Zu einer modernen Politischen Ökonomie – Teil I

Die Integration von unterschiedlichen Staaten in eine europäische Union mit wirtschaftspolitischer Kompetenz ist bereits weit vorangeschritten und kann mit der Amtszeit von Mario Draghi fast gleichgesetzt werden. Der Integrationsprozess gründet nicht auf demokratischen Prozessen, hat daher keine wirkliche Legitimität als von den Bürgern Europas bzw. der Eurozone durch Wahlen bestätigt. Der Integrationsprozess ist damit nichts anderes als eine fortschreitende Politische Ökonomie – wir sehen einmal von allen anderen Faktoren wie den sozialen und kulturellen Faktoren u.a. weiterhin ab – die Fakten schafft. Wie bereits gesagt, ist der Prozess der politischen Integration auf der Basis demokratischer Mehrheiten nicht zu erreichen. Könnten die Bürger abstimmen, ginge die Wahl wohl verloren. Und auch in den Parlamenten dürften, wie im deutschen Bundestag, keine Mehrheiten für eine Änderung der Verfassung zusammenkommen, die aber notwendig wäre für eine echte, politische Integration.

In diesem Dilemma haben sich die Regierungen der Eurozone ‚entschieden‘, jedenfalls handeln sie so, als wären sie demokratisch ermächtigt, die Integration der Staaten der Eurozone auch ohne demokratisches Mandat zu realisieren. Wahrscheinlich hätten auch die Bürger der Eurozone mehrheitlich nichts gegen eine tiefere Integration, solange sie den Preis dafür nicht kennen. In Kenntnis davon ginge das Votum wohl eindeutig gegen den Integrationsprozess zurzeit aus. Während in einigen Eurostaaten es scheinbar nur um politische Detailfragen zu gehen scheint, um Subventionen, um die Aufrechterhaltung demokratischer Strukturen etwa in der Zusammensetzung von Gerichten etc., um Verteilungsfragen bei der Integration von Flüchtlingen etc., alles wichtige Fragen, in der Tat, geht aber eine Politik ihres Wegs, der weitaus mehr ‚kostet‘ als die bislang angefallenen 800 Mrd. bis 1.3 Billionen Euro aus dem Target-System. Und der Preis ist nicht nur in Geld zu zahlen.

Gleichwohl die Regierungen an einer richtigen und fast unschätzbar wertvollen Idee, der Einheit Europas, festhalten, findet sie in der Umsetzung dieser Idee keine ungeteilte Zustimmung bei den Bürgern. So handeln die Regierungen der Eurozone im rechten Sinne dieser Idee, quasi mit größter Diskretion gegenüber ihren Wählern; ein echter politischer Diskurs über den Prozess der politischen Integration hat bis dato nicht stattgefunden, kein Wunder.
Wir sind also nicht der Meinung, dass die EZB in ihren geldpolitischen Beschlüssen einer fundamentalen Kritik unterzogen werden müsste, nicht in der Sache generell. Sachlich betrachtet ist die Geldpolitik der Europäischen Notenbank mehr dem Integrationsprozess verpflichtet, als den einzelnen Regierungen der Eurozone. Aber was treibt die EZB in Wahrheit an, wenn es denn etwas sein soll, was weit über ihr Mandat hinausgeht?
Wir können nur vermuten, da es kein öffentliches Statement zur europapolitischen Zielsetzung der Geldpolitik der EZB gibt, auch nicht über das hinaus, was als Stabilitätspolitik für den Euro offiziell bezeichnet und kolportiert wird, geben kann. Denn dann wäre Geldpolitik ja Währungs- und Wirtschaftspolitik und wäre nicht legal, also versucht man unbedingt zu vermeiden, dass die EZW Fiskalpolitik und sogar Währungspolitik betreibt. Aber eben genau das tut sie. Die EZB betreibt Wirtschaftspolitik mit den Mitteln der Währungspolitik. Sie macht dies nicht unbedingt freiwillig, sondern im Lichte der globalen Vernetzung von Realpolitik und Währungspolitik, die heute ganz massiv von den USA und von China zur Manipulation des globalen Wettbewerbs zugunsten ihrer Volkswirtschaften eingesetzt werden.

Eine moderne Politische Ökonomie sollte daher die Notenbankpolitik stets in Beziehung zum globalen Wettbewerb von ganzen Volkswirtschaften in Beziehung setzen. Dies ist eine der Grundvoraussetzungen moderner Politischer Ökonomie und zum Verständnis der Transformationen, die aktuell in der Weltwirtschaft stattfinden. Dabei reicht es nicht, Globalisierung nur als globalen Handel und die Finanzmärkte als dessen Spurtreter, dem Handel über den Globus folgend, zu verstehen. Der globale Handel ist heute genauso Teil der Politischen Ökonomie wie die Finanz- und die Geldpolitik der großen Player im weltweiten Wettbewerb, der mittlerweile fast ausschließlich als wirtschaftspolitischer Wettbewerb unter Regierungen ausgespielt wird.

Der Handelskrieg zwischen den USA und China mag ein Beleg dafür sein, dass das Selbstverständnis von Politik wie hier in diesen beiden großen Wirtschaftsräumen sich fast gänzlich von den traditionellen Feldern der ministerialen Zuständigkeiten und deren klassischer Einteilung in die großen Bereiche der Innen- und der Außenpolitik in Richtung direkter Einflussnahme auf globale Wettbewerbsangelegenheiten bis hinein in internationale Konzerne verschoben haben. Wir haben als ein Beispiel den chinesischen Technologiekonzern Huawai notiert neben der deutschen und asiatischen Automobilbranche und dabei gezeigt, dass Globalisierung weitaus mehr meint als internationaler Handel mit Waren und Dienstleistungen.

