Eine zeitlang herrschte die Ansicht, dass Geschichte und gerade in ökonomischer Hinsicht, das neue Subjekt sei. ZunĂ€chst ĂŒbernahm die Evolution die Aufgabe, Geschichte als eine kausale Folge von ökonomischen PhĂ€nomen zu erklĂ€ren, von AblĂ€ufen, die aus fĂŒheren enstanden und die in spĂ€tere ĂŒbergehen. Der teleologische Rahmen von Geschichte wird auch heute noch und nicht selten bemĂŒht, vor allem immer dann, wenn von Motiven bzw. PrĂ€ferenzen zu sprechen ist, wie wir gerade sahen.
Dann hilft es auch wenig, wenn am homo oeconomicus – wie wir dies taten – dessen methologische wie faktische Reduktion auf seine selbstreferenziellen Motivationen bei Kaufentscheidungen moniert wĂŒrde. Auch wenn wir seine SelbstbezĂŒglichkeit um die gesamte Palette fremdbezĂŒglicher CharakterzĂŒge wie Altruismus, Empathie etc. und auch um die endlosen Strukturen sozialer, politischer und kultureller Interaktion erweitern wĂŒrden, wir hĂ€tten stets noch die epistemeologische1 Frage nicht beantwortet, wie wir nĂ€mlich ĂŒberhaupt wissen können, woher dies alles komme und wie dies alles miteinander in Beziehung stĂŒnde?
Die Abstraktion in unserer wissenschaftlichen RationalitĂ€t braucht ‚einen Vermittler‘, etwas, was die Extreme der phĂ€nomenalen Welt zu einer komplementĂ€ren Einheit zusammenbringt, ein geistiges Band gewissermaĂen, ohne das uns die Welt scheinbar aus den Angeln zu fliegen droht. Scheinbar deshalb, weil es ja nicht bewiesen, nicht wirklich erlebt isz, nicht tatsĂ€chlich auch so sein muss.
Im wirtschaftlichen Kontext – und Kontextbezogenheit werden wir gleich prominenter noch kennen lernen – haben wir mit dem marxistischen Begriff des Mehrwerts bzw. der Mehrwertproduktion und dem des tendenziellen Falls der Profitrate die komplementĂ€ren Begriffe fĂŒr das System der kapitalistischen Produktion im ersten Ansatz erkannt.
Dem entsprechen in der modernen Ăkonomik, in der Neoklassik, lassen wir den MontĂ€rkeynesianismus einmal fĂŒr kurze Zeit auĂen vor, der Grenznutzen resp. die Grenzkosten sowie die Kapitalrente. Pareto wie auch andere linear sowie nicht-linear degressiven ‚Abschreibungsmodellrechnungen‘ geben eben solchen logisch immanenten GrenzphĂ€nomenen einen mathematischen Ausdruck, wo eine Kosten-Nutzen-Analyse wie auch eine fortgeschriebene Rechnung von Gewinnmaximierungen unter Effizienzmaximierungs- oder Kostenminimierungsaspekten vorgestellt wird. Und ĂŒber allen grenz-logischen Berechnungen steht die begriffliche BegrĂŒndung aus einem Mangel; dem Mangel an Ressourcen.
Ob aber damit der „missing link“ der Geschichte schon gefunden ist, wir sozusagen in den Lauf der „smoking gun“ schon blicken, ist doch einigermaĂen zweifelhaft. Ein weiterer Blick zurĂŒck in der Geschichte mag vielleicht Abhilfe schaffen.
Wir haben bereits ein, fĂŒr uns das wesentlich unterscheidende Element marktwirtschaftlicher Praxis in der Dynamik der Eigentumswirtschaft gefunden. Eigentum, so es in Geld liquidiert wird und ein GlĂ€ubiger-Schuldner-VerhĂ€ltnis eingeht, dieses nicht-ökonomische Element, haben wir als die Grundlage marktwirtschaftlicher Praxis bestimmt. Ein weiteres Element, ethymologisch betrachtet gleichsam als ein sub-komplementĂ€res, also ein nachrangiges, aber zugleich doch wesentliches Element, firmiert sowohl bei Marx wie bis heute in die moderne Ăkonomik hinein als Begriff der Kommodifizierung2.
