Krisenmarktwirtschaft

Die neue politische Ökonomie ist schwer in jedem Fall zu identifizieren. Ihr Kennzeichen deshalb ist Unkenntlichkeit. Unkenntlichkeit insofern, als man auf ihre Entscheidungen und Einflüsse auf die Wirtschaftsprozesse meist nur induktiv schließen kann; jedenfalls die von Bedeutung. So sind die Notenbankprogramme öffentlich der autonmen Entscheidungen ihrer Gremien zur Zins- und damit zur Inflationssteuerung zu verdanken. Aber jeder „weiß“, also ahnt mittlerweile, dass die Einflüsse der politischen Entscheidungsträger auf die Autonomie der Notenbanken erheblich sein dürfte. Man kann kaum die direkten Einflussnahmen wie auch die informellen benennen, sind die Notenbanken doch selbst keine demokratisch kontrollierten Institutionen, gleichwohl deren Gremien nicht ohnen politischen Einfluss zusammen gesetzt werden. Ein wenig offensichtlicher sind die Einflüsse der politischen Ökonomie im Rahmen des sog. Dieselskandals in der BRD zu Tage getreten, unmissverständlich waren sie in der Energiepolitik.1

Wir wollen die politische Ökonomie engführen mit unserem neuen Bgriff der Krise, die sich inmitten eines Transformationsprozesses der Marktwirtschaft zu einer „Weltwirtschaft“ ausbreitet. Wir haben uns dazu eingehend mit der Finanzkrise von 2007 und den folgenden Jahren beschäftigt und dabei den Zusammenhang zwischen Eigentumswirtschaft in Form der Privatbanken und die politischen Einflüsse auf die Immobilienwirtschaft in den USA herausgearbeitet. Dies war einer der ersten Fälle im neuen Jahrhundert, an dem diese Verstrickung von Politik und Ökonomie zu einer fast unkontrollierbar auf die Weltmärkte durchgeschlagenden Krise der Marktwirtschaft, man müsste eigentlich von einer politischen Marktwirtschaft sprechen, sichtbar geworden ist. Und wie erschreckend hoch das Ausmaß des politischen Einflusses bis hinein in die schier flächendeckenden Duldungen der Politik den kriminellen Machenschaften gegenüber im jeweils nationalen Investmentbanking in Europa und den USA z.B. gewesen ist, war ein Novum in der modernen Marktwirtschaft.

Wir haben den Begriff der Krise deshalb auch ausgeweitet auf außer-ökonomische Felder, weil wir zeigen wollten, dass die viel zu eng gefasste Bestimmung der Krise nach der politischen Ökonomie von Karl Marx unbedingt wieder „repolitisiert“ werden muss, weil ohne diesen Zusammenhang kein wirkliches Verständnis mehr, weder von moderner Ökonomie noch von aktueller Politik, möglich ist. Marx sah den Zusammenhang, wenn er die Krise des Kapitalismus als einen Prozess des Klassenkampfes beschrieb. Aus der Perspektive der Geschichte geht die marxistische Engführung in der von ihm unternommenen Art nicht auf, bleibt aber als Denkansatz prinzipiell richtig. Gleichwohl aber war es in der Wissenschaft der Ökonomik, wie wir auch bisher zeigen konnten, ein fataler Fehler, nun zu meinen, da die marxistische Prognose der Entwicklung der Wiedersprüche zwischen Kapital und Arbeit historisch nicht aufgegangen ist, auf eine Engführung von Politik und Ökonomie weitgehend verzichten zu können.

