Die Marktwirtschaft ist eng betrachtet ein Idealzustand, bei dem Angebot und Nachfrage in einem Gleichgewicht sich befinden; so etwas gibt es nicht. Was es gibt, sind fließende Prozesse, in denen sich Angebote und Nachfragen einmal mehr oder weniger zueinander gewichten. Angebot und Nachfrage sind selbst wiederum Begriffe der Volkswirtschaft, die große Bereiche von Konsum und Produktion umfassen, in denen so große Unterschiede auftreten können, dass Relationen zwischen beiden Bereichen stark schwanken und sogar in einer Zeitperiode von positiven zu negativen Vorzeichen wechseln können.
Wir haben in Bezug auf das amerikanische Modell der gesellschaftlichen Wohlfahrt von einem Angebots- bzw. Verkäufermarkt gesprochen und begonnen, die im Segment der Wohlfahrt der US-Wirtschaft, also dem Beitrag, den die US-Wirtschaft zum Wohlstand aller US-Bürger beiträgt, aufgezeigten, ökonomischen Bestimmungen auf die US-Wirtschaft generell zu übertragen.
Demnach dominiert ein strukturell überwiegender Anbietermarkt das amerikanische Modell der Marktwirtschaft. Natürlich müssen bei allen diesen Betrachtungen die geldpolitischen Maßnahmen der Fed und damit die Entwicklung des Dollars mit einbezogen werden. Aber dem hohen Dollar allein die Verantwortung zu übertragen, dass die Preisentwicklung in weiten Teilen der US-Exportwirtschaft diese Ausmaße angenommen hat, wie wir heute unschwer erkennen können, wäre falsch.
Der Blick auf den Dollar wäre ja nichts anderes als das Phänomen des Preises aus einer bestimmten, nicht der einzigen Perspektive betrachtet, zumal eine Währung ja auch generell für die Entwicklung einer Volkswirtschaft steht.
Zurück zum Verkäufermarkt. Der liegt gewissermaßen im Wesen des amerikanischen Selbstverständnisses und im Blut der US-Wirtschaft. Da die USA immer ihren Blick auf ihre ökonomischen Außenbeziehungen gerichtet haben, muss im amerikanischen Modell natürlich die Exportwirtschaft besonders berücksichtigt werden. Aber auch hier gilt die strukturell gleiche Relation in reziproker Beziehung. So ist aus Sicht des amerikanischen Modells die Importwirtschaft ein Käufer- und die Exportwirtschaft ein Verkäufermarkt.
Diese scharfe Trennung ist strukturell und nicht in jedem Einzelfall so gegeben. Sie zeigt aber die strukturellen Grenzen trennscharf auf, innerhalb derer sich das marktwirtschaftliche Geschehen modellar-tig bewegt. Aus Sicht des amerikanischen Modells ist der Binnenmarkt strukturell gleich dem Exportmarkt. Es besteht auf beiden Märkten ein Nachfrageüberhang1. Nachfrageüberhang oder anders formuliert, ein Verkäufermarkt ist gesamtwirtschaftlich betrachtet eine strukturelle Marktinsuffizienz, also ein strukturelles Krisenphänomen.
Die strukturellen Krisenelemente sind offensichtlich und nicht nur informell und relational bedeutend. Höhere Fachkenntnisse wie sie heute in den meisten Bereichen der Beziehungen der Wirtschaftssubjekte zueinander vonnöten sind, sowie größere Bereiche von Abhängigkeiten in diesen Wirtschaftsbeziehungen demonstrieren eine Zunahme dieser strukturellen Insuffizienz und Ineffizienz.
Nicht nur im juristischen Themenkreis und innerhalb körperschaftlicher Beziehungen breitet sich die Ineffizienz von Verkäufermärkten aus. Die informellen Anforderungen an ganz alltägliche Kaufvorgänge werden exponentiell schnell höher und eine Bewältigung durch Fachkenntnisse, auch externen, wird immer schwieriger, wenn nicht unmöglich; von den Kosten für Beratung und Hilfe ganz zu schweigen.
E-Commerce Plattformen setzen heute schon für Anbieter wie für Käufer Kenntnisse voraus, die die Transaktionen, aber auch schon die Informationen so sehr erschweren, das rechtssichere Vorgänge, also Vorgänge, die das Verhältnis von Wissen und Verantwortung regeln, fast unmöglich erscheinen. Auf allen Ebenen der geschäftlichen wie zunehmend auch der privaten und nachbarschaftlichen Beziehungen ist der Käufer direkt oder indirekt in einer generell ungünstigen Situation. Die verhandlungstaktische Position bei der Datenkommunikation ist nicht nur bei den sozialen Plattformen auf der Seite des Käufers bzw. Kunden oder Mitglieds solcher Plattformen katastrophal.
Im Job-Recruitment wie im gesamten Bewerbungswesen – man kann durchaus heute schon sagen, dass dies den gesamten Arbeitsmarkt betrifft – sind die Job-Anbieter meilenweit den Jobsuchenden gegenüber informell überlegen.
Abhängigkeiten bestehen auch weit über die generellen Betreuungsmärkte hinaus und nehmen weiter zu. Die Angebote bei der Kinder- wie bei der Senioren- und Krankenbetreuung sind im amerikanischen Modell relational durch die starke Position des Anbieters bei gleichzeitig schwacher Position der Nachfrage gekennzeichnet. Von der Unfallhilfe durch Rettungsdienste bis hin zu den Angeboten der Renten- Gesundheits- und Vermögensverwaltungen sind die Abhängigkeiten bzw. die strukturel-len Ungleichgewichte, die weit über die notwendigen Maße hinausgehen und durch die reine Sachlage gekennzeichnet sind, krisenhaft.
Alle drei wichtigen Bereiche, Gesundheit, Renten und private Vermögen befinden sich im amerikanischen Modell zur Zeit wirtschaftlich betrachtet im Sinkflug und es besteht keine Aussicht darauf, dass strukturell daran sich etwas ändert, zumal in diesen Bereichen die regulatorischen Marktvorgänge, etwa über den Preis, also die Bezahlung von Waren und Dienstleistungen über Intermediäre, z.B. Ver-sicherungen und eine Vielzahl weitere Institutionen und Privatunternehmen vorgenommen wird.
Um einem Irrtum gleich vorzubeugen: Verkäufermärkte sind, entgegen der Lehrmeinung, eben nicht reguliert bzw. überreguliert. Man findet sicher auch in Verkäufermärkten Regularien, zeitweise auch Kar-telle, Zölle und andere diskomparartive Einhegungen. Alles dies aber ist wie ein Symptom, als eine Folge zu betrachten, deren Ursachen in der Krisenstruktur der Verkäufermärkte selbst zu finden sind.
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Verkäufermarkt – Nachfrageüberhang – strukturelle Marktinsuffizienz
1 Ein Nachfrageüberhang besteht, wenn auf einem Markt, von einem bestimmten Gut mehr nachgefragt als angeboten wird. Dabei kann der Verkäufer die Marktsituation bestimmen und es besteht ein Verkäufermarkt.
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