Globales Krisen Round-Up

Als ein Zwischenergebnis können wir zusammenfassen: eine Ausdehnung des amerikanischen Modells von Verkäufer- auf Käufermärkte scheint schwierig zu sein, transportiert man ja lediglich die strukturellen Probleme des einen Marktes auf den anderen. Eine tiefgreifendere Marktanpassung scheint vonnöten, die die US-Repräsentanten im Markt des Asset-Managements nicht leisten können. Ihre Geschäftsmodelle sind strukturell nicht flexibel genug, diese Anpassungen zu leisten wie die politischen bzw. regulatorischen Bedingungen, die das amerikanische Modell ausmachen.
Also sind Vorgänge wie Marktanpassungen an Käufermärkte im amerikanischen Modell keine Optionen, sondern durch vorgängige Strukturen begrenzte Möglichkeiten, den Marktprozessen zu begegnen und daher defizitär im strukturellen und ineffizient marktwirtschaftlichen Sinne.

Wie also verhalten sich Unternehmen, die durch die Vorteile anbieter-dominierter Märkte zu Konzernen geworden sind auf käufer-orientierten Märkten, um den Risiken dieser Märkte für sie zu entgehen?
Ein Weg, wir haben das bereits angedeutet, könnte sein, dass US-Unternehmen in andere Märkte gehen, indem sie unter eigenen Körperschaften sich in ausländische Märkte ausdehnen, wie z.B. der größte Konkurrent von BlackRock im Indexfondsgeschäft, Vanguard, der im Jahr 2018 sein Deutschlandgeschäft gestartet hat.

Was aber hat sich durch die Marktausweitung geändert? Ist das amerikanische Modell angepasst worden? Die Antwort ist Nein. Zwar sind die US-Unternehmen nun auch in einem sehr breiten Käufermarkt tätig, insofern die Indexfonds (ETFs) es breiten Schichten an Sparer ermöglicht, ihr Geld nicht auf Sparbüchern zu parken, sondern mit wenig Geld kostengünstig in ein weltweit gestreutes Portfolio zu investieren und so besonders beim privaten Vermögensaufbau, etwa für die Altersvorsorge akzeptable Renditen zu erzielen, zumal in Zeiten wie aktuell, in denen die Sparvermögen in traditionellen Sparformen schmelzen wie Softeis in der Sonne.

Nach dem Sparparadoxon1: das Gewünschte ist die Katastrophe, wonach es zwar gut ist für deren Geldbeutel, wenn einzelne Haushalte sparen, aber schlecht, wenn alle sparen, weil sparen Konsumverzicht bedeutet und deshalb die Konjunktur wegbricht und also niemandem geholfen ist, weist ein Phänomen auf ein beträchtliches Problem hin, das mit den ETFs und dem amerikanischen Modell zusammenhängt.
Auf den Märkten der Indexfonds kann unter bestimmten Umständen ein durchaus rationales Verhalten eines Anlegers zu einem Problem werden, wenn nämlich sehr viele Anleger über wenige Anbieter in die gleiche Anlage investieren und diese Anlage, wie bei Indexfonds in einem hohen Grad einem Käufermarkt entspricht. Ein hoher Grad meint in diesem Zusammenhang, dass das Produkt, hier der Fonds einfach strukturiert ist und die Käufer sich gegenüber den Verkäufern in einer sehr günstigen Position befinden.

Börsen leben grundsätzlich davon, dass es Käufer und Verkäufer gibt, also Akteure mit positiver und negativer Meinung und damit ups and downs der Kurse und somit Gewinner und Verlierer. ETFs hingegen agieren „agnostisch“, d.h. sie haben keine Meinung, keine marktwirtschaftliche „Logik“, sondern kaufen die Werte eines Index, wenn ihnen Geld zufließt, und verkaufen, wenn Anleger Geld abziehen. Dadurch verstärken sie Markttrends, vor allem, wenn es an den Börsen nach unten geht.
Die zunehmende Verbreitung der ETFs erhöht die Risiken, die mit diesen agnostischen Trades verbunden sind. Je einfacher und liquider das bloße Up-and-Down-Trading von Aktienindexen wird, desto häufiger sehen diese Märkte auch die sog. Mini-Crashs oder Flash-Crash, die ein direkter Ausdruck dieses Tradingverhaltens sind.

Wie der ETF-Boom mittlerweile schon das Anlageverhalten verändert hat, zeigt der sog. „Smart-Money-Index“. Der Index ist im Jahr 2018 drastisch gefallen. Nach seinem Höchststand von 20.757 Punkten im Januar ist er auf knapp über 12.800 Zähler abgestürzt. Einen solchen Einbruch gab es in der Geschichte des seit 1932 ermittelten Frühindikators noch nie. Besonders von Januar bis März sackte der Index dramatisch ab. Im Oktober folgte die zweite etwas kleinere Welle.

Flash-Crashs oder Mini-Crashs deuten ganz grundsätzlich darauf hin, dass ETFs enorme Potentiale zur Verstärkung, zur kurzfristigen Verstärkung von Phasen ausgeprägter Anspannungen an den Finanzmärkten besitzen. Auch deshalb, weil, ihrem agnostischen Charakter entsprechend, einzelne Werte des Index mit unterschiedlichen Performances keine Rolle spielen, subsumiert sind im Aggregat des Index‘.

