Alexis tanzt

Die Euro-EinfĂŒhrung in Griechenland, erzĂ€hlerisch behandelt, wĂ€re ein Schelmenroman; honi soit qui mal y pense! Eine schelmische ErzĂ€hlung einer modernen Tragödie aus Betrug und Verrat, Lebensfreude bis in den Selbstmord. Und am Ende steht noch die Lynchjustiz.
‚Das Leben lieben und den Tod nicht fĂŒrchten‘ ist nicht nur das Leitmotiv des griechischsten aller modernen griechischen Romane: Alexis Sorbas, es ist das Leitmotiv der jĂŒngsten Geschichte Griechenlands mit dem Regime der Obristen, das nach dem Putsch von 1967 das griechische LebensgefĂŒhl in Gewalt und UnterdrĂŒckung erstickte. Geblieben war den Griechen die Furchtlosigkeit vor dem Tod.

Als nach 1974 die Junta die Regierungsmacht verlor, hatten die bis heute nachfolgenden Regierungskasten gelernt, sich hemmungslos aus der Staatskasse zu bedienen, ihre komplette Verwandtschaft in Staat und Wirtschaft unterzubringen und so einem einzigartigen Klientelismus in Europa zu frönen, der nur noch von der italienischen Mafia ĂŒberboten wird. Die griechische Leitidee wurde zur griechischen Binsenweisheit: Alles, was man brauche, sei ein Offizier. Nachdem die Offiziere sind in Verwaltungsbeamte verwandelt hatten, galt das Wort „Fakilaki“, kleiner Briefumschlag, fĂŒr alles und jeden im privaten wie im Wirtschaftsleben.

In der Zeit nach der ersten, freien Parlamentswahl nach dem Ende der Griechischen MilitĂ€rdiktatur zwischen 1967 und 1974 und der EinfĂŒhrung des Euros im Jahr 2001 stieg das griechische BIP moderat, um ab 2001 steil anzusteigen bis zur Staatsschuldenkrise 2008, ab der es bis 2016 nur noch den Weg nach unten kannte. Das alles aber besagt wenig in unserem Kontext. Als Griechenland 1981 als 10. Mitglied in die EWG (EuropĂ€ische Wirtschaftsgemeinschaft) aufgenommen wurde, musste es auf seine damals recht hohen Importzölle verzichten, die die heimischen Produzenten vor dem auslĂ€ndischen Wettbewerb schĂŒtzten. Zwar erhielt das Land einiges an Wirtschafts- und Strukturhilfen, aber das stĂ€rkte seine WettbewerbsfĂ€higkeit wenig.

Das Resultat war, dass ein deutlicher RĂŒckgang der selbstĂ€ndig BeschĂ€ftigten zu verzeichnen war, der von 52 Prozent in 1981 auf unter 35 Prozent in 2008 fiel. Die LĂŒcke wurde nicht durch lohnabhĂ€ngige Erwerbsarbeit geschlossen und das Gesamtbild der griechischen Wirtschaft verzerrt durch die zunehmende ProsperitĂ€t von großen Konzernen, die als Importeure von GĂŒtern aus europĂ€ischen PartnerlĂ€ndern gerne gesehen wurden. Steuern zahlten diese Konzerne wenig und lediglich ein paar Jahre einer vorĂŒbergehenden Stimulierung der griechischen Wirtschaft und einem wirtschaftlichen Aufschwung, der hauptsĂ€chlich auf StaatsauftrĂ€gen beruhte, bescherte dem Land eine realwirtschaftliche Pseudoperspektive.

Griechenland hatte und hat außer dem Tourismus keine nennenswerte Exportwirtschaft. Es hatte und hat bis heute sogar ein riesiges Handelsdefizit im Agrarsektor, was jeden Tourist tagtĂ€glich verwundert, scheinen die klimatischen Bedingungen doch ideal, jedenfalls noch besser als die in Israel, das aus viel weniger viel mehr an Agrarexporten macht. Man wundert sich, einige der Tomaten kommen aus Holland auf die griechischen Touristentische, raffiniertes Olivenöl aus Deutschland in die Pfanne und natives Olivenöl, ursprĂŒnglich aus Kalamata, mit italienischem Markenetikett auf den griechischen Salat und die hollĂ€ndischen Tomaten.

