Die große Ouvertüre zum Abschied des Euros ist gespielt. Vor allem in den USA war man von Anfang an davon überzeugt, dass der Euro der Versuch ist, nur mit Trompeten Beethovens Neunte zu spielen. Aber eben aus diesem Land kommt die Aufforderung, neu über das weltweite Geldsystem nachzudenken. Modern Monetary Theory nennt sich das Ganze und ist ein Versuch, der traditionellen Logik der Wissenschaft der Volkswirtschaft zu entkommen. Ob dies gelingt, ob der Versuch im Ansatz nicht schon zum Scheitern verurteilt ist, weil an den ökonomischen Paradigmen nicht wirklich im fundamentalen Sinne ein anderes Denken angelegt wurde, wird sich zeigen.
Wenn man Keynes ernst nimmt, dann lassen sich der Zeitpunkt und die Höhe von Investitionen nicht seriös vorhersagen. Da diese aber die Ökonomie antreiben und damit auch den Konjunkturzyklus, ist kein mathematisches Modell in der Lage, dies korrekt vorherzusagen. Die Modern Monetary Theory (MMT) bedient sich einer anderen Methodologie als die Post-Keynesianer. Bilanzen und Aggregation von Bilanzen mit simplen Verhaltensannahmen einerseits (MMT) stehen Gleichgewichtsmodelle gegenüber, die methodologisch eine Fortführung der Neoklassik darstellen (Gleichgewichte, statisch und dynamisch).1
Das mag trivial aussehen, prima vista, ist aber von dem zentralen Gedanken getrieben zu erklären – oder besser zu verstehen – woran die seit Marx nicht weichen wollende Antinomie zwischen Kapital und Arbeit krankt. Woran liegt es, dass sich marktwirtschaftliche Krisen entwickeln und woran liegt es, dass die Unterschiede zwischen Arm und Reich in manchen Phasen der Wirtschaftsentwicklung so schnell so großen werden könne, wie wir das zurzeit besonders signifikant erleben?
Die Frage nach den Ursachen von Krisen innerhalb der Marktwirtschaft, die uns ja in diesem Kapitel zentral beschäftigt, bekommt in der MMT eine spezifische Wendung. Sie wurde in dem vielleicht ersten genuinen MMT-Aufsatz in einer referierten Fachzeitschrift unter „Full Employment and Price Stability“ im Journal of Post Keynesian Economics (JPKE) veröffentlicht (Mosler 1997)2.
Darin bezieht Mosler Arbeitslosigkeit einmal auf ein zu geringes Defizit des Staates, das er Summen von Steuern minus Staatsausgaben errechnet sowie auf eine Neudefinition des Werts einer Währung, die durch die Preise des Staates bestimmt wird. Moslers Ansatz ist weitreichend, sieht er doch die heutige Wirtschaftspolitik konträr zu deren impliziten Zielen, durch Zinspolitik Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Wirtschaftspolitik, die darin besteht, durch die Zinspolitik der Zentralbank in Zeiten zu hoher Inflationsraten Arbeitslosigkeit zu bekämpfen führt geradezu in den gegenteiligen Prozess, nämlich Arbeitslosigkeit zu schaffen.
Dieser fatalen Entwicklung könnte der Staat leicht durch ein Handeln als „Employer of Last Resort“ jederzeit entgegenwirken und Arbeitslosigkeit erfolgreicher bekämpfen bzw. beseitigen wie dies ja seiner Meinung nach in den verschiedenen, politischen Maßnahmen der neuerdings so genannten „Job Guarantee“ Programme aufgelegt wird.
Was für uns aber von fundamentalem Interesse ist, ist weniger die Relevanz von Job-Programmen, die meistens durchaus als erfolgreich gelten dürfen, als die fundamentale Einsicht, dass der Staat als Monopolist über die Währung seine Ausgaben nicht einfach nur „finanziert“.
Mosler begreift hingegen den Staat als den Schöpfer der Währung, was zunehmend auch in der akademischen Sichtweise sich durchzusetzen scheint und auch immer weniger von der Hand zu weisen gelingt. Wie wir von Anfang an zeigen konnten, übernimmt die Notenbank jene Praxis der Geldschöpfung und zum Teil auch der Geldwertbestimmung, was sich mit den Ausführungen von Georg Friedrich Knapp in dessen Werk: „Staatliche Theorie des Geldes“ von 1905 weitgehend deckt3.