Bis heute war es nicht gelungen, den Prozess der Kommodifizierung hinreichend zu beschreiben3. Dass die Liquidierung von Eigentumsrechten in GlĂ€ubiger-Schuldner-Kontakten den Vorgang der Vermarktung von Vermögenswerten gleichermaĂen wie die marktgĂ€ngie Erwirtschaftung der Schuld- bzw. Kreditsumme durch den Schuldner anstöĂt ist bereits umfassend dargelegt worden. Aber damit ist noch nicht die Dynamik der Marktwirtschaft hinreichend beschrieben, die ja gerade darin besteht, eine unglaubliche FĂŒlle an Waren hervorzubringen.
Schlaudts Bestimmung der Kommodifizierung als „(…) i.e.S: Umwandlung eines Guts in eine (ggf. standardisierte) Ware mit einem Marktpreis“(S. 97) lĂ€sst einen etwas unbefriedigt zurĂŒck, beschreibt sie zwar, dass eine Umwandlung stattfindet, aber nicht wie. UnglĂŒcklich hier ist der Begriff des Guts, fĂŒhrt er doch weg vom Eigentum in eine falsche Richtung. Eigentum wird umgewandelt durch Liquidierung in Geld und kein „Gut“. Schlaudts Begriff der „Einhegung“ holt aber dieses VersĂ€umnis nach, insofern er Einhegung als “ (a) Erstmalige Belegung des Guts mit einem Eigentumstitel, ungebachtet des EigentĂŒmers; (b) Ausschluss anderer von der Nutzung;“(ebenda) bestimmt. Ungeachtet der Tautologie, dass natĂŒrlich ein Eigentumstitel den Ausschluss anderer von der Nutzung impliziert, insofern dieses Eigentum nicht Gemeineigentum sondern Privateigentum meint – deshalb sprechen wir auch lieber von Privateigentum und auf Privateigentum basierendes Wirtschaften – hat er trotzdem die konstitutive Verfassung des (Privat-) Eigentums im Zitat festgehalten.
Leider unterlĂ€uft Schlaudt auch beim Begriff der „Privatisierung“ der gleiche Fehler im Gedankengang, wenn er von der „Ăbergabe von öffentlicher in privater Hand“ spricht. Privatisierung entspricht so im Kern eigentlich dem Vorgang der Kommodifizierung, lĂ€sst sich von jenem kaum unterscheiden. Gleichwohl Privatisierung den Kontext der rechtlichen Ăberschreibung öffentlicher BesitztĂŒmer vor allem in privates Eigentum umfasst, ebenso wie den Verkauf von Staatseigentum an private Personen bzw. Körperschaften privaten Rechts, sowie die Verlagerung von bisher staatlichen AktivitĂ€ten in den privaten Sektor der Wirtschaft, so ist dies alles aber keinesfalls eine Ansammlung einzelner AktivivtĂ€ten von Seiten eines Staates, sondern die Konsequenz einer neuen, bĂŒrgerlichen Staatsverfassung westlicher Demokratien mit der ihr inhĂ€renten marktwirtschaftlichen Praxis.
Wenden wir uns der Kommodifizierung erneut zu, dann erkennen wir, dass aus der Dynamik der GlÀubiger-Schuldner-Kontrakte, also der Kapitalisierung liquidierter Eigentumswerte nicht nur die Marktdynamik getrieben wird, sondern auch andere, angelagerte VerÀnderungen sich ergeben. Wie der Faktor Arbeit hierbei einzuordnen ist und welchen Stellenwert er bei der Kapitalisierung von Privatvermögen spielt, werden wir spÀter erörtern.
