Resistenz vs. Affinität

Wir denken nicht, dass solche Oppositionen wie Resistenz vs. Affinität im Zusammenhang mit dem Kunstmarkt weiterbringen. Sie hilft auch wenig, wenn wir sie auf das Werk oder den Künstler anwenden. Sie eröffnet als ein Gegensatz oder wie hier in diesem Fall als ein Widerspruch das Nachdenken über den Kunstmarkt. Setzen wir den Kunstmarkt in Opposition zur Marktwirtschaft, dannn stellt sich die Frage, worin besteht dessen Widerspruch?

Wir haben den Widerspruch hier in zwei Richtungen bzw. Bedeutungen impliziert. Einmal als einen logischen Widerspruch, insofern die Bestimmungen der Marktwirtschaft denen des Kunstmarktes widersprechen; und davon gibt es einige, wie wir ein paar Seiten vorher zeigen konnten. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass der Kunstmarkt eine eigene Marktform ist. Um in diese Richtung denken zu können, bedarf es viel mehr als Unterschiede in den Bestimmungen, dessen, was ist, aufzuzeigen. Denken wir zurück an den Anfang, dann erinnern wir, dass in Widersprüchen auch komplementäre Begriffe enthalten sein können; so ist das hier auch. Sie heißen Immanenz und Transzendenz.
Beide stehen in einer scheinbar oppositionellen Beziehung zu einander, der Beziehung zwischen Identität und Differenz. Dass etwas, was mit sich selbst gleich ist, zugleich auch seinen Unterschied in sich hat, also sein mit-sich-nicht-gleich-sein und so sein Gleichsein durch seine Veränderbarkeit hindurch bewahrt, ist nicht schwer zu denken und schon seit Hegels Satz von der Identität von Identität und Differenz und Heideggers etwas kürzeren Satz der Identität1 bekannt. Heidegger betont explizit die Zusammengehörigkeit von Identität und Differenz und markiert damit zweifellos eine umgreifende Identität, die nicht mehr in Opposition zur Differenz steht.
Wenn also nichts mehr wirklich einen Unterschied macht, wenn etwa Kunstwerke und Künstler in einer Art kritischer Harmlosigkeit zu dem stehen, was ihnen Anlass und Grund zur Kritik geben, nämlich die Marktwirtschaft bzw. die Warenwelt und ihr Äquivalenztausch, wo macht man dann den wahren Unterschied, den, der kritisch sich der Warenwelt und dem Äquivalenztausch widersetzt, dann noch fest?.

Die Künste, also auch die bildenenden Künste waren über die Jahrhunderte gerade die prominentesten Protagonisten und standen paradigmatisch für die Veränderbarkeit der Bedingungen des menschlichen Lebens durch den Menschen. Veränderung so verlässt die Sätze der Identität, insofern es nicht um einen aus sich selbst getriebenen Prozess geht, sondern um einen Eingriff in einen Prozess, der den Prozess als solchen verändert. Kann der Kunstmarkt diesen Status eines Eingriffs heute noch behaupten? In der bildenenden Kunst waren die Eingriffe in die Prozesse der Marktwirtschaft in den letzten hundert Jahren zahlreich. Und viele dieser Eingriffe waren nicht vermarktbar, waren also marktresistent. Sie lösten, wie etwa Beuys, heftige Diskurse aus, Reaktionen des Staates oder der stattlichen Ordnungshüter, zeitigen Konsequenzen für Kunst und Künstler; sie waren also wirksam.
Natürlich muss man nicht gleich die gesamte Marktwirtschaft abgeschafft sehen, um eine Veränderung auch Veränderung nennen zu dürfen. Doch bevor wir uns mit Revolutionen beschäftigen, schauen wir noch ein wenig auf einen immanenten Veränderungsprozess, den man zwar Entwicklungsprozess nennen darf, dabei sich aber der Gefahr bewusst sein muss, dass Entwicklung sowohl bestätigend, also affirmativ wie auch erneuernd, also innovativ sein können.

Bleiben wir bei dem Begriff der Veränderung. Veränderungen stehen in einem resistenten Verhältnis zur Tradition, die ihrerseits zur Veränderung remanent2 ist. Veränderung bezeichnet dann einen Prozess, in dem man aus etwas heraus in etwas neues, anderes, differentes eintritt. Blicken wir auf die aktuellen Theorien der Kommunikation, dann wird dort behauptet, dass die neue Welt der globalen und vernetzten Kommunikation derart weltumspannend und weltdurchdringend ist, dass jeder mit jedem über Raum und Zeit hinweg kommunizierend kann, dass diese Art der Kommunikation sich also längst auf den ganzen Planeten ausgeweitet hat, dass es keinen Ort außerhalb der Kommunikation, kein Draußen mehr gibt. Wie könne es da noch einen Prozess geben, von dem aus man in etwas anderes, einen anderen Raum eintreten könne?

