Das Besondere an der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie war die Idee des Grenzpreises, die im 19.Jhd. von Jevons, Menger und Walras entwickelt wurde. Inhalt dieser Idee war, dass der Preis durch den höchsten Preis, den ein Käufer zu zahlen bereit ist, festgesetzt wird. Dieser Grenzpreis war eine Verbesserung gegenüber den Gedanken von Adam Smith zur Bestimmung des Angebotspreises, nach dem die Nachfrage zwar vom Preis des Gutes abhänge, jedoch umgekehrt keine Beeinflussung des Preises von der Nachfrage existiere1.
Besonders Walras widmete sich analytisch und teilweise empirisch der Idee über den Zusammenhang von Angebots- und Nachfragepreise und weitete den Blickwinkel dadurch aus, dass er die Einflüsse verschiedener Märkte untereinander betrachtet. Seit dem späten 19. Jahrhundert aber hat die Gleichgewichtstheorie von Angebot und Nachfrage kaum noch Veränderungen erfahren. Einige meinen, weil sie zu starr ist, die vielfältigen Ausprägungen der Märkte zu erfassen, denen mit Mathematik bzw. Algebra und Infenitesimalrechnung kaum nach zu kommen ist.
Jedenfalls kann man feststellen, dass sich die größte Aufmerksamkeit fortan auf Fälle richtete, in denen ein Marktversagen entsteht, etwa bei Monopolen oder irrationalen Handlungsweisen der Marktteilnehmer. Des weiteren flossen andere, preisbestimmende Faktoren in die Betrachtung mit ein, ganz besonders die sog. Transaktionskosten.
Blicken wir aber noch einmal kurz zurück auf die grundsätzliche Schwachstelle der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie und fragen, was denn theoretisch gewonnen wurde, Angebot und Nachfrage auf Tauschmärkten zu untersuchen, dann werden wir nicht all zu viel finden. Walras und seine Anhänger mussten alle spezifischen Marktvarianten und alle dynamischen Marktvorgänge so lange reduzieren, bis ein reiner Tauschmarkt übrig blieb, dem man mit mathematischen Formeln abbilden konnte.
Geht man von Tauschmärkten aus, wird das Gleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot über den Preis allein hergestellt. In dynamischen Märkten sind aber mindestens Preis und Mengen bestimmend für ein Marktgleichgewicht, also der optimalen Anpassung der Produktion, hier Kosten, an die Konsumtion, hier Preise. Auf einem reinen Tauschmarkt, der bereits prinzipiel von der Produktion abgetrennt betrachtet wird, können also Mengen keine Rolle spielen. Die Menge kann sich nicht anpassen und liegt gewissermaßen als Größe für den Moment der Berechnung fest.
Vergleichen wir Walras mit dem Ansatz etwa von Alfred Marshall, dann ist das Gleichgewicht innerhalb von dynamischen Märkten, wo sich also Hersteller von Waren und Käufer treffen, das Ergebnis eines dynamischen Prozesses. War in einem Fall z.B. die Nachfrage größer als das Angebot, wird das Angebot solange ausgedehnt, bis die Grenzkosten der Produktion das Niveau des Marktpreises erreichen. Es findet also eine Mengenanpassung und eine Preisanpassung im Marktzeitraum statt.
Allein diese Vorstellung wäre nach Walras‘ Methode kaum noch mathematisch darstellbar. Wenn Preise und Mengen in eine marktgesteuerte dynamische Beziehung gebracht werden, kann Mathematik kaum folgen. Viel wichtiger aber ist, dass die sog. Neoklassik, der wir Alfred Marshall aber kaum subsumieren können, mit dem Tauschmarkt ein derart statisches Element konstruiert hat, das jeglicher Dynamik entbehrt. So erlaubt eben eine Analyse von reinen Tauschmärkten im Ergebnis keine Aussagen von Relevanz über wirtschaftliches Handeln, dessen Marktdynamik zudem nicht allein durch Angebot und Nachfrage bestimmt ist, sondern auch über die Finanz- und Innovationskraft eines Unternehmens, die über Gläubiger-Schuldner-Kontrakte in die Produktion und in die Märkte kommt.
Reine Tauschmärkte sind totale Abstraktionen von dieser Dynamik und somit sind auch die Analysen wie die Berechnungen reiner Tauschhandlungen wenig aussagekräftig, ja irrelevant. Und nimmt man den abstrakten Blick auf Tauschmärkte einmal auf, sind die Kernaussagen der Neoklassik zudem von recht simpler Aussagekraft, sogar, wenn ihnen fünfzig Seiten Formelrechnungen vorausgehen. Wären Kartoffel und Reis nicht gleich preiswertlich, würden die Verbraucher solange Kartoffel essen, bis die letzte Einheit Kartoffel den gleichen Nutzen stiftet wie Reis, dann kaufen sie solange Reis, bis die letzte Einheit Reis soviel Nutzen stiftet wie Spaghetti, dann…Denn nach der Regel liegt ein allgemeines Marktgleichgewicht dann vor, wenn die Konsumenten ihr Geld so anlegen, dass der Grenznutzen des Geldes in jeder Verwendung gleich ist. Nur, folgte man dieser ‚Empfehlung‘, wären kurzfristig bereits erhebliche Mängelschäden bei der Ernährung irreversibel.
