Good times, bad times

Good times, bad times – so singt der versierte Optimist weiter: You know I had my share.1 Ja, solange der Aktienkurs die zyklischen Schwankungen der Konjunktur bzw. der volkwirtschaftlichen Gesamtsituation – d.i. die Summe der Wirtschaftleistungen, die sich in den prozentualen Veränderungen des BIP ausdrücken – wiederspiegelt. Aber dann sprechen wir nicht von Krisen. Bad times aber können Krisen sein, Phasen, in denen kaum jemand singen kann: I had my share. Aktionäe verlieren dann viel Geld, Arbeiter und Angestelle ihre Jobs. Überproportional beide, also sowohl das Kapital wie der Faktor Arbeit und dies spontan in relativ kurzen Zeiträumen sowie auf breiter Front, also über Branchen hinweg.

Schauen wir uns die letzte Phase einer schweren Krise, einer durchdringenden Rezession mit enormen Verlusten von Kapital und Einkommen aus Erwerbsarbeit an, dann sehen wir eine Besonderheit, die aus dem herrührt, was wir die politische Ökonomie genannt haben. Vor nicht viel länger als fünfzehn Jahren (2003) gerieten deutsche Unternehmen in eine Phase einbrechender Gewinne, verdüsterter Wachstumsaussichten und Massenarbeitslosigkeit, besonders bei jungen Erwerbstätigungen und Menschen in Ausbildung und Studium. Als die deutsche Wirtschaft als „kranker Mann Europas“ bezeichnet wurde, hätte man vermuten dürfen, dass Unternehmen deutliche Abschreibungen in ihren Bilanzen hätten vornehmen müssen; mitnichten.

Die Bilanzbereinigung blieb allerorts aus, auch in den folgenden Jahren, weil sich die Zinslast für die Schulden der teuer gekauften Firmen aufgrund der Niedrigzinspolitik der Notenbanken massiv verringerte. Hinzu kam noch, dass die Notenbanken später begannen, auch Unternehmensanleihen aufzukaufen, was den Abschreibungsdruck in den Unternehmen zusätzlich entlastete. Anstelle mit Zinssätzen von sechs, acht oder gar zehn Prozent, wie noch in der Krise 1998-2008 üblich, finanzierten sich die Konzerne in den vergangenen Jahren zu Zinssätzen von weniger als zwei Prozent, oft sogar nahe Null wie wir bereits ausgeführt haben. Die Zinslast fiel mit den Jahren bis heute immer weiter und das trotz höherer Verschuldung der Unternehmen bzw. zu hoher Bewertungen der Firmenwerte durch Übernahmen.

Diese schwer in die theoretischen Parameter einzuordnenden, gegenläufigen Bewertungsprozesse täuschen einen ausgleichenden Effekt vor, der aber allein durch äußere Umstände, durch geldpolitische Notenbankmaßnahmen angetrieben ist. Diese geldpolitischen Maßnahmen haben also die Zinsen für Bankkredite und Unternehmensanleihen in Deutschland wie mittlerweile für ganz Europa an den „Nullpunkt“ getrieben und werden stets als inflationsbedingte Maßnahmen gerechtfertigt, obwohl ihr konjunkturpolitischer Effekt deutlich dominanter ist. Wenn man es auch heute nicht gleich sieht, so ist ihr konjunkturpolitischer Effekt einem negativen, einem umgekehrten Keynesianismus gleich zu setzen, insofern in Zeiten wirtschaftlicher Belebung die Phase eines drohenden Konjunkturabschwungs zeitlich vorweg nimmt.

Dies macht schlussendlich die geldpolitischen Maßnahmen unmöglich, die dann in einem Abschwung bzw. einer echten Rezession notwendig werden, da es weder einen Spielraum für noch günstigere Finanzierungs- und Kreditbedingungen unter diesen bereits bestehenden Konditionen gibt, noch hat dann die EZB das Mandat und das Geld dazu, ihre geldpolitischen Maßnahmen weiter laufen zu lassen und auszuweiten.

Auf Unternehmensseite entwickelt sich das Paradoxon, dass Anpassungen an Geschäftsmodelle und Wettbewerbsfähigkeit, die dann am effektivsten sind, wenn sie zeitlich und in der geldwerten Höhe flexibel gehandhabt werden, nun zu einem wahren Klotz am Bein des Unternehmens sich entwickeln. Denn fahren die Unternehmen ihre Abschreibungspraxis so weiter, dann kann man davon ausgehen, dass frühestens in sechzig Jahren, bei manchen erst am Ende des Jahrhunderts, die bilanzierten Firmenwerte aus Übernahmen abgeschrieben sind.

Dieser unüberschaubare Zeitraum würde implizite voraussetzen, dass das Mangement heute davon ausgeht, dass ihre Übernahmen auch in mehr als sechzig Jahren noch als profitabel und als vernünftig sich erweisen. Aber solch eine weise Voraussicht hat es nie gegeben, dass die übernommenen Firmen oder Firmenanteile sich auch nach sechzig und mehr Jahren als werthaltig erweisen; zwanzig Jahre beträgt die durchschnittliche Lebensdauer solcher Changemanagement-Entscheidungen im optimistischsten Kalkül. Man schauen nur einmal sechzig Jahre in die Geschichte der deutschen Wirtschaft zurück, also ins Jahr 1958, und frage sich, welche Unternehmen von damals ihr Geschäftsmodell und ihre Wettbewerbsfähigkeit bis heute erhalten haben. Man wird keins finden. Ein Blick auf die historische Kursentwicklung dazu zeigt mehr als deutlich, dass sich zwischenzeitlich derart dramatische Veränderungen ergeben haben, die weder in dieser Dramatik noch in den Werten selbst haben auch nur im geringsten vorhersagbar waren.2

Und dabei ist noch nicht bedacht, dass im Zeitalter der Digitalisierung einer global vernetzten Wirtschaft und ihren beschleunigten Change-Prozessen selbst dieses optimistische Kalkül wohl kaum an seine antizipierte Lebensdauer heran kommen dürfte; im Gegenteil. Die Unternehmn müssen sich zunehmend auf wesentlich kürzere Armortisationszeiten von Übernahmen realisitischerweise einstellen. Übernehmen, die nicht binnen kurzer Zeit als wirtschaftlich sinnvoll sich erweisen, werden als Risiken eher, denn als zukünftige Chancen betrachtet werden müssen.

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umgekehrter Keynesianismus


1 Led Zeppelin (1969)

2 DAX 30 – Historischer Chart

Dax Chart 1959-2018

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