Wie man aus heutiger Sicht weder Wachstum ohne den immensen Einfluss der Notenbanken bestimmen kann, so bleibt auch die Technische Entwicklung, die maßgeblich zum Wachstum beiträgt, ohne Geldpolitik und Finanzmärkte unbestimmt. Es fehlten ohne sie nicht einige Eigenschaften von Wachstum und Technischer Entwicklung, sondern der Kern eines adäquaten Verständnisses. Wollte man Technik aus einem ontisch-ontologischen Zusammenhang verstehen, als wäre Technik ein „Zuhandensein“, dann stünde diese Art von Erkenntnis auf der intellektuellen Stufe und Komplexität mit den Menschen, als sie mit einem Steinwerkzeug die Knochen der Mammuts zertrümmerten, um an das nahrhafte Mark zu kommen.
Immerhin, in einer Angelegenheit war der Werkzeugmensch im Vorteil; er brauchte kein Verständnis, nicht einmal ein Bewusstsein über die vielfältigen Einflüsse einer Gemeinschaft, die Wachstum und Technische Entwicklung mit bestimmen. Über die Geldpolitik, vor allem der Notenbanken, nehmen Staaten durchaus an den Entwicklungen auf den Märkten teil und es gibt nicht wenige Wissenschaftler, die der Auffassung sind, dass mit dem durch Beteiligung von Notenbanken und Geschäftsbanken gleichermaßen sich entwickelnden Mischgeld-Systems1 sowohl die Geldwertstabilität wie auch die Steuerung der Inflation schwieriger, ineffektiver geworden ist, als durch ein System marktförmiger Geldschöpfung. Dort, nach einem marktwirtschaftlichen Modell des Mehrbankensystems ohne Zentralbank fände eine systembedingte Kontrolle der Geldschöpfung statt.
Die hätte den Vorteil, dass die gegenwärtigen Beschränkungen durch Barreserven der Geschäftsbanken, die mit einer Auszahlung der gewährten Kredite rechnen und diese Auszahlung in Form des gesetzlichen Zahlungsmittels vornehmen müssen und der Mindestreserve, also der Menge an Zentralbankgeld, die die Zentralbank den Geschäftsbanken, abhängig von deren Kreditvergabe vorschreibt, weg fielen. Gerade diese Beschränkungen aber, so die Wissenschaftler, führten zu geldmengeninduzierten Finanzkrisen, da die Zentralbank durch fast planwirtschaftliche Geldmengensteuerung in den Wettbewerb eingreife.
Drei Vertreter der Wissenschafts-begründeten Gegenposition, Dowd, von Mises und von Hayek, kommen aus unterschiedlichen Ansätzen zu dem gleichen Ergebnis: dass periodisch wiederkehrende Wirtschaftskrisen nur zu verhindern seien, wenn man auf die Ankurbelung der Wirtschaft durch die Bankpolitik verzichten würde. Vielmehr sollte der Zinsfuß durch den Marktmechanismus geregelt werden.
Dowd vertrat bereits 1994, also weit vor der Finanzkrise 2007/8 die Ansicht, dass das Finanzsystem ohne staatliche Eingriffe stabiler sei als es in seiner jetzigen Form ist. Es sei, entgegen verbreiteter Annahmen, in sich stabil und benötige weder einen Lender of last resort noch ein staatliches Einlagensicherungssystem2. Er legte damals schon die Finger in die Wunde, dass Notenbankpolitik Politik nicht erstzen kann, was man heute im Verlauf der Krise der EU mit verblüffender Richtigkeit erkennen muss.