So formuliert Knapp a.a.O. „Das Geld ist ein Geschöpf der Rechtsordnung. Es ist im Laufe der Geschichte in den verschiedensten Formen aufgetreten. Eine Theorie des Geldes kann daher nur rechtsgeschichtlich sein.“
Und damit verbunden entwickelt Knapp die Einsicht, dass es im Wesentlichen die stattlichen Ausgaben sind, die zur Erhebung staatlicher Steuern – und Abgaben – von den privaten Haushalten wie den privaten Körperschaften führen, dass also der private Sektor der Wirtschaft übergreifend über beide Faktoren: Kapital und Arbeit vom stattlichen, in unseren Worten, von der politischen Ökonomie weitgehend bestimmt wird.
Wir erkennen, es geht also um nicht weniger, als um die Staatenfinanzierung bzw. den Weg, den die Staaten bei ihrer Refinanzierung beschreiten müssen. Die neue Diskussion über MMT aber geht viel weiter, bekommt einen gespenstischen Touch. Denn mit der bislang doch noch recht apokryphen Theorie wird diskursiv die Grenze zwischen Geld- und Fiskalpolitik bereits überschritten und damit auch die Frage verschoben, wer letztlich innerhalb der makroökonomischen Arbeitsteilung für die Einkommenspolitik und wer für die Arbeitsmarkt- bzw. Beschäftigungspolitik zuständig und damit auch verantwortlich ist?
Schauen wir auf die Gegenwart (2019), dann ist die Frage, ob die EZB sich nicht längst schon auf den Weg gemacht hat, vom lender of last resort„4 zum „employer of last resort“ zu werden. Als „lender of last resort“ soll eine Zentralbank dem Geschäftsbankensystem vor allem bei drohenden Liquiditätsengpässen kurzfristig Liquidität zur Verfügung stellen und somit die Versorgung der Wirtschaft mit Geld durch die Krisenphasen sichern. Diese Aufgabe wird vor allem bei internationalen Währungs- und Devisenkrisen gefordert, und der IWF steht als die zentrale Institution zur Bewältigung dieser Aufgabe bereit.
Bereits in der Vergangenheit wurde dieses Geschäftsmodell kritisiert als eine Art kostenlose, staatliche Einlagensicherung für private Investoren5. Bereits mehrmals hat die Deutsche Bundesbank die Ansicht vertreten, dass der IWF in diesen Fällen nur in begrenztem Umfang Liquidität bereitstellen sollte, da die private Verantwortung für die Krisenbewältigung bei privaten Körperschaften, was eine Bank ja ist, Vorrang haben sollte. Ein wenig zahnlos und nebulös wies die Deutsche Bundesbank immer wieder darauf hin, dass andernfalls gegen elementare, marktwirtschaftliche Prinzipien verstoßen würde, weil das staatliche Eingreifen Investoren von den Risiken ihrer unternehmerischen Entscheidungen entbinde und Lösungen zwischen Schuldnern und Gläubigern untergrabe.
Wir begegnen an diesem Punkt erneut unseren ausführlichen Überlegungen und Darlegungen der Gläubiger-Schuldner-Relation, die aber weniger als Motor der volkswirtschaftlichen Dynamik betrachtet wird als aus der Perspektive eines auseinandertretenden Antagonismus zwischen Risiko und Verantwortung reflektiert wird.
Die Bedeutungsverschiebung von der Politischen Ökonomie hin zu einer Frage des „Moral Hasard“ aber ist höchst riskant, wie man gleich im Rahmen der aktuellen MMT sehen wird. Kindleberger, Bagehot und Hawtrey sahen bereits vor Jahrzehnten diese Bedeutungsverschiebung als eine fundamentale Angelegenheit marktwirtschaftlichen Handelns, als ein grundlegendes Dilemma, das darin besteht, dass mit der institutionellen Einführung eines lender of last resort zugleich auch die private Eigenverantwortlichkeit, vor allem im privaten Bankensektor, für Währungsstabilität sinkt. Der Kreditgeber letzter Instanz sollte durch eine risiko-unbedingte Bereitstellung von Liquidität zu angesessenen Zinsen, also Zinsen unterhalb des Marktzinses aber deutlich oberhalb des Referenzzinsensatzes die Gefahr eines Bank Runs sowie der Unterversorgung der Wirtschaft mit Liquidität verhindern.
