Beggar-thy-Neighbor gehört nun zum großen Spiel des Willens zur Macht. Auf dem Spielfeld kämpfen die USA, China und Europa. Andere Staaten, selbst das militärisch so große Russland, das wirtschaftlich so erfolgreiche Südkorea und die technologie-begeisterte, nach wie vor große Exportnation Japan sitzen nicht mehr am gleichen Tisch, wenn es um die Neuverteilung der Welt geht; und seit Kurzem, wie man auch auf dem G7-Gipfel 2019 erkannte, musste selbst das stolze Großbritannien erkennen, dass sein Einfluss stark eingeschränkt nur noch ist. Der Wettbewerb der Regierungen findet also nun ohne Großbritannien, Japan, Russland und Südkorea statt. Wie wir notierten, steht seit dem G7-Gipfel die Vereinbarung im Raum, das neue Digitalgeld an den US-Dollar, den Renminbi und den Euro als Referenzwährungen zu binden. Und unter diesen drei Währung wird auch der angekündigte Währungskrieg stattfinden, den uns die USA versprochen haben und der sich aufgrund der Konstellation der drei großen Währungsräume kaum vermeiden lässt.
Wir sollten uns daran erinnern, dass es bereits seit fast vierzig Jahren keine Wechselkursbandbreiten mehr gibt. Als 1973 das sog. „Floating“1 eingeführt wurde, markierte das das Ende der Interventionspflicht der Staaten auf den Devisenmärkten, aber nicht die Intervention selbst. Man tut sich heute schwer, die Devisenmarktinterventionen zu qualifizieren. Grundsätzlich muss kein Staat intervenieren, tut es aber nach dem grundsätzlichen Prinzip der Freiwilligkeit, der freien Entscheidung. Wenn also Devisenmarktinterventionen stattfinden, ist allein schon aus logischen Gründen die Frage gerechtfertigt, was denn diese freiwillige Entscheidung begründet oder veranlasst? Denn ohne einen Grund bzw. Anlass wäre eine Währungsintervention kaum notwendig.
Schauen wir auf die Eurozone, dann sehen wir eine ganze Serie von Devisenmarktinterventionen, sowohl in unilateraler wie in multilateraler Art, die dann in einer Art „offenen Stellvertretung“ für die EZB durchgeführt werden. Wir haben dies bei den verschiedenen geldpolitischen Maßnahmen der Eurozone diskutiert2. Es gehört zum europäischen Experiment ganz maßgeblich dazu, dass es hier kein völliges „Floating“ gibt, also kein System von Einzelwährungen, auch kein indirektes System von nicht auf den Euro bezogenen Wechselkursen. Das ist ein schwieriger Sachverhalt, da es ja in der Eurozone nur eine Währung gibt. Aber es gibt ebenso Staaten mit sehr unterschiedlichen Volkswirtschaften, die dem Eurosystem noch nicht beigetreten sind, es aber vorhaben. Für diese Fälle ist der europäische Wechselkursmechanismus II (WKM II)2 eingeführt worden, an dem zur Zeit nur Dänemark angeschlossen ist.
Alle Beitrittskandidaten zum Euro mussten und müssen sich einer zweijährigen Frist unterziehen, in der ihre Währungen eine Wechselkursbandbreite von ± 15 Prozent Abweichung nicht verlässt. Der europäische Wechselkursmechanismus gehört daher ganz spezifisch zum europäischen Modell wie paradigmatisch zu jedem anderen Versuch einer Wirtschafts- mit Währungsintegration. Wie sonst will man in Zukunft Staaten aus ihrer isolierten Wirtschaftslage befreien und in größere Einheiten integrieren?
Der kleine Exkurs zum europäischen Wechselkursmechanismus ist von ganz zentraler Bedeutung für unser Thema eines anstehenden Währungskrieges. Das europäische Interesse einer Währungsintegration deckte sich mit den Interessen vor allem der amerikanischen Währungspolitik, denn ohne die Vereinbarung von einer Wechselbandbreite zwischen den Staaten der Eurozone und den Beitrittskandidaten hätte eine große, nicht intervenistisch belassene Differenz zu ebensolchen Wettbewerbsverzerrungen zwischen Euro und Dollar-Raum geführt; eine Problematik, die aktuell mit dem britischen Pfund wieder aufkommt.