Hinzu kommt, dass der ETF-Markt solche flashartigen Turbulenzen an den Börsen nur deshalb erzeugen kann, wenn wenige Anbieter das Gros des Marktes dominieren. BlackRock, Vanguard und State Street wirken wie sich wechselseitig verstärkende Kräfte, die die Trade-Volumina in die Höhe treiben, so dass es zu solchen explosionsartigen Marktausschlägen überhaupt erst kommen kann3. Wären mehr Anbieter unterwegs, würden sich solche Effekte seltener einstellen.

So sehr ETFs also geeignet sind für Privatanleger und deren Absichten, Vermögen in Zeiten zinsarmer Sparbücher mittels ETF-Sparpläne zu substituieren, so hoch ist also auch das Risiko, in langfristigen Seitwärtsphasen an den Aktienbörsen in ein Null-Summen-Spiel zu geraten. Anleger, die z.B. im Jahr 2000 in ETFs investierten und zwanzig Jahre später sich über passable Renditen erfreuen wollten, werden heute bereits als „verlorenen Generation“ bezeichnet, da sie kaum bis keine adäquaten Renditen erwirtschaftet konnten.

Die Risiken der Indexmärkte aber liegen nicht nur bei den Privatanlegern, sondern eben auch und darüber hinaus als ein Risikofaktor über der gesamten Finanzwelt. Gleichwohl das weltweite ETF-Vermögen von etwas über 5 Billionen Dollar in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat, entspricht es nur knapp 14 Prozent sämtlicher Gattungen von Investmentfonds. Aber der Typus der ETFs mit ihrer agnostischen Struktur und subsumierenden Marktgängigkeit lässt sie zu einem potenziellen Monster in der Finanzwelt werden.

Betrachtet man also die Funktionsweise der ETFs wird deutlich, dass auch ein Markt in dieser Größenordnung Effekte zeitigen kann, die weit über das hinausgehen können wie vergleichbare Anlageklassen mit anderer Ausstattung. Bei den Indexfonds kommt es ja, anders als bei offenen Investmentfonds, zu keinem direkten Handel zwischen dem Fondsanbieter und dem Investor. Die Folge hierbei ist, dass Fondsmanager ihre Investoren nicht kennen, auch nicht ihre Großinvestoren.
Verfügt bei traditionellen Investmentfonds der Asset-Manager über Kenntnis und Zeit bei der Umschichtung der Vermögen auf Wunsch des Anlegers und verhält sich damit marktschonend, so sind schnelle, anonyme Käufe und Verkäufe eben strukturell marktbelastend, wenn sie in einer Größenordnung getätigt werden, wie in unserem Fall.

Auch die Intermediäre, die es auch in diesen Märkten gibt und die als Mittler zwischen ETF-Anbietern resp. Investmentgesellschaften und Märkten operieren, haben nur sehr wenig aufschiebende und „gnostische“ Wirkmöglichkeiten. Denn werden die Märkte turbulent, bleibt auch ihnen nichts anderes, als Anteile aus ihren Wertpapierkörben an die ETF-Anbieter schnell und umfangreich zu verkaufen, damit diese wiederum Anteile in ihren Portfolios auflösen können.

Diese Struktur schnellen Kaufs und Verkaufs großer ETF-Anteile erzeugt daher den sichtbaren Marktstress. Wenn wenige Großakteure gleichzeitig fast dasselbe tun, ist das besonders dort am schädlichsten, wo ETFs auf weniger liquide Märkte treffen, also bei Unternehmensanleihen oder Aktien von Schwellenländern. Hier kommt es fast regelmäßig dazu, dass bei hohem Ausverkaufsdruck der ETF-Preis unter den Indexwert fällt und dort auch eine Weile verweilt. Wenn nun der Druck zum Verkauf von Anteilen auf Seiten der Anleger wächst, machen diese auch erhebliche Verluste und führt zu diesem kaskadierenden Sell-off-Effekt, weil immer mehr Anleger immer schneller aus den Märkten fliehen; ergo, die Werte der ETFs stürzen ab.
Dieser und Effekte aus Dollar-Kursentwicklungen machen schon ein Gros dessen aus, was wir in unse-rer Analyse der Konjunkturschwankungen in Schwellenländern diskutiert haben.

Dem amerikanischen Modell entgegen wirken die Ansichten und Initiativen europäischer Institutionen, diese Marktrisiken ansatzweise, leider viel zu wenig, zu begrenzen. Absichten, Regulierungen hier einzuführen lassen erkennen, dass wir es mit aktuell weitgehend unregulierten Märkten zu tun haben. Wie oben bemerkt, ist dies ein Kennzeichen von typischen Verkäufermärkten nach amerikanischem Vorbild, welches einer Auffassung und Lehre liberaler Marktwirtschaften entspringt, so wenig Regulierung wie möglich zu fordern.