Was man auf seinen FrĂŒhstĂŒckstischen nicht serviert bekommt, ist der Kapitalimport, den Griechenland jahrelang nach der EinfĂŒhrung des Euro zu verzeichnen hatte. Ausnahmslos alle Volkswirte werfen Griechenland diesen Kapitalimport vor, insofern sie in ihm die Ursache der Krise Griechenlands sehen. Das liegt nahe.
Die europĂ€ischen Lander haben das Gros der Kapitalforderungen zu verantworten, vornehmlich Deutschland und Frankreich bzw. die Banken beider LĂ€nder. Selbst die USA waren bei der Kreditvergabe an Griechenland wesentlich zurĂŒckhaltender, alle anderen auch die europĂ€ischen LĂ€nder sogar noch mehr. FĂŒr Griechenland war der Geldsegen wie ein spĂ€ter Marshall-Plan nach all den Jahren weit außerhalb der Marktwirtschaft, von der Griechenland so ĂŒberhaupt nichts wusste, weder zu Zeiten der Monarchie noch bei den Obristen.

Der Monarch lebte von der Ausbeutung von Boden und Menschen, die Obristen, meist reiche Familien, ebenso. Nur die Offiziere und Staatsdiener hatten einigen Nachholbedarf und griffen selbst ordentlich zu, wo immer eine Kasse offen stand. Und der junge demokratische Staat tat ein Übriges. Die Lohnkosten pro Staatsbediensteten verdoppelten sich fast nach Angaben der OECD im Zeitraum von 1999 und 2008, stiegen um sagenhafte 7,6% pro Jahr. Die Lohnkosten je BeschĂ€ftigten beim Staat wuchsen im selben Zeitraum um 62% oder 4,5% p.a.; eine schöne Lohnsteigerung, weit ĂŒber dem Durchschnitt in der Eurozone, ein krĂ€ftiger Schluck aus der Pulle und eine nie enden wollende Party.

Kein deutscher oder französischer Banker wollte gemerkt haben, dass allein die Lohnkosten beim griechischen Staat um mehr als 13 Prozent schneller wuchsen als die griechische Volkswirtschaft, die es gerade einmal auf 0,8% Wachstum p.a. brachte. WÀhrend die Lohnkosten in Deutschland im Zeitraum um etwa 15 Prozent stiegen, gelang den Griechen ein mÀrchenhafter Wohlstandswachstum von 95 Prozent in den Privathaushalten.

Der Lebensstandard der Griechen erreichte im Jahr 2008 knapp 82% von dem der deutschen ErwerbstĂ€tigen und, wen wundert es, die Griechen gaben auch ordentlich Geld aus und zwar wieder verglichen mit der damals drittgrĂ¶ĂŸten Industrienation der Welt etwa ĂŒber 90 Prozent. Das Rentenniveau eines griechischen Durchschnittsverdieners erreichte im Jahr 2006 nach einer aktiven Erwerbszeit von nur 15 Jahren satte 111% des durchschnittlichen Nettoverdienstes in der aktiven Zeit. Im Vergleich dazu mussten deutsche ErwerbstĂ€tige 35 Jahre aktiv BeitrĂ€ge zahlen, um auf einen Rentenanspruch von 61 Prozent des Nettoverdienstes zu kommen3; dem Kapitalexport der deutschen und französischen Banken sei Dank. Und natĂŒrlich mussten gerade diese Institute zuerst gerettet werden, als der griechische Staat unter der Schuldenlast zusammenbrach.

Die griechische Staatsverschuldung lag 2017 mit 323 Mrd. Euro bei 160% des BIP, das bei knapp 200 Mrd. Euro lag. Das war also das Ergebnis eines von Banken initiierten europĂ€ischen Marshall-Plans, eine Phantasmagorie „blĂŒhender Landschaften“ Arkadiens. Stellen Sie sich vor: jeden Morgen klingelt es, Sie öffnen, und jemand hat Ihnen einen Sack Geld vor die TĂŒr gestellt. Was tun Sie? Was tun Sie nach einer langen Zeit der Monarchie, in der Sie von feudalen Großgrundbesitzern beherrscht wurden, die auf ein vierhundert Jahre langes osmanisches Reich folgten? Ende des 19. bis hinein in das 20. Jahrhundert war das griechische Staatsgebiet ein Flickenteppich, der alle paar Jahre durch Krieg und Besatzung sein Aussehen Ă€nderte.