Der internationale Handel ist mittlerweile zum Regierungswettbewerb zweier wirtschaftsnationaler Spielräume geworden, auf denen China und die USA die Regeln der bislang gültigen Globalisierung unter den Augen des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und der heutigen Welthandelsorganisation (WTO) außer Kraft setzen. Was damals, nach dem Treffen von Bretton-Woods und in der Folge vor allem in den 1990er Jahren noch Ziele der Weltwirtschaft waren: Vollbeschäftigung, eine gerechte Einkommensverteilung und somit inklusives Wachstum, also Wachstum nicht nur für alle, sondern nach unserer Auffassung auch die Entwicklung der internationalen Wohlfahrt, steht heute wieder in Frage.
Das angelsächsische und vor allem das amerikanische Modell und nicht die Globalisierung selbst haben diese Ziele wie bereits ausführlich gezeigt, durch eine von den Interessen einer an der liberalen Marktwirtschaft festhaltenden Politik gefährdet. Einmal mehr verwirrt die Rede von der „politischen Macht der Konzerne“ (Rodrik, 2000) den Blick auf das Wesentliche in diesem Zusammenhang. Wenn der Zusammenhang zwischen weltwirtschaftlichem Wachstum und einer davon abgekoppelten Entwicklung politischer und sozialer Ziele tatsächlich in der Macht der Konzerne gründete, warum beendet dann die Politik diese Fehlentwicklung nicht? Sie könnte es per Handstrich.

Zum Ende 2019 wird immer deutlicher, worum es hinter den Zinssenkungen und Anleihenkäufen der EZB geht: bereits die Ankündigung einer weiter expansiven Geldpolitik mit anhaltendem Niedrigzinsumfeld wird von den Finanzmärkten als Auftakt zu einem Wettbewerb interpretiert, in dem sich die Notenbanken der Welt versuchen, zinspolitisch zu übertrieben. Ziel dieses Wettbewerbs ist, die Währung des Wettbewerbers zur zentralen Schwachstelle seines Wirtschaftswachstums werden zu lassen, indem der andere Wettbewerber seine Währung abwertet. So geschehen bei der sog. Sintra-Rede von Mario Draghi am 18.Juni 2019 und bereits einen Tag später antwortete wütend Donald T., dass er den Wettbewerb mit Europa und China unverzüglich aufnehmen werden und seinen Notenbankpräsidenten Powell mehr oder weniger angewiesen habe, nun seinerseits Zinssenkungen anzukündigen; dies geschah dann auch wenige Tage später.

Der Coup war, dass die EZB dieses Mal der Fed zuvorgekommen ist, normalerweise folgt sie in angemessenem Abstand deren Zinspolitik. Und der Coup war gelungen. Denn nicht nur ließ Europa eine angemessene Reaktion auf die nun schon Jahre anhaltenden Androhungen von Handelssanktionen durch das Oval Office und die bereits angelaufenen Handelskriege, das jahrelange QE-Programm und nicht zuletzt die völlig marktmanipulative Fiskalpolitik der USA folgen, die EZB ließ die Börsen jubeln in einer Zeit, in der die Finanzwelt nur auf die USA schaute.

So voller Euphorie versammelten sich die Investoren an den europäischen Börsen und ließen den deutschen Leitindex binnen Stunden um zwei Prozent steigen. Und was normalerweise nicht der Fall ist, aber immer öfter vorkommt, auf dem Anleihenmarkt stiegen gleichzeitig die Kurse, was die Renditen auf nie dagewesenen Tiefststände drückte, so dass für zehnjährige Bundesanleihen der Kurs auf minus 0,3 Prozent fiel. Aber damit nicht genug, selbst Anleihen aus Frankreich und Österreich drehten temporär in den Minusbereich, was heißt, dass Investoren Geld dafür bezahlen, wenn sie Frankreich, Österreich und Deutschland Geld verleihen dürfen. Und die Überraschung gelang in Perfektion, als internationale Investoren zu ziemlich riskanten europäischen Wertpapieren griffen und italienische sowie griechische Staatsanleihen in ihre Depots legten, obwohl die zehnjährigen Anleihen beider Staaten mit etwas über 2 Prozent fast genauso viel an Rendite notieren, wie die als äußerst sicher geltenden zehnjährigen US-Staatsanleihen.

Alles dies gehört natürlich in die Rubrik Maktmanipulation und wird auch jeweils vom betroffenen Wettbewerber so zurecht gesehen und benannt. Es manipulieren alle, die USA, China und Europa. Und es ist diese politische Manipulation, die die Ziele von Bretton-Woods, so es sie überhaupt neben ihrer Papierform gibt, außer Kraft setzen. Nicht multinationale Konzerne haben die Idee einer international bzw. multilateral gesteuerten Öffnung der Weltwirtschaft gekapert und für ihre Ziele der Gewinnmaximierung missbraucht. Wenn Rodrik von der „Kehrseite der Globalisierung“ spricht und dabei die „soziale und wirtschaftliche Spaltung innerhalb vieler Volkswirtschaften“ im Auge hat, die sich seiner Meinung nach vergrößert, je mehr die Wirtschaft sich globalisiert, dann hat er ein allzu simples Verständnis von den Transformationen seit Bretton-Woods.

Wir haben die größer werdende Spaltung der angelsächsischen, liberalen Wirtschaftsordnungen als eine Spaltung von nationalem Wohlstand und nationaler Wohlfahrt detailliert nachgezeichnet. Sie ist also kein Ergebnis von Globalisierung, sondern liegt im Kern binnen- wie außenwirtschaftlich in der Art und Weise wie die liberale Marktwirtschaft in ihren ökonomischen Angebotsorientierung verfährt. Das ist heute außenwirtschaftlich problematisch geworden, an den globalen Märkten vorbei zu produzieren, insofern die Bedürfnisse der Kunden auf den internationalen Märkten bei der Planung und Ausführung der nationalen Produktion so gut wie keine Rolle spielen. In den Weiten der USA kann man gut 6 Liter Vans verkaufen, in den asiatischen Staaten gibt es diese Weiten und Bedürfnisse seltener.