Wir sehen auch an diesem Beispiel, dass es wenig Sinn macht, von Regulierung oder No-Regulation zu sprechen und so in eine Denkopposition zu geraten, ist doch die Regulierung von Verkäufer- oder Käuferverhalten von gänzlich unterschiedlichem Charakter.
Regulierung im ETF-Markt heißt deshalb zu allererst, Aufbrechen der Konzerne in ihrer oligopolen Struktur hin zu eine größeren Anzahl zwischengeschalteter Intermediäre bzw. Marktmacher (engl. Market Maker) sowie die Einführung automatisch greifender Handelsbeschränkungen, um sowohl die Liquiditätsflüsse auf den ETF-Märkten zu verbessern und die agnostische Risikostruktur zu begrenzen.

Vorschläge etwa der Bundesbank5, mehr Risikokapital auf Seiten der Anbieter vorzuhalten, um in Stressphasen auf den Märkten vorübergehend Positionen in die eigenen Bücher zu nehmen, haben wenig Aussicht auf Erfolg, denn das geben die Geschäftsmodelle der US-Anbieter überhaupt nicht her und sind auch zeitlich wie deren Grundcharakter gegenüber kontraindiziert.

Um die Probleme in den Griff zu bekommen, raten andere Experten den Asset-Managern sich stärker auf alternative Investments wie Hedgefonds oder Private Equity zu konzentrieren, also alles Geschäfte, in denen die Margen bislang noch attraktiv seien; dem aber ist nicht so. Hinzu kommt, dass ein langfristig angelegtes Geschäftsmodell inkompatibel ist und bleibt mit einem auf kurzfristige Gewinnmargen ausgerichteten Modell, zumal ja gerade die langfristige Erfolgsstory bei BlackRock z.B. zur Diskussion, wenn nicht gar zur Disposition steht.

Das belegt die Tatsache, dass, wer im Jahr 2000 bei BlackRock 28.000 Dollar investiert hatte, der war im Jahr 2017 stolzer Dollar-Millionär. Doch mehr als ein Drittel dieses Geldes ist inzwischen wieder verschwunden, was eindeutig gegen diese Anlage als langfristig sichere Vermögensanlage spricht.
Ebenso wird bereits heute, Anfang des Jahres 2019 deutlich, dass weitere Unternehmen, auch aus Europa, die dieses Modell als Geschäftsmodell definiert haben, in eben dieselben Schwierigkeiten geraten sind wie die großen US-Unternehmen und wir deshalb nicht von Einzelfällen sprechen, sondern von einer Strukturkrise des amerikanischen Modells des Asset-Managements, in dessen Folge die Spreizung der gesellschaftlichen Wohlfahrt zu einer sozialen Krise gerinnt.

Die UBS, schweizerische Großbank, veröffentlichte im vierten Quartal 2018 einen Rückgang beim bereinigten Vorsteuergewinn von 22 Prozent gegenüber dem Vorquartal gerade in ihrer Paradedisziplin der Vermögensverwaltung. Acht Milliarden Dollar an Vermögen verließen die Großbank in Windeseile. Auch der Bereich des Investmentbanking tat sich schwer im Hause UBS. Hier lag der bereinigte Vorsteuergewinn bei mageren 26 Millionen Dollar und damit um 84 Prozent niedriger als im Vergleichsquartal. Hier klingen die Aussichten ähnlich, fast wortgleich, wie bei dem großen US-Wettbewerber: „Aber das heißt natürlich nicht, dass wir hier sitzen und darauf warten, dass sich die Märkte besser entwickeln“, so UBS-Chef Ermotti. Wenn sich die Lage verschärfe, könne die UBS darauf mit Einsparungen reagieren. „Wir können in den Benzinsparmodus gehen.“ So könne die Bank etwa freigewordene Stellen vorerst nicht mehr besetzen.

Wenn Warten auf bessere Zeiten an den Börsen Stellenabbau die einzige Aussicht auf Genesung eines Konzerns ist, der eine aktive Vermögensverwaltung als Geschäftsmodell anbietet, dann darf man vermuten, dass eine geeignetere Form der Marktanpassung nicht gelungen oder aufgrund der eigenen Größe nicht als heraufziehende Aufgabe erkannt, kurz, verschlafen worden ist.

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MarktanpassungenSparparadoxonFlash-Crash„Smart-Money-Index“Sell-off-Effekt


1 Das Sparparadoxon bei Keynes. Dem zufolge bedeutet ein Konsumverzicht, also das Sparen der Haushalte, für die Unternehmen einen Rückgang der Nachfrage. Sie reduzieren die Produktion (und reduzieren weitere Investitionen) und lösen einen negativen Multiplikatorprozess aus.
2 Der Smart-Money-Index ist ein Indikator für die technische Analyse und darin quasi ein Geldflussindex, der die Stimmung der Anleger zeigt und daher besonders von den sog. Sentiment-Trader benutzt wird. Der Index wurde vom Geldmanager Don Hays erfunden und bekannt gemacht.
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Indexfonds (ETF)Indexfonds (ETF)

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Indexfonds (ETF)

5 Vgl. Holger Zschäpitz in welt.de.

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