So wurden die schwachen Währungen der osteuropäischen Beitrittsländer auf eine Fünfzehn-Prozent-Differenz begrenzt, die man zwischen den USA und Europa für ausreichend hielt, um Verschiebungen in den Handelsbeziehungen einzuhegen. Und es ist wichtig zu wissen, dass diese Devisenmarktinterventionen eben Teil einer Währungs- und Wirtschaftsintegration sind und keine wettbewerbsverzerrenden Interventionen, geradewegs das Gegenteil davon. Bei Verfahren wirtschaftlicher Integration mit einer Vereinheitlichung verschiedener Währungen sind daher Devisenmarktinterventionen notwendig, da ein nicht vollkommen flexibles Wechselkursregime wie das „Floating“ zu extrem unerwünschten Effekten im Handel, vor allem in einem global vernetzten System von Handels- und Fertigungssystemen führen muss.
Wir erkennen also im europäischen Wechselkursmechanismus mit seinen Devisenmarktinterventionen kein wirtschaftspolitisches Instrument, das die Wettbewerbssituation über die Beitrittskandidaten zum Euro gegenüber dem Dollar ausnutzen möchte für einen Vorteil im internationalen Handel, sondern eine zwischen Europa und den USA getroffene, marktwirtschaftskonforme Vereinbarung zur Minimierung wettbewerbsverzerrender Währungsambitionen. Wenn daher heute die Regierung der USA von unfairen Währungspraktiken der EU gegenüber den USA spricht, ist dies schlicht und ergreifend nicht nur sachlich falsch, sondern folgt einem politisch-ökonomischem Kalkül, das wir hier im Fortgang deutlich sichtbar werden lassen.
Wenden wir uns also den Devisenmarktinterventionen zu, die von vielen asiatischen Ländern ausgehen. Sie gehören in Asien schon seit langer Zeit zu wichtigen, wirtschaftspolitischen Instrumenten. In Asien werden Interventionen auf den Devisenmärkten in der Absicht getätigt, die Wettbewerbsfähigkeit der Länder zu verbessern, indem man den Außenwert der heimischen Währungen inflationiert. Wir haben es in Asien daher mit einer klassischen Maßnahme der Politischen Ökonomie zu tun. Nehmen wir die Parameter Lohnkosten, Inflation, Rohstoffpreise, Lizenzen, Wechselkurse, verfügbare Kapazitäten und Konjunkturentwicklung als die Parameter, die grundsätzlich bei der Preisentwicklung von Handelsgütern eine Rolle spielen, dann sehen wir schnell, dass Wechselkursänderungen eine ganze Reihe von Parametern betreffen können. Direkt natürlich den Wechselkursanteil am Verkaufspreis, aber auch die Rohstoffpreise, wenn diese wie meistens in Dollar bezahlt werden müssen, oder auch die Inflation, die indirekt bei börsennotierten Unternehmen über den Fremdkapitalanteil sich bis in die Preisstellung auswirken kann.
Einige dieser Preisfaktoren sind gegenläufig, einige sind währungs-insensitiv. Für die einzelnen Preissetzungen kann man sagen, dass Wechselkursänderungen im Gefüge der Preissetzungsfaktoren nicht die wesentliche Rolle im Kalkül der Politischen Ökonomie spielen. Handelsbeschränkungen wie etwa Zölle können gezielt bestimmte Branchen und Großunternehmen schädigen bzw. begünstigen, wenn es sich z.B. um Rohstofflieferanten handelt. Generell galt bislang, dass die Revaluation3 sich direkt auswirkt auf die Exporte und den Tourismus, der, wie wir bereits ausgeführt haben, volkswirtschaftlich als besondere Form des Exports betrachtet wird. Für ein Land wie Deutschland, das viele Waren ins Ausland exportiert und das von vielen ausländischen Touristen besucht wird, bedeutet das, dass die Exporte teurer werden und ausländische Touristen bei ihrem Besuch tiefer in ihre Portemonnaies greifen müssen. Zugleich aber werden Importe billiger. Wenn Donald t. zur Zeit in einen Währungskrieg provoziert, dann sollte man bedenken, dass das gerade mit der EU vereinbarte Handelsabkommen, das den US-Export von Rindfleisch, Soja und Flüssiggas stark gesteigert hat und den amerikanischen Exporteuren, immerhin seine Hauptwählerschaft, zugutekommen sollte, mit einer Dollarabwertung sofort den Bärendienst wiederum erweisen würde.
