Run auf die Emission und führt zu massiven Wertsteigerungen hier wie bei vielen anderen Aktien. Den Boom mag verdeutlichen, bedenkt man, dass bereits ein Jahr danach, also 1988, der Börsenwert von NTT den Wert aller an sämtlichen deutschen Börsen notierten Inlandsaktien überstiegen hatte.

Und dieses Jahr 1988 mag als Lehrbeispiel für das „neue“ Zeitalter gelten, in dem die traditionelle Wertentwicklung wie auch die Krisen aktiver Unternehmungen durch die Expansion der Finanzmärkte sich veränderte. Die Synthese aus billigen Krediten und steigenden Aktienkursen verleiteten immer mehr Unternehmen, Investitionen anstatt in ihrem eigentliches Geschäftsfeld lieber am Finanzmarkt zu tätigen. Ebenso versuchten Unternehmen, deren Branchen aufgrund des weltweiten Wettbewerbs im Abschwung sich befanden, sinkende Profitraten durch Finanzgeschäfte auszugleichen wie z.Bsp. die japanische Schwerindustrie in jenen Jahren.

Da damals die Immobilien- bzw. Grundstückspreise wie die Aktienkurse sehr stark anzogen, wähnten die ins Schwanken geratenen Unternhehmen auch aus dem Gedanken ihrer internaliserten Diversitätserfahrung Investments an den Börsen für geeignet und hinterlegten als Kreditsicherheit fraglos ihren großen Immobilienbesitz, der sich mittlerweile aufgebaut hatte. Ende der Achtziger Jahre hatte der Boom gigantische Ausmaße angenommen. An der Börse hatte sich der Tokioter Leitindex Nikkei-225 innerhalb von nur drei Jahren mehr als verdoppelt: Zum Jahresanfang 1987 lagen die Kurse noch bei rund 17.000 Punkten und am 29. Dezember 1989 erreichte der Index mit 38.916 Yen einen neuen Höchststand. Gleichzeitig war das Volumen der gehandelten Aktien von 120 Milliarden im Jahr 1983 auf 280 Milliarden im Jahr 1989 gestiegen. Auch der Immobilienmarkt hatte sich mittlerweile exterm aufgebläht. Der Preisindex für Wohnimmobilien in sechs großen Städten vervierfachte sich von 5800 Punkten im Jahr 1980 auf 20.600 Punkte im Jahr 1989.

Damals war man so euphorisiert vom Anstieg der Kurse wie der Preise, die us-amerikanische Finanzkrise war noch weit entfernt, so dachte niemand an das Ende der Spirale. Den Irrsinn jener Golfgräber-Mentalität damals mag belegen, dass zu diesem Zeitpunkt die Grundstückswerte des Kaiserpalastes in Tokio mehr wert waren als der Grund des US-Staates Kalifornien und alle japanischen Grundstückswerte zusammen sogar viermal so hoch bewertet waren wie die der gesamten Vereinigten Staaten. Un den Unterschied zwischen den Ratings und den Sachwerten, die sich in einem sich umkehrenden Markt einstellen können, dachte niemand.
Ohne Probleme war es möglich, ein Grundstück im bereits überhöhten Wert von einer Million Euro als Sicherheit für einen Kredit über 1,2 Millionen Euro zu hinterlegen, da sich gemäß der allgemeinen Meinung die Lücke von 200.000 Euro ja innerhalb weniger Monate schließen würde.

Schauen wir zurück auf die Kehrseite des Booms, dann waren die erheblichen Veränderungen und Problemgründe der japanischen Volkswirtschaft durchaus schon sichtbar.
Jeder hätte damals auch schon erkennen müssen, dass ein derart ungesundes Aufblähen der Sektoren Finanzen, Versicherungen und Immobilien nicht ewig währen konnte. In jenen Jahren fand eine extrem beschleunigte Rationalisierung in den Unternehmen statt und zwar sowohl in der Produktion, wo immer neue Technologien zum Einsatz kamen wie auch in den administrativen Bereichen der Unternehmen, was zu einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit führte.

Zahllose Familien waren schnell nicht mehr in der Lage, die hohen Immobilienpreise für den Eigenerwerb aufzubringen und wurden auf den privaten Wohnungssektor verwiesen, wo natürlich auch die Mieten sprunghaft anstiegen und einen Großteil der Erwerbssumme band und also dem Konsumgüterbereich entzog. Die Kaufkraft der japanischen Privathaushalte ging drastisch zurück.

Gleichzeitig wuchs auch die innere Staatsverschuldung stetig an und erreichte im Jahr 1988 bereits die Hälfte des Bruttosozialprodukts. Allein die Tilgung der Zinsen erforderte damals fast ein Fünftel der Staatsausgaben. Aber auch in der Geldpolitik fand Japan nicht die richtige Antwort auf die gesamtwirtchaftlichen Entwicklung, die sich nicht nur in Japan abzeichnete, sondern ein weltweites Phänomen bereits war. Während die Nationalbanken in den USA oder Deutschland seit 1987 bzw. 1988 die Leitzinsen wieder anhoben, wartete die Zentralbank von Japan noch bis ins Jahr 1989, ehe sie ebenfalls ihren Kurs änderte.

