Dieser Topos von einer feudalen Klassengesellschaft dient der Vorbereitung für einen Zusammenhang, den wir später ausführlich unter der Überschrift: Globalisierung behandeln werden. Wenn wir im Zusammenhang mit dem Kunstmark von feudalen Strukturen sprechen, meinen wir das nicht in einem politischen Sinn. Anstelle von Machtoptionen stehen dann Beeinflussungs- und Entscheidungsoptionen im Vordergrund.
Der Kunstmarkt wird hauptsächlich von einigen wenigen Protagonisten oder Institutionen bestimmt, die in einem strukturellen Geflecht zueinander in Beziehung stehen und welches zugleich hierarchisch gegliedert ist, wobei Entscheidungsebene und Beeinflussungsebene wieder unterschieden sind.
Die Künstler bilden gewissermaßen die Basis dieser Marktpyramide. Am Anfang ihrer ‚Karriere‘ sind sie zunächst freischaffend, ohne reale Verkaufsaussicht. Kommen sie in Kontakt mit Galeristen oder Sammlern, sind diese Kontakte überwiegend zufällig oder durch Veranstaltungen von Kunstakademien und deren Lehrkörper vermittelt. Einen Zugang zu Auktionen haben sie (fast) nie.
In ihrer monetären Entwicklung und materiellen Subsistenzsicherung sind Künstler auch heute noch weitgehend persönlich abhängig von Protagonisten höherer Ebenen der Kunstmarktpyramide und ihr Arbeitsleben ist strukturell nicht vergleichbar mit Erwerbsarbeit.
Trotzt Künstlersozialversicherung, die ja erst später bei vorhandenen Einnahmen durch Werkverkäufe greift, haben Künstler weder Formen der Sicherung bei Krankheit und im Alter, noch ein rechtlich reziprokes Arbeitsverhältnis mit einem Vertragspartner auf dem Arbeitsmarkt. Zudem haben sie auch keine Alternativen, in bestimmte Arbeitsmarktsegmenten zu wechseln oder ihre Situation durch Qualifizierung auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern; weder gibt es diese Segmente – dazu zählen auch nicht die sog. Sommerakademien und andere, meist selbstorganisierte Events.
Freischaffend meint so nicht einmal ein ähnliches Arbeitsverhältnis wie Freiberufler, ist eher an den Status einer Ich-AG oder eines Einzelunternehmers angelehnt.
Erst im Erfolgsfall sind Künstler Unternehmer mit ‚Angestellten‘ und ganzen Betriebsabteilungen für unterschiedlichste Marktfelder bzw. Aufgabenfelder im Zusammenahang mit dem Kunstmarkt.
Ihr Status auf dem ‚Arbeitsmarkt‘ ist also strukturell der eines Unfreien. Unfrei insofern, als der Künstler weder die freie Wahl auf dem Kunstmarkt für seine künstlerische Arbeit hat, noch eine rechtliche Absicherung seiner existenziellen Bedürfnisse im Notfall. Dies manifestiert sich in der Beziehung zwischen Künstler und Galerist. Galeristen halten eine exklusive Beziehung zum Markt. Als Primärmarkt-Galerie betreut sie meist neue, junge Künstler und verkauft hauptsächlich sog. „atelierfrische“ Arbeiten an interessierte Sammler oder Spontankäufer. Daraus, also aus diesem „freien“ Verhältnis zueinander lässt sich für den Künstler keinerlei Rezprozität ableiten.
Als sog. Sekundärmarkt-Galerie lebt sie im Gegensatz dazu ausschließlich vom Wiederverkauf bereits marktgängiger Kunstwerke, die sowohl an Sammler wie auch an andere Galerien oder über Messen an Endkunden gehen. Häufig übernehmen Primärmarkt-Galerien selbst den Rück- und Wiederverkauf von Arbeiten der von ihnen vertretenen Künstler, manchmal werden solche Werke bei Autionshäusern eingereicht. Die direkten Kontakte zwischen Künstlern und Galerie-Kunden sind beschränkt auf verkaufsexterne Gelegenheiten. Künstlern wird also ein Marktzugang extrem erschwert, mitunter sogar auf bilateraler Ebene zwischen Künstler und betreuender Galerie vertraglich untersagt.