Man kann es drehen und wenden, einen echten Sinn wird man in dieser Politik nicht erkennen. Es sei denn, man legt ein anderes Maß an als Weltmarktpreise. Wir haben schon darauf verwiesen, dass die US-Politik sehr daran interessiert sein muss, dass ihre Wähler auch weiterhin ihren schuldenfinanzierten Konsum zu günstigen Konditionen aufrechterhalten können. Aber eine neofeudale Weltmacht hat zudem noch ganz andere Ambitionen. Als ein Beispiel mit mehr als paradigmatischer Aussage verweisen wir auf die Tabelle „Masters of Capital“, die die Hauptbeteiligungsgesellschaften der führenden US-Digitalkonzerne ausweist4. Hier sieht man eine hermetische Marktabschottung durch Querbeteiligungen von nur sechs US-Unternehmen, die die Eigentümerstruktur bei den wichtigsten IT- bzw. Digitalunternehmen unter sich aufgeteilt haben. Eine beherrschende Struktur liegt darin, dass die strategische Entscheidungshoheit in einem ganzen Zukunftssegment der Weltwirtschaft in den Händen von ein paar wenigen US-Unternehmen liegt. Das ist so weit wie nur irgendetwas weg von dem, was wir transnationale oder reziproke Kooperation genannt haben.
Im amerikanischen Modell, so haben wir gezeigt, steht Marktabschottung zentral. Um Märkte abzuschotten müssen die Eintrittsbarrieren für jeden möglichen Wettbewerber so hoch liegen, dass ein Versuch unmöglich wird, weil ein solcher mit zu viel Kapitalaufwand allein schon verbunden ist. Das ist die US-Variante des Shareholder-Value-Prinzips, das eine Form des ökonomischen Imperialismus neuzeitlicher Prägung sichert, die in Beteiligungsstrukturen wie bei den Digitalkonzernen in Zahlen zum Ausdruck kommen. Wie China seine Unternehmen von der Globalisierung in unserem Sinne, also von der Teilnahme an den Eigentumsstrukturen der Unternehmen über die Kapitalmärkte abschottet, so macht das Amerika auf seine Art und Weise an der Grenze des zur liberalen Marktwirtschaft so gerade noch Zulässigen. Und weil es eben auf die Abschottung der wichtigen US-amerikanischen Unternehmen ankommt, muss der Zugang zur Eigentümerstruktur erschwert werden. Eine Aufwertung des US-Dollars machte es für ausländische Kapitalgeber, anders gesagt Kapitalexporteure teurer und unrentabler, Anteile an bereits hochpreisigen US-Unternehmen zu kaufen. Dabei ist natürlich die Marktkapitalisierung von ganz entscheidender Bedeutung. Es geht bei einem Währungskrieg also nicht nur darum, den Handel mit Gütern aus dem Ausland für Exporteuer zu verteuern, sondern auch die mit diesen verbundenen Kapitalisierungen, also Einnahmen aus Handelsgeschäften zur Anlage in fremde Kapitalmärkte bei den Unternehmen zu erschweren, die für die Politische Ökonomie der USA systemischen, weil zukunftsweisenden Charakter haben.