Als Griechenland den Euro einfĂŒhrte hatte es kleine Etuden der Marktwirtschaft erlernt, vor allem durch einige Jahre intensiver Wirtschaftsbeziehungen mit der BRD. Aber die BĂŒrger Griechenlands waren eher arm, an der Demokratie wie an der Marktwirtschaft völlig unerfahren, was bis heute noch anhĂ€lt. Die griechischen WĂ€hler glaubten Jahrzehnte lang, dass erfolgreiche Neofeudalisten, einige von ihnen auch verehrte FreiheitskĂ€mpfer, die aber nie etwas anderes als ihren Vorteil im Sinn hatten, die besten StaatsfĂŒhrer seien; solche weitverbreitenden Irrglauben gibt es allerdings nicht nur in Griechenland. Selbst die USA hat darin Mehrheiten bei Wahlen.

Als Griechenland in die EU und die gemeinsame WĂ€hrung aufgenommen wurde, ĂŒbrigens nur durch die massive Intervention des damaligen Bundeskanzlers Kohl, erfĂŒllte das Land wohl keines der Maastricht-Kriterien. Von einer Konvergenz, einer Übereinstimmung mit marktwirtschaftlichen Wirtschaften und eine auf demokratischen Institutionen aufgebauten Verwaltung des Staates war das Land weit entfernt und ist es in vielen Sachlagen auch heute noch.

Eine effiziente Steuerverwaltung gibt es bis heute nicht, GrundbĂŒcher, KatasterĂ€mter, Aufsichtsbehörden usw. mĂŒssen noch aufgebaut werden. Nicht nur die sog. Reichen des Landes beherrschen den Staatsbetrug. Steuerhinterziehung hat sich in Griechenland zu dem konstanten und stĂ€ndig wachsenden PhĂ€nomen entwickelt, das verheerende Auswirkungen auf die öffentlichen Einnahmen und damit die öffentlichen Finanzen hat. Die nicht vorhandene Steuermoral ist eine der großen Krankheiten des Landes und die Steuerhinterziehung ihre chronische AusprĂ€gung, die gleichsam der Volkssport der Griechen ist, neben Fußball, versteht sich.

MilliardenbetrĂ€ge wurden und werden vorbei am Fiskus ins Ausland transferiert. Die Abgabenquote, d.h. die Summe aller Steuern und SozialbeitrĂ€ge im VerhĂ€ltnis zum BIP stieg in den Euro-LĂ€ndern im Jahr 2012 auf 40,4 Prozent des BIP, in Griechenland lag sie 2012 bei 33,7 Prozent, also fast sieben Prozent darunter4. SelbstĂ€ndige wie Ärzte oder AnwĂ€lte rechnen sich unkontrolliert regelmĂ€ĂŸig arm, Taxifahrer, Handwerker oder GĂ€rtner gaben nie gerne Quittungen und solche, die auf den lustigen kleinen DrahtfedermĂ€nnchen auf den Touristentischen sich im sanften Abendwind wiegen, werden, nachdem der letzte Gast die Taverna verlassen hat, komplett in den MĂŒll geschmissen.

Kein Wunder, dass die Summe der rechtskrĂ€ftigen Steuerschulden in Griechenland Anfang 2016 auf den historischen Rekordstand von 85 Milliarden Euro gestiegen war, was etwa die HĂ€lfte der derzeitigen griechischen Wirtschaftsleistung entspricht und zu den insgesamt 290 Mrd. Euro Staatsschulden eigentlich noch hinzugerechnet werden mĂŒssten, denn wer soll die wann, wie eintreiben.

6.000 Körperschaften wie Aktiengesellschaften und GmbHs stehen beim griechischen Fiskus mit weiteren 30 Milliarden Euro im Obligo. Allein die Griechischen Staatsbahnen (OSE) vergessen regelmĂ€ĂŸig ihre rund 1,6 Milliarden Euro an Steuerschulden; aber Bahnfahren ist wie Busfahren billig in Griechenland und wird es wohl auch bleiben mĂŒssen.
Keine Regierung hat es auch nur annĂ€hernd bislang geschafft, die Steuerhinterziehung effektiv zu bekĂ€mpfen und eine funktionierende Verwaltung aufzubauen, Fakilaki sieht man allenorts. Bis heute gibt es keine effektive Finanzverwaltung, was schon erklĂ€rt, warum Griechenland bei seiner Aufnahme in die EU, sagen wir mal, nur mangelhafte Statistiken ĂŒber den griechischen Haushalt vorgelegt hat. Das passiert heute noch und wenn man liest, Griechenland macht wieder Schritte auf die internationalen FinanzmĂ€rkte zu und legt eine Steigerung des BIPs in Höhe von 2,4% vor, dann darf man die genaue Zahl hinter dem Komma durchaus anzweifeln.

