Fliehkräfte des amerikanischen Modells

Nicht alles, was Konzernlenker in die Öffentlichkeit geben, entspricht ihrer Meinung in der Sache. Das meiste hat strategische Bedeutung, eine davon ist, Märkte oder Kunden zu beruhigen. Das gelang meistens in der Vergangenheit, gelingt heute weniger denn je. Kunden sind informierter und Märkte scheren sich nie um die Meinung von Konzernlenkern. Börsen führen keinen Diskurs. Politische Diskurse, selbst wenn sie einem amerikanischen Modell entsprechen, haben in einer global vernetzten Welt nicht mehr die Bedeutung wie früher, als es das Internet und die transnationale Vernetzung der wirtschaftlichen Akteure nicht, oder nur in Ansätzen gab.

Aber schauen wir kurz auf die Erklärungen, die aus den oberen Etagen des Investmentbankings und Asset-Managements in die Öffentlichkeit gelangt. Geopolitische Spannungen, wachsender Protektionismus, nicht nur in den USA und Handelskriege hätten die Börsen in den vergangenen Monaten belastet. Diese Effekte führte der UBS-Chef auch als Erklärung für das schlechte Konzernergebnis der UBS an. Fehleinschätzungen im eigenen Haus tauchen darin nicht auf; im Gegenteil.

Ermotti macht etwas, was heute allerorts als Ankündigung eines Selbstmordes angesehen wird, mehr also, als ein Offenbarungseid eines Konzernlenkers. Er verweist auf die gute alte Vergangenheit und betont die milliardenschweren Gewinne, die die Bank einst eingefahren hat und leitet daraus das Prinzip Hoffnung ab, die Aussichten seines Hauses seien daher solide verankert und so zu einer Position der Stärke gewachsen, die den „Disruptionen“ der Märkte begegnen zu können; das ist weniger als nichts.

Demgegenüber fällt die Erklärung von Larry Fink, Chef von Blackrock ein wenig differenzierter, aber um nichts weniger verzweifelt bzw. ohnmächtig aus. „Das globale Umfeld wird immer fragiler und macht Unternehmen und Regierungen anfälliger für kurzfristiges Handeln,“ so beginnt sein Brief1, überraschenderweise an die deutschen Manager der DAX-Konzerne, in dem er auf seine Art an die guten alten Zeiten erinnert, als langfristiges Wachstum und Profitabilität noch als Attributionen klugen Wirtschaftens innerhalb eines Satzes gelangen.
Als guter Manager widmet Fink sich nicht nur der Erklärung der erheblichen Malaisen seines Konzerns auf den Märkten, sondern gibt auch seine Ansichten zum Besten, wie eine Aussicht auf bessere Zeiten eröffnet werden kann.

Finks weiß, was er zu verlieren hat. Mehr Vermögen verwaltet keine andere Fondsgesellschaft, ist tätig sowohl in weiten Teilen der Weltwirtschaft als auch an der kompletten Unternehmenselite in Deutschland beteiligt und dabei oftmals sogar der größte Aktionär2. Aus seiner Feder einen Generalangriff auf die politische Ökonomie seines Landes zu lesen, der sogar noch über das hinaus geht, was wir bislang als amerikanische Modell beschrieben haben, überrascht. Die Gesellschaft sei verunsichert durch „fundamentale ökonomische Umwälzungen und durch die Unfähigkeit der Regierungen, dafür effektive Lösungen zu finden“ und deshalb müssten Unternehmen drängende soziale und wirtschaftliche Fragen angehen.

Als einer der obersten Vertreter des amerikanischen Modells weiß er, dass soziale und wirtschaftliche Fragen zusammen gehören und nicht wie zwei getrennte Bereiche der Marktwirtschaft und der Politik behandelt werden können, will man nicht vor der Tatsache versagen, dass eben genau dies in den letzten vierzig Jahren in den USA so geschehen ist und zu einem Bündel an schier ausweglosen Widersprüchen im amerikanischen Modell geführt hat.
Und eine dieser marktwirtschaftlichen Antinomien läge in der Schnelllebigkeit des Marktes börsennotierter Unternehmen und der Ausrichtung an kurzfristiger Gewinnmaximierung der Anleger. Viele Investoren werden auf Monatsvergleiche zu ihren Benchmarks, den Vergleichsmaßstäben, gemessen. Das war vor 15 Jahren noch anders; das stimmt. Das ist aber nicht das Problem und somit liegt darin auch nicht die Lösung.

