Technik – normativ?

Innerhalb der Wissenschaft der Ökonomie hat Technik bislang einen residualen Status. Sie steht lediglich unter einem Nutzenkalkül, innerhalb einer Zweck-Mittel-Relation als wichtiger, sogar wesentlicher Teil des ökonomischen Denkens, aber eben lediglich als ein Teil. Technik wird daher in der Ökonomik lediglich betrachtet als eine Investition, die sich auszahlt oder nicht. Nicht jeder technischen Neuerung wird sogleich aus dem Grund, dass sie eine Erneuerung darstellt, mit investivem Verhalten begegnet. Zumal neben dem investiven Risiko mit technischen Erneuerung nicht unerhebliche, personelle, organisatorische und strukturelle Veränderung sowohl mikro- wie makroökonomisch einhergehen. Die mikroökonomischen Prozesse, die oft unter dem Terminus: „Changemanangement“ zusammengefasst werden, sind mitunter aufwendiger und risikoreicher als die Prozesse, die mit technischen Erneuerungen verbunden sind und den Gesamtmarkt betreffen. Im Rahmen von Digitalisierung scheint sich dieses Verhältnis neuerdings anzugleichen.

Technische Entwicklung ist reversibel. Wir betrachten bis hierher nicht die irreversiblen Folgen Technischer Entwicklungen auf die Biosphäre und auch nicht den Teilbereich der Ökonomik, der sich damit beschäftigt, die Ökologie. Uns geht es darum festzuhalten, dass Wissen, welches mit der Technischen Entwicklung verbunden ist, sowohl als ein praktisches wie theoretisches Wissen sich verändert. Diese Veränderung kann total sein, also ein Vergessen. Dies betrifft ebenso die damit verbundenen praktischen Fähigkeiten. Viele Technische Entwicklungen ersetzen also teilweise bis total vorhandene praktische Kompetenzen und Zusammenhänge und wir kennen keinen Diskriminationspunkt, der vorheriges oder späteres Wissen wie Kompetenzen als eine höhere, bessere Form erkennen ließe.

Unstrittig, sowohl in der Ökonomik wie der Philososphie ist, dass Technik neue Erkenntnisse schafft und neue Ideen hervorbringt. Und diese Dimension der Technik wie die damit verbundenen Fähigkeiten des Umgangs mit Technik, sind reversibel. Wir müssen scharf unterscheiden zwischen dieser technik-immanenten Blickrichtung und einer Blickrichtung, die darüber hinausgeht und die Folgen der Technischen Entwicklung außerhalb mikro- und makroökonomischer Betrachtungen reflektiert. Diese technik-transzendierende Blickrichtung nimmt die Folgen der Technischnischen Entwicklung in den Fokus mit der Natur und den sozialen sowie kulturellen Verhältnissen des menschlichen Daseins, sind also auch in diesem Zusammenhang wesentlich mehr, als ökologische Betrachtungen, auf denen sie aber basieren.

Es bliebe ein weiterer Umgang mit dem Thema Technische Entwicklung, der weder die ökonomische Blickrichtung immanent noch transzendierend befragt, sondern eine Technische Entwicklung innerhalb einer nicht-marktwirtschaftlichen Verfassung vorstellt. Das sei zur Vollständigkeit hier bereits vermerkt, wird uns aber erst viel später eingehender beschäftigen.

Immanent betrachtet wird Technik nicht verstanden. Weil Geld missverstanden wird. Und damit bleibt natürlich auch der Zusammenhang von Technik und Geld unverstanden. Geld ist für die meisten Menschen eine Gefühlssache. In es wird viel hineininterpretiert, seine Zusammenhänge und Wirkungen werden mystifiziert.; und wir sprechen dabei nicht nur über Laien mit starken Defiziten bei den Grundrechenarten, sondern auch über die sog. Finanzexperten, die sich auf vielen Ebenen und Berufen um „das goldnen Flies“ herum positionieren.

Dass Geld falsch gedacht wird, haben wir an verschiedensten Stellen schon herausgearbeitet. Was an dieser Stelle im Zusammenhang mit Technik noch fokussiert werden muss, ist die Tatsache, dass Geld in einer „Produktions- bzw. Produzentenwirtschaft“, die wir aus dem Verhältnis von Gläubiger-Schuldner-Beziehungen heraus beschrieben haben, zu einer Überproduktion von Geld führt. Laufend wird Geld (aus dem Nichts) geschaffen, zusätzliches Geld, das Eigentümer, also Gesellschafter, Investoren, Anteilseigner, persönlich haftende Unternehmer etc. mit zusätzlicher Liquidität versorgt und Arbeitnehmer bzw. Beamte und Angestellte mit steigenden Löhnen und Gehältern.

