Dem Staat schwimmen die Felle davon, wird nicht mehr investiert. Investitionen kommen, so sie keine kriseninterventionistischen Absichten vonseiten eines Staates verfolgen, aus der Privatwirtschaft. Nun vernehmen wir heute allenthalben die laute Klage über die Investitionsschwäche einiger Länder, vornweg Deutschland und deren fatale Auswirkungen, die sogar die USA erbeben lassen und hauptverantwortlich sein soll für die hohe Defizitquote ebendort aber auch in einigen südeuropäischen Ländern.
Vorweg gesagt, die viel zitierte Investitionsschwäche ist ein eher weltweites, denn ein deutsches Phänomen und auch die Zuordnung von Investitionsvolumina und Nationalökonomien wie wir sie tagtäglich zu hören und zu sehen bekommen, ist lax gesagt eher retro und old fashion.
Allein die Unternehmen des S&P-500-Index haben in den Jahren zwischen 2006 und 2015 knapp 4 Mrd. Euro für Aktienrückkäufe einbehalten und über 2,7 Mrd. Euro an Dividenden ausgeschüttet und damit 90% ihrer angefallenen Gewinne Investitionen entzogen. Dieses Phänomen hat natürlich Ursachforschung in Wissenschaftskreisen provoziert. Und nicht wenige sehen in der Investitionszurückhaltung der Unternehmen Kurs- und Vergütungspflege der CEOs anstelle der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftssicherung der börsen-gelisteten Unternehmen.
Das McKinsey Global Institute hat einen möglichen Zusammenhang zwischen kurzfristigen Unternehmensentscheidungen und Kurspflege einerseits und mittel- bis langfristiger Entscheidungshorizonte und Rentabilität der Unternehmen andererseits verifiziert2. Lary Fink von Blackrock wie auch die Commission on Inclusive Prosperity unter Leitung des ehemaligen US-Finanzministers und Harvard-Ökonomen Larry Summers beklagen unisono, dass die Unternehmen ihren traditionellen Fokus auf langfristige Gewinne und verbesserter Wettbewerbsfähigkeit zugunsten einer Maximierung der kurzfristigen Unternehmensbewertung auf den Finanzmärkten aufgegeben hätten.
Gütermarkt und Finanzmarkt sind hier anscheinend in einen bedeutenderen und maßgeblicheren Wettbwerb getreten, als den der Unternehmen auf den Güter- und Dienstleistungsmärkten untereinander. Die berühmte und stets geforderte Balance zwischen Zukunftsinvestitionen und Ausschüttung des für Investitionen ungenutzten Kapitals an die Kapitaleigner ist nicht mehr selbstverständlich gegeben.
Gleichsam parallel dazu wird eine Stimme laut, die eine andere Tonlage bevorzugt. Steven Kaplan von der Universität Chicago3 kommt zu dem Ergebnis, dass an dem Verhalten der CEOs wenig auszusetzen wäre, sind doch Gewinne und Börsen-Bewertungen der Unternehmen gleichermaßen hoch und dies auch über eine lange Zeit stetigen Anstiegs. Von einer, auf kurzfristigen Entscheidungen zugunsten der Börsen-Kurse mit negativen Investitionen in die Substanzwerte der Unternehmen und daraus folgenden, langfristigen Verschlechterungen der Wettbewerbssituation könne also keine Rede sein.
Dann gibt es natürlich auch jenen Stimmen4, die in der Zurückhaltung von investitiven Ausgaben mehr auf die gesamt- bzw- weltwirtschaftliche Situation reflektieren und in deren schlechter Wachstumsverfassung den Grund dafür sehen.
Eine interessante Perspektive eröffnen Gutiérrez und Philippon von der New York University in zwei Untersuchungen5, in denen sie nachweisen können, dass sich die Gewinne bei zunehmend wenigeren markt- bzw. branchenführenden Unternehmen konzentrieren und dieselben Unternehmen auch zunehmend geringere Investitionsquoten aufweisen.
