Toxische Kredite kennen wir bereits aus Kap. 5 und 7. Nun begegnen uns toxische ‚Guthaben‘ in Form von Goodwills und versteckten Bilanzpositionen. Wir haben solche toxischen Positionen in Bankbilanzen kennenngelernt und die schier unglaubliche Fülle der Verschleierungen durch Verbriefungen und Finanzderivate.
Nun kommt ein sehr langsam wirkendes aber hoch wirksames Gift aus der Küche der politischen Ökonomie hinzu, die sog. Non Performing Loans (NPL) im Euro-Währungsgebiet. Dabei geht es uns nicht in der Sache um diese „notleidenden“ Kredite, umgangssprachlich auch als „faule“ Kredite bezeichnet, sondern um deren Regulierung. Also um eine Frage der Aufsicht, die im Falle der NPL allein der Politik obliegt.
NPL wirken sich auf die Kreditvergabe der Banken an die Wirtschaft aus, sind also direkt ökonomisch wirksam als politische Ökonomie. Ein zeitnaher, planmäßiger und nachhaltiger Abbau notleidender Kredite in den Bankbilanzen ist essenziell für die Refinanzierung der Wirtschaft, denn in Verbindung mit einer allgemeinen konjunkturellen Erholung wirkt sich dies positiv auf die Kreditvergabepolitik aus. Der umgekehrte Fall ist implizite.
Nach der Finanzkrise 2007/08 haben sowohl die Bankenaufsichten der USA wie Europas große Anstrengungen unternommen, die Geldhäuser dazu zu bringen, faule Kredite in Zukunft schneller abzubauen als noch vor Ausbruch der Finanzkrise. Denn man war sich in Aufsichtskreisen einig, dass NPLs eines der Hauptrisiken für die Stabilität des internationalen wie des europäischen Finanzsektors waren und sind.
Die USA waren bei diesem Unterfangen schnell erfolgreich, was dazu geführt hat, dass die dort ansässigen Banken gerade einmal sechs Monate Zeit hatten, um nicht bediente, also toxische Kredite abzuschreiben. Anders in Europa. Hier ‚regiert‘ ein italienischer Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im Europaparlament, Roberto Gualtieri, – honi soit qui mal y pense – der die von der Aufsicht in der EZB vorgeschlagenen Regeln, den Amerikanern in einer Frist von zwei Jahren in Europa gleich zu tun, nun derart aufgeweicht hat, dass die folgende politische Diskussion im Europaparlament zu dem derzeitigen Ergebnis gekommen ist, weder die amerikanischen sechs Monate zur Abschreibung der NPLs zu übernehmen, nicht einmal den EZB Vorschlag auf zwei Jahre, sondern nun ganze neun Jahre den Banken zur Abschreibung ihrer toxischen Kredite einzuräumen.
Das hat natürlich erhebliche Auswirkungen in mehrerer Hinsicht. So bleibt der Bestand an toxischen Krediten bei Banken in Europa im internationalen Vergleich auf lange Sicht viel zu hoch. Europäische Banken bilanzieren „Guthaben“ (Habenseite der Bilanz), mit dessen Höhe aber auch ein enormes Risiko anwächst. Allein die Summe unbedienter Darlehen in italienischen Bankenbilanzen, so klagte die EZB Bankenaufsicht, betrage noch kanpp 160 Milliarden Euro und ist damit viel zu hoch.
Durch diese schwache Regulierung der Banken gerade in Italien wird eine europäische Risikoteilung erheblich erschwert, wenn nicht politisch gar unmöglich für lange Zeit, weil die Gegner der EU-Einlagensicherung sich mehr als bestätigt fühlen dürfen. Und eine europäische Bankenunion, die angestrebt und so schnell wie möglich verwirklicht werden sollte, um die enormen Unterschiede auf dem europäischen Finanzmarkt auszugleich, rückt in weite Ferne. Damit zugleich auch ein europäischer Aktienmarkt als Gegengewicht zu New York und Singapur verharrt in zersplitterte Minimärkte ohne Gewicht.
Dies alles mischt sich zu einer toxischen Politik, die ihr Gift in die Banken- und Finanzmärkte bis hinein in die europäische Wirtschaft injiziert. Und so bleibt auch fast jeder Ausweg Griechenlands aus dem Dilemma der Staatsschulden versperrt.
Ein Blick aber auf die griechische Variante des Umgangs mit einer „Staatspleite“, hier verniedlichend als Finanzkrise bezeichnet, macht deutlich, in welchem Ausmaß und mit welchen höchst zweifelhaften Methoden die griechische Regierung sich anmaßt, zum Retter ihrer eigene ökonomischen Inkompetenz sich zu stilisieren.
Griechenlands Notenbank hat sich nicht weniger als die Sanierung der vier tief unter der Kiellinie angeschlagenen Geschäftsbanken, der Piraeus Bank, Eurobank, National Bank of Greece und Alpha Bank zur Aufgabe gemacht. Allein diese „systemrelevanten“ Banken bilanzierten Mitte 2018 akut ausfallgefährdete Kredite in der Höhe von 88,6 Mrd. womit diese notleidenden Forderungen (NPE) 47,6 Prozent der Kreditsumme ausmachten. Die NPEs (Non-performing Exposures) der vier griechischen Banken haben zudem die unangenehme Eigenschaft, dass sie unter Berücksichtigung der „NPE-Zeitspannen“, also der Zeit seit ihrer Einstufung als eine Risikoposition und somit als notleidend bis zum jeweiligen Stichtag bzw. Meldetag bereits unter die Kategorien „Begleichung der Verbindlichkeit unwahrscheinlich“ (Unlikely to pay– UTP) bzw. „überfällig“ (past due) fielen, was schlicht gesprochen nichts anderes heißt als, das Geld ist weg.