1949 vertrat Ludwig von Mises die Auffassung, dass die zyklischen Auf- und Abschwünge der Wirtschaft und damit auch die Entstehung von Depressionen, das Ergebnis der Senkung des Zinssatzes durch die Expansion von Krediten seitens der Banken ist3. Was seit dieser Zeit als Überinvestitionstheorie bezeichnet wird, beschäftigt sich mit dem Phänomen, dass mit zusätzlich zur Verfügung stehenden Darlehen versucht werde, die Konjunktur künstlich zu beleben mit der Gefahr, dass dadurch Kredite in Wirtschaftszweige und Geschäfte fließen, die vor der Senkung des Zinssatzes als unrentabel erschienen. Eine so angekurbelte Wirtschaft wird früher oder später zusammenbrechen bzw. Schaden erleiden, zumal diese Form der Krediterweiterungspolitik von Banken eine Fehlallokation der Unternehmenstätigkeit zur Folge hat und also ein marktregulierter Zinsatz einem Banken-regulierten unbedingt vorzuziehen ist.
Wenn wir von einem investitionsgetriebenen Wachstum der Wirtschaft gesprochen haben und im weiteren Verlauf sprechen werden, dann müssen wir feinsilbig darauf achten, ob wir, wie im Thema Technischer Fortschritt nicht in eben diesen oben aufgezeigten, problematischen Kontext geraten. Exemplarisch dafür mag die Zeit zwischen 1995 und 2000 stehen, als Banken Aktienkäufe mit schier hochriskanten Titeln und Gewinnerwartungen, teils sogar über Kredite am sog. Neuen Markt finanziert haben.
Bereits 1976 hat von Hayek auf diesen Zusammenhang indirekt hingewiesen, insofern er den Grund für die Instabilität der Wirtschaft darin sah, dass eine expansive Geldpolitik in einem nicht zu vertretenden Ausmaß zu unrentablen Investitionen führt. Eine Ursache für die expansive Geldpolitik bestand für von Hayek darin, dass die Verfügbarkeit des Geldes nicht durch den Marktprozess bestimmt, sondern durch die Zentralbanken reguliert wird3 und forderte deshalb, die Aufgaben der Zentralbanken in private Hände zu geben und zu dezentralisieren.
Wir aber behalten, dass wirtschaftliches Wachstum in den Jahren der industriellen ‚Revolution‘ fast immer in den Räumen der Privatbanken begann, die prall gefüllt mit Kreditgeld waren, je geringer das Zinsniveau ausfiel. Und für das Zinsniveau sorgten die Notenbanken. Beide waren fast allein zuständig für die Schaffung immenser Summen an Buchgeldern, denen auf der anderen Seite der Bankbilanz stramm die endlose Liste an Schuldnern stand; die meisten gute, aber auch wenige toxische Kredite, so zumindest in der Geschichte bis zum Jahr der großen Finanzkrise 2007. Diese Schuldner, von denen wir hier sprechen, waren Sachwalter von Umlauf- und Anlagekapital in den Firmen, aber vor allem waren sie die Triebkräfte der Marktwirtschaft, verpflichtet, ihre Schulden durch die Renditen ihrer Investments zu begleichen und ihre Unternehmen zu entwickeln und im Wettbewerb zu behaupten. Nimmt man diesen Schuldnern Liquidität, die sie zur Rückzahlung ihrer Verpflichtungen brauchen, wirkt sich das direkt auf die Wirtschaft insgesamt aus.
Es war also in der Geschichte der Marktwirtschaqft nicht einfach Geld, das die dramatischen Entwicklungslinien der Wirtschaft, der Geldwirtschaft und der Technik im engeren Sinne betrieben hat. Es war Schuldner-Investiv-Kapital, oder wie Binswanger schreibt, die Kreditgeldwirtschaft, die als eine „Geldschöpfung aus dem Nichts (…) vor 400 Jahren bei Londons Goldschmieden begann.“
Kritiker behaupten, diese Geldschöpfung aus dem Nichts habe nie stattgefunden und vermitteln gerne ein Bild einer konservativen Geldwirtschaft, in der die Menschen ihre Ersparnisse auf die Bank bringen, woraus die Bank dann wiederum Kredite vergibt. So einleuchtend dieses Bild auch sein mag und so sehr es als Bild der „schwäbischen Hausfrau“, die auch nur einmal jeden Euro ausgeben kann einleuchten mag und zudem sympathisch wie moralisch hochwertig erscheint, wären Schulden ja darin nicht möglich, so sehr irrt der Glaube daran und so falsch ist das Bild gegenüber dem, was es abzubilden scheint.
