Über Handlungsalternativen entscheiden in der Ökonomik Effizienz und Kosten. Im Zusammenhang mit Allmende die Opportunitätskosten. Ein Wort noch zur Allmende: ihre Herkunft aus der Boden- bzw. Argrarreform hat ihren direktren Vorläufer im Begriff des Oikos. Familie und Oikos – das Haus, der Hof – waren in der griechischen Antike die natürlichen Kräfte, dýnasthai, die als Grundlage den gemeinschafts- bzw. staatsbildenen Prozess zu seiner Verwirklichung führen können. Die griechische Philosophie bestimmte schon am Ursprung der Staatsentwicklung die subsistenziellen wie die generativen Grundlagen auch als jene Grundlagen einer materiellen wie individuellen Entwicklung insofern das Individuum seine existenzielle Grundlage in der Generationsfolge hat.
Dabei war der Prozess der Polis, also der Staatsbildung wie der Staatsentwicklung abhängig von einem Bereich des gesellschaftlichen Lebens, vom Oikos. Die daraus sich ergebenden Fragen, wie der Bereich des Oikos mit dem der Polis zusammenhängen, in welcher Form der Entwicklung beide einander bedingen, diese Fragen stellen sich heute in der Ökonomik so gut wie gar nicht mehr.
Die Bereiche der unbezahlten, produktiven Arbeit wie der der Erwerbsarbeit sind klar auseinander getreten und haben eigene, abgetrennte Bereiche mit sehr unterschiedlichen sozialen, politischen, größtenteils auch juristischen wie fiskalischen Strukturen ausgebildet.
So haben sich scheinbare Sachverhalte ausgebildet mit bündigen Argumentationsketten, wissenschaftlich in zahllosen sozial-wissenschaftlichen wie ökonomischen Studien fast minutiös und umfassend empirisch belegt.
Marilyn Joy Waring, neuseeländische Politikerin und Feministin der erste Stunde, brachte die Diskussion wieder zurück auf diese ursprüngliche Bestimmung unbezahlter, aber im Sinne staatlicher, das heißt hier für die gesellschaftlich wie kulturell notwendige Entwicklung produktive Arbeit:
„Unpaid work makes all the rest of work possible,“ says political economist Marilyn Waring, a former New Zealand cabinet minister and now professor of public policy at the Institute of Public Policy at AUT University in Auckland. „The market wouldn’t survive if it wasn’t able to survive on the backbone of unpaid work.“1
Ohne diese Form der „Arbeit“ also gäbe es weder die monetär bewertete, also die Erwerbsarbeit und auch nicht den Waren- und Gütermarkt. Denn dieser wäre gar nicht überlebensfähig, gründet er doch faktisch auf diesem Faktor unbezahlter, produktiver Arbeit, der eine Form der Allmende darstellt.
Der Begriff Allmende ist also viel zu eng bestimmt als gemeinschaftlich genutzter Boden, der dann während der Argrareform im 18. Jhd. seine vergemeinschaftete Nutzungsform gegen eine privatrechtliche verloren hat. Und mit dem zunehmenden Verlust der Allmende übernahm umgekehrt reziprok die Marktwirtschaft als das bestimmende Element die Suprematie, die Vorherrschaft, eines auf private, materielle Nutzenoptimierung ausgerichtete Daseinsführung.
Weniger in Europa, mehr aber in den USA und dort im Zuge des Feminismus‘ kamen, zwar eher marginal, aber doch beachtenswert, Fragestellungen auf, die den Gedanken der Allmende weiter hinein in die Ökonomik trieben. Diese Fragestellungen liefen einmal in die Richtung eines Versuches einer durch die neuzeitliche Philosophie inaugurierten neuen Wesensbestimmung der Ware, um so zu einer besseren Bestimmung des Marktes zu gelangen. Zum anderen gab es Versuche, die vorherrschenden Bestimmungen des Marktes aus dem Begriff der Allmende zu hinterfragen.
Die philosophischen Bestimmungen, prominent durch Nancy Fraser und Polanyi vorangetrieben, konnten zwar die erkenntnistheoretischen Schwachstellen der Ökonomik aufzeigen, führten aber zwangsläufig zu einer Hängepartie von transzendentalen Überlegungungen, denen eine notwendige, makroökonomische Auseinandersetzung leider in immer weitere Entfernung geriet.
Dass eine Wesensbestimmung des Marktes Gefahr läuft, ahistorisch zu bleiben und so wenig Einlasstellen frei gibt, durch Krisen und tatsächliche Widersprüche zu einer Veränderung der Marktmechanismen und -strukturen wenigstens hermeneutisch beizutragen, liegt nahe.
Dass man mit Kant und Hegel durchaus in der Lage ist zu zeigen, dass der Markt die Bedingungen seiner Möglichkeit nicht seinen eigenen Gesetzen unterwerfen kann, der Markt insofern erkenntnistheoretisch ohne transzendentale Legitimität und somit auch ohne logisch hinreichenden „Grund“ ist, erschüttert, so wahr dies auch sei, heute wenige2.