Strukturell sind nationale wie internationale Kreditgeber letzter Instanz, also etwa nationale Notenbanken und der IWF ähnlich, da an Krisenszenarios der Liquiditätsversorgung gebunden. So übt die nationale Notenbank etwa die Funktion einer normalen Refinanzierungsstelle der Geschäftsbanken aus, indem sie kurzfristige Darlehn, besichert mit marktgängigen Pfändern, ausgibt. Das sichert ausreichende Liquidität für die reibungslose Abwicklung des normalen Zahlungsverkehrs. Des Weiteren versorgen sie in Krisenzeiten die Märkte mit so viel Liquidität, dass es zu Bank-Run-Situationen möglichst gar nicht erst kommt.
Diese Vorstellungen galten auch international. Wenn nationale Notenbanken die Nachfrage nach Währungsreserven aus ihrem Bestand nicht mehr erfüllen konnten, also vor allem in Zeiten von Zahlungsbilanzproblemen aber auch Folgen von Naturkatastrophen, bestand die Situation und der Bedarf an einem internationalen lender of last resort, der Liquidität in Form von Kreditfazilitäten zur Verfügung stellt. Im Rahmen der internationalen Wirtschaftspolitik gewährten daher der IWF oder auch einzelne Regierungen in bestimmten Fällen Finanzhilfen oder Kredite, um Krisenphasen zu überwinden.
Im Rahmen der europäischen Geldpolitik bietet die EZB im Rahmen ihres Mandats ständig zwei Fazilitäten an. Einmal die Spitzenrefinanzierungsfazilität, im Rahmen dessen Banken Übernachtkredite aufnehmen können und die Einlagefazilität für die kurzfristige (über Nacht bzw. tageweise) Anlage überschüssiger Liquidität der Banken bei der EZB. Die Zinssätze für diese beiden Fazilitäten bilden die Ober- bzw. Untergrenze für den Tagesgeldsatz, dem sog. EONIA6.
Wir begegnen an dieser Stelle erneut den bisweilen schon fast mysteriösen Target-II-Salden und halten heute nur so viel fest, dass es sich bei diesen Salden um Zinsen für unbesicherte Anlagen aus Spitzenrefinanzierungs- und Einlagefazilität handelt, was, prima vista, einer normalen Bankbilanzierung entspricht. Dass diese Form der Bilanzierung aber eine Besonderheit von und in Krisensituationen darstellt, soll nicht vergessen werden. Krisensituationen im Sinne der europäischen Variante der Kreditvergabe letzter Instanz hat nicht nur das Auseinandertreten von Risiko und Haftung zur Folge, sondern führt, wie wir sehen werden, zu einem selbstverstärkenden Effekt, der aktuell die geldpolitische Diskussion innerhalb der Euro-Zone prägt.
Dabei geht es längst nicht mehr nur um Fragen der phasenweise umfangreichen, einseitigen Devisennachfrage bzw. Devisenspekulation, wie wir sie in der sog. Griechenlandkrise befürchten mussten und im Ansatz beobachten konnten. Devisenspekulationen, zumal wenn terminliche Shortpositionen über Bankdarlehn aufgebaut werden, sind gewissermaßen eine maximale Spreizung des Schuldner-Gläubiger-Verhältnisses, oder anders gesagt, dessen rechtlich Nivellierung. Wir haben früher bereits das Schuldner-Gläubiger-Verhältnis als eine Rechtsposition im marktwirtschaftlichen Prozess derart betrachtet, dass darüber eine Folge oder Ketten an Schuldner-Gläubiger-Verhältnisse sich anschließt, deren Sinn es ist, monetäre Liquidierungen von Eigentum in Anlagen der betrieblichen Refinanzierung zu verwandeln.
Das Bild eines Gläubiger-Schuldner-Verhältnis stellt im vorliegenden Fall diese Refinanzierungskette bzw- -matrix vor, bei der es um zwei Rechtspersonen oder Köperschaften gehen kann wie auch um rechtlich kaum oder nicht mehr zu durschauende Strukturen der Verknüpfung von Privatpersonen und Körperschaften aller Art und über die Grenzen volkswirtschaftlicher Rechtsräume hinweg, zudem noch außerordentlich dynamische Formen von Beteiligungen.
