Reicher durch Schulden?

Wo man also auch hinschaut, überall wird um die richtigen Bewertungs- und Entscheidungsspielräume in den Staatshaushalten gerungen. Was der politischen Ökonomie auch einfällt zur Konsolidierung der Finanzen, es gibt gleich mehrere Seiten, von denen Kritik nicht ganz zu Unrecht sicher ist. Und man reibt sich gelegentlich verwundert die Augen, wer da alles sich zur Allianz mit wem einfindet. So etwa bestehen zu weiten Teilen in der Analyse große Konkordanzen zwischen dem IWF und Gewerkschaften; man glaubt es kaum.

So kommen gewerkschaftsnahe Autoren und Organisationen in steter Regelmäßigkeit zu einer strukturell gleichen Betrachtung wie der IWF, wenn es darum geht, den Diskurs zu „drehen“. Aus einer Betrachtungsweise, die allein auf Schulden und Defizite in den Staatshaushalten basiert, wird dann eine, die die öffentlichen Vermögen in den Blick nimmt. Diese Betrachtung kommt dann zu dem beruhigenden Schluss, dass die öffentlichen Vermögen die Schulden im Euro-Raum gegelmäßig übersteigen und, nebenbei, auch die Schuldengrenzen nach den Maastrichtkriterien deutlich übererfüllen.

Feigel (2017)1 zählt das Vermögen der öffentlichen Hand so zusammen: „Dieses setzt sich aus öffentlicher Infrastruktur wie Schulen, Spitälern und anderen Gebäuden, Verkehrswegen, öffentlichen Transportmitteln, Grundstücken, Seen, Wäldern, Kunstgegenständen, Wissen u.v.m.“. So deckt sich nun vermeintlich eine Unternehmensbilanz mit einer Staatsbilanz, weil beide Seiten Soll und Haben einander entsprächen. AK-Ökonom Georg Feigl hat dann auch gleich ganz im Geiste der Arbeitskammer Wien (AK) ein neues magisches Vieleck der Wirtschaftspolitik vorgeschlagen, in dem die Schulden keinen Grund mehr für Sorgen abgeben, solange sie nur als Vermögenswerte wie in Unternehmen bilanziert werden.

So haben sich auch die Feudalherren der Neuzeit reich gerechnet – wenn die überhaupt gerechnet haben – und ihre Schlösser und Ländereien als ihre Vermögenswerte betrachtet. Wie wir bereits in anderen Zusammenhängen diesen „Bilanzirrtum“ aufgeklärt und den Schlossherren als „Maintenance-Kosten“ bzw. carrying cost ins historische Stammbuch geschrieben haben, so verwundert und einmal aufs Neue, wie lebende Ökonomen mit so wenig Geschichtserkenntnis auskommen. Dieser neofeudale Betrachtunsansatz2 lässt aber nicht nur die Maintenace-Kosten außer Betracht, sondern auch noch die zweite Frage jeder Unternehmens-Due-Diligence: Ob denn das Anlagevermögen auch für den Käufer einen Wert besitzt?

Man kann heute bei den Abschreibungskosten, wie Feigel dies tut, nicht mehr einfach einen Zinsfuß von 3% anlegen und meinen, mann hätte damit seine Arbeit getan. Es stimmt, und das zugleich auch ärgerlich, wenn Ökonomen in Unternehmen und im Staatsdienst Abschreibung nach dem Ewigkeitsprinzip bilanzieren und sich wenig um den tatsächlichen Abschreibungszeitraum wie um die Wertstellung des Anlagevermögens kümmern. Sachanlagen z.B. haben im Zeitalter der Digitalisierung von Geschäftsprozessen und neuen Geschäftsmodellen sowohl ganz andere Abzinsungs- wie Verwendungszeiträume wie Verwendungswerte. Was unter „normalen“ Bedingungen in einem Zeitraum von z.B. zehn Jahren abgeschrieben werden konnte und am Ende sogar noch einen Produktivwert hatte, kann unter Aspekten der Umstellung auf digitale Prozesse (Industrie 4.0) heute bereits völlig wertlos sein.

Die zweite Frage: was bezahlt jemand für staatliche Vermögenswerte, dürfte sich auch jedem Ökonom aufdrägen, der Unternehmens- mit Staatsbilanzen überein zu bringen versucht. Wer kauft schon und zu welchem Preis eine Grundschule in Essen-Katernberg und gleich noch die A 40 dahin, zumal die ja gerade vom Verwaltungsgericht als befahr-untauglich eingestuft worden ist? Und bislang so wie so keine Rendite abwirft, also lediglich Kosten. Kann man Kosten als Wert bilanzieren? Man kann, anscheinend. Aber mit einer kaufmännisch seriösen Bilanz hat das nichts zu tun.

Einfacher erscheint es auf den ersten Blick, wenn man Kunstwerke aus staatlichem Besitz bilanzieren möchte. So ein museales Kunstwerk hat in der Regel überschaubare Maintenance-Kosten und auch einen Wert, teils nicht unerheblich. Auch Käufer kämen in Frage, zu Schaaren wohl; also alles in Ordnung damit, wenigstens hier in diesem Vermögenssegment eine Betrachtungsweise anzusetzen wie in Unternehmensbilanzen? Mitnichten. Denn welche Cashflow-Methode will man bei Kunstwerken ansetzen? Welchen Zeitraum und welchen Zinsfuß?
Kunstwerke haben für Bilanzbuchhalter die unliebsame Eigenschaft, dass sie Jahrhunderte, wenn nicht länger, als Vermögenswerte bilanziert werden können und dabei sowohl an Wert gewinnen wie an Wert verlieren können, jedenfall in keine Abschreibung hineinpassen.