Weniger Frasers Kritik an Polanyi aber ist für uns von Interesse als ihr Hinweis darauf, dass Allmende, zu der sie Land, Arbeit und Geld zählt, nie gänzlich zu Waren werden können. Sie irrt zwar in der Sache, denn Land, Arbeit und Geld sind kommodifiziert, sind den Verwertungsmechanismen der Marktwirtschaft unterworfen, der daraus marktgängige Produkte macht und diese mit Gewinn bzw. Rendite kapitalisiert; dies aber nicht krisenfrei. Die Krisen aber sind nicht direkt mit der Kommodifizierung verknüft in der Art, dass etwa die Argrareform eine Krise der Landwirtschaft hervorgebracht hätte; im Gegenteil. Arme, unselbstständige Bauern haben ihre materielle Situation durchaus verbessert, im großen Stil in den USA und in Europa im 20. Jhd., c.p. die Erwerbsarbeit und die Geldwirtschaft.
Die Krisen, die Tragödien, die die privatwirtschaftliche Kapitalisierung jeder Form von Allmende auslöst, sind darin begründet, dass wirtschaftliches Handeln nun nur noch unter Effizienz, Produktivität und Renditezielen stattfindet. Marktwirtschaft tritt nicht nur gegenüber dem Boden, sondern gegenüber der Welt als alleinige Handlungsmöglichkeit auf, wird strukturell cartesianisch. Wie ontologisch voneinander getrennte „Substanzen“ stehen sich Marktwirtschaft und Natur gegenüber, beide scheinbar autonom und grenzenlos. Nicht nur der Boden als solcher oder als Produktiuonsressource ist zum Wirtschaftsgut geworden. Luft hat ihre Kommodifizierung in den diversen Verschmutzungszertifikaten gefunden und Wasser war eins der ersten Gemeinschaftsgüter, das durch Einhegung bzw. Kanalisierung und Regulation zu einem Wirtschaftsgut geworden ist.
In jeder besonderen Form der industriellen Produktion ist Wachstum, also die Einheit von Effizienz, Produktivität und Rendite, möglich und scheinbar notwendig. Die Natur scheint ein unerschöpflicher Bereich von materiellen Ressourcen zu sein, denen sich die Marktwirtschaft bedient und die ihren Abfall hinreichend und kostengünstig recyclet; und wo nicht, werden Abfall vermieden und natürliche Recyclingprozesse zunehmend nachgeahmt. Daran ändert sich aus nichts, wenn in der Ökonomik aslle Ressourcen aus ihrer „Knappheit“, aus einem Mangel betrachtet werden. Wder begründet der Mangel etwas, noch verhindert er grenzenloses Wachstum, allenfalls erschwert er den Zugang zu den Ressourcen über den Preis für nicht wettbewerbsfähige Marktteilnehmer.
Arbeit, wie wir sehen, ist nicht gleich zu setzten mit Erwerbsarbeit. Aber als solche innerhalb eines marktwirtschaftlichen Verwertungszusammenhanges können Allmende nicht existieren. Arbeit zielt darin allein auf die materielle Reproduktion des Wirtschaftssubjekts, des einzelnen Menschen bzw. der jeweiligen, durch Standes- oder gewerkschaftlich vertretenen Gruppen. In diesem Wirtschaftsprozess werden alle Formen der Allmende lediglich nachrangige, untergeordnete und nicht bis schlecht bezahlte Tätigkeiten bleiben.
Arbeit als menschliche Arbeit steht so der kulturellen Entwicklung eines Gesellschaft, eines Staates gegenüber, fristet dort im Gegensatz zur Erwerbsarbeit als kulturelle „Arbeit“ ein residuales Dasein.
Geld war nie Allmende. Und Geld, wie wir es kennen als Bargeld, wird wohl bald gänzlich verschwunden sein.
Die sich in den Bevölkerungen der westlichen Industrienationen verbreiternde und sich über alle Bildungsstufen ausweitende „Kulturarmut“ besteht für uns in diesem Zusammenhang nicht in einem sich einschränkenden staatlichen oder privaten Kulturangebot. Armut an Kultur betrifft für unseren thematischen Zusammenhang jenen wesentlichen Aspekt der kulturellen Entwicklung von Gesellschaften, die sowohl die Lebensbedingungen der Menschen verbessert wie die Lebensgrundlagen der Menschheit bewahrt.
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[title]Begriffe – Anmerkungen – Titel – Autoren[/title]
dýnasthai – von Dynamis = Kraft, Vermögen, eine Veränderung herbeizuführen, wird zu dýnasthai = vermögen, können
1 Antonia Zerbisias, Special to the Star. Sat., Oct. 30, 2010 .
Vgl. auch Marylin Waring (1988): If Women Counted. A New Feminist Economics. Harper & Row, San Francisco u. a. 1988, ISBN 0-06-250933-0, wiederholte Neuauflagen, auch bei Macmillan Publishers unter dem gleichen Titel sowie unter dem Titel „Counting for Nothing“ bei George Allen & Unwin und University of Toronto Press.
2 Fraser 2014, S. 548
Nancy Fraser (2014). „Can society be commodities all the way down? Post-Polanyian reflections an capitalist crisis“. In: Economy and Society 43(4), S. 541-558.
Nancy Fraser (* 20. Mai 1947 in Baltimore)
Marilyn Joy Waring, CNZM,dt. „Neuseeländischer Verdienstorden“ (* 7. Oktober 1952 in Ngaruawahia)
Karl Paul Polanyi (* 21. Oktober 1886 in Wien; † 23. April 1964 in Pickering (Ontario))
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