Heute sehen wir in Europa, dass dieser Zusammenhang mehr denn je aktuell ist. Und zwar in einer Weise, die mittlerweile eine politisch-ökonomische Krise vorstellt, die mit der Phantasie von vor wenigen Jahrzehnten nur als Kriegszenario vorstellbar war. Und dabei wird auch wieder deutlich, dass kein einzelnes Unternehmen gleich welcher Größe und Bedeutung je in der Lage war, Krisen solchen Ausmaßes wie die Finanzkrise 2007 z.B. auszulösen. In der EU reift langsam die Einsicht, dass es kein vorstellbares, ökonomisches Szenario mehr gibt, das einen neuerlichen, prognostiziert weit tiefer greifenderen Eingriff der Krise in der EU noch verhindern könnte.
Im Zusammenhang mit der aktuellen Schuldenpolitik in Italien zeigt sich die fundamentale und zugleich fatale Verstricktheit der politischen Ökonomie auf der Ebene einer Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft. Gleichwohl Europa noch längst kein wirklicher Wirtschaftsraum mit einer intergrierten Wirtschaftspolitik ist, sondern auch und lediglich eine assoziierte Form der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ist, ist, wahrscheinlich auch gerade deshalb, die Situation ausweglos verfahren.

Weder hilft eine Austeritätspolitik in Italien, die vorher bereits in Griechenland mehr schlecht als recht nur funktionierte, da Italiens Wirtschaft in eine so tiefe Rezession geraten würde, dass daran nicht nur Italiens Wohlstand nachhaltig zerstört würde, sondern daran auch der Euro und die EU zerbrechen würden.
Die Inflation in Ländern wie Deutschland etwa um das Maß zu erhöhen, als die Schuldzinsen in Italien steigen, um einen Ausgleich zu schaffen, würde Deutschland mit einer Inflationsrate von über 6% über längere Zeiträume belasten, was weder für den Euro noch die EU ratsam wäre, abgesehen von der deutschen Wirtschaft und den deutschen Sozialsystemen.
Die EZB hat für die italienischen Schulden keine Gegenmittel, alle Rettungsfonds zusammen könnten allenfalls vorübergehend für vielleicht zwei Jahre einen Abfall in eine Rezession verhindern und von den Kapitalmärkten ist ebenso keine Rettung zu erwarten, das italienische Staatsanleihen, mittlerweile fast auf Ramschniveau notierend, weder attraktiv sind, solange Italien im Euro ist, noch von den italienischen Notenbanken jemals zu den Zinssätzen bedient werden könnten, die die Kapitalmärkte im Spread, also im Risikoaufschlag auf den Referenzzinssatz der EZB erwarten.

Welche Auswirkungen die Krise der politischen Ökonomie in Europa hat, haben wir an Griechenland bereits gesehen. Die Dimension, die die Krise in Italien annehmen kann – und wahrscheinlich auch wird – ist kaum vorstellbar.
Und bei alledem ist der Transformationsprozess der Volkswirtschaften für sich genommen noch gar nicht berücksichtigt. Wie wir eingangs angesprochen haben, befiden sich die westlichen Volkswirtschaften nicht einem Prozess der Deglobalisierung. Dieser ist als ein gegenläufiger dem Prozess der Globalsierung inhärent, der aber nach wie vor dominant und fortschreitend dynamischer verläuft2.

Seine Dominanz und seine fortschreitende Dynamik2 befördern im Sinne der politischen Ökonomie eine zunehmende nationalistische Wirtschaftspolitik mit zunehmenden Eingriffen des Staates in die Wirtschaft, vor allem über die Notenbanken und einen fortschreitenden Protektionismus in den globalen Handelsbeziehungen, der vor allem in der Neuaufteilung des globalen Handels über internationale Handelsabkommen, transnationale Abkommen in Forschung und Entwicklung vor allem bei der Digitalisierung der Wirtschaft sowie im Neuaufbau transnationaler Wertschöpfungsketten und der Schaffung von Plattform-Ökonomien bis hin zu einer Philosophie der bargeldlosen, bankenunabhängigen Geldwirtschaft über Kryptowährungen sich realisiert.

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AusteritätspolitikSpread


1 Es gäbe Tausende von Anhaltspunkten und Beispielen für eine politische Ökonomie in unserem Verständnis. Wir greifen immer wieder das ein oder andere auf.
2 Auf der rein ökonomischen Ebene erkennt man die fortschreitende Dynamik an der schier hysterischen Transformation zu digitalen Techniken und der Künstlichen Intelligenz, auf die wir später eingehend zu sprechen kommen werden.


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