Selbst in diesem simplen Beispiel dürfte klar werden, dass Mengenanpassungen unverzichtbar sind. Mehr noch, dass auf reinen Tauschmärkten eine nach Angebot und Nachfrage gerichtete Preisberechnung nicht nur Unsinn, sondrn auch noch tautologischer Unsinn sind. In geräumten Märkten brauchen wir keine Gleichgewichtsberechnungen; was reinkommt, geht raus. Und die Entsorgungskosten der Übermengen sind erstens nicht schwer zu berechnen und zweitens haben sie keine Bedeutung für die Nachfrage und somit auch nicht für das Gleichgewicht. In nicht geräumten Märkten kann man Gleichgewichte nicht berechnen, da dort das Gleichgewicht mathematisch eher einer groben Annäherung gleich kommt bzw. der Markt, so das Produktion und Konsumtion zusammen sind, sich bereits über Preise und Mengen allenfalls heuristisch abbilden lässt.
Wenn nach neoklassischer Regel ein verbessertes und zugleich kostengünstigeres Verfahren zum Weizenanbau eingeführt würde, könnten also mehr Anbieter für den nachgefragte Preis Weizen verkaufen. Dies führte aber in der Regel zu einem Überangebot an Weizen. Um ihren ganzen Weizen verkaufen zu können, müssten die Anbieter über die nötigen Marktinformationen verfügen und den Preis folglich reduzieren. Dies führte dazu, dass der Weizen für mehr Abnehmer, zum Beispiel für Bäcker, interessanter wird, da diese damit günstigeres Brot herstellen können und ihrerseits mehr verkaufen könnten. Voraussetzung wäre, dass die Bäcker extrem flexibel auf die Nachfrageschwankungen – und die technisch-technologischen Veränderungen – reagieren könnten, Produktion aufbauen oder erweitern könnten, so dass in der Folge sich ein neues Gleichgewicht im Weizenmarkt mit einem niedrigeren Gleichgewichtspreis und einem größeren Marktvolumen bilden könnte.
Wären allein Preise marktbestimmend, würden aber heute die Bauern in Deutschland anstatt Weizen nur noch Raps erzeugen und an die Mineralölkonzerne verkaufen, wovon der Bäcker wie der Autofahrer am Frühstückstisch nichts hätten. Die Schwierigkeit ist, dass sich tag-täglich Tausende von Input Faktoren ändern und die marktwirtschaftliche Dynamik nun mal darin besteht, auf diese Veränderungen zeitnah reagieren zu müssen, d.h. sowohl kurz- wie mittel- und langfristg wirksame Entscheidungen herbei zu führen, die in der Regel mit Wettbewerbs-, Markt- und finanziellen Faktoren in Verbindung stehen. Und dabei ist zu bedenken, dass kein Unternehmen umfangreiche Marktanalysen und Berechnungen durchführen kann, die wenig bis keinen Sinn machen, da sie zu kostspielig, zeitaufwendig und marktfern sind, um optimale Entscheidungen besonders kurzfristig treffen zu können, die zeitnah und effektiv im direkten Wettbewerbsumfeld greifen. Wer gewissermaßen seinen „Heimatmarkt“ verliert, wird ernste Probleme bekommen.
Wissenschaft wird selten auf den Heimatmärkten, also den Märkten, in denen man sich einigermaßen auskennt, getrieben. Die Marktwirtschaft ist, was das angeht, der Planwirtschaft deutlich unterlegen. Aber selbst wenn ein, zwei wesentliche Bedingungen konstant blieben, wie etwa Produktionsstrukturen und Ressourcen oder Verbraucher-Grundpreise für Brot etwa usw. stellt sich allenfalls über einen längeren Zeitraum ein gewisses Marktgleichgewicht ein, das genau so starr ist wie die Produktions- und Absatzstrukturen einer Planwirtschaft. Die ist nicht an Diskontinuität und relativer Instabilität des Gleichgewichtes zugrunde gegangen, sondern an der Inflexibilität bzw. an der Anpassungsunfähigkeit der Planwirtschaft an die stets unsicheren weil wechselnden Marktbedingungen.
Muss kurzfristig auf sich verändernde Märkte reagiert werden, sind die Maßnahmen nicht die gleichen wie bei langfristigen Markterfordernissen. Preise lassen sich schnell, zusätzliche Mengen nur schwer kurzfistig bereitstellen. Und nicht nur Produktionskapaizäten sind dabei von zentraler Bedeutung, sondern innerhalb der Produktionsstrukturen liegen die wirklichen, dynamischen Elemente der Marktwirtschaft. Änderungen in den Präferenzen der Nachfrage ereignen sich ständig und blieben doch so mühe- wie wirkungslos, wenn sich das Angebot an die veränderte Nachfrage nicht flexibel, angemessen wie innovativ anpasst. Gleichzeitig aber kann es für den Angebotsmarkt fatal sein, sich den Nachfragepräferenzen in keinem Fall anzupassen. Das hat der Einzelhandel im Mode- und Bekleidungssegment schmerzlich jüngst erfahren müssen. An diesem Beispiel erkennt man auch recht schnell, dass Märkte aus dem Blickwinkel der Nachfrage selten homogene Märkte sind. Im Bekleidungsmarkt unterscheiden sich Segmente für junge Konsumenten zum Teil erheblich von denen erwachsener oder älterer Konsumenten. Produktion und Logistik der Segmente sind kaum zu vergleichen, Transaktionskosten eben so wenig. Geht es nach Walras, sind (fast) alle Märkte problematisch, weit entfernt davon, auch nur oberflächlich Tauschmärkte nach seiner Gleichgewichtstheorie zu sein bzw. werden zu können.
[sidebar]
[title]Begriffe – Anmerkungen – Titel – Autoren[/title]
1 Vgl. Smith, Adam: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, Vol. I/ Vol. II. Printed for W. Strahn; and T. Cadell, in the Strand, 1776; erschienen im IDION-Verlag, München 1976
Alfred Marshall (* 26. Juli 1842 in Bermondsey bei London; † 13. Juli 1924 in Cambridge)
[/sidebar]