Worauf Rodrik aber überraschenderweise und zurecht hinweist, ist, dass das europäische vom amerikanischen und dem chinesischen Modell sich dadurch unterscheidet, dass Europa der Idee, dass die Weltwirtschaft eine Ansammlung souveräner Staaten ist, wieder Auftrieb geben kann. Wenn wir also von der EZB und ihrer über Geldpolitik betriebenen Währungs- und Wirtschaftspolitik sprechen, dann sehen wir darin keine Politik, die sich den Zielen von Bretton-Woods noch verpflichtet sieht, sondern eine Politik, außerhalb von internationalen bzw. multilateralen Regeln und Zielen, gleichsam einen Wettbewerb, der auf einem Feld der Ziel- und Regellosigkeit im weltwirtschaftlichen Sinnen stattfindet.

Die EZB hat die Fed unter Druck gesetzt. Druck ist zur Regel geworden. Und wie druckvoll die von der EZB initiierte Geld- und Währungspolitik auf den US-Präsidenten wirkt, mag man daran sehen, wie druckvoll er nun wiederum versucht, den Wechselkurs des US-Dollars gegen den Euro zu steuern; ein unsinniges Unterfangen, mag man meinen, aber Donald T. hat bereits die letzten Reste von Unabhängigkeit der Fed gegenüber seiner Politischen Ökonomie vom Asphalt gekehrt. So zeigt er wie ein getroffener Boxer auf den unfairen Schwinger aus Europa, ohne auf seine unfairen Kampfmethoden zu schauen. In einem unfairen Kampf gewinnt immer der, der mit der Unfairness beginnt, weil er weiß, dass er die schlagenden Argumente hat. Und davon haben die USA deutlich mehr, als Europa und China zusammen.

Es wäre daher fast unverantwortlich, wenn die EZB ob der angewachsenen Handelskriege, der Zölle und Beschränkungen aller Art, ob des Dollars als weltweite Leitwährung, eingesetzt in der Iranpolitik z. B. die für die internationale Weltgemeinschaft enorme politische Auswirkungen hat und ob der Kraft der US-Unternehmen im IT- und im Finanzbereich sich nicht frühzeitig auf eine solche Politik mit ihren Auswirkungen auf die Weltwirtschaft einstellen und präventiv sowie proaktiv agieren würde. Eine Verringerung des Weltwirtschaftswachstum trifft natürlich zuerst die Exportnationen der Welt und dazu gehören auch einige Staaten der EU und also ist proaktives Verhalten angezeigt und in der Verantwortung europäischer Wirtschaftspolitik.

Die EZB weiß darum, dass die USA bei den Zinsen deutlich mehr Spielraum hat, als die Eurozone, liegt der Leitzins mittlerweile doch bei 2,25 bis 2,5 im Vergleich zum wichtigen Einlagenzins in Europa, der bei minus 0,4 Prozent notiert. Aber obwohl der US-Notenbankchef von einer aktuellen Zinssenkung nicht viel hält, nach Maßgabe marktwirtschaftlicher Betrachtungen überhaupt nichts halten kann, musste er den Kotau vor dem Präsidenten der USA machen, der die Politische Ökonomie fast im Alleingang zu bestimmen trachtet und seinerseits Zinssenkungen ankündigen. Trump will den Dollar schwächer gegenüber dem Euro, da sonst sein Bestreben, die Handelsbilanz seiner Volkswirtschaft zu verbessern, durch einen starken Dollar am Ende wieder zunichte gemacht würde. Das BIP ist somit zum Politikum geworden.

Das BIP ist schon lange keine rein volkswirtschaftliche Kennziffer mehr. Es ist zu einem Machtfaktor der Politischen Ökonomie transformiert worden. Waren bislang Handel und Politik getrennt, wachsen nun Wirtschaft und Politik zusammen. Aber in dieser Einheit gibt es keine Gleichheit, keine Symmetrie zwischen Politik und Wirtschaft, nicht bei den Interessen, nicht in den Zielen, nicht in den Methoden, Interessen zu vertreten und Ziele zu erreichen. Galt bislang für internationale Wirtschaftspolitik die Unterordnung der Politik unter das Primat der Marktwirtschaft, wenn z.B. nach der Finanzkrise 2007/08 die Regierungen der USA und Europas gemeinsam einen Absturz der Wertwirtschaft zu verhindern suchten, so hat sie die Wirtschaft heute in weiten Teilen und Belangen dem Primat der Politik zu beugen. In China gilt das Primat umfassend, in den USA zunehmend. Hier sind vor allem die Fed und damit die Kapitalmärkte zunehmend dem politischen Druck ausgesetzt.

Die großen Militärmächte USA, China und Russland dominieren immer weitere Teile der Wirtschaft, die sie zur Durchsetzung ihrer geopolitischen Ziele einsetzen, missbrauchen. Gleichzeitig wird es und dies vor allem in Europa, immer wichtiger, dass Politik zu ihrem eigentlichen Geschäft zurückfindet, die nationalen wie die globalen Interessen der Marktwirtschaft gegen das Primat der Politik zu schützen; das fordert sogar das deutsche Grundgesetz. Wirtschaft und Politik lassen sich in Zeiten eines weltweit wachsenden Wirtschaftsnationalismus zwar nur noch zusammen denken jedoch immer nur mit dem Wissen um die deutliche Asymmetrie innerhalb dieser Einheit. Die Asymmetrie betrifft im Außenverhältnis von Europa nicht nur die geopolitischen Interessen der militärischen Weltmächte. Sie betrifft im Binnenverhältnis alle Ungleichgewichte, die aus der Struktur des europäischen Experiments herrühren, dass also die Autonomie der europäischen Staaten zu einem wirtschaftlichen Ungleichgewicht im Innern Europas führt, gelistet in den Target-Salden, und nach außen in der wirtschaftspolitischen Schwäche Europas gegenüber den Deregulierungen vonseiten Chinas und der USA erkennbar ist.