Wenn Volkswirte heute höchst genaue Rechnungen vorlegen ĂŒber den griechischen Schuldenstand und dessen TragfĂ€higkeit bis 2060 analysieren, dann bleiben solche Rechnungen in weiten Teilen nach wie vor schleierhaft, da der Vollzug des griechischen Haushalts bislang nicht wirklich ĂŒberwacht wurde, weder von griechischen noch von externen Institutionen wie Eurostat oder der EU-Kommission und noch immer kein Außenstehender weiß, wie prekĂ€r die Lage im Land nun wirklich ist.

Griechenland ist auch heute noch ein Land in der EU, in dem die Korruption allgegenwĂ€rtig ist, beim Arzt, im Krankenhaus, auf dem Bauamt, in der FahrprĂŒfung; oft kommt man nur mit „Fakelaki“, einem „UmschlĂ€glein“ voller Geldscheine weiter. 13,5 Prozent der Griechen haben in einer Umfrage offen eingerĂ€umt, Fakelaki zu zahlen, rund 1.450 Euro im Jahr. Das muss man beachten und zwar von zwei Seiten. Einerseits treibt es das Land in den Ruin, andererseits ist ohne Fakelaki kein „normales“ Leben fĂŒr die BĂŒrger Griechenlands möglich.
In ihrem Bericht von 2017 stellt „Transparency International“ fest, dass Griechenland beim Korruptionsindex auf Platz 94 von insgesamt 174 LĂ€ndern abgerutscht ist und damit innerhalb der EU-LĂ€nder den letzten Platz einnimmt, d.h. Griechenland hat die höchste Korruptionsrate in der EU noch vor Italien.

FĂŒhrend in der EU ist die griechische Vetternwirtschaft. Die Einstellungspolitik im öffentlichen Sektor, hier als die Wirtschaftsbereiche: Öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Erziehung und Unterricht, Gesundheits- und Sozialwesen adressiert, mittels Partei- oder GĂŒnstlingsnetze, hat in der griechischen Geschichte Tradition. Die Familien Papandreou, Karamanlis und Mitsotakis regierten in Griechenland, von einer siebenjĂ€hrigen MilitĂ€rregierung unterbrochen, seit dem Ende des 2. Weltkriegs.
Sie haben Griechenland mit einem dicht geknĂŒpften Netz von Patronage und Vetternwirtschaft ĂŒberzogen und unter dem Stichwort: Rousfet, GefĂ€lligkeit, wurden ParteigĂ€nger in Griechenland mit Beamtenposten belohnt, versorgen Abgeordnete, BĂŒrgermeister, PrĂ€fekten und Gemeindevorsteher ihre Wahlhelfer mit Arbeitsstellen inklusive FrĂŒhrentengarantie. So war und ist der durch Vetternwirtschaft aufgeblĂ€hte öffentliche Dienst in Griechenland ist ein riesiges Problem. WĂ€hrend in Deutschland etwa jeder siebte BeschĂ€ftigte eine Anstellung oder als Beamter beim Staat hat, ist es in Griechenland jeder Vierte.

Das ist aus einer normalen Volkswirtschaft nicht zu finanzieren. In Griechenland akzeptierte der staatliche Arbeitgeber selbst in den ersten Krisenjahren zwischen 2008 und 2009 eine Lohnsummensteigerung im Sektor der Staatsbediensteten öffentlichen Sektor um insgesamt fast 20%, wĂ€hrend im gleichen Zeitraum bereits die Lohnsumme durch die zur Massenarbeitslosigkeit hin steigende Wirtschaftskrise bis zum Jahr 2014 um knapp ein Viertel sank. Der öffentliche Sektor vollzog also die Krise im privaten Wirtschaftssektor ĂŒberhaupt nicht mit; wie auch, wĂ€re zur Massenarbeitslosigkeit doch ein großer Teil der Staatsbediensteten von etwa einer Million BeschĂ€ftigten hinzugekommen.

