Eingeschränkt handlungsfähig

Die Unabhängigkeit der Notenbanken soll den Schutz des Privateigentums der Bürger und Wirtschaftssubjekte einer Volkswirtschaft bzw. eines supranationalen Wirtschaftsraumes wie die Europäische Union und deren Währung, den Euro, vor staatlichen Eingriffen schützen. Sie schützt also als ein gleichsam nachgeordnetes Ziel die auf Privatvermögen basierende Wirtschaftsordnung vor staatlichen Eingriffen und politischer Manipulation, indem sie für Preisstabilität einerseits und nachgeordnet durch die Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik in der politischen und wirtschaftlichen Gemeinschaft, abewr ohne dabei die Preisstabilität zu beeinträchtigen.

Wir erkennen darn, dass dem vorrangigen Ziel der Preisstabilität das wirtschaftliche Wachstum nach- bzw. untergeordnet ist. Wachtum um jeden Preis ist nicht im Statut der Notenbanken verankert. Bereits mit der Gründung der Amsterdamer Wechselbank im Jahr 1609 und dem Aufbau eines Netzwerkes aus öffentlichen Girobanken in Mittel- und Südeuropa wurden jene Funktionen, die heute die Notenbanken ausüben, ohne Notenbanken, oder wie man heute sagt, ohne Lender of last resort wie etwa eine FED oder EZB, sichergestellt.

Die Girobanken zu deren Netzwerk die Hamburger Bank, der Banco Giro in Venedig und der Nürnberger Banco Publico zählten, stellten damals bereits eine öffentliche Infrastruktur für bargeldlose internationale Zahlungen zur Verfügung1, die Wachstum im Sinne einer Steigerung der Effizienz des damaligen Handels und Geldwertstabilität, also das Funktionieren der damaligen Geldwirtschaft gewährleisteten. Die Girobanken aus jener Zeit erfüllten somit bereits wesentliche Funktionen moderner Zentralbanken, ohne eine Zentralbank zu sein.

Wenn Hayek forderte, die Aufgaben der Zentralbanken zu dezentralisieren und also wieder in private Hände zu geben, was unter dem Terminus: ‚Free Banking‘ heute wieder zur Diskussion kommt, dann erinnert er indirekt an die Zeit der Girobanken am Anfang des 17. Jahrhunderts in Europa. Und bei Hayek wie bei Mise, beide Vertreter der Österreichischen Schule, wird den Grund für die zyklisch wiederkehrende Instabilität der Wirtschaft darin gesehen, dass eine den Notenbanken eine expansive Geldpolitik, wie wir sie nun seit über zehn Jahren bestätigt sehen, sowohl in den USA wie in Europa, politisch aufgezwungen wurde.

Das erinnert nicht nur an die Bank of England und ihre Vorläufer, auch die Schwedische Reichsbank, die als die älteste heute noch existierende Zentralbank gilt, wurde 1656 , als sie noch als Stockholms Banco firmierte, zwar von der schwedischen Regierung als private Einrichtung zugelassen und trotzdem unterlag sie einer starken staatlichen Lenkung2. Die Regierung platzierte den größten Teil ihres Vermögens in der Bank und forderte gleichzeitig, dass entstehende Gewinne mit der Stadt Stockholm und dem Staat geteilt werden.

Wenn heute die Unabhängigkeit der Notenbanken auch dazu dient, eine zu expansive Geldpolitik von Regierungen zu unterbinden bzw. über die Zinspolitik zu verhindern, dass es zu Investitionen in an sich unrentable Projekte kommt, die früher oder später bereinigt, sogar abgewickelt werden müssen, dann ist die Unabhängigkeit der Notenabken auch in dieser Funktion nur eingeschränkt gegeben, sie nur beschränkt handlungs- bzw. geschäftsfähig.
Wir haben vermerkt, dass Notenbanken wie Banken generell ganz wesentlich von der Glaubwürdigkeit als Geschäftsmodell leben. Wenn aber eine Notenbank auf Druck von Regierungen eine expansive Geldpolitik wie etwa die EZB betreibt, dann werden in der Regel die negativen Folgen diese expansiven Geldpolitik nicht der Regierung, sondern der Notenbank selbst angelastet.

Regierungen sind in Hinsicht auf die Politik der Notenbanken mehr oder weniger manipulativ. Eine Zentralbank kann von den Weisungen der Regierung unabhängig sein, beispielsweise wurde das vor der Finanzkrise von der Deutschen Bundesbank und der US-amerikanischen FED gesagt, sie kann aber auch von der Staatsregierung weisungsgebunden sein wie etwa die Banca d’Italia oder die People’s Bank of China. Ist eine Zentralbank von Weisungen der Regierung abhängig, so ist der Staat der eigentlich Verantwortliche für die Geld- und Währungspolitik.

Heute müssen wir feststellen, dass die Eingriffe des Staates in die Autonomie der Zentralbanken enorm zugenommen haben. Dabei ist nicht nur der Grad der Verflechtung der Zentralbanken mit Wirtschaft und Politik ausschlaggebend, sondern auch weitere Faktoren. Preisniveaustabilität ist das vorrangige Ziel der supranationalen EZB. Da ihr diese Aufgabe durch den Vertrag von Maastricht vorgeschrieben ist, befindet sich die EZB in einer Zielabhängigkeit.
In Bezug auf die Realisierung dieses Ziels durch den Einsatz verschiedener geldpolitischer Instrumentarien ist sie jedoch weisungsunabhängig, d.h. sie besitzt Instrumentenunabhängigkeit.