Dieser virtuelle Raum der globalen Kommunikation ist geradezu ein Paralleluniversum zum Äquivalenztausch; leicht zu erkennen. Und wie die Rede vom Äquivalenztausch so ist auch die vom virtuellen Raum der Kommunikation einfach nur Unsinn. In wirtschaftssoziologischer Sicht ist ein Äquivalenztausch ein Tausch, bei dem Waren mit gleichen Werten getauscht werden; aber selbst zwei identisch aussehende Tomaten haben nicht den gleichen Wert. Deshalb war es auch nicht sonderlich schwer für die marxistische Betrachtung, den Äquivalenztausch als ein Grundmodell neuzeitlicher Wissenschaftsideologie zu entlarven, worin sich die Gerechtigkeitsvorstellungen mit den Gleichheitsvorstellungen überschneiden. Gleich ist gerecht ist die Losung der bürgerlichen Ideologie der Aufklärung, die aber weder den Sinn der Losung: Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit je verstanden, noch den Sinn für das Ganze des Äquivalenztausches entdeckt hat.

Zum Äquivalenztausch, der sich ja allein auf die Sphäre der Warenzirkulation bezieht, kommt notwendigerweise die Produktion von Waren dazu; ohne sie kein Ganzes, kein Sinn. Bereits Adam Smith hat sich seine theoretischn Zähne daran ausgebissen, den Tauschwert zu bestimmen und dabei ist ihm die Ideologie eines vermeintlich gerechten Äquivalentes zur aufgewendeten Arbeitszeit auch unter Berücksichtigung der in den Produktionskosten steckenden Aufwenungen in den Sinn gekommen. Arbeitsmenge plus Produktionskosten sollten nach ihm der Maßstab sein für einen gerechten Tauschwert der Waren und Güter und der Erlös auf dem Markt, der Preis also dann gerecht und gleich unter Arbeit und Kapital verteilt ein Äquivalenzprinzip eröffen.

Bar der aufgeklärten Vorstellungen eines gerechten Äquivalentes für den Faktor Arbeit, war Marx auch nicht. Gleichwohl er erkannte, dass zwischen der Herstellung und dem Verkauf einer Ware ein differentes Wertvolumen, ein Mehrwert zugunsten des Kapitals entsteht, ohne zu ahnen, wo oder wodurch der „Mehrwert“ tatsächlich entsteht, wollte Marx die Aneignung des Mehrwerts, also eines Wertüberschusses in der Ware, den sich der „Kapitalist“ aneignet in einer anderen Form gesellschaftlicher Warenproduktion wieder ausgleichen.

Ist in der Marktwirtschaft nach marxistischer Lesart der Äquvialenztausch ein ungerechter Tausch zwischen ungleichen Marktteilnemern, der die Ausbeutung des Lohnarbeiters durch den Kapitalisten und also auch die Ungleicheit der Marktteilnehmer verschleiert, bleibt doch die Vorstellung eines gerechten, weil Tauschmarkt unter Gleichen auch in seiner unbürgerlichen Projektion, dem „Kommunistisches Manifest“ enthalten.

Der Kunstmarkt kennt keinen Äquivalenztausch, weder einen gerechten noch einen ungerechten. Der Arbeitsaufwand des Künstlers ist überhaupt kein Maßstab, der zur Wertentwicklung des Kunstwerkes weder logisch noch faktisch etwas beiträgt. Die Produktionskosten sind bei den Malern schlicht zu vernachlässigen, meistens jedenfalls, und in der Bildhauerei bzw. bei den Plastiken erscheinen sie, wenn überhaupt, als eine Art Vorschuss, also als Verlustgrößen.

Verbunden mit den bereits heraus gearbeiteten Unterschieden scheint der Kunstmarkt jetzt noch mehr als eine Art Differenz zur Marktwirtschaft, als eine Art Index deren Löchrigkeit, der sich die Agenten der Kunstwirtschaft weidlich bedienen, um ein Geschäft, ohne Affinität mit den üblichen Gepflogenheiten zu pflegen.

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Satz der IdentitätEingriffÄquivalenztauschMehrwert


1 Vgl: Martin Heidegger: Identität und Differenz. Text der durchges. Einzelausg. mit Randbemerkungen des Autors. Klostermann, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-465-03493-7.
2 remanent zurückbleibend ♦ aus lat. re- „zurück“ und lat. manere „bleiben“


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