Um seine Wettbewerbsfähigkeit hoch zu halten, kauft China kontinuierlich US-Staatsanleihen und finanziert so u.a. auch den amerikanischen Konsum. In gewisser Weise ist dies heute Gang und Gäbe, dass volkswirtschaftlich betrachtet, die großen Exportnationen einen Teil der Kaufkraft des importierenden Landes selbst auf diese Art mitfinanzieren. Für China ist es von vitaler Bedeutung, dass die Umlaufgeschwindigkeit im Dollar-Handel hoch bleibt, zumindest nicht abrupt abbricht und so deflationäre Tendenzen ausprägt. Mit einer hohen Dollarnachfrage bleibt der Dollar relativ stabil und somit auch die Kaufkraft der Amerikaner und dazu kommt noch, dass gleichzeitig auch der Wert der heimischen Währung relativ stabil bleibt, weil der Renminbi an den US-Dollar geknüpft ist und eine gleichbleibende Umlaufgeschwindigkeit im Dollar so viel zählt wie eine in der chinesischen Währung; der Renminbi muss somit auch weder auf- noch abwerten.
Die USA setzen ebenso wie die EZB mit Ausnahme des WKM II die Währung als wirtschaftspolitisches Instrument sehr selten auf direktem Wege ein. Ihr Weg ist der der Provokation, also ein indirekter Weg. Aktuell beobachten wir, wie nach massivem Druck auf die Handelsbeziehungen der chinesische Staat US-Dollar aus seinen Depots verkaufen muss, was den Dollar wie den Renminbi inflationiert. China begegnet also dem Handelskrieg vehement mit der Waffe der Währung und zwar in einem Ausmaß, wie es zum letzten Mal vor über zehn Jahren von China eingesetzt wurde. Die Schwierigkeit für Donal t. nämlich ist, würde er versuchen auf dem direkten Weg den Wechselkurs des Dollars zum Renminbi zu beeinflussen, müsste er dies über die Fed versuchen. Nun rächt sich, dass unter seinen Vorgängern das US-Finanzministerium in dem für Wechselkursinterventionen zu Verfügung stehenden Exchange Stabilization Fund (ESF) gerade einmal Mittel über 90 Milliarden US-Dollar verfügt, also fast nichts. China allein aber hält bereits über 2 Billionen US-Dollar also mehr als das 20-fache. Selbst wenn also die Fed den präsidialen Wünschen nachgeben würde, auf direktem Weg ist der Wechselkurs vom Dollar zum Renminbi wohl kaum zu beeinflussen; daher eben der Umweg über die Handelssanktionen.
Wir halten fest; Handelskriege können auf direkte Weise Währungsinterventionen auslösen, sind sie nur langfristig genug angelegt. Vor allem die USA greifen gerne zu dieser Strategie, hebt sie doch zugleich die Eintrittsbarrieren zu den Zukunftstechnologien, schwächt die Kapitalexporte und stärkt damit andererseits die US-Exportwirtschaft, was sich, wenn zwar nicht im gewünschten Umfang, so doch aber positiv auf das Handelsdefizit auswirkt. Da die USA aufgrund des Dollars als Leitwährung nur über extrem geringe Devisenreserven verfügen; sie machen kaum mehr als 0,2 Prozent des BIP der USA aus, und auch der ESF kaum über eine nennenswerte Handlungsmasse verfügt, um die Wechselkurse zu beeinflussen, müssen sie eher indirekte Wege gehen, d.h. Wechselkursinterventionen in den großen Wirtschaftsräumen provozieren. Würden die USA eine mit der Eurozone einigermaßen vergleichbaren Reservequote anstreben, bräuchten sie zusätzliche Euro-Reserven in Höhe von derzeit mehr als 400 Milliarden Euro, und wie will eine Volkswirtschaft mit einem so großen Handelsdefizit diese Summe zumal kurzfristig erwirtschaften? Auch die Überschüsse aus dem US-Dienstleistungssektor können nicht als Währungsreserven verwendet werden und somit ist es insgesamt nicht einfach für die Politische Ökonomie der USA, geldpolitische Maßnahmen der Eurozone entsprechend mit gleichen Mitteln zu beantworten.