Junge Künstler, die versuchen, die ersten Schritte auf das Parkett des Kunstmarktes selbst zu gehen, werden meist schnell feststellen, dass dieser Weg schwer, wenn nicht unmöglich ist. Beide Wege zusammen zu gehen, also frei und über Galerien, manchmal sogar in Personalunion mit sich als Kunstkurator, wird ungern gesehen, allein schon wegen der möglichen, konkurrierenden Preisstellungen. Wettbewerb zwischen zwei oder mehreren Marktzugängen ist also eher schädlich, wenn überhaupt möglich.
Galerien, die junge Künstler in ihren Portfolios halten, haben bereits eine Vorentscheidung getroffen, welchen „Stil“, welche Kunst sie für marktfähig halten. Also nicht der Künstler, sondern der Galerist trägt entscheidend bei der Marktpositionierung der Künstler bzw. deren Werke bei. Er beeinflusst damit direkt sowohl die Werkproduktion wie den Markt. Historisch gesehen standen Künstler oft im Dissens mit den Formen der Beeinflussung durch ihre Auftraggeber.
Die Formen der Beeinflussung sind in den letzten Jahrzehnten überaus komplex geworden, so dass sich zwei weitere Ebenen des Kunstmarktes ausgebildet haben: der Kunstkurator und der Kunstagent.
Der Kunstkurator geriert sich als vermeintlich neutraler Mittler zwischen Sammler und Galerie oder Sammlern untereinander. Da er selbst nicht unbedingt galeriegebunden ist, verschafft er gerade dem ‚jungen‘ Sammler beim Einstieg einen Überblick über den Markt, berät ihn vor und bei Kaufentscheidungsprozessen sowie bei der Zusammenstellung seiner Sammlung; so jedenfalls sein Selbstbild.
In der Regel aber sind solcherart Kuratoren eine eher aussterbende Spezies oder dann doch schnell unterwegs, zum Kunstagenten aufzusteigen, der sich in den 1960er-Jahren entwickelte hat. Seinem Selbstverständnis nach vermittelt der Beruf des professionellen Kunstagenten für die Künstler zwischen Galerien, Sammlern, Museen und Messen. Aber wie der Fall ‚Achenbach‘1 offenbarte, ist der Kunstagent eher ein Hoheitsberater für die Sammelleidenschaften reichster Familien, reicher Einzelpersonen und Wirtschftssyndikate.
Für eine handvoll der etablierten Künstler erledigen die Kunstagenten auch die Öffentlichkeitsarbeit bis hin zum Event- und Forderungsmanagement. Sie sind in aller Regel am Umsatz des Künstlers beteiligt oder arbeiten auf einem Etat für Sammler. Diese Ebene der Kunstmarktpyramide, die dem Unternehmensberater in der Wirtschaft ähnlich ist, unterscheidet sich aber von den Beratungstätigkeiten, dass sie keinerlei Interaktion mit anderen Bereichen der Ökonomie, wo es darum geht, solche Bereiche zu integrieren oder zu entwickeln, hat.
Was den Kunstmarkt insgesamt kennzeichnet, es findet keine Marktausweitung statt wie das Marktgeschehen auf dem Kunstmarkt grundsätzlich allein auf Wertsteigerungseffekte beschränkt ist; ein wirtschaftliches Wohlfahrtsmoment ist im Kunstmarkt daher nicht auffindbar.
Betrachtet man die Wandlung im Bereich der Kunstkritik in der Zeitspanne der letzten hundert Jahre, dann darf man feststellen, dass die Kunstkritik ihren Einfluss zugunsten einiger großer, vernetzter Galerien und Kunstberater resp. Kunstagenten fast vollständig verloren hat. Bis in die 1960er-Jahre konnte in öffentlichen Medien geäußerte Kritik zu Werken oder Ausstellungen eines Künstlers diesen fast im Alleingang auf dem Markt durchsetzen oder aus dem Markt werfen; Ende des 20. Jahrhunderts und Anfang des 21. Jahrhunderts ist die Marktbeeinflussung des Kunstkritikers gegen Null geschwunden. Selbst Echtheitsdiskussionen finden heute außerhalb der Kunstkritik in Fachreisen der Restauratoren statt und was marktgängige Trends sind und was nicht, gehört ebenso nicht mehr zum Repertoir des kritischen Kunstdiskurses, sondern wird in weltweit vernetzten Galerien bestimmt.