Und auch im Sektor Schattenwirtschaft6 zeigt Griechenland blĂŒhende Phantasien und einen beherzten Tanzstil. Jeder vierte Euro wird schwarz erwirtschaftet. Das ist ein europĂ€ischer Spitzenwert, den eigentlich jeder bei Italien vermutet hĂ€tte. GeschĂ€tzt gehen dem griechischen Staat jĂ€hrlich mehr als 30 Milliarden Euro Steuereinnahmen perdu. Benzinschmuggel, illegaler Kraftstoffhandel Spritpanscherei, im Baugewerbe, in der Landwirtschaft, kaum ein Sektor bleibt von der Schattenwirtschaft verschont und selbst fĂŒr das Jahr 2019, also noch vielen Besuchen der sog. Troika, wird noch immer ein Umfang der Schattenwirtschaft in Griechenland von ĂŒber 19 Prozent des offiziellen Bruttoinlandsprodukts prognostiziert.

Die Erfahrung der Griechen mit der Marktwirtschaft und der Gemeinschaft souverĂ€ner Staaten hatten schon eine Menge an akademischen Humor, als Yanis Varoufakis, der ĂŒber die Liste von SYRIZA ins griechische Parlament gewĂ€hlt worden war und vom 27. Januar bis zum 6. Juli 2015 Finanzminister im Kabinett Alexis Tsipras war, die 28 StaatsoberhĂ€upter der EU mit der Spieltheorie im Rucksack ein griechisches Modell bedingungslosen Geldausgebens des Staates als eine Entscheidung fĂŒr die SoliditĂ€t des Euro aufzutischen versuchte.

Varoufakis verteilt heute keine Wahlgeschenke mehr an die Griechen, aber haufenweise BĂŒcher zur Spieltheorie und einem bemitleidenswerten, narzisstischen Schaden, den ihn die Staatschefs damals aus Unkenntnis und UnglĂ€ubigkeit ins Ego geschlagen haben; in Deutschland gehen seine BĂŒcher sehr gut ĂŒber den Ladentisch. Wahlgeschenke verteilt der Chef selbst und zwar ĂŒppig und unter den Augen der Troika. Mit 280 Mrd. Euro Schulden aus Sicht der öffentlichen GlĂ€ubiger, die ihre Zusagen mit entsprechenden fĂŒr Reformen verbunden hatten, im Sparbuch, spricht Tsipras zu den Seinen von einer „Befreiung“ und meint damit den Weg auf die BĂŒhnen der FinanzmĂ€rkte, die Griechenland mit tĂ€nzelnden Schritten wieder zu betreten versucht. Die EU-Vertreter und der IWF sind enttĂ€uscht und schockiert ob der ausgebliebenen Reformen und der finanziellen FreizĂŒgigkeit der griechischen Regierung.

Die zugesagten Reformen in der griechischen Finanzverwaltung, im Gesundheitswesen, in der öffentlichen Verwaltung sowie verschiedenen Privatisieren sind ganz oder ĂŒberwiegen ausgeblieben. Es gibt keine Regelung fĂŒr Privatinsolenzen, was Investoren nicht gerade anlockt. Immer noch sind ĂŒberschuldetet Wohnungs- und Hausbesitzer weitestgehend geschĂŒtzt vor einem Besuch eines Beamten zur Zwangsvollstreckung. Kein Wunder, dass gerade diese Klientel sich geradezu ermuntert dazu sieht, Hypothekenkredite einfach mal nicht mehr zu bedienen, obwohl sie es vielfach könnten. Die Forderungen von GlĂ€ubigerinstitutionen und Banken nach einer Lockerung der Schutzbestimmungen privater Immobilienbesitzer mit dem Ziel, solche toxischen Kredite schneller abbauen zu können, lĂ€uft ins Leere. Die EU hat damit auch in Zukunft diesen ganzen Problembereich quasi im GepĂ€ck.