Aus den Gläubiger-Schuldner-Beziehungen, so sahen wir, entsteht eine Geld- und Investitionsdynamik, die Gewinne enstehen lässt. Binswanger verweist zurecht darauf, dass die Gewinne in einer zeitlich asynchronen Art zwischen Angebot und Nachfrage entstehen, weil die „Produktion dem Verkauf der Güter vorausläuft und somit das früher produzierte Angebot auf die Nachfrage von heute trifft.“ (Binswanger 20151
Nun muss man wissen, dass diese zeitlich spätere Nachfrage in den meisten Fällen höher ausfallen kann, als die Kosten, die zur Produktion, genau gesagt für den Aufbau von Produktionskapazitäten, des zeitlich vorlaufenden Angebots benötigt wurden, zumal das durch Kredite geschaffene Geld, welches zur Produktion nötig war, in der Regel einen geringeren Sockel an Kapitalkosten bilanziell repräsentiert, als der entsprechende Kostensockel und auch steuerlich günstiger anfällt.

Wenn nun die Nachfrage höher ausfällt als vorkalkuliert, ergeben sich jene gewünschten, zusätzlichen Gewinnparameter wie Skaleneffekte oder geringer ausfallende Grenz- bzw. Differenzialkosten pro Ausgabeeinheit bzw. Stückpreis. Ist also die Nachfrage höher als die für die Produktion des Angebotes angefallenen Kosten, spricht man von Gewinn, eigentlich von Erlösen, die die Grundlage wirtschaftlichen Wachstums wiederum bilden. In den gängigen Wirtschaftstheorien wird im umgekehrten Fall, wenn also die Nachfrage sowohl quantitativ wie auch wertmäßig geringer ausfällt, von einer Krise gesprochen, einer Entwicklung hin zu geringerem Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit, signifikante Einschränkung des Entwicklungspotenzials, Liquiditätseinbußen, Konkurs und Arbeitslosigkeit.

Es ist nicht schwer zu erkennen, dass die Erlöse keine festen Größen sind, sondern eine Bandbreite haben, die es den Unternehmen, den Produzenten erlaubt, sich Schwankungen zwischen Angebot und Nachfrage durch höhere und niedrigere Erlöse anzupassen. Natürlich gibt es weitere Anpassungsmechanismen in den Bereichen Steuern und Abgaben, bilanzielle Möglichkeiten und Apassungen im Bereich der Beschäftigung. Wesentlich aber bleibt, dass durch die zeitliche Asynchronie zwischen Produktionskapazitäten und Nachfrage eine Krise möglich, aber auch vermeidbar ist, da Mechanismen der Anpassung vorhanden sind. Ebenso leicht ist zu erkennen, dass es auf dieser Grundlage keine „Realproduktion“ geben kann, in der zeitlich genau jene Menge an Waren und Dienstleistungen angeboten wie eben nachgefragt werden. In einer Realproduktion2 wäre Geld bzw. die Geldmenge genau jene, die auf Angebots- und Nachfrageseite nötig wäre, also für die Produktion und die Konsumtion (inkl. Distribution, Steuern und Abgaben).
In einer Produzentenwirtschaft kann so viel Geld erzeugt werden, wie Unternehmen glauben und mit ihrer Produktion dafür zu sorgen, dass die Bedürfnisse der Menschen, die durch Produkte, Dienstleistungen und andere Warenformen, also ver- bzw. kaufbaren Einheiten, befriedigbar bleiben.

Wir bewegen uns, sprechen wir vom Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage also in einem Näherungssystem, mathematisch ausgedrückt in einer Differenzialrechnung, die der Wirtschaft eine größtmögliche Anpassungselastizität ermöglicht. Eine Philosophie, etwa vorgestellt als Technikphilosophie, findet allein schon bei dieser Form der immanenten Betrachtung eine Grenze ihrer normativen Annahmen und Aussagen. Sie unterschätzt die Dynamik der ökonomischen Innovationsfähigkeit zu oft und zu grundsätzlich. Ökonomisch betrachtet ist aber auch die marktwirtschaftliche Dynamik in entwickelten Industriegesellschaften begrenzt. Steht auch fast unbegrenzt Geld für Investitionen zur Verfügung, so bleibt das Märchen vom ewig sprudelnden Goldesel eben ein Märchen. Sind die technik-transzendierenden Grenzen wie etwa die Natur- bzw. die Umweltwelt- und Biosphären-Schäden nicht grenzenlos hinnehmbar, die Ressourcengrenzen, sowohl was die natürlichen wie humanen betrifft, per se nicht ignorierbar, so besteht eine weitere Begrenzung der martwirtschaftlichen und also auch der Technischen Entwicklung, das ist das begrenzte Reservoir an wirtschaftlich brauchbaren Ideen im Verhältnis zum vorhandenen Kapital.