Ein kurzer Blick zurück belegt, welche Auswirkungen auf den Wechselkurs allein schon die Ankündigungen von EZB-Chef Draghi, die Zinsen zu senken, haben. Kurz nachdem Draghi im Jahr 2014 eine Zinssenkung avisierte, sank kurz darauf binnen weniger als zehn Monaten der Wechselkurs zum Dollar um über 20 Prozent, und auch aktuell im Jahr 2019 brachte Draghi den Euro durch seine für den Herbst vage angekündigte Zinssenkung auf einen absteigenden Kurs. Intervenieren die USA auf direktem Wege, werden Euro und Renminbi entsprechend folgen und ein sich wechselseitig hochschaukelnder Währungskrieg wäre also unvermeidbar. Wir dagegen glauben, dass die Drohung mit dem Dollarkurs lediglich eine Art der Aufmerksamkeitslenkung im Rahmen der informellen Twitter-Propaganda darstellt und den Blick auf die Asymmetrie in den Leistungsbilanzen der drei großen Wirtschaftsräume lenkt. Man kann der US-Propaganda nicht ein deutliches Maß an Erfolg absprechen, ganz vorne Donald t., der so durchaus Chancen auf eine Wiederwahl besitzt.
Solange die Wettbewerber der USA genau in dem Gleichklang schwingen, den die Politische Ökonomie in der Weltwirtschaft orchestriert, solange haben die USA wenig zu befürchten. Und ihre Befürchtungen sind allesamt begründet, denn die USA haben nicht nur viel zu gewinnen, sondern auch sehr viel zu verlieren. Kurzfristig mag ein Handels- im Verein mit einem Währungskrieg auch die US-Ökonomie schwächen, langfristig und relativ aber sind die USA als größter Wirtschaftsraum die Gewinner einer solchen Politik. Wenn also alle verlieren, nur die USA eben etwas weniger, so das Kalkül, ist diese Politik der Abschottung ein Gewinn für die USA. Das ist letztlich die amerikanische Interpretation des vom Abraham der Ökonomen, dem Schotten Adam Smith erdachten Ausdruck: „beggar thy neighbor“ und wir sehen gerade ins Getriebe der Übertragungsmechanismen amerikanischer Politik in die Weltwirtschaft.
Dieses Getriebe wurde in Gang gesetzt durch ein Strafzollregime aus dem Oval Office. Seine Idee dahinter war, die Exporte zu erhöhen und die Importe zu senken, also die US-Wirtschaft auf den Weltmärkten zu stärken, auch, indem man den Rest der Welt schwächt.
Ein entgegengesetzt wirkender Transmissionsmechanismus zu Zöllen, wenn man wie China viel weniger importiert als in die USA exportiert, sind gezielte Abwertungen der eigenen Währung. Abwertungen in Richtung US-Dollar macht heimische Produkte billiger. Dazu ist jetzt China mit seinem Renminbi übergegangen, was die USA prompt mit dem plumpen Vorwurf „Währungsmanipulator“ quittierten. Was nicht weniger schwer wiegt als die Abwertung des Renminbis um sagenhafte sieben Prozent an einem Tag ist das von der chinesischen Partei zugleich ausgesprochene Verbot für den Kauf von US-Agrarprodukten. Das trifft Trumps Wähler und die schwache Exportwirtschaft ins Mark, zudem die USA längst nicht alle Ressourcen in der Landwirtschaft bislang ausgenutzt haben; sie könnten deutlich mehr Fleisch und Soja etc. exportieren.
Ganz nach dem bestehenden Muster der verbalen Aufmerksamkeitslenkung jubelt der U-Präsident mal wieder, dass die Zölle den USA Milliarden von Dollar in die Kassen spülen würden und das alles bezahlt von China. Weder stimmte sein Mexiko-Speech, noch stimmt das. Zu „beggar thy neighbor“ gehört nun mal, dass sich der Attackierte wehrt und bei fortgesetzter Dynamik nicht der Nachbar ruiniert ist, sondern die ganze Welt. Wir sehen die Finanzmärkte auf Talfahrt. Aber auch Amerika leidet unter dieser wenig durchdachten Politischen Ökonomie, jedenfalls im kurzen Zeitfenster. Denn Zölle funktionieren einfach anders, als Donald t. weismachen möchte. Zuerst einmal werden sie nicht von den chinesischen Lieferanten, sondern von den US-Importeuren entrichtet. Verantwortlich für das Eintreiben der Zölle ist die Behörde U.S. Customs and Border Protection (CBP).