Tsipras scheut natĂŒrlich unpopulĂ€re Reformen. Aber unpopulĂ€r ist eine grandiose Verharmlosung der Situation. Griechenland ist pleite und das bis in hundert Jahren. Und jetzt im Wahlkampf verspricht der Premier der Ă€ltesten Demokratie der Welt, ohne ĂŒberhaupt auch nur eine Absprache mit den GlĂ€ubigern, also den eigentlichen, zwischenzeitlichen Besitzern des griechischen Staates, zu treffen, die Einstellung mehrerer Zehntausend an Staatsbediensteten, erhöhte den Mindestlohn um 11 Prozent und annullierte eine bereits mit den GlĂ€ubigern vereinbarte und beschlossene Erhöhung der Mehrwertsteuer per ordre de mufti.

Der ESM, der die Bewilligung zugesagter Gelder an Griechenland steuert, kann, wie im Moment, Gelder aufgrund nicht getĂ€tigter Reformen zurĂŒckhalten und das sind beileibe keine kleinen Summen, Ă€ndern an der Situation in Griechenland kann er politisch nichts. Und das zeigt das Dilemma im europĂ€ischen Modell: bereits bei nur einem Land wie Griechenland liegen europĂ€ischer Anspruch und Wirklichkeit teilweise weit klaffend auseinander. Die Lebenswirklichkeit der Griechen und das sind ja europĂ€ische BĂŒrger und nicht nur Griechen wie bei einem Drittland, diese Lebenswirklichkeit macht es unmöglich, schnell und effizient richtige Entscheidungen umzusetzen, sowohl fĂŒr die Regierung wie die EU-Institutionen.

Wenn gleich auch die Rettungsschirme etwas zu spĂ€t installiert wurden, die EZB ihr Mandat ĂŒberstrapazierte und hinter einer semantischen Verdunkelung staatliche Rettungspolitik in hohem Ausmaße begann, ist doch erkennbar, dass die EU bei aller ungerechtfertigten Schelte dem griechischen Staat sehr weit entgegen gekommen ist und die EU-BĂŒrger, allen voran Deutschland und Frankreich in eine erhebliche Haftung fĂŒr griechische Schulden genommen wurden.

Und die griechische Sozialpolitik wird auch weiterhin erhebliche Summen aus fremden Kassen benötigen, um griechische Rentnerinnen und Rentner in einem Rentensystem zu versorgen, welches sich Athen ohne zusĂ€tzliche Schulden nicht leisten kann. WĂ€hrend die EU durchschnittlich etwa 13 Prozent der Wirtschaftsleistung an die Rentenkassen ĂŒberweist, sind das in Griechenland fast 18 Prozent7. In Griechenland liegt die Durchschnittsrente bei 960 Euro, was 63 Prozent des Durchschnittseinkommens entspricht. In Deutschland zum Vergleich lag die Durchschnittsrente im Westen Ende 2013 bei 734 Euro und im Osten bei 896 Euro.

Folgte man den Analysen des IWF und von Sinn (2015), dann mĂŒssten die Löhne und GehĂ€lter in Griechenland drastisch reduziert werden wie auch die Preise bei der Herstellung von GĂŒtern und Halbzeugen und zwar in einem Ausmaß von mehr als 30 Prozent, wenn das genĂŒgte. Schaut man nur auf die Preise, sind das volkswirtschaftliche Phantasmagorien, denen politisch keine RealitĂ€t entspricht. Sinn vergleich die Preisentwicklung von Griechenland mit der von Irland und kommt so natĂŒrlich zu den SchlĂŒssen, die sich aus dieser Perspektive aufdrĂ€ngen. Griechenland hat im EU-Binnenmarkt keine nennenswerten Wettbewerbschancen, außer im Tourismus. Griechenland kann also die Vorteile stark reduzierter Löhne fĂŒr die Herstellung exportfĂ€higer GĂŒter und Halbzeuge nicht erreichen, die dann eine Exportwirtschaft ermöglichte, die die Einnahmen des Staates verbessert und auch im Inland zur Substitution eingefĂŒhrter Waren durch einheimische Produkte kĂ€me. Diese Idee einer florierenden Exportindustrie und eines binnenwirtschaftlichen Wachstums mit steigenden BeschĂ€ftigungsverhĂ€ltnissen, besseren Löhnen und GehĂ€ltern ist in Griechenland leider nur möglich auf der Grundlage, dass das Land durch eine tiefe Talsohle jahrelang gehen mĂŒsste, deren Ausweg keiner kennt, nicht einmal garantieren kann, dass es einen gibt.