Neben den einschneidenden Deregulierungen marktwirtschaftlicher Vereinbarungen und Abkommen seit Bretton-Woods, sei es im globalen Handel oder auf den internationalen Finanzmärkten, verzeichnen wir ein fast mafiöse Vermögensumverteilung in der Art von Schutzgelderpressung der Militärmächte gegenüber ihren unfreiwilligen „Schutzstaaten“; Bedrohung und Schutz werden quasi imperial vorgetragen und durch eine unglaubliche Verteilung gesellschaftlichen Reichtums in Verteidigungsausgaben zementiert. Nicht nur eine Art militärischer Vasallenpolitik in geopolitischer Ansicht, sondern eine ebensolche Politik eines modernen Wirtschaftsimperialismus à la „Mittelerde“ sehen wir in Form des sog. „neue Seidenstraße“ Projekts, das zahlreiche Staaten unter das chinesische Politikprimat bringt.

Das politische Powerplay um weltwirtschaftliche Macht und, wo noch nicht ausreichend genug realisiert, um geopolitischen Einfluss wird mit allen Mitteln gespielt. Da sind die Strafzölle auf fast alle chinesischen Exporte in die USA, die letztlich auch den USA nur wirtschaftlichen Schaden bringen. Da wird der Türkei der wirtschaftliche Abschwung mit riesigen Einbrüchen im BIP und einer Inflation von über 30 Prozent, weiter steigend, bereitet, um sie für die bereitwillige Zustimmung zum Einfluss Russlands zu bestrafen und fortan abzuhalten und man ahnt, was passieren würde mit Nordstream II, wenn Deutschland nicht Teil der EU wäre.
In Hongkong dreht sich der Konflikt mit Festlands-China immer schneller, Lateinamerikanische Staaten erhalten nur chinesische Hilfen, wenn diese ihre Wirtschaftsbeziehungen zu und ihre politische Anerkennung Taiwans aufgeben.

Das wichtigste Instrument der modernen Politischen Ökonomie aufseiten der USA ist der US-Dollar. Mit seiner Währung, die die größten Rohstoffmärkte der Welt und weite Teilen der Weltwirtschaft als Absatzmärkte dominiert, können die USA dem Rest der Welt ihre Interessen aufzwingen; und sie tun dies immer öffentlicher sogar per Twitter. Der traditionelle Kotau der europäischen Politik unter die der USA wird schwieriger. Gerade Großbritannien zeigte, dass dessen tiefe Verneigungen vor einer romantisch verklärten, natürlichen Partnerschaft mit den USA im Nachkriegsbritannien wirtschaftlich zu nichts geführt hat. Seinen wirtschaftlichen Aufschwung verdanken die Briten dem Beitritt zur EU; aber Blut scheint immer noch dicker zu sein als Wasser zumal, wenn das sich überwiegend im Kopf ansammelt.

In dieser Zeit geopolitischer Machtinteressen und Wirtschaftsnationalismen behauptet Europa das Selbstverständnis einer internationalen Wirtschaftspolitik, die durch internationale Regulierung einen Ausgleich multilateraler Interessen anzustreben versucht. Gleichwohl auch dieses Konzept nicht ohne asymmetrische Mitte ist, grenzt es sich doch strikt ab von amerikanischer und chinesischer Machtpolitik. Dabei kommt der EZB eben jener Part an europäischer Machtpolitik zu, die es in die Lage versetzt, wenigsten wirtschaftlich mit China und den USA mitzuhalten und dies gelingt nur durch eine konsequente Währungspolitik, die einer in Autonomien uneinheitlich organisierten Interessenspolitik die notwendig Kraft verleiht, die wirtschaftliche Stärke der EU auch zur Geltung zu bringen.

Was von vielen aus Politik und Wirtschaft über die EZB – und in Folge ihrer Geldpolitik über die EU bzw. die Eurozone – gesagt wird, dass sie Europa schwächt gegenüber den USA und China ist schlicht Unsinn und stimmt nicht einmal mit den basalen Daten des Wirtschaftsraumes überein. Und dass Europa mehr ist als der weltgrößte Binnenmarkt, sondern auch die Kraft besitzt, seine Interessen gegenüber den sog. Big Playern durchzusetzen, seht man offenen Auges jeden Tag und überall. Wirt die EU ihren Markt mit über 500 Millionen Konsumenten und ihren über Jahrtausende konsolidierte Entwicklung in die Waagschale, dann ermöglicht dies relativ leicht bilaterale Abkommen mit amerikanischen Internetgiganten, die diese niemandem gerne einräumen, zumal deren Regierungen Ähnliches nicht verlangt, und das geht weit über Datenschutz und Besteuerung hinaus.

Europa tut sich bei Handelsabkommen mit den asiatischen Wirtschaftsräumen nicht sonderlich schwer, auch nicht gegenüber Kanada oder dem lateinamerikanischen Wirtschaftsraum Mercosur. Man mag Europas politische Interessenlage als schwach bezeichnen, weil sie derzeitig gegenüber den USA und China nicht durchsetzbar scheint, aber was heißt da Schwäche? Allseits rät man Europa aufzurüsten, konventionelle und atomare Großmacht zu werden; wozu? Soll Europa seine wirtschaftspolitischen Interessen mit Flugzeugträgern und Missiles durchsetzen?
Wenn Europa auch in Zukunft die Kraft zur Durchsetzung seiner weltwirtschaftlichen Interessen in Kompromissen mit den Weltmächten erreich will, dann braucht Europa dazu einen starken Euro. Nur mit einem Euro, der auf Augenhöhe mit dem Dollar in der Weltwirtschaft agiert, kann Europa gegen exterritoriale Interessen wie die amerikanischen Wirtschaftssanktionen und den chinesischen Wirtschaftsimperialismus bestehen.