Nichts verschiebt sich in der Perspektive, wenn Fink in den Werkzeugkasten privatwirtschaftlicher Vorschläge zur Lösung sozialpolitischer Probleme greift und dabei erinnern lässt an die Frühphase der industriellen Revolution mit ihren Firmenwohnungen und -kindergärten. So nähmen in den USA viele Topunternehmen ihre soziale Verantwortung bereits stärker wahr, wenn sich mit Jeff Bezos, Warren Buffett und Jamie Dimon drei der mächtigsten Vorstandsvorsitzenden der USA zusammen tuen und mit ihren Konzernen, dem Onlineversandhändler Amazon, dem Beteiligungsunternehmen Berkshire Hathaway und der Bank JP Morgan, Mitte vergangenen Jahres eine eigene Krankenversicherung starteten, um die teuren Mittelsmänner im US-Gesundheitssystem auszuschalten und zudem noch mit dem neuen Unternehmen keinen Profit erzielen wollen.

Und Fink lamentiert in guter Manier einer liberalen Marktwirtschaft weiter zu Themen wie Umweltschutz, Alterssicherung sowie Gleichberechtigung von Geschlechtern und ethnischen Gruppen, um einer öffentlichen Meinung das Wort zu reden, die bei Umfragen zunehmend mehr den Hauptzweck unternehmerischen Handelns darin sieht, „die Gesellschaft [zu] verbessern“ als „Gewinne [zu]erwirtschaften“.

Das gefällt den Vertretern einer liberalen Marktwirtschaft, gleich selbst die gesamte politische Ökonomie in die eigenen Hände zu bringen, ist doch der Staat mit seinen Regulierungen der Märkte der wahre Übeltäter. Und ließe man die Top-Unternehmen nur machen, die Welt wäre ein besserer Ort.

So kommt Fink zu dem Schluss, dass die Generation der „Millennials“ mit ihren sozial erwünschten Statements zu mehr sozialer Gerechtigkeit und ökologischem Bewusstsein natürlich dann auch ein verändertes Anlageverhalten verdient haben und hat dabei nicht zufällig den größten Vermögenstransfer der Geschichte von ca. 24 Billionen Dollar in den Augen stehen.

Sozial verantwortliche Investments wachsen derzeit jährlich um 50 Prozent. Besonderen Wert bei den Investments wird darin auf eine gute Unternehmensführung (Corporate Governance), die nachweislich den stärksten Einfluss auf die Ergebnisse nimmt, insgesamt auf Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen (ESG) gelegt.

Dem wäre wenig entgegenzuhalten, hörte man nicht darin die diskrete Aufforderung Finks an die Unternehmen und Investoren, sich wieder mehr auf den Weg des traditionellen Investments und der aktiven Vermögensverwaltung zu begeben und abzubiegen vom Weg der kurzfristen Anlageformen. Dann bleibe er „optimistisch für die Zukunft der Welt und der Perspektive für langfristig orientierte Investoren und Unternehmen“, ohne dabei explizite darauf einzugehen, dass Blackrock gerade bei jenen Anlageformen, die zunehmend die ESG-Kriterien berücksichtigen und dabei recht erfolgreich sind, wenig bis gar nicht beteiligt ist.

Wettbewerber wie etwa die Privatbank Merck Finck mit Sitz in München, eine Tochter der Luxemburger Banken-Gruppe KBL European Private Bankers, die wiederum von Precision Capital und damit von Katars Al-Thani-Familie kontrolliert wird, sowie die ebenfalls traditionsreiche Hamburger Bank M.M.Warburg & CO den Amerikanern besonders in der Zielgruppe der Millenials durch breite Angebote auf der Basis einer Online-Vermögensverwaltung streitig machen. Online-Vermögensverwaltungen sowie alle anderen Formen digitaler Bankdienstleistungen in den Bereichen Investmentbanking und Asset-Management sind die offenen Wunden im amerikanischen Modell in diesem Segment. Die Banken dort sind, man glaubt es kaum, den digitalen Technologien in Bankanwendungen zur Zeit noch hoffnungslos unterlegen, als wäre Silicon Valley das Aosta Tal in Europa.

Profitable Geschäftsprozesse im Investment-Management und individualisierte Angebote für kleinere und mittlere Anleger wie z.B. Mittelstandsfonds, im Private Banking-Bereich sowie im Bereich der Family Offices mögen die US-Riesen nicht sonderlich beängstigen, beunruhigend wirken sie doch. Vor allem, wenn man sieht, dass nachhaltiges Investieren sich mehr und mehr für die Investoren auszahlt.
Vergleicht man etwa den Aktienindex MSCI Europa mit dem Sustainable Europe Index Fund, dann fiel das Ergebnis der nachhaltigen Anlage in den vergangenen drei Jahren um rund 20 Prozent besser aus. Das Beispiel des schwedischen Pensionsfonds AP4, der rund 360 Milliarden schwedische Kronen verwaltet, der erst kürzlich als führender Pensionsfonds ausgezeichnet wurde, wenn es um Klimaschutz bei der Vermögensanlage geht, zeigt, dass gerade in dem hart umkämpften Käufermarkt europäischer Investitions- und Vermögens-Assets bei Nutzung digitaler Technologien eine Alternative zu den agnostischen Turbomärkten amerikanischer Provenienz besteht.