Laut Veröffentlichung aus dem US-Finanzministeriums stiegen zwar im ersten Halbjahr 2019 die Zolleinnahmen um 73 Prozent auf 34 Mrd. Dollar, aber das ist nicht sehr viel und auch eine Zahl mit Fragezeichen. Denn fragt man, ob dies eine Einnahme ohne Ausgabe resp. eigene Kosten ist, wird man schnell eines Besseren belehrt. Denn die US-Importeure sind ja weder faul noch dumm und leiten ihre Kosten an die amerikanischen Kunden einfach weiter und nicht selten in eben der Höhe der Zölle. So steigen die Verbraucherpreise entsprechend und Trumps Zölle entpuppen sich im Prinzip als verdeckte Steuern auf chinesische Produkte, die ein wenig von den US-Unternehmen, mehrheitlich in Summe aber von den amerikanischen Verbrauchern bezahlt werden; schöne Geschenke.
Ab er zum „beggar thy neighbor“ kommt noch ein weiteres unliebsames Element, es geht auf Gewinne und auf die Jobs. So müssen viele US-Unternehmen wegen der höheren Preise im Einkauf in China fallende Gewinnmargen einerseits in Kauf nehmen, oder sie kompensieren ausbleibende Gewinne durch Kosteneinsparungen und dabei stehen geringere Löhne oder gar Streichung von Jobs an oberster Stelle. Oft erkennt man die erzwungenen Gegenmaßnahmen nicht sofort, da jedes Unternehmen einen Mix aus verschiedenen Möglichkeiten anwendet, aber höhere Kosten gehen letztendlich stets auch zulasten des Arbeitsmarktes und der Arbeitseinkommen; das müsste Donald t. wissen. Er könnte auch die Studien der New Yorker Notenbank sowie der Princeton und der Columbia University5 lesen – wenn ihm sein abendliches TV-Programm dann doch einmal zu langweilig werden sollte; kaum anzunehmen – dann würde er wissen, dass die im Jahr 2002 und bereits nach 20 Monaten wieder zurückgenommen Zölle auf Aluminium und Stahl ein ganz bitteres Ergebnis für die USA hatten. Dort sind mehr als 6,5 Millionen Menschen in Unternehmen beschäftigt, die eingeführte Aluminium- und Stahlprodukte für den Bau von Autos, Hochhäusern, Kühlschränken und Cola-Dosen verwenden; lediglich 140.000 arbeiten an der Herstellung von Stahl und Aluminium. Das Kalkül der Politischen Ökonomie damals war, die Arbeitsplätze in der US-Herstellungsindustrie zu schützen, ja sogar auszubauen durch Importzölle auf chinesische Produkte. Dann rechnet man noch einmal nach und kam auf das überraschende Ergebnis, dass die Einfuhrzölle in der verarbeitenden Industrie in den USA etwas mehr als 200.000 Arbeitsplätze gekostet haben, also mehr Jobs als überhaupt insgesamt in der herstellenden Industrie beschäftigt sind. Und nun? Same procedere as every year? Es ist ja das erklärte Ziel von Donald t. gerade die herstellende Industrie im „rust belt“ wiederzubeleben. Mit diesen Mitteln und der jüngeren Erfahrung damit wird die Politik der Handels- und Währungskriege wohl kaum Jobs sichern oder gar zusätzliche schaffen; da bleibt man doch besser rostig und krank, also tot.
Die USA stufen China offiziell als ein Land ein, dass seine Währung zugunsten unlauterer Vorteile im Welthandel manipuliert und begründet damit weitere US-Strafmaßnahmen. Eine Eskalation des Handelskriegs aber ist nur solange für die USA sinnvoll, als sie eine nachhaltige Veränderung zugunsten einer ausgeglicheneren Handelsbilanz nach sich zieht. Das ist mehr als unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher schon ist ein kurzzeitiger Ausverkauf auf den internationalen Finanzmärkten, den wir bereits kurz nach den jüngsten Veröffentlichungen aus China beobachten konnten.