Wie wir bereits ausgeführt haben, hatte der Euro vor der internationalen Finanzkrise bereits viel Boden gegenüber dem Dollar als zweite Weltwährung gut gemacht, zwischenzeitlich aber wieder viel an Boden eingebüßt. Dass der Euro sich so schwer tut, eine echte Alternative zum Dollar zu werden, liegt allein daran, dass die Staaten der Eurozone sich nicht einig werden können über den Weg zu einer echten Währungsunion, auf dem vor allem von der deutschen Regierung die größte Bremswirkung ausgeht. Das ist in Grenzen verständlich, hat Deutschland doch im letzten Jahrhundert leidvolle Erfahrung machen müssen mit weltpolitischer Großmannssucht seines Kaisers im Ersten und Nazi Hitler im Zweiten Weltkrieg. Fortan war die Bundesrepublik nur Bündnispartner und hielt sich aus allen geopolitischen und geoökonomischen Avancen fern. Und solange die Bundesrepublik im Konzert der wichtigen Exportstaaten von den nach Bretton-Woods geltenden, gemeinsamen Spielregeln ausgehen konnte und im leidlich fairen Wettbewerb ihr globales Wirtschaftsengagement ausspielen konnte, bedurfte es keiner weiteren politischen Anstrengungen, Spielregeln und deren Einhaltung zu verfeinern und zu fordern.

Mit China und den USA haben die beiden größten Wirtschaftsräume nach dem von Europa beschlossen, die Regeln der globalen Wirtschaft in deren Sinn umzuschreiben. Diese Deregulierung der Weltwirtschaft hat Europa ernsthaft vor Augen geführt, dass selbst die lückenhafte, aber funktionierende, regelbasierte Weltwirtschaft im Sinne einer, nach autonomen Entscheidungen sich vernetzender Staaten und deren Wirtschaften diplomatisch nicht mehr aufrecht zu erhalten ist. Deren Verteidigung ist damit zur Causa Currency geworden und wird sich ohne militärpolitische Kalküle nicht nachhaltig durchsetzen lassen.

Es wundert daher wenig, dass Russland nun nach fünfjähriger Unterbrechung sein Stimmrecht in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE) zurückerhält. Gegen gewaltigen aber nachvollziehbaren Protest der Ukraine, der mit dem Auszug der ukrainischen Mitglieder aus dem Rat vorläufig endete, bleibt Russland nun wieder stimmberechtigtes Mitglied des Europarats mit Sitz in Straßburg und zeigt, welche Bedeutung eine Annäherung von Russland und Europa vor dem Hintergrund der neuen, geopolitischen Machtinteressenlage hat.
So sehr daher die EZB auch das Gewicht des Euro in die neue Weltwirtschaftspolitik Europas gegenüber dem „Rest der Welt“ einbringt, ohne die geopolitische und geoökonomische Option einer wirtschaftlichen Annäherung Russlands und der EU wird Europa stets nur ein Spielball exterritorialer Machtspiele bleiben.

Der Staat als Leviathan der Weltwirtschaftspolitik ist ebenso eine Fiktion wie darin das Postulat einer staatsfernen, aus sich selbst heraus sich entwickelnden Weltwirtschaft. Fiktionen haben die Tendenz, sich schnell zu spalten in extreme, sich wechselseitig infizierende Vorstellungen. So ist die größte Gefahr von Allmachtsphantasien ihre anarchische Antipode. Daher hat die ausgreifende Machtphantasie der aktuellen Weltwirtschaftspolitik auf wirtschaftsnationalistischer Basis die Tendenz, die Vorstellung ihrer eigenen Gefährdung durch ein ausuferndes Ungleichgewicht in der Zahlungsbilanz zu vergessen und im Bann strikter Zinspolitik zu halten.

Schulden sind in diesem Vergessen nur die haushalts-neurotischen Leitvorstellungen, der Spaltpilz, der die Haushaltssouveränität der Staaten zersetzt. Das heilende Gegengift gegen die Krankheit wird als Zinspolitik der Notenbanken verabreicht. Aber wird dadurch ein Fortscheiten der Krankheit verhindert? Wir wenigstens der Krankheitsverlauf temporär gestoppt; wohl eher nicht. Wir verzeichnen bereits oberflächlich betrachtet einen Rückgang des BIPs in China um 1,5 Punkte durch den Handelskrieg mit den USA. Viele der weltweiten Emerging Markets und damit der weltweit agierenden Investoren befürchten ebensolche Effekte in den Portfolios ihrer Kapitalkonten.
Zugleich zeigte der US-Notenbankchef jüngst auf die Medikamentenschachtel und versprach Linderung in der Aussicht auf eine Zinssenkung und damit einer Lockerung der restriktiven Geldpolitik. Nimmt also die Vorstellung von einer expansiven Geldpolitik zu wirkt dies dämpfend auf wirtschaftlichen Abschwung weltweit; so die Fiktion und das Postulat. Aber in welche Köpfe schauen wir dabei?
Der Bloomberg-Index für Staatsanleihen aus den Emerging Markets legte in diesem Jahr zwischen Mai und Juni um über fünf Prozent zu; das ist viel. Die mittelschwer erkrankten Patienten glaubte wieder optimistisch an ein Ende ihrer Infektion und so profitierten Wertpapiere aus den Schwellenländern von der Ankündigung einer expansiveren Geldpolitik durch die Fed. Ihre bisherige Politik steigender Zinsen wirkte, um im Bild zu bleiben, wie als würde man einem erkrankten Patienten die Medikamente wegnehmen und nun, die Packungen auf den Patiententischen sich wieder häufen, scheint einer Genesung nichts mehr im Wege zu stehen.

