Wettbewerb – Entdeckung und Disruption

Im marktwirtschaftlichen Wettbewerb ist nichts in Stein gemeißelt. Hier gibt es keine lang anhaltenden Positionen oder Stellungen, die man halten oder verteidigen könnte. Elastischer Mitgang mit den Veränderungen auf den Märkten ist die einzige Fortbewegungsart. Dies gilt für das Kapital, auch für den Faktor Arbeit. Alles und jeder steht ständig unter dem Einfluss von Veränderungen.

Im Vorgriff auf späteres sei hier nur vermerkt, dass die deutsche Gewerkschaftbewegung, selbst in der Tradition der Industriegesellschaft verankert, gezeigt hat, dass branchenweite Lohnabschlüsse zwar einerseits den Lohnwettbewerb der Arbeit verhindern kann, andererseits aber zugleich ein einkommensbezogenes Schichtenmodell der Geselllschaft verfestigt. Nicht nur, dass innerhalb der Tarifgebiete ein dynamischer Qualifizierungswettbewerb weitestgehend ausbleibt – der dann bei Insolvenz und Arbeitslosigkeit breiterer Berufsschichten post festum eingeholt werden muss, meist mit wenig Erfolg – sondern auch die Durchlässigkeit bildungsbezogener sozialer Schichten immer wieder ins Stocken gerät.

Die Relation zwischen Bildungsabschlüssen und beruflichen Schichten oder sozialer Gruppen hat, neben anderen Faktoren, auch die Verfestigung breiter, vom Wettbewerb weitgehend entlasteter Arbeitnehmergruppen als eine Voraussetzung. Das Gegenteil von tariflicher Einkommensharmonisierung ist aber nicht der freie Lohnwettbewerb, derart, dass Arbeitnehmer gleicher Qualifikation einzeln gegeneinander um einen Arbeitsplatz und die Höhe der Vergütung konkurrieren.

Das Nash Gleichgewicht und die daraus entspringende Haltung eines ständigen „Lernens von den Besten“, also das Benchmarking, ist für unsere marktwirtschaftliche Welt eine weitreichende Einsicht. Es ist die Grundlage des Marktes, des Heimathafens des Wettbewerbs und der Vielfalt, wie unseres Daseins in materieller, zeitlicher und vielfach auch geistig-psychologischer wie sozialer Hinsicht.
Ohne gleich so weit zu gehen wie etwa der Ökonom Karl Hartman, der Ökonomie und Ethik als zwei Seiten einer Medaille sehen will, kommt ihm aber der Verdienst zu, den Blick auf das Feld des ökonomischen Wettbewerbs aus einer dualistischen Sehhilfe hervorgeholt zu haben:

„In der öffentlichen Diskussion, in der Politik und in den Medien werden wirtschaftsethische Probleme nicht selten durch eine dualistische Brille betrachtet. Moral und Wirtschaft, Ethik und Ökonomik, Ökologie und Ökonomie, Solidarität und Wettbewerb werden gegeneinander ausgespielt. […] Ausgeblendet wird dabei aber vor allem die Möglichkeit, Ethik und Ökonomik als zwei Seiten einer Medaille zu sehen, nicht als einander ausschließende Alternativen, sondern als zusammengehörige Zwillingsschwestern.“1

Homann strapazierte nicht nur die Ökonomik, sondern auch die kritschen Geistenwissenschaften mit der Aussage: „Wir müssen begreifen, dass Wettbewerb nur ein anderes Wort für Kooperation und Solidarität ist. Ohne das Instrument des Wettbewerbs bleiben das nur hohle Begriffe, die nicht funktionieren.“2

Mit seinem Kollegen Andreas Suchanek fokussierte Homann den Leistungswettbewerb als eine Art Disziplinierungsfunktion der Wettbewerber, insofern der Wettbewerb einmal zu mehr wahrer anstelle von ausgleichender Gerechtigkeit auf den Märkten führt, andererseit zu mehr kooperativem Verhalten anstelle von Konkurrenzdenken. Im Wettbewerb um die beste(n) Leistung(en) zeigt sich der Unterschied zum simplem Gegeneinander der Konkurrenz am deutlichsten. Im Leistungswettbewerb geht es um den Wettbewerb um Kooperationschancen, insofern es dabei um die Beziehung bzw. die Orientierung von Wettbewerbern um den/die Kunden geht, für die Unternehmen ja überhaupt erst in den Wettbewerb gehen.