Es wäre also leicht, sich Finanzministerien vorzustellen, die mit äußerst kreativer Buchführung die Vermögenswerte des Staates erfassen. Je nachdem, wie man diese Preise dann berechnet, können die Werte auch recht ambitioniert ausfallen und die Bilanzen bei Wertverlusten extrem strapazieren. Dass mit den Bwertungsmethoden zugleich auch enorme Entscheidungsspielräume geöffnet werden, versteht sich von selbst. Nur, dass Bilanzberichtigungen in der Regel einfacher und schneller von der Hand gehen, als die Ergebnisse erweiterter Entscheidungsspielräume irreversibel sind; eine Bundesautobahn ist da wenig disponibel wie auch Grundstücke, Seen und Wälder und dabei sind die Imponderabilitäten der Natur und von Menschen verursachte Umweltschäden nicht einmal einbezogen.

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„Maintenance-Kosten“neofeudaler Betrachtunsansatz


1 Georg Feigel: Öffentliche Vermögen – abseits der Schuldenparanoia. In A&W Blog 12. September 2017

2 Wir benutzen den Ausdruck: neofeudal in verschiedenen Bedeutungen, aber alle gleicher Kernbestimmung. Hier im Kontext der ökonomischen Bestimmung von Staatsvermögen aus einer privatrechtlichen Sicht, einer Unternehmenssicht, stehen folgende Kernbestimmungen im Vordergrund. So verstanden, wird auf ein transgeneratives Volksvermögen wertstellend zugegriffen, als wäre es eine veräußerbare Sache. Das Finanzministerium behandelt sodann das Vermögen wie „sein“ Eigentum. Die Nutznießer des Eigentums werden wie ein Bestandtteil des Wirtschaftsgutes betrachtet, an das sie qua Nutzung gebunden sind. Volksvermögen erscheint dann wie ein Lehngut, dessen Nutzung Steuern und Abgaben rechtfertig, aber keine Mitsprach bei dessen Wertbemessung bzw. Verkauf oder Leasinggeschäften – so desöfteren im kommunalen Bereich bereits geschehen. Zur Beurteilung des Neofeudalismus als Wirtschaftssystem der politischen Ökonomie gehört dann auch, dass ein Teil der Einnahmen des Finanzministerium aus der politischen Ökonomie als quasi patriarchale Almosen (in der Höhe und Verfügung der Regierung) an „treue Vasallen“ wieder verteilt werden. Dies wird z.B. deutlich an der Refinanzierung von staatlich geförderten Privatschulen.
Privatschulen müssten nach dem Grundgesetz eigentlich allen Kindern offen stehen und ürfen keine Kosten erheben. Doch stattdessen herrscht in diesem Schultyp eine sehr hohe soziale Selektivität und sind Schulgelder an der Tagesordnung.
Laut aktuellem Bildungsbericht der Bundesregierung stehen den 30.600 „normalen“ Schulen mit öffentlichem Träger 3.575 mit einem freien Träger entgegen. Seit 2004 hat sich ihre Anzahl um 33 Prozent erhöht. Mittlerweile gehen circa neun Prozent aller Schüler in Deutschland auf eine Privatschule.
Die größte Gruppe unter den Privatschulen machen konfessionellen Schulen der christlichen Kirche aus. Etwa 2.000 Schulen – von der Grund- bis zur Berufsschule – werden von der evangelischen oder der katholischen Kirche unterhalten. Obwohl der Glaube keine Voraussetzung für den Besuch ist, spielt Religion dort natürlich eine große Rolle.
Es gibt aber auch Schulen, die verstärkt individuelle Talente fördern, wie zum Beispiel Sportgymnasien. Besonders beliebt sind internationale Schulen, an denen im englischsprachigen oder bilingualen Unterricht Fremdsprachen-Skills maximal gefordert und gefördert werden. Die meisten dieser Schulen haben zudem das amerikanische oder britische Schulsystem zum Vorbild. Dort macht man also nicht das deutsche Abitur, sondern das International Baccalaureate Diploma (IB).
Desweiteren gibt es zahlreiche „Reformpädagogische Schulen“ wie die nach Montessori-Pädagogik oder nach der Waldorf-Pädagogik unterrichten.
Am günstigsten kommt man vermutlich an einer konfessionellen Schule weg. Meist kommt man mit 50 bis 100 Euro im Monat hin und manche Einrichtungen verlangen gar kein Schulgeld.
Staatlich geförderte Privatschulen verlangen im Schnitt 100 Euro Fördergeld pro Monat, wobei man allerdings Kosten für Verpflegung etc. hinzurechnen muss, wodurch es eher 200 bis 400 Euro monatlich werden.
An nicht staatlich geförderten Privatschulen belaufen die Kosten sich durchschnittlich auf bis zu 850 Euro im Monat, dann allerdings inklusive der Nebenkosten.
Richtig teuer wird es meistens an den internationalen Schulen. Zwischen 4.000 und 18.000 Euro pro Schuljahr muss man einplanen. Es gibt aber auch einige wenige Ausnahmen wie die kostenlose Berliner John F. Kennedy German-American Community School.
Insgesamt spart der Staat bei diesen Schultypen der geförderten Privatschulen etwa 30% an Kosten im Vergleich zu staatlichen Schulen. Vgl. abi- unicum.de.

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