In Tokio verlor der japanische Leitindex Nikkei an einem einzigen Vormittag rund zwei Prozent und fiel auf 2.299 Punkte. Der MSCI-Index für asiatische Aktien außerhalb Japans büßte im gleichen Zeitraum fast drei Prozent ein. Der Index der wichtigsten Unternehmen an den chinesischen Börsen in Shanghai und Shenzen und der Markt in Shanghai lagen mehr als zwei Prozent tiefer. Am Devisenmarkt in Fernost blieben der Renminbi und auch der Dollar unter Druck. Der Euro legte 0,2 Prozent zu auf 1,1225 Dollar, gleichzeitig fielen fast alles Indizes in Europa, vor allem der Dax deutlich.
Rechnen wir einmal überschlagsweise, worum es der US-Regierung geht, nämlich das Handelsdefizit zu beseitigen und einige andere, ihrer Meinung nach ungerechten Lastenverteilungen wie z.B. die im Transatlantischen Bündnis etc. auszugleichen, dann schätzen wir den finanziellen Schaden, den diese Regierungspolitik bislang nach nur zwei Jahren aufsummieren darf auf ein Vielfaches von dem ein, was erreicht werden sollte. Die Schäden an den Finanzmärkten werden in einem nicht zu schätzenden Maß in die Realwirtschaften in Europa und in Asien hineinwirken und dabei haben wir die in den Schwellenländern und dem anderen Rest der Welt lediglich im Hinterkopf. Monetaristisch gesprochen steht der eingesetzte Geldaufwand in keinem Verhältnis zum geldwerten Nutzen und doch sieht die Politische Ökonomie in den USA im Moment keinen Anlass zur Korrektur.
Die drastische Gegenantwort aus China hat das Oval Office zwar tief beeindruckt und man ist an den Finanzmärkten gewillt davon auszugehen, dass eine Korrektur dieser um sich selbst konzentrisch kreisenden Wirtschaftspolitik so nicht lange mehr andauern wird, allein die Unsicherheiten sind auch an den unsteten Finanzmärkten sehr stark spürbar. Europa und Asien befanden sich realwirtschaftlich in einer außerordentlich langen Phase des Aufschwungs bzw. des Wachstums, was an sich bereits als eine Art der Überhitzung betrachtet worden ist. Die USA strebten immer höheren Wachstumszielen zu, gleichwohl ihr Außendefizit wenig nachgab. Die Finanzmärkte und vor allem die Kapitalmärkte waren fast schon überreif; warum dann müssen die USA auf allen Tasten der wirtschaftspolitischen Klaviatur permanente Misstöne produzieren? Es drängt sich die Vermutung auf, dass Unsicherheit und Unordnung auf den europäischen und asiatischen Märkten insgesamt das Nahziel ist, dass die Politische Ökonomie der USA erreichen will; und dieses Ziel ist schon nach einer kurzen Zeit erreicht worden.
Wir können auch festhalten, dass monetaristisch geleitete Politik keine sicheren Zieleffekte mehr hergibt. Das Gleichgewicht der Geldmengentheorie ist zusammengebrochen. So sehr dies theoretisch mehr und mehr zum Bewusstsein kommt, hat die Politische Ökonomie diesem Umstand mehr und mehr zur Gültigkeit verholfen. Denn der PÖ (Politischen Ökonomie) ist wenig bis nichts daran gelegen, dass in sich schlüssige Theorien auch in der Praxis Gültigkeit besitzen, schränken sie dadurch doch den Handlungsspielraum der PÖ auf ein Minimum ein. Eine Expertenpolitik ist nicht gewünscht, allenfalls deren Instrumentalisierung für die politischen Zwecke der Regierungen. Das galt schon im antiken Griechenland für die Philosophen-Demokratie und gilt heute für die wirtschaftswissenschaftliche Demokratie. Und ohne wirkliche theoretische Alternative ist die PÖ am Ziel ihrer eigenen Immunisierung gegenüber einem „Außen“, gegenüber Wissenschaft und Mitwirkung aus den gesellschaftlichen Bereichen.
