Globalisierung ist die Voraussetzung für eine integrierte Weltwirtschaft. In einem kleineren als dem Weltrahmen ist die EU ein Experiment auf diesem Weg der Integration. Oft wurde kolportiert und sitzt auch mittlerweile fest in den Köpfen der Bürger in Europa, dass die EU ja nichts anderes war, als eine Wirtschaftsgemeinschaft und dass diese nicht gelingen kann, ohne eine soziale und politische Integration. Dieses Urteil ist falsch.
Denn dass die Wirtschaftsintegration nicht gelingen kann, ist keine Frage einer mangelnden sozialen und politischen Integration Europas, sondern eine Frage der Handelsbilanz zuallererst.
Die europäischen Staaten mit großen, strukturellen Defiziten in deren Handelsbilanzen, streben die Rückkehr oder den Ausbau der nationalen Kontrolle ihrer Handelsbeziehungen an. So geschehen durch den Brexit, dessen Schlachtruf: „Take back control“ war, so auch das US-amerikanische Vorgehen gegen den freien Handel und die Einwanderung; beim Brexit stand neben dem freien Handel, dem Banken und Dienstleistungssektor auch die Niederlassungfreiheit europäischer Arbeitnehmer und die Migration im Fokus der Ablehnung.
Wir notieren, dass der Protektionismus nicht allumfänglich verstanden werden muss, sondern, dass die Länder mit stark negativer Handelsbilanz durchaus auf bilaterale Handelsverträge setzen, gestatten diese nicht wirklich integralen Wirtschaftsvereinbarungen assoziative und somit kontrollierbare Industrie- und Handelspolitik, die den Ländern erlauben, durch kontrollierte Entwicklung besonderer Industrien und regionaler Wirtschaften schwache Branchen und strukturschwache Regionen wieder zu beleben; so jedenfalls glaubt man in den USA und England – schon nicht mehr in Schottland und Irland.
Allein die Handelsbilanz zum Gradmesser für eine falsche Entwicklung in Bereichen der Wirtschaft zu stilisieren, die zudem noch auf eben diesem Wege umkehrbar sein soll, ist in keiner angelsächsischen Wirtschaftsliteratur so vermerkt; was soll also diese Art des „deal makings“? Kontrolle wiedergewinnen, also über nationale Steuerungsmechanismen, etwas fiskalischer Art, Schulden-oder Subventions-Finanzierung von Branchen oder Regionen, ist das ein Ausweg? Ist so der Rust Belt im Norden der USA wiederzubeleben?
Denkt man in diese Richtung, dann wäre es auch folgerichtig zu meinen, Länder mit Handelsbilanzüberschüssen müssten doch weniger Kontrolle und Entwicklunsinstrumente für reale und strukturelle Wirtschaftskrisen besitzen; dem fehlt aber jede emprirische Grundlage. Denn gerade mit ihren besonders hohen und auch strukturelle Exportüberschüssen stehen Länder wie China und Deutschland, immerhin ein Mitglied der EU, das sogar weniger Sonderregelungen und also wenig Kontrolle über seine Wirtschaft hat, als England, durchaus kongruent zun den Wirtschaftsinteressen ihrer Länder, stehen also die Handelsbilanzüberschüsse aus Exporten und Freihandel stringent im Interesse ihrer nationalen Ökonomien.
Freier Handel und Exportüberschüsse stehen also nicht in einem kausalen oder empirischen Zusammenhang mit volkswirtschaftlicher Schwäche, die schnurstracks in die Krise führen muss, wenn Protektionismus und somit Kontrolle über Wirtschafts- und Handelsbeziehungen ausbleiben. Das ist auch nicht die Motivation des chinesischen Staatsapparates, wenn dieser in der aktuellen Wirtschaftsentwicklung einen Fokus aus die Binnennachfrage legt. Das geschieht im Rahmen einer normalen Wirtschaftsentwicklung, geschah so in allen westlichen Volkswirtschaften in einer bestimmten Phase und solche Phasen der Stärkung der Binnenmärkte und der lokalen Wirtschaftskreisläufe kommen immer wieder auch im Westen vor.
Es bleibt festzuhalten, dass freier Handel und Exportüberschüsse in der Handelsbilanz eben von nationalen Wirtschaftsinteressen getriebene Elemente der Marktwirtschaft sind, wie importorientierte, nationale, protektionistische Elemente ebenso zur Marktwirtschaft gehören. Die Unterscheidung verläuft also nicht entlang einer Linie, die Freihandel und Protektionismus trennt. Sie verläuft entlang der Grenzen von Wirtschaftsräumen wie den USA, die mit Kanada und Mexiko neuerdings einen, wenn auch eingeschränkten Wirtschaftsraum bilden, Europa, das mit Teilen Asiens und Japan wirtschaftlich und vertraglich verbunden ist und China, das einen eigenen Wirtschaftsraum bildet mit zur Zeit noch sehr stark eingeschränktem Kapitalverkehr und Niederlassungsbeschränkungen für andere Volkswirtschaften und Wirtschaftsräume.
Von einem integrierten globalen Wirtschaftsraum zu sprechen ist verfrüht, verkennt die Tatsachen.