Von einer Genesung kann man natürlich nicht sprechen, allenfalls von temporärer Erholung. Sinkende Zinsen machen den Dollar schwächer, lassen aber die Schwellenländer sich ein wenig erholen, aber nicht die amerikanische Volkswirtschaft, die sich ja gerade in der Zeit steigender Zinsen bis hierhin in 2019 prächtig entwickelt hat, sowohl das BIP wie die Arbeitsmärkte. Das macht die Angelegenheit interessant und für die Politische Ökonomie der USA prekär. Wenn amerikanische Geldpolitik den Dollar schwächt, aber Kapital von den USA in die Schwellenländer verlagert, unter anderem, weil sich viele Schwellenländer in Dollar verschuldet haben und ein günstigerer Wechselkurs den Schuldendienst dort erleichtert womit zugleich auf ein Hochfahren von Investitionen möglich wird, hat das eine pikant groteske Note.

Wenn Analysten zur Zeit vermehrt deshalb prognostizieren, dass die bereits lang anhaltende Dollar-Stärke ihrem Ende nahe kommt und somit ein Hauptziel amerikanischer Geldpolitik zwar erreich würde, gleichzeitig aber der gewünschte Effekt für die amerikanischen Kapitalmärkte ausbleibt, könnte man meinen, die Notenbank der USA stecken in einem schweren Dilemma, in einem double bind. Dann machte ausgerechnet diese Form der Geldpolitik die Schwellenländerwährungen zu attraktiven Anlagemöglichkeiten, wofür auch und vor allem die attraktiven Realrenditen gegenüber den Industrieländern sprächen.
So beurteilen gegenwärtig mehr und mehr Analysten die Aktien aus den Schwellenländern als attraktiv bis hoch attraktiv. Denn die Relation zwischen Kurs-Gewinn-Verhältnis und Gewinnwachstum lässt die Emerging Markets rund 40 Prozent preiswerter erscheinen als das globale Aktienbarometer MSCI-World-Index. Dieser große Optimismus auf den Märkten der Schwellenländer ist natürlich noch solange gefährdet, wie der Handelsstreit zwischen China und den USA nicht wenigstens verbal beigelegt wird und erste Zölle wieder zurückgenommen werden. So warnt auch das Institute of International Finance (IIF) in seinen aktuellen Prognosen vor einer Fortsetzung des Streits, der bis dato schon die Wachstumsaussichten der asiatischen Schwellenländer belastet. So sagt das IIF z.B. für die Wirtschaft von Südkorea bis zum Ende des Jahres 2019 nur noch BIP-Wachstum von 2,1 Prozent voraus, nach 2,7 Prozent im Vorjahr, was aber z.B. für Deutschland und andere EU-Staaten schon ein beachtlich guter Wert wäre. Für Thailand prognostizieren die Experten einen Rückgang von 4,1 Prozent auf 3,4 Prozent. Das hat dann zur Folge, dass nicht mehr ganz so viel Kapital von den Großinvestoren der westlichen Industriestaaten in die asiatischen Schwellenländer fließt.

Wir halten an dieser Stelle fest, dass die Handels- und die Geldpolitik der USA große Auswirkung auf den sog. Rest der Welt haben, die für die Volkswirtschaft der USA aber wünschenswerten Effekte nicht erreicht; fast das Gegenteil könnte richtig sein. Wenn also diese Politik negative Auswirkungen auf die USA selber hat, dürfen wir diese mit einer gewissen Zeitverzögerung erwarten. Benutzen wir für diesen Zweck einer möglichen Erklärung dieses Effekts den von Rodrik erdachten Begriff der „Hyperglobalisierung“, dann erkennen wir einen rekursiven Verlauf des Wirtschaftswachstums im Vergleich zwischen den USA und der Weltwirtschaft. Die Politische Ökonomie der USA erreicht durch ihre Notenbank- und Handelspolitik eine Wachstumsverlangsamung der Weltwirtschaft, die dann zeitverzögert auch das US-BIP-Wachstum abbremst.
Nachdem sich also aufgrund von weltweiten Handelskonflikten und einer langsamer wachsenden Weltwirtschaft eine Verlangsamung der US-Wirtschaft abzeichnete, korrigierte die Federal Reserve ihre ursprüngliche Wachstumsprognose im März 2019 nach unten; für 2019 auf 2 bis 2,5% und für 2020 auf 1,9% (ähnlich IWF-Prognose: 2,3% in 2019, 1,9% in 2020, Weltbank: 2,5% in 2019 und 1,7% in 2020).
Was neben diesen negativen Wachstumseffekten aber auch in die Betrachtung mit einbezogen werden muss, sind die langfristigen Herausforderungen, die die öffentlichen Finanzen der USA betreffen. Diese entwickeln sich nicht nachhaltig, das heißt, dass der Bundeshaushalt strukturell unterfinanziert ist. Obwohl das BIP sich ganz leicht aber positiv auch in 2019 entwickelt, bleibt das strukturelle Haushaltsdefizit bzw. vergrößert es sich sogar. Damit die Verschuldung der USA tragfähig bleibt, also die Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung nicht weiter ansteigen – im Jahr 2018 lag es immerhin bereits bei 108% des BIPs – müssten in einem Umfang von knapp 2% des BIPs Ausgaben gesenkt oder Einnahmen erhöht werden.

Und wieder droht der Politischen Ökonomie ein double bind. Um Wachstum zu beschleunigen, müssten die USA Ausgaben erhöhen. Um den Haushalt zu sanieren aber Einsparungen vornehmen. Gerade erst haben die USA die Steuern massiv gesenkt, nun müssten sie die Steuereinnahmen um ca. 400 Mrd. USD wieder erhöhen, also einen großen Teil der Steuersenkung wieder einkassieren, um wieder an Square One zu starten. Wer immer auch Präsident ist oder sein wird, er ist um diese Aufgabe kaum zu beneiden. Auch nicht darum, dass die Bürger der USA sich hoch-wahrscheinlich darauf einstellen dürfen, dass die Verschuldungsquote zügig auf die von Italien zuläuft, jedenfalls bis zum Ende des Haushaltsjahres am 30.9. ein Defizit von nominell rund 1 Billion USD zusätzlich bzw. 4 bis 4,5% des BIP zu erwarten ist; das jedenfalls scheint der einzige Ausweg aus dem Dilemma hinein in das double bind zu sein. Ein double bind ein Ausweg? Laut Modern Money Theory allemal und mit dem Dollar im Rücken, warum nicht?