Der Experte im Auktionshaus beobachtet intensiv den Markt, taxiert die ihm von Sammlern oder – in seltenen Fällen – von Museen angebotenen Kunstwerke und stellt sie zu den wenigen im Jahr stattfindenden Auktionen (2. Markt) seines Hauses zusammen. Er betreibt also die entscheidende Auswahl über den Auktionskatalog, stellt die Rangordnung der Lose fest und senkt den Daumen über Werke, indem er sie in den Sekundärkatalog aufnimmt, aus dem heraus meistens nicht einmal zehn Prozent der Werke zu deutlich geringeren als den Erstpreisen ihren Weg in den Markt finden.
Junge, zeitgenössische Kunst findet, wenn überhaupt, dann nur über enge Beziehungen zwischen Kurator etwa und Auktionsexperten Aufnahme in den Sekundärkatalog. Aufgabe und Selbstverständnis der Auktionshäuser sind allein kommerzielle und, gleichsam als Form der Selbstvermarktung und Öffentlichkeitsarbeit die Kommunikation von Preis- bzw. Wertsteigerungsrekorden.
Auktionshäuser bedienen also nicht wie man fälschlicherweise vermuten könnte den Kunstmarkt, sie sind der Kunstmarkt, stehen an der Spitze der Kunstmarktpyramide. Sie sind die Torwächter zu den Königsgräbern der Kunstgeschichte und die Königsmacher auf dem aktuellen Kunstmarkt, entscheiden über den Erfolg auf allen Ebenen des Kunstmarktes und deren Akteure; die Galerien, die Museen, die Agenten, die Sammler und die Künstler. Wer oder welche Werke auf dem Auktionsmarkt nicht reussieren, laufen fortan auf dem Kunstmarkt wie ein Platz 27 in einem olympischen Marathon.
Waren früher vor den Galeristen noch die Museumsdirektoren und die Kuratoren von Museen, Stiftungen, institutionellen Sammlungen oder Ausstellungen maßgeblich für die Aufmerksamkeit und Werthaftigkeit von Werken und Sammlungen, so entscheiden diese Museumsfachleute heute mehr über Schwerpunkte einer (öffentlichen) Sammlung, über Ausstellungskonzepte, Ankäufe von Kunstwerken und ihre Eingliederung in Museums- und Werkbestände. Ausgestellte Kunstwerke erhalten durch ihre Wertschätzung als Museumsbestandteile öffentliche Akzeptanz und vielfach steigen die Arbeiten der museal beachteten Künstler dadurch im Wert, was besonders Sammlungen, die in Form von Stiftungen organisiert und legitimiert sind, hilft.
Speziell im Bereich der privaten Kunstsammler kann man eine Form der Refeudalisierung des Kunstmarktes erkennen. Zunehmend tauchen dort neue Käuferschichten aus Rußland, China und Indien, neuerdings auch aus den ölproduzierenden Ländern auf. Bei diesen Käuferschichten werden keine großen Sammlungen sukzessive und langfristig orientiert aufgebaut, sondern extrem schnell zusammengekauft. Diese neuen Käuferschichten haben nicht nur das Potenzial, den Kunstmarkt zu beeinflussen und nach ihren Bedürfnissen bzw. finanziellen Absichten zu verändern, sondern neben den Wertspekulationen auch eine weitere Abschottung der Marktzugänge für traditionelle Sammlungen sowie Museen und Stiftungen zu erzwingen.
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1 Helge Achenbach ist ein in Düsseldorf ansässiger deutscher Kunstberater, der wegen Betrugs verurteilt wurde. Mit Urteil vom 20. Januar 2015 hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf Achenbach zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 19.360.760,70 Euro an die fünf Erben von Berthold Albrecht verurteilt.
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