Dieser Prozess der Transformation hin zu einer umfassenden Immanenz der PÖ ist daher konstitutiv für alle Lebensbereiche der Menschen auch in den westlichen, ehemaligen Industriestaaten. Konstitutiv insofern, als Politik mit der Dienstbarkeit von Wissenschaft und Technik sowie der modernen Plattformtechnologie, die die weltumspannende Daten-Infrastruktur für eine globale Digitalwirtschaft bildet, in alle Bereiche des menschlichen Daseins über die wesentlichen Produktions-, Reproduktions- sowie Kulturfaktoren quasi hineinregieren kann. Was immer an neuerer, kritischer Literatur dazu jüngst veröffentlicht worden ist, geht hinter den Faktor der Kontrolle nicht zurück. Aber mit Kontrolle, gleich wenn sie auch umfassender denn je zu werden scheint, gibt sich die PÖ längst nicht mehr zufrieden. Die Politische Ökonomie geht quasi aufs Ganze.
Um aber Vollständigkeit zu erreichen, um Zutritt zu den wichtigen Bereichen der bürgerlichen Existenz zu erlangen, müssen neben den anderen, bereits erwähnten Lebensvollzügen der Staatsbürger zwei ganz zentrale Bereiche der Politischen Ökonomie geöffnet werden. Das sind einmal der Bereich des Wissens um den tatsächlichen Reichtum der Bürger und zum anderen der Bereich der alltäglichen Geldtransfers der Staatsbürger. Das Wissen um den tatsächlichen Reichtum muss für die Politische Ökonomie ein Wissensmonopol werden und die Bewegungsprofile des Bargeldes müssen für den Staat in seinem politisch-ökonomischen Universalanspruch lückenlos sein. Beides ist möglich und kurzfristig erreichbar. Die Voraussetzung um dies zu verwirklichen ist die Einführung von Digitalgeld bei gleichzeitiger Abschaffung des Bargelds. Die digitale „Vermögensverwaltung“ ist keine neue Prozedur, sondern nur die Schließung der noch bestehenden Lücken in den bisherigen Steuerverwaltungen. Der Datentransfer zwischen Staat, Geld- und Kreditinstituten sowie zwischen Staat und Unternehmen ist weitgehend geschlossen, ebenso die Bewegungsprofile des Kapitals über die internationalen Finanzmärkte. Steueroasen bzw. Schwarzgeld-Oasen werden wohl noch eine Weile bestehen bleiben und sind gewissermaßen die letzten Residuen für einen elitären Individualismus‘.
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Wechselkursbandbreiten – europäische Wechselkursmechanismus II (WKM II) – Revaluation – reziproke Kooperation – Aufmerksamkeitslenkung – MSCI-Index für asiatische Aktien
1 Floating ist im Bankwesen die Bezeichnung für ein System frei schwankender Wechselkurse, bei denen die Preisbildung am Devisenmarkt dem unbeeinflussten Angebot und der Nachfrage überlassen wird. Das Floating ist also ein marktwirtschaftskonformes Währungsregime. (Wikipedia)
2 Unilateral meint von der EZB allein durchfeführt; multilateral meint in Zusammenwirken von EZB und anderen Zentralbanken in Europa.
2 Der Wechselkursmechanismus II (abgekürzt WKM II; englisch European Exchange Rate Mechanism II bzw. ERM II) ist ein seit 1. Januar 1999 zwischen verschiedenen EU-Ländern bestehendes Wechselkursabkommen. Es legt eine maximale Bandbreite von ± 15 Prozent um den Leitkurs der Währung eines WKM-II-Mitglieds zum Euro fest.
3 Revaluation nennt man im Fachjargon: eine Aufwertung, die eine Steigerung des Geldwertes eines Landes zu einer Währung eines Vergleichslandes darstellt.
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5 Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass 2017 und 2018 ausländische Produzenten die Preise nicht gesenkt haben – somit wurden die Zölle komplett von US-Firmen und Verbrauchern geschultert. Siehe Mary Amiti, Stephen J. Redding and David Weinstein: THE IMPACT OF THE 2018 TRADE WAR ON U.S.PRICES AND WELFARE. Centre for Economic Policy Research, 33 Great Sutton Street, London, UK. Published 02 March 2019, Submitted 02 March 2019 CEPR-DP13564 PDF
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