Dass wir es hier mit einem gesamtwirtschaftlichen Vorgang, der Konzentration, und einem einzelwirtschaftlichen Vorgang der Investitionszurückhaltung zu tun haben, sollte weiterhin festgehalten werden, indexiert beides doch eine durchaus paradigmatisch zu nennende, perspektivische Verschiebung, manche sprechen sogar von einer Revolution, in der Beurteilung von fundamentalen Marktprozessen.
Gutiérrez und Philippon untersuchen dieses Verhältnis unter Zurhilfenahme der von Tobin im Jahr 1963 eingeführten Relation zwischen Veränderung des Wertes einer Unternehmung und dem hierfür zugrunde liegenden Wert der Investition und kommen zu einem überraschenden, aber keineswegs nicht zu erwartenden Ergebnis bei der Bewertung dieses Transmissionsmechanismus monetärer Impulse.
Denn man ging bislang davon aus, dass, werfen die Vermögenswerte im Unternehmen mehr ab, als sie kosten, sollte mehr investiert werden. Sie diagnostizieren besonders bei den Marktführern ein hohes Q, – der Investitionsquote anhand von „Tobin’s Q“ – ohne steigende Investitionen und führen das auf nachlassenden Wettbewerb zurück, der es den führenden Firmen erlaube, sich nicht mehr so intensiv auf ihre Wettbewerber bei ihren Unternehmensentscheidungen zu konzentrieren und ihre hohen Gewinnquoten einer anderen Allokation zuzuführen.
Interessanter noch als dieses Ergebnis ist der von den Autoren mit untersuchte, politische Zusammenhang. Da ist einmal das unter den Präsidenten George W. Bush und Barack Obama stark vernachlässigte „antitrust law“, also die fast schon eingestellte Exekution der Gesetze gegen Marktmacht, was nichts anderes heißt, als dass man in diesen Jahren Kartelle und anderen Formen der Unternehmenskonzentration stillschweigend zugelassen hat, mithin Wettewerbseffekte an der Kehrseite des vollständigen Wettbewerbs.
Gleichzeitig damit einher ging mit dem zunehmenden Konzentrationsgrad auch eine Zunahme von Markt-Regulierungen in den wichtigsten Branchen der US-Wirtschaft. Und Gutiérrez und Philippon erkennen darin einen verhängnisvollen Trend, der all zu engen Verbindung von Politik und Wirtschaft, den sie – wie wir einige Seiten vorher auch – als Ergebnis von Lobbyarbeit entlarven:
„Die Regulierung könnte Zugangsbarrieren errichten, und größere Firmen könnten die Möglichkeit haben, durch Lobbying solche Regulierung zu befördern und so ihre Führungsposition zu stärken“.
Wir erinnern uns hierbei an den Begriff der Zentralisation, der neben anderen Effekten auch immer das Ausscheiden von kleineren Wettbewerbern beschreibt, dass also die Zahl der Unternehmen abnimmt, indem große Unternehmen die kleinen übernehmen, teils auch nur, um sie später zu zerschlagen oder vom Markt zu nehmen, oder einfach neutral formuliert, indem es zu Unternehmenszusammenschlüssen kommt, die heute in den überwiegenden Fällen sich nach den Unternehmensbewertungen an den Börsen richtet. In der aktuellen Ökonomik entspricht die Kapitalzentralisation ungefähr der relativen Konzentration7.
Einer, der den Zusammenhang von Konzentration und Zentralisation sehr pointiert herausgearbeitet hat, ist Luigi Zingales von der Chicago University.
„Ich argumentiere, dass Unternehmen mit mehr Marktmacht sowohl die Notwendigkeit als auch die Möglichkeit haben, politische Macht zu gewinnen“. Und eben auf diese Weise ein „Teufelskreis der Marktkonzentration“ entstehen kann, bei dem Geld genutzt wird, um politische Macht zu gewinnen, und politische Macht genutzt wird, um Gewinne zu mehren8. Und wie wir am derzeitigen sog. Diesel-Skandal wiederum feststellen können, geht es nicht nur um Markt- und Machtdispositionen. Es geht darüber hinaus um die Außerkraftsetzung von Wettbewerbs- und somit von fundamentalen Marktkräften, auf denen hohe Gewinne und Börsen-Bewertungen beruhen; ganz im Gegensatz zu allen anderen Annahmen, dass dies stets auf gut funktionierenden Marktkräften beruhe.