Unter Zielabhängigkeit – goal dependence – versteht man, dass die Regierung die Ziele der Zentralbank beeinflussen kann. Ist bspw. die Preisstabilität als oberes Ziel der Zentralbank gesetzlich vorgegeben, liegt eine Zielabhängigkeit vor. Kann die Zentralbank hingegen ihre Aufgaben selbst festlegen, handelt die Zentralbank zielunabhängig3.
Unter Instrumentenabhängigkeit – instrument dependence – versteht man, in welchem Maße die Regierung die Zentralbank bei der Zielerreichung beeinflusst. Ist die Zentralbank bei der Wahl ihres geldpolitischen Instrumentariums weisungsabhängig, d.h. entscheidet die Regierung, welche Instrumente bei der Erreichung der Geldwertstabilität eingesetzt werden, spricht man von Instrumentenabhängigkeit. Kann die Zentralbank ihre geldpolitischen Instrumente frei wählen, handelt sie instrumentenunabhängig (ebenda).

Seit dem 19. März 2015 haben die EZB und 18 nationale Notenbanken der Eurozone für mittlerweile mehr als 2500 Mrd. Euro Staatsanleihen aufgekauft, eine Daueraktivität, die sowohl was die Ziele wie auch die Instrumente der Geldpolitik der Notenbanken betrifft sich kaum klar voneinander unterscheiden lassen; sicher ist nur, dies geschah nicht auf der Grundlage der Unabhängigkeit der Notenbank von der Politik, letztlich dem Europäischen Ministerrat, der die Regierungen der EU-Länder versammelt. Und gleichzeitig war es eben dieser Ministerrat, der mit dem Euro-Stabilitätspakt nicht nur Ziele und Instrumente in der europäischen Geldpolitik der Notenbank ausdehnte, sondern eine extrem expansive Geldpolitik einleitete, wobei das Geld, das die Zentralbanken ausgaben, kein gedrucktes Geld war, aber doch Geld, das bei den nachgeordneten Ausreichern, im wesentlichen Banken und Versicherungen, auf Konten gutgeschrieben wurde und das sie wiederum für den Kauf anderer Anleihen oder von Aktien nutzen konnten. Man hoffte zwar, dass dieses Geld ganz klassisch für die Vergabe von Krediten würde genutzt werden, dazu kam es aber weniger und dies war ein Grund neben anderen, dass die angestrebte Preisstabilität lange Jahre weit unterhalb der gewünschten Zwei-Prozent-Grenze verblieb.

Im Endeffekt its genau das eingetreten, was weder Aufgabe und Funktion einer Notenbank war und ist, die EZB und die nachgeordneten Notenbanken sind heute die größten Gläubiger ihrer Heimatstaaten und also ihrer Regierungen, eine Situation, die aus der Geschichte der Notenbanken viel Aufwand benötigte, um sie zu vermeiden, und die auch bei der Einführung des Euro und dem Euro-Stabilitätspakt sicher nicht im Interesse der Bevölkerungen, der Bürger als Sparer und Versicherungskunden wie der Wirtschaft stand.

Man muss allerdings erinnern an das Jahr 2014, als in weiten Teilen der Eurozone die Wirtschaft stagnierte , in manchen Ländern die Preise in einem hohen Ausmaß fielen und den Regierungen wenig bis nichts an wirtschaftspolitischen Maßnahmen einfiel, um diesen Weg in eine veritable Wirtschafts- und Politikkrise zu verhindern. Bis dahin zählten Anleihekäufe, oder wie man in Anlehnung an die Politik der FED sagte, Quantitative Easing, kurz QE genannt, zu den unkonventionellen, geldpolitischen Maßnahmen, weitgehend unbekannt in Wirkung und Risiko und daher nur in allergrößter Not anzuwenden. Auf der anderen Seite der Notenbanker, gestützt von weiten Teilen der Ökonomik, fürchtete man den Tag, an dem man das QE-Programm würde wieder zurückfahren müssen. So standen sich diese, die explodierende Zinsen später und jene, die explodierende Preise und politisches Chaos unmittelbar fürchteten unvermittelbar gegenüber und tun es heute noch. Wer letztlich bestimmte, das Anleihenkaufprogramm auszuweiten, war von 2105 an der Präsident der EZB. Dass dabei der Rat der europäischen Regierungen eine entscheidenen Rolle mit gespielt hat, wurde kaum gesehen und wenn, wieder vergessen.

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GirobankenFree BankingZielabhängigkeitInstrumentenabhängigkeit


1 Collins, Christopher: The Oxford Encyclopedia of Economic History, Volume 3. BANKING: Middle Ages and Early Modern Period. Oxford University Press, 2012, S. 223
2 Horst Fischer: Geld und Banken. 2002, S. 73.
3 Hans-Joachim Jarchow: Theorie und Politik des Geldes. 11. Auflage. Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2003, S. 326.


Horst Fischer (* 11. Dezember 1950, Duisburg)
Hans-Joachim Jarchow (* 16. August 1935 in Oldenburg in Holstein)

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