Die öffentlichen Finanzen und mit ihnen das strukturelle Defizit zwischen Außen- und Binnenwirtschaft sind zwar gewöhnungsbedürftig, aber unter bestimmten Umständen eine lange Zeit tragfähig. Als größter Absatzmarkt für Importgüter weltweit sind die USA nicht zu einem ohnmächtigen Zuschauer, was auf den Devisenmärkten geschieht, verdammt; mitnichten. Es ist kein Rätsel, dass der Weltimporteur mehr ein- als ausführt. Im Jahr 2018 wuchsen die US-Importe um sieben, die Exporte um 6 Prozent und ließen das US-Leistungsbilanzdefizit von 568 Mrd. USD auf 621 Mrd. USD angestiegen; nun kommt wohl noch 1 Billion USD hinzu. Das alles geschah, obwohl Trump sich einige Mühe mit einseitigen, handelsbeschränkenden Maßnahmen, insbesondere Sonderzölle gegeben hat.
Um dem Anstieg des Handelsbilanzdefizits entgegenzuwirken, belegten die USA Importzölle auf die Einfuhr von Stahl (25%) und Aluminium (10%), die am 23.03.2018 auch für die EU in Kraft getreten sind. Ausnahmen von diesen Zöllen gelten seit Juni 2018 nur für Australien, Südkorea, Argentinien und Brasilien (Stahl) beziehungsweise Australien und Argentinien (Aluminium), zum Teil jedoch verbunden mit Quotenlösungen. Und was war das Resultat?

Neben den Hauptabnehmerländern für US-Warenexporte Kanada, Mexiko, China, Japan und Großbritannien hat allein Deutschland US-Waren in 2018 im Wert von 57,7 Mrd. USD eingeführt und lag damit auf Rang 6 der US-Absatzmärkte. Bei den Warenimporten der USA liegt Deutschland als Exporteur mit 125,9 Mrd. USD unverändert auf Rang 5 und erreichte bereits 2015 mit 124,1 Mrd. USD und 2016 mit 114,2 Mrd. USD vergleichbare Werte. Die USA hatten 2018 mit Deutschland das dritthöchste Handelsbilanzdefizit, das einen Umfang von -68,25 Mrd. USD auswies. Im Jahr 2017 hatte Deutschland mit 67,7 Mrd. USD noch das zweithöchste Handelsbilanzdefizit. Ein höheres Defizit verzeichneten 2018 China (419 Mrd. USD) und Mexiko (81 Mrd. USD)2. Nun scheint es, als würde das Defizit mit Deutschland abnehmen, aber andere Exporteure schließen diese Lücke.

Importzölle behindern die Weltwirtschaft, scheinen aber die Defizitprobleme der USA nicht zu lösen; im Gegenteil. So wurden im Mai 2019 z. B. die Stahl- und Aluminiumzölle für Kanada und Mexiko wieder aufgehoben und für die Türkei halbiert. Wie in einem Anfall von Erregtheit haben die USA bilaterale Freihandelsabkommen mit 20 Staaten abgeschlossen – Australien, Bahrain, Chile, Costa Rica, Dominikanische Republik, El Salvador, Guatemala, Honduras, Israel, Jordanien, Kanada, Kolumbien, Mexiko, Marokko, Nicaragua, Oman, Peru, Panama, Südkorea und Singapur. Die Verhandlungen über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) sind bis auf weiteres unterbrochen und Trump droht in regelmäßigen Twitter-Beiträgen – immerhin eine Regel – mit Strafzöllen auf deute Automobile und andere Industriegüter Europas.

Wie wir bereits ausführlich dargelegt haben, können die USA ihre strukturellen Probleme einer nicht im globalen Maßstab vernetzten Industrieproduktion nicht lösen und bleiben deshalb im double bind von Handels- und Haushaltspolitik gefangen. Ein Bereich der US-Wirtschaft stützt die Hoffnung auf ein BIP-Wachstum mit positiver Haushaltswirkung und das ist der Energiebereich. Und hier zeigt die Politische Ökonomie der USA geradezu Hyperaktivität. Die Zielrichtung dieser Überanstrengung dabei ist die radikale Deregulierung des Energiemarktes bei gleichzeitig extrem starker Ausbeutung fossiler Energieträger, vor allem Gas (Fracking), Öl und Kohle. Hier sehen die USA sich in naher Zukunft als Exporteur, genauer gesagt als ein Netto-Energieexporteur auf dem Weltmarkt, von dem ein Segment, ein großer Abnehmer ist mit Deutschland adressiert worden, Zielrichtung aber ist die gesamte EU.

So sind auch die Ausfuhren von Flüssigerdgas der USA in die EU seit der ersten Ladung im April 2016 erheblich gestiegen und haben im Juli 2018 eine nochmalige Steigerung um 272 Prozent erreicht. Damit verzeichnete der EU-USA-Handel mit Flüssigerdgas (LNG) im März 2019 mit über 1,4 Mrd. m3 sein bisher höchstes Volumen. Alle wissen, dass die gemeinsame Erklärung vom 25. Juli 2018 in Washington über die Stärkung der strategischen Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA im Energiebereich nicht so ganz freiwillig zustande kam. Die erhöhten LNG-Einfuhren aus den USA tragen nach offizieller Lesart zu dem Ziel der EU bei, ihre Energieversorgung zu diversifizieren. Das ist Polit-Talmi, wenn man davon ausgeht, dass die Nachfrage nach LNG-Einfuhren eher gleichbleiben oder sogar abnehmen werden und Gas aus den USA, wenn überhaupt nur als Übergangsbrennstoff bei den Bemühungen der EU zur Dekarbonisierung der gesamten Wirtschaft dienen kann. Mit den neuen, russischen Gaslieferungen aus Nord Stream 2 wäre der europäische Bedarf so weit gedeckt, dass ein neues Terminal für die US-Importe in Bremerhaven überflüssig erscheint.