Zum Wettbewerb gehören also nicht nur die Unternehmen, sondern ebenso und hauptsächlich die Kunden, also Unternehmen, die um den Kunden werben und der Kunden schlussendlich selbst, der den Unternehmen die Anreize, was mehr ist als nur seine Kaufkraft, und die Vorgaben, was mehr ist als seine materiellen Bedürfnisse liefert.
Zu dieser disziplinierenden Funktion der Kooperation, gleichsam in sie eingebettet sind Innovation und Disruption. Besonders traditionelle Großunternehmen steht heute, 2017, vor einer ungeuheren Transformationsaufgabe. Einerseits müssen sie in dieser Phase ihre gut ausgebildeten Arbeiter und Angestellte halten, andereseits wird die Digitalisierung in weiten Bereichen des Unternehmens zu enormen Jobverlusten führen.
So bietet Daimler seinen Mitarbeitern und der IG Metall eine Jobgarantie bis ins Jahr 2030 und verhält sich damit wie zu Zeiten mittelalterlicher Pakte, bei denen den Beschäftigten die in Deutschland besonders ausgeprägte Angst vor Veränderung durch einen Pakt von Treue und Schutz genommen werden soll. Solche Pakte zwischen Anführern und Untergebenen waren strukturell ähnlich auch shr verbreitet im Industriezeitalter in Deutschland allenorts.

Der Patron schützt seine Untergebenen vor den Unwägbarkeiten des Lebens, vornehmlich, aber nicht nur des Berufslebens, vor Arbeitsplatzverlust und Armut wie vor Missernten, Kranheit und äußeren Feinden. Heute schützt er im Verein mit der IG Metall vor den unabsehbaren Folgen der Digitalisierung und Globalisierung, denen sich auch die Politik in unterschiedlichen Herangehensweisen verpflichtet fühlt.

Gleichzeitig bemüht sich das Unternehmen Anschluss an den technologischen Fortschritt zu halten, dessen Gesicht in der Automobilbranche Tesla ist. Und hinter dem Gesicht tauchen immer weitere Gesichter auf. Das Elektroauto hat keine mechanischen Motoren, keine Getriebe und Abgasreinigungen und allein deshalb schon werden viele der heute bekannten Tätigkeiten, die gerade über Jobgarantien scheinbar gesichert werden sollen, wegfallen. Dutzende vonneuen Wettbewerbern stecken heute schon in den Hybrids und Elektroantrieben, alle aus der IT- und Internetindustrie, die immer wieder neue Ideen ausprobieren, sie verwerfen und wieder von vorn anfangen. Das meint Disruption.

Die Wucht dieses disruptiven Umbruchs, dieser weit mehr als nur technologischen Transformtion wird man mit den alten Instrumenten und Denkmustern des ausgehenden Industriezeitalters vielleicht noch abfedern können. Für die Digitalisierung, die sämtliche Berufsbilder von der Entwicklung über die Produktion bis in den Vertrieb verändern wird, reichen die alten Mechanismen aber nicht.

Die Disziplinierung zur Kooperation im Leistungswettbewerb um den Kunden kennen die traditionellen Autobauer wenig, wenn nicht gar nicht, wie der sog. Diesel- bzw. Abgaßskandal sichtbar belegte. Auch auf dem Feld des kooperativen Innovationswettbewerbs glänzten die deutschen Autobauer durch Abwesenheit. Dieser Unternehmergeist fehlt Damailer so sehr, dass einer seiner größten Geschäftskunden, die Post, sich alle diese Eigenschaften selbst zu eigen gemacht hat und seine Elektrotransporter mittlerweile selbst baut.

Autohersteller wie Daimler stehen vor einem Wettbewerb, der Kundenorientierung, Innovation, Kooperation und Wagnis, was wir insgesamt mit dem Ausdruck Disruption bezeichnen möchten, stärker belohnt. Diese Start-up-Mentalität passt mit der pauschalen Jobgarantie bis 2030 von Daimler aber nicht zusammen; in mehrfacher Hinsicht. Sie suggeriert jenen, die alles so lassen wollen, wie es ist, dass sie sich eigentlich gar nicht bewegen müssen, dass sie ihre berufliche Qualifikation hinter sich haben und sich keinem Leistungswettbewerb stellen müssen.

Für alle anderen, die dies aber wollen und wenn möglich sogar in einem innerbetrieblichen Qualifizierungskontext, wird es aber schwierig, genau jene Prozesse in Gang zu setzen, die Veränderungen in eben diese Richtung möglich machen. Und die, die ihre Qualifikationen außerhalb erworben haben und auch bei jedem anderen Start-up-Unternehmen wie bei allen etablierteren New-Technology-Companyies, die bei Google genauso gut Jobs finden wie bei chinesischen Hightech Unternehmen, die brauchen zu allererst keine Jobgarantie, sondern ein modernes betriebliches Umfeld, in dem sich etwas bewegen lässt bzw. in dem sich selbst etwas bewegt.

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Nash GleichgewichtLeistungswettbewerbDisruption


1 Karl Homann, Christoph Lütge: Einführung in die Wirtschaftsethik. 2. Auflage. Lit, Münster 2005, S. 9.
2 ebenda


Karl Homann (* 19. April 1943 in Everswinkel)
Christoph Lütge (* 1969 in Helmstedt)
Andreas Suchanek (* 12. August 1961 in Stadthagen)

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