Bleiben wir noch ein wenig bei dem Bild des lender of last resort. Sinn (2014) weist in Hinblick auf die Refinanzierung der Euro-Staaten profunde und zurecht darauf hin, dass das Prinzip der rechtlichen Gläubiger-Schuldner-Strukturen spätestens mit dem sog. STEP-Markt ausgehebelt worden ist7. „Mit der Akzeptanz von Bankanleihen als Pfänder wurde die Idee der Sicherung der Refinanzierungskredite durch Pfänder ad absurdum geführt, weil sie keinen Schutz vor systemischen Bankrisiken bieten und dem Missbrauch Tür und Tor öffnen.“ (2014, S. 211)
Minutiös zeichnet Sinn im gleichen Kapital den Weg nach, den die Idee der Sicherung resp. der Pfänder in den letzten Jahren genommen hat. Das begann am 15. Oktober 2008 mit Vollzuteilungspolitik und führte über einige Stufen der Reduzierung der Mindestratings für die Kreditvergabe im Eurosystem von Single A über Triple B sowie der Erweiterung von Durationen bzw. Fälligkeiten auf LTROs bis hin zu den ein paar Seiten vorher beschriebenen GLRG-II Anschluss-Programmen der EZB.
Sie markieren in ihrer wahrlich mittlerweile des Öfteren zurecht beklagten semantischen Verschleierungen die Spur einer politischen Ökonomie, die in der Kombination aus verlängerten Laufzeiten, reduzierten Besicherungen der Pfänder auf mittlerweile untergradig verbrieften Ramschniveaus vieler Pfandtitel und der Null- bzw. Niedrigzinspolitik der EZB, die damit den ehemals auch schon eher schlecht als recht funktionierenden Interbankenmarkt sogar noch auf einem signifikant niedrigeren Niveau unterboten hat.
Kurz gesagt, mithilfe der EZB wurden und werden Geschäftsbanken mit marktgerechter Bonität sowie Institute mit weit unterhalb einer marktgerechten Bonität bis hin zu wahren Zombi-Banken auf nicht einmal Ramschniveau mit fiskalischen Mitteln aus der Realwirtschaft und von Privatvermögen der europäischen Staatengemeinschaft refinanziert bzw. rekapitalisiert. Wie tonnenschwere Lasten ziehen eigentlich schon längst pleite-gegangene Privat- und halb-staatliche Institute die Liquiditätsflüsse regelrecht in trockene Gelände oder versiegen die Geldströme wie das Wasser im Okavango-Delta; das ist die eine, die traditionelle Sichtweise.
Zu ihr gehört ganz im erweiterten Sinne eines lender of last resort, dass der einzig wirksame Schutz vor Bankenmissbrauch, also davor, dass Banken das Vertragsverhältnis zwischen Emittent und Käufer von Bankanleihen fundamental zerstören, dass, um notenbankfähig zu sein, „Bankanleihen wenigstens gehandelt werden mussten.“ (S. 212) Was aber als eine Langfristfolge nach dem Zusammenbruch des globalen Festkurssystems, das wir unter dem Namen „Bretton-Woods-System“ besprochen haben, eingetreten ist, ist eine Kreditwirtschaft, die ganz ohne effektive Sicherheiten zunehmend öfter auskommt. Der „Ringtausch“, den Sinn beschreibt (S. 212), mag dafür ein illustres Beispiel sein.
Bereits im Jahr 2000 bezeichnete Kanzler Kohl einen solchen außermarktwirtschaftlichen Trick als einen „phantasievollen Weg“ bei der Beantwortung der damals im russischen Lager sich ausbreitenden Schuldenfrage vor allem mit der deutschen Wirtschaft. Damals hatte Russland allein aus den Zeiten der Sowjetunion rund 50 Milliarden D-Mark Schulden in Deutschland. Dazu kamen etwa 24 Milliarden Mark, die es nach 1991 auslieh. Zudem fordert die Bundesregierung etwa 15 Milliarden Mark aus Kreditverpflichtungen zwischen der damaligen DDR und der Sowjetunion.
Der Kerngedanke des „phantasievollen Weges“ bestand damals schon in einem Ringtausch, bei dem deutsche Firmen einen Teil der Schulden Russlands dadurch begleichen sollten, dass sie dafür Anteile an russischen Unternehmen bekommen. Dieser gewissermaßen als eine Art „Naturaltausch“ zu bezeichnende Weg wurde ernsthaft unter Einbezug wichtiger politischer Instanzen und Institutionen diskutiert und diese Diskussion galt als „geheim“ und wurde aber nach einigen Monaten hinter verschlossenen Türen wieder verworfen.