Deshalb beinhaltet der Plan der griechischem Notenbank auch die Gründung einer „Zweckgesellschaft“, mal wieder eine sog. Bad Bank, deren einziger Zweck es ist, diese Papiere, die eine Summe von etwa 40 Mrd. Euro ausmachen, also etwa die Hälfte aller notleidenden Kredite, auf wundersame Art und Weise verschwinden zu lassen. Der griechische „Dream of Jeannie“1 ist nun so genial wie Jeannies Augenzwinkern, mit der sie Menschen und Dinge herbei und weggezaubert, nämlich der Rückgriff auf ein Finanzinstrumentarium aus der Zeit vor der Finanzkriese, das maßgeblich zur Finanzkrise geführt hat, Verbriefungen. Dass man das wagt und glaubt, die Investroren hätten Verbriefungen als die toxischen Pakte von Finanztiteln bereits vergessen, zeugt entweder von Respektlosikkeit vor der Intelligenz von Investoren oder von dreister Hybis.
Man verbrieft also dreist die NPEs, indem man sie mit virtuellen Steuergutschriften aus Verlustvorträgen in Höhe von etwa 7,5 Mrd. Euro unterlegt und tritt sofort diese als Eigenkapital verbrieften, virtuellen Steuergutschriften an die Zweckgesellschaft bzw. die Bad Bank ab. Verbrieft bzw. besichert sind somit Kredite, deren Status längst als „uneintreibbar“ gilt mit Steuergutschriften auf Erlöse, die nie eintreten werden für einen Sanktnimmerleinstag, also ein Datum, das auch nie erreicht werden wird.
Dann wird munter weitergerechnet. Die NPEs haben nun dank Jeannies Augenwinkern einen Buchwert, der an die Zweckgesellschaft übertragen wird. Am Ende der Rechnung werden die Bilanzen der vier Banken mit etwa 20 Mrd. Euro entlastet und so sind also aus uneiuntreibbaren Krediten 20 Mrd. an Einlagevermögen geworden. Natürlich verlieren die Bankinstitute mit der Abtretung von virtuellen Steuergutschriften des griechischen Finanzamts an die Bad Bank Eigenkapital; das übrigens nie da war und selbst als virtuelles Eigenkapital einiges an menschlicher Vorstellungskraft bedarf.
Aber es geht ja eigentlich darum, die toxischen Kredite aus den vier Banken heraus zu reduzieren und dies gelingt auf diese Weise. Die Qualität des Kernkapitals verbessert sich durch diese Bilanztricks.
Und jetzt kommt im finale grande dieser Schummelorgie an Buchungen heraus, dass nach dieser Bilanzbereinigung lediglich noch eine Finanzlücke von 3-5 Mrd. Euro bei den Instituten verbleibt, was gegen 40 Mrd. Euro doch schon recht gut aussieht. Die Finanzlücke soll dann durch Ausgabe von Genussscheinen gedeckt werden; ein Klacks noch.
Natürlich bleiben auch noch ein paar Fragen, ob dieser politische Schummelbeistand am Ande auch wirklich aufgeht, ob die Euro-Bankenaufsicht SSM und die EU-Wettbewerbshüter dem zustimmen werden, denn eigentlich können sie das nicht, weil die Übertragung der Steuergutschriften an die Zweckgesellschaft als unerlaubte Staatshilfe angesehen werden muss. Aber bei der derzeitigen Praxis im europäischen Parlament und in der Kommission dürfen da erhebliche Zweifel aufkommen.
Fraglich ist auch, ob sich überhaupt Anleger finden, die in die Schuldpapiere und die Genussscheine investieren. Aber für diese Produkte, die eigentlich nichts wert sind, gibt es einen Markt, der in etwa so strukturiert ist wie ein Pfandleihhaus oder eine Privatinsolvenz. Fonds, die solche Produkte für einen minimalen Wert gerade über Null kaufen und mit Gewinn verkaufen, gehen wie die Käufer davon aus, dass die Banken irgendwann durch die staatlichen bzw. politischen Rettungsprogramme wieder zu Vermögen kommen, auf das mit dem Zeitpunkt des Kaufes solcher Produkte quasi ein „Kuckuck“ klebt. Also ein Anspruch, der dann auch sogleich in einer Art Vermögenskonfiszierung vollstreckt werden kann, wenn nötig per Gerichtsbeschluss.
Solche unsichtbaren „Kuckucks“ kleben also noch eine nicht festgelegte Zeit in nicht geahnter Höhe bzw. Werten auf zukünftige Bankvermögen und sind durchaus eine Verunsicherung der Märkte, kosten also den Eigentümern Geld in Form schwächerer Aktienkurse und ausbleibender Renditen. Am Ende kosten sie Steuergelder, werden also von den Bürgern der europäischen Staaten bezahlt, auch von der Generation, die heute als Jugendarbeitslosigkeit in den Kreditbüchern als Schuldner in zwanzig Jahren und mehr steht.
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Non Performing Loans – EU-Einlagensicherung – Kernkapital
1 US-amerikanische Fernsehserie, in der durch Zufall der Astronaut Tony Nelson Meister eines Flaschengeistes wird, der ihm in Gestalt der attraktiven, aber teils etwas ungeschickten Blondine Jeannie jeden Wunsch erfüllt.
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