Was Sinn ĂŒberhaupt nicht auf seinem Schirm hat, der einzig im Preisvergleich und Lohnsummenspiel der EU-Staaten sich bewegt, ist, dass Griechenland erstens gar nicht in der Lage ist, das irische Modell und Ă  la longe das englische oder amerikanische Modell zu kopieren mit seinen beschönigend klingenden flexiblen ArbeitsmĂ€rkten, die wir eingehend beschrieben haben, mit seinen fast schon zu Tode getrampelten Gewerkschaften und damit von Tariflöhnen, Löhnen und GehĂ€ltern, die ein Gesundheits- und Rentenwesen menschlicher WĂŒrde garantieren, sondern allein auf der Basis von LohnkĂŒrzungen, Billiglöhnen und Teilzeitjobs wirtschaftliches Wachstum ermöglichen, das als Wohlstand und gesellschaftliche Wohlfahrt immer weniger Menschen zugutekommt und die Spaltung in Arm und Reich vergrĂ¶ĂŸert, die in Europa keiner will.

Was Sinn ĂŒberraschenderweise völlig ĂŒbersieht, ist, dass das irische Modell sein wirtschaftliches und Exportwachstum eben einem Steueroptimierungsmodell im Outsourcing internationaler Konzerne verdankt, die damals, als es Irland schlecht ging und die Löhne es hergaben, massenhaft Arbeit auf die Insel brachten, von wo sie im Preisdumping weltweit und EU-weit wiederverkauft wurden. Gerade in Deutschland agierende Unternehmen haben diese Chance kreiert und genutzt, Verwaltungen, Rechnungsabteilungen, Call Center etc. nach Irland zu verlagern. SpĂ€ter wurden daraus Steuervermeidungs- bzw. hinterziehungsstrategien, mit denen sich Donald T. heute frustriert herumschlĂ€gt.

Und was Sinn ĂŒberhaupt nicht in den Sinn zu kommen scheint, da ist er regelrecht vernagelt fĂŒr solche Themen, ist das Faktum der Spekulation, die auch schon bei den deutschen und französischen Banken als generöse Kreditgeber an den griechischen Staat im Fokus stand. Griechenland macht gerade einmal 2,6 Prozent des BIPs der gesamten Eurozone aus. Und es bleiben Fakten, dass das Land bei der Aufnahme in die Euro-Zone buchhalterisch sehr kreativ gewesen ist und die Statistiker der europĂ€ischen Behörde Eurostat seit Jahren an der Nase herum fĂŒhrt, willentlich oder ohne besseres Wissen, dass Griechenland auch enorme Schulden aufgehĂ€uft hat und Reformen nicht durchfĂŒhrt wie vereinbart und theoretisch notwendig.

Die griechische Staatskasse aber so richtig erst belastet hat die Spekulation der FinanzmĂ€rkte gegen den Euro und damit vor allem gegen Griechenland. Sie trieb die Kosten fĂŒr die Aufnahme neuer Kredite durch Griechenland an den FinanzmĂ€rkten dermaßen in die Höhe, dass Griechenland schließlich die Waffen strecken musste und selbst die Rettungsschirme der EU nicht ausreichten, dem Grauen an den Börsen ein Ende zu breiten. „What ever it takes“ war das Menetekel von Draghi und der EZB, das dem Spuk ein vorlĂ€ufiges Ende gesetzt hat und Griechenland in eine Schockstarre versetzte; aber es ĂŒberlebte den völligen Zusammenbruch. Was immer man also auch gegen die EU ins Feld schickt, nichts davon hĂ€tte einen Sieg davongetragen, nichts wĂ€re wirksamer gewesen, vielleicht etwas schneller. Die EU hat Griechenland nicht hĂ€ngen gelassen und selbstverstĂ€ndlich war und ist niemand davon begeistert, auch nicht von den Aussichten in die Zukunft.