Burckhard Bergmann, damaliger Vize-Chef von Ruhrgas, das bereits rund fünf Prozent am russischen Energieriesen Gasprom besaß, formulierte deutlich ablehnend: „Staatliche Schulden sind Sache der Regierungen und nicht Sache von privatwirtschaftlichen Unternehmen.“8 Aber genau so stellt sich heute, auch unter erheblichen „Geheimabsprachen“ zwischen Privatbanken und EZB die Sache mit dem Ringtausch in der Öffentlichkeit dar. Ungerne hören europäische Regierungen, dass sie über die EZB Formen der Staatenrefinanzierung ausprobieren, die kein Wähler, ob informiert oder nicht, so billigen würde. Der Trick im Ringtausch nämlich ist, dass mit dem Wertverlust des Pfandes letztlich der Bürger als lender of last resort sozialisiert worden ist.
Wir haben andernorts bereits darauf hingewiesen, dass Zinserträge, die im Eurosystem durch Anlagekäufe und Refinanzierungskredite entstehen, dadurch vergemeinschaftet werden, dass sie anteilsgemäß nach der Größe der jeweiligen Volkswirtschaft – Kapitalanteil – und des Landes berechnet werden und als Ertragsanteil an den Zinserträgen den einzelnen nationalen Finanzministerien gutgeschrieben werden. Das bliebe ein ganz normaler Vorfall, wäre da nicht zugleich auch die Regelung, so mit den Abschreibungsverlusten zu verfahren. Abschreibungsverluste bei Refinanzierungen entstehen aber dadurch, dass die hinterlegten Pfänder, die Banken als Sicherheiten für ihre Kredite bei der EZB begeben haben, sich als wertlos herausstellen. Und dem ist nicht genug. Denn schaut man sich an, was dann da in den bereinigten Kreditbüchern der Banken an Krediten stehen, dann wird man feststellen, dass das Staatspapiere sind.
Die Absenkung der Ratings für hinterlegte Pfänder durch die EZB bis über die Grenze zu toxischen Papieren hinaus hatte ja das Ziel, den nationalen Privat- und Geschäftsbanken den Erwerb von Staatspapieren zu ermöglich. Damit konnten Banken ihre Kreditbücher um kranke Ausreichungen in ihren Kreditbüchern bereinigen, erhielten jede Form von Liquidität, ohne direkte Auflagen, und nahmen gerne Staatspapiere stattdessen in die Bücher. Die Banken waren vorerst einmal gerettet und die Kreditflüsse zwischen Bank und Privatwirtschaft und Bank und Staat gesichert, selbst dann, wenn der internationale Kapitalmarkt längst schon die mangelnde Bonität und Seriosität der Refinanzierungswünsche von Banken und Staaten mit so hohen Zinsen belegt hatte, dass man den Wunsch durchaus hätte ins Reich der Märchen abschreiben müssen.
Diese Situation dauert innerhalb der Euro-Zonen nun schon seit Jahren an. Während im Rahmen der internationalen Währungs- und Wirtschaftspolitik die Zusagen für Finanzhilfen bzw. Kredite nach wie vor sehr restriktiv vergeben werden und sich auf Krisenphasen oder Naturkatastrophen beschränken, hat die Euro-Zone einen phantasievollen Weg außerhalb dieser Restriktionen versucht. Während der IWF z.B. auch bei der Refinanzierung des griechischen Staatshaushaltes stets unter Nachhaltigkeits- bzw. Tragfähigkeitskriterien die Kreditvergabe gewähren wollte, haben die Euro-Regierungen im EZB-Rat diese Kriterien ausgesetzt.
Nun könnte man der Meinung sein, die Euro-Staaten betrieben geldpolitisches Harakiri. Und dieser Verdacht wäre nicht ganz unbegründet. Die Euro-Regierungen haben aber den Transfer der Nachhaltigkeit und Tragfähigkeit von Staats-Refinanzierungskrediten von den privaten und öffentlichen Kapitalmärkten zum Bürger als lender of last resort stets mit dem Hinweis auf eine wirtschaftspolitische Rechtmäßigkeit unterlegt. Die Euro-Staaten argumentieren über den EZB-Rat stets damit, dass die EZB ihr wirtschaftspolitisches Mandat der Geld- und Zinspflege einhält. Dahinter verbirgt sich das von uns so beschriebene japanische Modell, welches den Staat als employer of last resort begreift.