Ob es sich wirklich um Außerkraftsetzungen von Marktkräften handelt, sollen die nächsten Überlegungen darlegen.
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[title]Begriffe – Anmerkungen – Titel – Autoren[/title]
Konzentration – Transmissionsmechanismus monetärer Impulse – Konzentrationsgrad – Zentralisation
1 Vgl William Lazonick und Koautoren von der University of Massachusetts Lazonick: profits-without-prosperity und Lazonik: Stock buybacks: From retain-and-
reinvest to downsize-and-distribute.
2 Vgl: Studie „Measuring the Economic Impact of Short-Termism“
3 Vgl. Kaplan: „Are U.S. Companies Too Short-Term Oriented?“
4 Zwei Ökonomen von der US-Notenbank, Joseph Gruber und Steven Kamin, argumentieren ähnlich wie Larry Summers.
5 Germán Gutiérrez und Thomas Philippon in: Declining Competition and Investment in the U.S. and Investment-less Growth: An Empirical Investigation
6 Tobin’s Q (deutsch: Tobins Quotient) ist eine betriebswirtschaftliche Kennzahl zur Unternehmensbewertung. Der Quotient ist benannt nach James Tobin, Träger des Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften im Jahr 1981, der diese Kennzahl ab 1968 propagierte.
Sie stellt die Relation zwischen Veränderung des Wertes einer Unternehmung (PV) und dem hierfür zugrunde liegenden Wert der Investition (I) dar, also:
q = PV / I.
Fälle: Für q > 1 werden Investitionen durchgeführt, für q < 1 unterbleiben Nettoinvestitionen, und im Gleichgewicht ist q = 1.
Bedeutung: Wichtige Rolle im Transmissionsmechanismus monetärer Impulse. So führt z.B. eine expansive Offenmarktpolitik zu höherer Liquidität, die u.a. zum Kauf von Aktien eingesetzt wird. Mit den steigenden Kursen erhöht sich der Unternehmenswert und damit steigt q. Daraufhin nehmen die Investitionen zu.
7 1. Ziel der Konzentrationsmessung ist es, konzentrationsrelevante Tatbestände quantifizierend zu erfassen und in einem numerischen Ausdruck zu vereinigen (Konzentrationsgrad). Die Messung der Unternehmenskonzentration ist dabei die Umkehrung des eigentlichen Zieles der (quantitativ nicht möglichen) Messung des Wettbewerbs.
Die statistische Konzentrationsmessung beruht auf zwei grundlegenden Annahmen:
(1) Der Wettbewerb wird um so schwächer, je geringer die Anzahl der Marktteilnehmer wird (absolute Unternehmenskonzentration).
(2) Der Wettbewerb wird um so schwächer, je ungleichmäßiger die Verteilung des Gesamtmerkmalsbetrages auf die Marktteilnehmer wird (relative Konzentration oder Disparität).
2. Im Einklang mit diesen beiden grundlegenden Annahmen wird zwischen relativen und absoluten Konzentrationsmaßen unterschieden.
Vgl. auch Gini-Koeffizient zur Messung.
8 Luigi Zingales: „Towards a Political Theory of the Firm“ – PDF.
William Lazonick (* 8. Juni 1945, Toronto, Kanada)
Steven Neil Kaplan (* 1959)
Lawrence Summers (* 30. November 1954, New Haven, Connecticut, Vereinigte Staaten
Thomas Philippon (* Mai 1974)
James Tobin (* 5. März 1918 in Champaign, Illinois; † 11. März 2002 in New Haven, Connecticut)
Luigi G. Zingales (* 8. Februar 1963 in Padua, Italien)
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