Herr Fukuyama versteht die europĂ€ische IdentitĂ€t nicht, weil fĂŒr ihn IdentitĂ€t etwas Identisches ist, etwas Gleiches, etwas in Harmonie. Das gab es in den letzten fĂŒnftausend Jahren nicht in Europa. Hier ist alles verschieden, unterschieden, widersprĂŒchlich, gegensĂ€tzlich, unvereinbar. Aber alles das ist Europa. Ein Deutscher ist ein EuropĂ€er und das ist keine IdentitĂ€t, die dazu kommt, wie etwas von außen. IdentitĂ€t ist; basta. Man ist EuropĂ€er als Deutscher, als Italiener, Grieche, Spanier und seit einigen Jahren wieder als Pole, als Slowene und alle die osteuropĂ€ischen LĂ€nder, die vor nicht allzu langer Zeit noch Teil der Sowjetunion waren. Man ist EuropĂ€er als eben diese Nicht-IdentitĂ€t, diese Unterschiede, diese Mannigfaltigkeit, von der die deutschen IdentitĂ€tsphilosophen schlechthin sprechen, als etwas Gleichen in einem anderen, von Fichte, Schelling, Kant und Hegel, um nur ein paar von ihnen zu nennen – wir kommen spĂ€ter darauf zurĂŒck.

Die Straßen in Europa waren nicht voll von Protest und Tumult, als Griechenland unter die Rettungsschirme kam, anders als die Migration aus Syrien anwuchs. In Madrid geht man gegen die Rebellion der Katalanen und in Barcelona gegen die Anmaßung Kastiliens auf die Straße. Das Baskenland, Nordirland, der ehemalige Balkan-Konflikt, alles das gehört zu Europa wie die fast achthundert Jahre Islam in Al Andalus oder die knapp siebenhundert Jahre auf Sizilien.

Das europĂ€ische Modell als ein experimentelles, lernendes Modell tat sich anfangs schwer zu akzeptieren, dass Spekulation auf den FinanzmĂ€rkten ein Teil, ein großer, wichtiger Teil der Marktwirtschaft ist; H-W. Sinn tut sich noch etwas schwer damit, er ignoriert diesen Einfluss der Spekulation gegen den Euro in seinem neuen Buch (2015) schlichtweg.

Die Griechenland-Krise und die Euro-Krise gehören zusammen wie die IdentitĂ€ten der BĂŒrger der verschiedenen Staaten Europas. Über neun Prozent Rendite musste Griechenland im Jahr 2010 privaten Anlegern bieten, damit Athen seine Staatsanleihen auf den internationalen FinanzplĂ€tzen verkaufen konnte, um seinen defizitĂ€ren Staatshaushalt refinanzieren zu können. Zwei Jahre zuvor waren es noch rund sieben Prozent und jeder Prozentpunkt mehr, den Griechenland an Zinsen zahlen muss, um Geld an den KapitalmĂ€rkten aufzunehmen, verschĂ€rfte die angespannte Finanzsituation weiter, bis Griechenland nicht einmal mehr seine laufenden Staatsausgaben, vor allem die GehĂ€lter fĂŒr seine Staatsdiener bewerkstelligen konnte. Dann kam die Abstufung der griechischen Staatsanleihen durch die Rating-Agenturen auf „Ramschniveau“ und danach gab es von Investoren nur noch Geld gegen exorbitante Zinsen; Griechenland war zahlungsunfĂ€hig, ein Schuldenschnitt ĂŒberfĂ€llig, der Sirtaki getanzt.

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[title]Begriffe – Anmerkungen – Titel – Autoren[/title]

„Fakilaki“ (auch Fakelaki)AbgabenquoteKorruptionsindexSchuldenschnitt


1 ‚Ein Hotelier beantragt einen staatlichen Kredit. Er erhĂ€lt eine Absage. Anderntags kommt er mit einem befreundeten Major wieder. Die Uniform macht’s möglich: Der Kredit wird genehmigt. Honorar 5 Prozent.‘
“Ein Artillerie-Oberst wurde fĂŒr Genehmigungen in der Hotelbranche als Mister Zehnprozent bekannt. „Als einige Skandale an die Öffentlichkeit kamen, wurden sie durch ein VerjĂ€hrungsgesetz vertuscht.“ Der Spiegel, Nr. 28/1969, S. 77. und 49/1973, S. 118 f.

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Griechenland Kpitalimporte
Quellen: Bank for International Settlements, EuropÀische Zentralbank, Berechnungen des ifo Instituts.

3 Vgl. OECD, Pensions at a Glance 2009, Paris. (2009), S. 121, S. 199 und S. 202
4 Quelle: eurostat 16.06.2014
5 Vgl: Corruption Perception Index, CPI.
6 Schattenwirtschaft EU
7 Quelle: Eurostat 2014
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