In diesem Bild ist jedem realen Wert ein realer Gegenwert zugerechnet. Geld repräsentiert als ‚money proper‘ einen Wert der Arbeit oder einen unternehmerischen Mehrwert. Aber schon bei der Bestimmung dieses ‚kalkulatorischen‘ Werts wird es schwierig und man spricht eher vom ‚money of account, also von einer Geldeinheit, die als Münze nicht geprägt bzw. als Papiergeld nicht ausgegeben ist, sondern lediglich als Einheit bestimmt wurde, nach der zu leistende Zahlungen verbucht werden, vom Buch- oder Verrechnungsgeld.
Eine Theorie, ohne dieses Buch- oder Verrechnungsgeld„ist falsch und steht unserem Verständnis des ökonomischen Prozesses im Weg“, so Binswanger. Wachstum und der damit verbundene materielle Wohlstand sind das Ergebnis von Investitionen, die wiederum künftige Produktionen und Dienstleistungen ermöglichen. Das Geld dafür stammt aus Krediten, und diese Kredite nicht aus Sparvermögen. Es stammt gewissermaßen also aus dem Nichts.
Man geht hinein in die Bank, erhält eine Menge Geld gut geschrieben und nichts Reales wurde dafür verbraucht; wie wir sagten, es wurde etwas belastet, einer weiteren Kreditvergabe nominell und zeitlich begrenzt entzogen. Der Vorteil dieser Methode liegt auf der Hand: Um Neues zu schaffen, muss man nicht sein vorhandenes Vermögen einsetzen oder dafür sparen, was den Konsum einschränken würde und bereits geschaffenes Vermögen bzw. Eigentum wieder zu ‚money proper‘ machen würde. Diese Kredite aus einer Kreditgeldwirtschaft schaffen faktisch „Geld aus dem Nichts“ (Binswanger), sie sind somit zusätzliches Geld, mit dem man wiederum mehr kaufen, neu investieren kann und das den Verkäufern wie den Banken über die Zinsen wiederum mehr Einnahmen beschert.
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[title]Begriffe – Anmerkungen – Titel – Autoren[/title]
„Zuhandensein“ – Mischgeld-System – Lender of last resort – expansive Geldpolitik – Verrechnungsgeld
1 Das bezeichnet eine Geldwirtschaft, in der neben dem Bargeld (Noten, Münzen) auch noch Buchgeld existiert. In der Literatur wird manchmal auch die unterschiedliche Art der Geldschöpfung aus Zentralbankgeld und Kreditschöpfung durch Privatbanken in diesen Begriff einbezogen.
2 W. E. Jackson: Southern Economic Journal, Vol. 60, No. 4, April 1994. S. 1078–1080. ISBN: 9780865976313
3 Ludwig von Mises: Human Action: A Treatise on Economics. In: The Ludwig von Mises Institute, Auburn, Alabama. 1998. S. 570.
4 Hayek (1976)
Ludwig von Mises: Human Action: A Treatise on Economics. Ludwig von Mises Institute, Auburn (Alabama) 2007, ISBN 978-0-945466-24-6 Neudruck der Erstauflage. HTML-Ausgabe.
Friedrich August von Hayek: Denationalisation of Money. Institute of Economics Affairs, London 1976 (PDF).
Kevin Dowd (2005): Measuring Market Risk, 2nd Edition (The Wiley Finance Series)
Kevin Dowd (*1958, Middlesbrough, Vereinigtes Königreich)
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