Nehmen wir die politische Dimension dieses Ökonomiesektors in Augenschein, wird deutlich, wie wenig dieser mit Marktwirtschaft noch zu tun hat. Der Gasmarkt der EU ist der zweitgrößte der Welt, dazu sehr stabil, sehr liquide, sehr wettbewerbsfähig. Aber auf diesem Markt herrschen seit Juli 2018 keine marktwirtschaftlichen „Gesetze“, keine frei sich verhandelnden Priese und Mengen, nicht das Spiel von Angebot und Nachfrage mehr. Hier herrscht die Politische Ökonomie der USA. Wie sonst hätte der US-Anteil an den LNG-Gesamteinfuhren der EU von 2,3 Prozent vor der Gemeinsamen Erklärung auf 13,4 Prozent in den letzten sechs Monaten steigen können?3

Da, wo die USA heute nach der Doktrin ihrer Politischen Ökonomie, dessen Überschrift „America First“ lautet, handeln können, tun sie es und müssen keineswegs sich umstellen, einzig darauf, dass das, was sonst eher diskret, heute in aller Öffentlichkeit über Twitter ausgetragen wird. Und der LNG-Handel mit den USA macht deutlich, worum es im Kern geht, um den Preis für den Zugang zum amerikanischen Markt. Damit dort deutsche Autos verkauft werden dürfen, muss eben als Preis mit Flüssiggasimporten gezahlt werden; amerikanische Autos können Deutschland und die EU ja nicht gebrauchen. Und Europa wird noch einiges mehr aus den Staaten importieren müssen, um den Marktzugang dorthin auch weiterhin offen zu halten.

Das Gegenargument, Deutschland bzw. Europa mache sich einseitig zu abhängig von russischen Gaslieferungen ist vordergründig und falsch. Vordergründig, weil man leicht die Absicht erkennt, die dahingeht, Gas nämlich aus den USA zu beziehen. Falsch, weil der europäische Gasmarkt mittlerweile ein sehr preisstabiler, großer Käufermarkt geworden ist, auf dem ein Anbieter weder Mengen noch Preise durch seine Dominanz auf dem Markt bestimmen kann; dafür gibt es zu viel Gas auf zu vielen Anbieterseiten und zu viele Lieferalternativen.

Die Preise für den Marktzugang in die USA werden für den Rest der Welt weiter steigen. In summa sehen wir diese Preissteigerung als Anstieg der weltweiten Verschuldung. Es ist kaum mehr als zehn Jahre her, da hat sich die Weltwirtschaft aus dem Bemühen, die Schuldenstände nicht weiter anwachsen zu lassen, in die diametral entgegengesetzte Richtung verändert. Der Schock der internationalen Finanzkrise dauerte nicht länger als ein Sekundenschlaf. Daraus erwacht spielten Verbindlichkeiten kaum noch eine Rolle und Forderungen wechselten ihren Zeithorizont. Hörte man nach 2008 noch leisere Töne, wenn es um die Ausweitung von Schuldenständen ging, hat das QE-Programm der Fed nachhaltig Eindruck hinterlassen, nämlich den, dass expansive Geldpolitik die Schäden der Marktwirtschaft zu beseitigen in der Lage sein.
Heute will ein Diskurs die Märkte glauben machen, dass der „Mann“ an der Druckerpresse jederzeit die Geldströme auf den Finanzmärkten so zu steuern in der Lage ist, dass langanhaltende Krisenphasen nach dem alten Rezept von Keynes mit öffentlichem Geld jederzeit beendet werden können. Und das vom Urvater der staatlichen Krisenintervention dringend empfohlene Wiederauffüllen der öffentlichen Kassen durch sparsame Haushaltspolitik erledigt heute eine immer älter werdende Bevölkerung in ihrem Sparbedürfnis. Da ist es wieder, das totgesagte Element des Sparens, nur ist die Rede vom sparenden Staat verstummt. Der könnte, selbst wenn er wollte, auch nicht mehr sparen in seinen strukturellen Dilemmata, was Haushalt und Außenwirtschaft betrifft.

Willig folgt erneut der Diskurs der Ökonomik dem double bind der Politischen Ökonomie und erklärt diese selbst sogar noch zur eigenen Rettung. Und wenn der ehemalige Hüter der Haushaltsdisziplin, Olivier Blanchard, einst Chefvolkswirt des IWF dazu auffordert, Geld wie Konfetti unter das Volk zu bringen, ihm eine ganze Reihe hochdekorierter Ökonomen darin beipflichten, ist das genug Anlass, sich diese Auslegung der Modern Money Theory noch einmal näher anzusehen.

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Wettbewerb unter RegierungenMaktmanipulationBloomberg-Index für Staatsanleihenglobale Aktienbarometer MSCI-World-Index


1 Vgl. auch Handelsblatt print: Nr. 122 vom 28.06.2019 Seite 027 / Finanzen & Börsen.
2 Quellen: Department of Commerce, Bureau of Economic Analysis, Department of Labor, Bureau of Labor Statistics, Delegation of the European Commission, gtai.
3 Seit Anfang 2016 hat die EU mehr als 110 LNG-Lieferungen aus den USA erhalten. 2017 entfielen mehr als 10 Prozent der gesamten US-LNG-Exporte (2016: 5 Prozent) auf Europa. Im Kalenderjahr 2018 gingen etwa 11 Prozent der LNG-Exporte der USA auf den EU-Markt. In dem 9-Monats-Zeitraum seit der Gemeinsamen Erklärung (August 2018 – April 2019) stieg dieser Anteil jedoch auf fast 30 Prozent.


Dani Rodrik: Grenzen der Globalisierung. Ökonomische Integration und soziale Desintegration. Campus-Verlag, Frankfurt/New York 2000, ISBN 3-593-36412-3


Dani Rodrik (* 14. August 1957 in Istanbul)

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