Im Prozess der Kommodifizierung spielen andere Faktoren die wesentlicheren Rollen. Wir sahen dabei den Wettbewerb, vor allem bei der Unternehmensfinanzierung und hier besonders bei den Investitionen in Innovation und Effizienz auf der organisatorischen wie der Ebene der Produktions- und Arbeitsprozesse, beides wesentliche Betsandteile der ProduktivitĂ€t eines Unternehmens, vor dem Faktor Arbeit. Ohne jene, hĂ€tte dieser kaum ĂŒber die vergangenen HundertundfĂŒnfzig Jahre eine Entwicklung nehmen können, wie wir dies erlebt haben. Aber nicht die im engeren Sinne ökonomischen Bedingungen spielen die Hauptrolle im Prozess der Kommodifizierung; es sind vielmehr die verfassungsspezifischen, politischen Bedingungen. Das Recht, dass jeder zur GrĂŒndung eines Unternehmens Kredite aufnehmen darf, auch Investoren aus anderen HerkunfstlĂ€ndern, als dem Sitz des Unternehmen, steht hier konstitutiv. Dies unterstĂŒtzt auch leitend die staatlich mit erheblichen SternachlĂ€ssen geförderte Schuldenkonjunktur privatwirtschaftlicher Unternehmen, von den ErwerbstĂ€tige ebenso nur trĂ€umen können, wie AktionĂ€re, deren AktionĂ€rsrenten zwar weniger als Erwerbseinkommen grosso modo besteuert werden, aber in einer Art „zweiter“ Steuer dem Zugriff des Fiskus‘ doch ausgesetzt ist., wobei hier noch ein gernerativer Faktor, die Erbschaftssteuer, mit einbezogen werden muss.
Daran anschlieĂend ist ein weiterer, wichtiger Punkt: die Ăbertragbarkeit von privaten Schuldtiteln an eine Körperschaft, was durchaus zu der Situation fĂŒhren kann, dass ein Unternehmer privat fĂŒr die Gesamtsumme der aufgenommenen Gelder haftet, sein Unternehmen aber als eine „beschrĂ€nkte Haftung“ rechtlich notiert. Damit also diese Dynamik der Kapitalisierung aus der fast uneingeschrĂ€nkten Möglichkeit der Warenproduktion stattfinden kann, sind demnach nicht nur uneingeschrĂ€nkte Finanzierungsmöglichkeiten, sondern auch die Trennung von Haftung und Risiko, ungeachtet des EigentĂŒmers notwendige Voraussetzung. Im juristischen Sinne sind Unternehmen Rechtssubjekte bzw. privatrechtliche Körperschaften. Deren EigentĂŒmer haften in der Höhe ihrer Anteile am Unternehmen nach Aktienrecht oder ganz nach Privatrecht. Geht ein Unternehmer pleite, zieht dies nicht zwangslĂ€ufig den Konkurs des Unternehmens nach sich, bzw. kann ein Konkursverwalter das ganze oder Teile des Unternehmens durchaus am Markt erhalten.
Dies darf durchaus als ein verfasster Wille gesamtstaatlicher Wohlfahrtsökonomie verstanden werden, insofern nicht gÀnzlich der Faktor Arbeit im Köperschaftsrecht und so im Faktor Kapital aufgeht.
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Kommodifizierung – „Privatisierung“ – Ăbertragbarkeit von privaten Schuldtiteln
1 Episteme ist etymologisch abgeleitet von griechisch áŒÏÎčÏÏÎźÎŒÎ· und bedeutet âErkenntnisâ, âWissenâ oder âWissenschaftâ. Es stammt vom Verb áŒÏÎŻÏÏαΌαÎč, das âwissenâ bedeutet.
2 Kommodifizierung bezeichnet den Prozess der Kommerzialisierung bzw. des âZur-Ware-Werdensâ (vom englischen commodity, Ware). Kommodifizierung kann die Privatisierung von vorher gemeinschaftlich genutzten oder im Familienfideikommiss stehenden Ressourcen sein. Dies berĂŒhrt sowohl den Kontext der Almende, eines Allgemeingutes, wie auch den Kontext der „unbezahlten Arbeit (unpaid labor) als ein Sammelbegriff fĂŒr produktive, aber unentgeldlich verrichtetet TĂ€tigkeiten.
3 Sehr gute AnsÀtze sahen wir in Heinsohn, Steiger ( 2002) und in Schlaudt (2016)
Oliver Schlaudt: Wirtschaft im Kontext. Eine EinfĂŒhrung in die Philosophie der Wirtschaftswissenschaften in Zeiten des Umbruchs. Klostermann (Rote Reihe), Frankfurt a. M. 2016.
Oliver Schlaudt (* 1978)
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