Nicht überraschend hat Niklas Ekvall, Chef von AP4, vor kurzem angekündigt, Unternehmen, die Nuklearwaffen herstellen und Ölsand verarbeiten, aus den Portfolios zu verbannen, was natürlich einer Kriegserklärung gegen die politische Ökonomie eines D. Trump gleichkommt. Mehr aber als das, schlimm genug, mag man meinen, ist aber, dass für Blackrock und die anderen großen Asset-Management Gesellschaften in und aus den USA die ESG-Kriterien immer wichtiger für die Unternehmensbewertung werden. Und wenn die Börsen im Vergleich das amerikanische Modell abschlägiger bewerten als Unternehmen, die auf der Grundlage eines Modells sozialer Marktwirtschaft agieren, dann kostet das den US-Unternehmen möglicherweise mehr als Milliardensummen und Marktanteile.

Betrachten wir den Prozess der vergangenen Jahre also als einen Gesamtprozess, dann sieht man, dass von einem Ende der aktiv verwaltenden Fons und vom anderen Ende die Indexfonds aufeinander zulaufen. Verkäufermärkte, so formulieren wir generell, und Käufermärkte kannibalisieren sich im amerikanischen Modell, insofern sich im Segment des Asset-Managements die Zuflüsse in börsengehandelte Indexfonds, die seit Jahren steigen, den aktiven Fonds zunehmend das Wasser abgraben.
Vom Typus her können auf der Kostenebene aktive Fonds nicht mit Indexfonds konkurrieren, denn einen Index nachzubauen ist in der Regel deutlich kostengünstiger, als einzelne Aktien oder Anleihen für das Portfolio auszuwählen und aktiv zu managen.

Der inneren Kannibalisierung beider Märkte entkommen die US-Unternehmen aber weder durch eine aggressive Niedrigpreis-Politik noch durch eine Marktausweitung bei Beibehaltung der insuffizienten, defizitären Verkäuferstrukturen. Im Gegenteil wirft der Markt aus Käufersicht den US-Unternehmen nicht zu Unrecht vor, dass aktive gemanagte Fonds mittlerweile nur verkappte Indexfonds geworden sind, die mehr und mehr das Vertrauen der Anleger belasten, insofern die Vermutung nicht ganz fern liegt, dass Asset-Manager aufgrund des Kostendrucks und der insuffizienten Verkäufermarkt-Struktur oft nur einen Index nachbilden und dies qua Gebührenforderung als aktives Management verkaufen. Und will so man denn sonst die Klage verstehen, dass konjunkturelle Entwicklungen und politische Entscheidungen ihnen die Ergebnisse verhageln. So treibt das amerikanische Modell monopolistisch bzw. oligopolistisch strukturierter Verkäufermärkte die Unternehmen in kunden- bzw. angebotsorientierte Käufermärkte und von da aus quasi wieder zurück, indem die Unternehmen an den notwendigen Prozessen einer Marktanpassung scheitern; nicht, weil sie im Einzelfall für solche Anpassung nicht fähig wären, sondern durch ihre gesamte Konzernstruktur daran gehindert sind.

„Eine aktuelle Studie der Ratingagentur Scope zeichnet ein unvoreingenommeneres Bild. Die Scope-Analysten haben rund 3000 aktiv verwaltete Aktien- und Rentenfonds daraufhin untersucht, ob sie in den ersten drei Quartalen dieses Jahres ihren jeweiligen Vergleichsindex geschlagen haben. Ergebnis: Bei den Aktienfonds lag die sogenannte Outperformance-Ratio nach den ersten neun Mo-naten bei 55,6 Prozent. Bei den Rentenfonds hatten es per Ende September 52,3 Prozent geschafft, die Benchmark zu übertreffen. Fast die Hälfte der Anleger, die aktiv verwaltete Aktien- oder Anleihefonds im Depot haben, wäre also mit einem ETF besser bedient gewesen.“3

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Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen (ESG)europäischer Investitions- und Vermögens-Assets


1 Vgl: FAZ vom 20.11.2018: Blackrock geht in die Charme-Offensive.
2

Blackrock Unternehmensbeteiligungen Deutschland
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3 Julia Groth: ETF-Erfolg ruft Neider auf den Plan. In Capital, 09.11.2017.

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