Wir ahnen also, dass die Krux im Übergang von der Realwirtschaft zur Politischen Ökonomie sich in eben dieser Frage verbirgt: welches Ziel hat die Refinanzierungspolitik der Euro-Staaten? Würden Staaten ihren Bürgern die Kreditrisiken einfach nur so aufbürden, ohne Gegenleistung gewissermaßen, wäre das mehr als ein Skandal, es wäre eine Art der machtpolitischen Selbstbedienung am Geldbeutel der Bürger, Wähler oder Nicht-Wähler. Wenn in einem Staaten- und Wirtschaftsverbund wie der Euro-Zone die Refinanzierung der Staatshaushalte in Krisenzeiten der Sicherung von Arbeit in der Realwirtschaft dient, wäre wenig dagegen zu sagen, wäre dies in bestem Sinne Keynes ein politischer Eingriff in die Marktwirtschaft da, wo diese an die Grenzen ihrer volkwirtschaftlichen, vor allem ihrer Wohlfahrtsverpflichtungen gerät.
Aber haben wir es wirklich mit der keynesianisch legitimen Intervention des Staates zur Sicherung von Arbeit in Krisenzeiten zu tun? Offensichtlich ist, dass neuerdings immer mehr Stimmen, auch die von geldpolitischen Experten kein Blatt mehr vor den Mund nehmen, wenn aus dem Verdacht der Staatenfinanzierung längst eine Erkenntnis geworden ist. „Notenbanken finanzieren den Staat“ lautet heute die Überschrift über diverse Artikel in der Presse und diese rekurrieren auf Tatsachen, die sich politisch real kaum noch bemüht, sich vor den Augen der Bürger in eine Art semantischer Camouflage anzubiedern.
Mittlerweile gibt es sogar Konferenzen in aller Öffentlichkeit zum Thema Modern Monterary Theory selbst auf europäischem Boden. Die Frage, wie modernes Geld funktioniert, wird darin mittlerweile fast konsensuarisch beantwortet. Zentralbanken schreiben demnach Regierungen quasi auf Zuruf Einlagen bei sich gut, die dann wiederum von den Regierungen ausgegeben werden können. Die einzige Frage, die bei dieser Form der Kapitalwirtschaft bleibt ist, ob diese noch eine indirekte oder schon eine direkte Form der Staatenfinanzierung darstellt? Sagen wir, dies entspricht noch einer indirekten Form der Staatenfinanzierung, dann sehen wir strukturell ähnliche Formen in Japan, Kanda, Europa, China usw. also mittlerweile fast überall auf der Welt.
Und mit dieser Form der Refinanzierung von Staatshaushalten einher geht weltweit der gleiche Diskurs, dass die Refinanzierungskriterien der Staatshaushalte unmittelbar als Ziel die Finanzmarktstabilität haben, die allein darin erreicht wird, dass die Preise für Staatsanleihen in den Keller gehen.
Und die Geschichte hat auch ein zweites Kapitel, dass darin besteht, das es letztlich völlig irrelevant ist, ob eine Zentralbank die Staatsanleihen direkt von der Regierung kauft oder die Banken das machen, wie wir soeben sahen, indem sie sich vorher das Geld bei der Zentralbank leihen müssen. Und als drittes Kapitel dieser Form der neuen Kapitalmarkt-Ökonomie, die eine rein politische Ökonomie schon längst ist, machen die Zentralbanken unmissverständlich deutlich, dass sie nötigenfalls am Sekundärmarkt alles aufkaufen, was auch nur irgendwo als ein Geldpapier existiert, dessen Wert einen Cent über dem reinen Papierwert liegt, und dies als Pfand hinterlegen, so dass die Banken kaum bzw. kein Verlustrisiko bei dieser Form der Kapitalmarktwirtschaft haben.
Es mag ja einen gewissen Reiz haben, der weit über den wirtschaftlichen hinausgeht, wenn Zentralbanken gewährt wird, sich als Hüterin und zugleich als Aufseherin über die Finanzpolitik und zugleich über die Beschäftigungspolitik eines Staates zu wähnen und mit QE-Programmen und Refinanzierungsprogrammen von Staatshaushalten sich wie Good-Father im „Kernel“ der Politischen Ökonomie agierend wähnend zu gerieren. Das beste und zugleich zweifelhafteste Beispiel dafür mag die Troika in der Griechenlandkrise sein, hat sie sich doch weder demokratisch legitimiert noch fachlich angemessen in griechische Angelegenheiten eingemischt, die für sie so unsichtbar waren wie die Aufbauten großer Schiffe außerhalb der Sichtweite auf dem Ozean.