Bereits Jahre vor der Finanzkrise schrieb Walden Bello: „Jedes Land muss die Möglichkeit haben, für seine eigenen Werte und seinen eigenen Rhythmus auch eine eigene Politik zu entwickeln.“ (2005). Für ihn, repräsentativ für den gesamten süd-ost-asiatischen Raum gesprochen, war die Deglobalisierung ein mehr denn wirtschaftspolitischer ein politischer Begriff, verstanden als eine „Alternative“ zum Prozess der Globalisierung. Besonders Entwicklungsländer sollten überwiegend in die Lage versetzt werden, für ihre jeweiligen lokalen Märkte und nicht so sehr für den Export, sondern für den Binnenkonsum in Form von dezentralen, in der Vielfalt lokaler Gemeinschaften entwickelten, wirtschaftlichen Prozesse produzieren.
Und er beklagte offen und richtigerweise den Einfluss, den internationale Organisationen wie WTO, IWF und Weltbank auf diese ökonomisch schwachen Staaten ausüben, damit sie Strukturanpassungsprogramme auferlegen, was ja nichts anderes heißt, als sich an die Bedingungen der Zusammenarbeit mit den westlichen Staaten und damit den Interessen multinationaler Konzerne anzupassen.
Die freiwillige Exporteinschränkung, die Bello den Entwicklungsländern anrät, hat allenfalls etwas mit Deglobalisierung insofern zu tun, als den internationalen Wirtschaftsorganisationen eine rüde Unterstützung der Expansionsprozesse westlicher Industrieländer vorgehalten wird, die dann in eine fatale Abhängigkeit führt, und sie den Zyklen der transantionalen Ambitionen von Konzernen und letztlich auch den Zyklen der Kapitalmärkte wehrlos ausliefert.1
Bello setzt aber nicht nur auf die Entwicklung der Binnenwirtschaft. Als einer der wenigen Wirtschaftsexperten verlässt er bei allem, was er im Rahmen seiner Konzepte zur Stärkung der Binnenmärkte und der lokalen Wirtschaftskreisläufe vorschlägt dabei nie den politischen Horizont, der die Wirtschaftsentwicklung – nicht nur – der süd-ost-asiatischen, aber auch jedes anderen Entwicklungslandes umgibt. Seine wirtschaftspolitische Vision einer demokratisch gesteuerten und in starken lokalen Ökonomien verwurzelten Wirtschaftsentwicklung geht weit über die traditionellen Konzepte der Ökonomik hinsichtlich der Binnenmarktentwicklung hinaus.
Wir wollen in diesem Zusammenhang nicht näher auf die Schweirigkeiten mit einer Strategie der Importsubstitution, also dem Ersetzen von Importen durch inländische Produktion, eingehen. Wenn gleich auch viele Entwicklungsländer durch Importsubstitution einigen Erfolg beim Aufbau inländischer Industrien im Rahmen einer gemischten Wirtschaftsordnung, in der Genossenschaften, öffentliche und privatwirtschaftliche Unternehmen eine gleichwertige Rolle spielten verzeichnen konnten. Solche Strategien stehen in der lang anhaltenden Phase der Wirtschaftsentwicklung meistens irgendwann vor dem Problem der Investionssicherung, insofern im Rahmen der Importsubstitutions-Politik vielfach Investitionen induziert werden, die nur bei anhaltendem Schutz bzw. dauerhafter Förderung überleben können und daher ständige gesamtwirtschaftliche Verluste bedingen.
War dieses Konzept der Deglobalisierung noch von einer politischen und einer nicht zu unterschätzenden ökologischen Vision getragen, die übrigends auch westlichen Volkswirtschaften gut zu Gesicht stünde, solange keine wirklich integrierte Weltwirtschaft funktioniert, so wurde der Begriff in der Finanzkrise 2009 zu einem „Schreckgespenst, [das] den politischen Nationalismus anfacht.“ So von dem damaligen britischen Premierminister Gordon Brown in Davos und der Heinrich-Böll-Stiftung im gleichen Jahr vorgetragen, stand der Prozess der Globalisierung, man merke, sogar in Great Britain, politisch alternativlos wieder im Raum.
Verkürzt um seine politisch-ökologische Vision und seiner Utopie einer weitgehend autonomen Entwicklung ökonomisch schwacher Länder, die weder dem Wettbewerb noch den Finanzmarktschwankungen widerstehen können, wurde er dem damaligen Diskurs der Finanzkrise unterpflügt.
Eigenartigerweise und auch unverständlicherweise war sich der Westen damals einig, dass Globalisierung der einzige Ausweg aus der Krise sei und warnte lautstark vor den desaströsen Folgen einer drohenden Deglobalisierung durch die Finanzkrise. Dabei hatte aber doch gerade ein völlig globalisierter Markt, der Finanzmarkt, zum größten Desaster in den westlichen Volkswirtschaften geführt; man könnte glatt am Sachverstand der westlichen Politiker zweifeln.
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1 Walden Bello führte, so weit zu übersehen ist, den Begriff Deglobalisierung in die öffentliche Debatte ein. Er hatte dabei aber nicht ein zwangsläufiges Ergebnis einer technologischen und ökonomischen Entwicklung im Auge, sondern eine Strategie des Widerstands gegen eine Politik, die Gesellschaften in den Entwicklungsländern mehr und mehr den Zwängen der globalen Märkte und den Interessen multinationaler Konzerne unterwirft.
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Walden Bello: De-Globalisierung. Widerstand gegen die neue Weltordnung. Herausgegeben von Oliver Nachtwey und Peter Strotmann. VSA-Verlag, 2005, ISBN 3-89965-091-3.
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