Staatliche Schuldenlast aber braucht mehr als nur geldpolitische Steuerung und deshalb verabschiedete die japanische Regierung im Jahr 1989 eine große Steuerreform, die durch eine allgemeine Mehrwertsteuer dem Staat stark steigende Mehreinnahmen bringen sollte, um die enorme Schuldenblast einzudämmen. Die Bank of Japan erschwerte den Zugang zu Krediten, insbesondere für Immobilienerwerb und -handel, beschränkte die Höhe der Kreditsumme, die Banken für Immobiliengeschäfte ausgeben durften, hob den Leitzins binnen 15 Monaten von 2,5% auf 6% in der Hoffnung, die überhitzte Konjunktur dadurch abzukühlen.
Die ersten beiden Leitzinserhöhungen verpufften in der Aufschwungseuphorie, erst die Anhebung auf 4,25 % Ende 1989 brachte die gewünschten Wirkungen; der Anstieg des Nikkei ging zurück, der japanische Leitindex sank binnen vier Monaten deutlich.

Zu glauben, dass solchen Balsen und Wirtschaftsentwicklungen sich durch derartige Maßnahmen rasch korrigieren lassen, erwies sich damals wie heute, denkt man an die EZB, als Fabel. Denn die Blase sind in Wirklichkeit viele kleinere Blasen, die nach und nach mit leisem Knistern vor dem Knall zerplatzen. Gerüchte über Probleme im Finanzsektor machten langsam die Runde. Das Durchwinken von Großkrediten bislang bevorzugter Kunden ohne Überprüfung des Kreditrisikos wurde weniger üblich. Üblich wurde eine genauere Durchsicht der Buchführung, bei der man dann recht fantasievolle Kontenpositionen und Transaktionen fand, die auch ungedeckte Kredite verscheierten und die den wahren Wert des Schuldner erheblich anders darstellten, als vormals versichert.
Japans Banken saßen damals nach Berechnungen der neuen Finanzüberwachungsbehörde (FSA) auf „problematischen“ Krediten im Umfang von 87,5 Billionen Yen, umgerechnet 1.120 Mrd. DM und damit auf erhgeblich mehr, als in Japans Regierung errechnet und durch sie veröffentlicht.

So kolportiert ließen die Machenschaften der Unternehmenslenker den Nikkei binnen sechs Wochen um ein Drittel weiter fallen, doch damit nicht genug. Wie auch in der jüngeren Finanzkrise hysterisierte sich der Zustand des allseits stumm gebilligten Vertrauens zu einer fast paranoiden Risikoaversion der Banken, zwar nicht untereinander wie 2007, sonder gegenüber den Großunternehmen. Banken sperrten die Kreditvergabe und verweigerten den Firmen damit dringend benötigte finanzielle Mittel. Immer mehr Firmen mussten dadurch Insolvenz anmelden und verursachten damit einen erneuten Kreditausfall bei den Banken. Dazu belasteten die Zinserhöhungen der Bank of Japan in dem selben Zeitraum diesen Prozess noch zusätzlich.

Ein verheerender Effekt der Börsenkrise fand den Immobilienmarkt. Dort sank das Transaktionsvolumen durch die schwindenden finanziellen Geldmittel drastisch und zum anderen kamen die Unternehmen, die vorher ihre Grundstücke als Kreditsicherheit verpfändet hatten, in Schwierigkeiten und mussten letztlich Grundstücke veräußern, natürlich nun nicht mehr zu den Preisen, die in den Büchern standen. Größere Werberichtigungen waren für die Unternehmensbonität nicht gerade vorteilhaft, wie man schnell versteht. Gleichwohl ging der Fall des Finanzmarktes nicht synchron in der Höhe mit den Immobilienpreisen, gleichwohl war Japans Wirtschaft bereits nachhaltig in eine Rezession gerutscht.

Der Nikkei war abgerutscht und einem Ende der Baisse widersprach jede Phantasie. Zu dieser Zeit war der Diskurs über Japans Wirtschaft und Börse längst aus einer asymmetrischen in eine emphatische Diktion übergegangen und jede Horrormeldung schien die Börse zusätzlich zu schockieren, so daß die Geldpolitik der Bank of Japan regelrecht ins Nichts verpuffte. Leitzinssenkungen hatten keinerlei Wirkung mehr und begleitend dazu sanken die Grundstückspreise kontinuierlich bis sie dramatisch im Jahr 1996 in den Städten über 50 Prozent unter den Höchstmarken einen ersten Boden fanden. Für Japans private Immobilienbesitzer war der Traum von einer sicheren Geldanlage mit Vermögenseffet und Alterssicherung zuende geträumt.

Zieht man eine Zwischenbilanz bis zum Jahr 2000, dann stellt man fest, dass sich die Krise in Japan binnen zehn Jahren nicht verändert hat und im engeren Sinne eher volkswirtschaftlich verschärft hat. Der Nikkei verzeichnet mit einem Stand von rund 9700 Punkten einen Rückgang von ca. 75 Prozent unter dem Stand vom Dezember 1989. Die Höhe der faulen Kredite ist im Jahr 2000 mit geschätzten 550 Mrd. US-Dollar so hoch wie damals, die japanischen Banken sind marode, alle Zinssenkungen erfolglos, obwohl der Diskontsatz bereits 2000 jahrelang auf Tiefststand bei 0,1% verharrt. Auf die Rezession wurde die Phase einer bis heute andauernden Deflation ab 2000 eingeläutet und die Staatsschuldenquote stieg auf ca. 180% des BIP. Die Prognosen sind düster.

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Bretton WoodsNippon Telephone & TelegraphSynthese aus billigen Krediten und steigenden Aktienkursen

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