Wir wissen, bereits weniger als dreißig Seemeilen entfernt von unserem Sichthorizont bleiben Tausende von Schiffstransfers für uns Landratten unsichtbar. Und so musste mit der Zeit auch die Troika einsehen, dass die Kontrolle der Einhaltung der Austeritätspolitik zwar notwenig, aber doch nicht hinreichend für die Sicherung der griechischen Staatsfinanzen war, die seit der offiziellen Feststellung des griechischen Staatskonkurses am 3. Juli 2015 durch den EFSF als ein ungelöstes Problem fortexistierte.
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[title]Begriffe – Anmerkungen – Titel – Autoren[/title]
Modern Monetary Theory – Employer of Last Resort – lender of last resort – Moral Hasard – Ringtausch
1 Führende Vertreter der MMT sind Warren Mosler, Bill Mitchell [1], Randall Wray, Stephanie Kelton [2], Pavlina Tcherneva, James K. Galbraith [3] und Michael Hudson. Auch Scott Fullwiler, Fadhel Kaboub, Mathew Forstater und in Europa Dirk Ehnts, Andrea Terzi und Paul Steinhardt werden der Schule zugerechnet. Viele dieser ÖkonomInnen sind oder waren am Bard College in New York oder an der University of Missouri–Kansas City tätig.
2 Warren Mosler: Full Employment AND Price Stability. Abgerufen am 06. April 2019 (amerikanisches Englisch, frei zugängliche Version) Artikel ohne Grafiken.
3 Georg Friedrich Knapp: Staatliche Theorie des Geldes. Duncker & Humblot, Leipzig 1905. Darin argumentiert Knapp gegen die Geldwerttheorie des sog. Metallismus und den darauf basierenden Wertberechnungen nach dem Goldstandard.
4 Als Kreditgeber letzter Instanz wird im Finanzwesen eine Institution bezeichnet, die als Kreditgeber oder Garant bei Schuldnern freiwillig oder auf gesetzlicher Grundlage fungiert, wenn hierzu niemand anders mehr bereit ist, z. B. der IWF.
5 Moral Hazard bedeutet Fehlanreize – Personen oder Unternehmen können sich aufgrund ökonomischer Fehlanreize verantwortungslos oder leichtsinnig verhalten und damit ein Risiko auslösen oder verstärken.
6 Der EONIA (Euro OverNight Index Average) ist der Zinssatz, zu dem auf dem Interbankenmarkt im Euroraum unbesicherte Ausleihungen in Euro von einem Target-Tag auf den nächsten gewährt werden. Ein Target-Tag ist jeder Tag, an dem das Target-2-System Zahlungen abwickelt.
7 Vgl. Sinn (2014) a.a.O. S. 207-214, darin BOX 5.1 Der STEP-Markt.
8 FOCUS Magazin, Nr. 52 (2000)
[1] Was ist neu an der Modern Monetary Theory? Eine Erinnerung an Knapps „Staatliche Theorie des Geldes“ (1) – Fazit – das Wirtschaftsblog. In: Fazit – das Wirtschaftsblog. 18. Januar 2012 (faz.net [abgerufen am 06. April 2019])
[2] „Schon die Frage ist falsch“ – Interview mit Stephanie Kelton, SZ, Nr. 288, 14. Dezember 2018, S. 17.
[3] „Modern Monetary Economics“ auf dem Weg zum ökonomischen Mainstream?, TELEPOLIS, 9. September 2010.
Kindleberger C., Aliber, R., Manias, Panics and Crashes. A History of Financial Crises, New York 1978.
BAGEHOT, W. (1873/1962), Lombard Street, A Description of the Money Market (1873), Nachdruck: Homewood, 111. (1962)
HAWTREY, R. G., The Art of Central Banking. London 1933, 2. Aufl., New York 1962.
Charles Poor „Charlie“ Kindleberger (* October 12, 1910, NYC † July 7, 2003, Cambridge, Massachusetts)
Walter Bagehot (* 3. Februar 1826 in Langport, Somerset; † 24. März 1877 ebenda)
Sir Ralph George Hawtrey (* 22 November 1879, Slough † 21 March 1975, London)
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