Es gibt wesentlich mehr Kapital als Ideen. Kapitalgeber, heute zurecht Risikokapitalgeber genannt, wenn es um neue Märkte und neue Ideen geht, geben Unsummen aus für Technische Entwicklungen, die teilweise kindlichen Charakter und noch weniger Bedeutung für die Wirtschaftsentwicklung haben. So eine geringe Renditechance wie im Bereich Risikokapital, hat es in der Geschichte der Ökonomie noch nicht gegeben. Daran ändern auch die sagenhaften Rediten bei den wenigen erfolgreichen, neuen Marktteilnehmern aus der sog. Plattform-Ökonomie der letzten zwanzig Jahre nichts. Aus den meisten Entrepreneurs, selbst mit dem sog. „Einhorn“-Status, wird nichts oder ein gerade noch lebensfähiger Rohrkrepierer. Neue Unternehmen heißt nicht wirklich zugleich auch neue Ideen, die geschäftsfähig sind.

Immanent betrachtet ist also das normative Element die unbedingte Aufrechterhaltung der bestehenden Dynamik der marktwirtschaftlichen Produktion. Das technische Pendant, welches den normativen Anspruch marktwirtschaftlicher Produktion theoretisch und praktisch umsetzt, ist die sog. Wissensökonomie. Sie leitet heute große Teile der Geldströme in die sog. Digitalwirtschaft bzw. in die Digitalisierung traditioneller Unternehmen und Branchen und prägt zugleich das Bild der bestenden Ökonomie im Sinne des Changemanagements. In ihr werden Ideen, Erfindungen und Produkte wie Dienstleistungen entwickelt, die den Anschein von Innovationen haben. Unter dem Normativ ständiger Innovation und Transformation bestehender Geschäftsmodelle gilt ihre Konzentration auf rasant zunehmende Individualisierung ihrer Produkte und Dienstleistungen.

Eine der zur Zeit vielversprechendsten Innovationen, die Künstliche Intelligenz (KI), ist bereits fast siebzig Jahre alt, älter, als manch traditionelles Unternehmen überhaupt geworden ist. Die Geschichte der KI ist die Geschichte aufgebauschter Erwartungen, die regelmäßig enttäuscht wurden. Die ersten künstlichen Neuronen wurden bereits in den 1950er Jahren entwickelt, Forscher träumten vom „Elektronengehirn“. Doch es tat sich zunächst wenig. Mit der Erfindung des Mikrochips in den 1970er und der Explosion der Rechenkapazitäten ab den 1980er Jahren bauschten sich die Erwartungen wieder auf. Japan beispielsweise begann 1982 mit dem Projekt „Fifth Generation Computer Systems“. Es gilt heute als teurer Fehlschlag. Dann kam gewissermaßen ein KI-Winter, bis sie sich neuerdings zum wiederholten Male zu der Innovation schlechthin aufschwingt.

Und der Streit geht weiter. „Da ist keine echte Intelligenz“, zitiert die New York Times den KI-Forscher Michael I. Jordan. Jordan ist Professor für Informatik an der University of Berkeley und verfasste ein vielbeachtetes Essay zum Thema KI auf Medium.com, das die teils hochgestochenen Erwartungen rund um den KI-Hype dämpft. „Ich glaube, in diese Brute-Force-Methoden sollte man nicht zu viele Hoffnungen setzen“, zitiert ihn die US-Zeitung weiter.
Jahrelang gab es verschiedene Lager im Bereich der künstlichen Intelligenz. Die einen sagten: Logik ist der Grundbaustein der Intelligenz. Sie haben Experten-Systeme und logik-basierte Systeme entwickelt – die anderen sagten: Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie sind die Hauptgrundbausteine der Intelligenz3. Die intelligente Idee, die Logik mit Stochastik verbindet, steht also noch aus. Und ob dann das, was dabei herauskommt, den Namen KI wirklich verdient und nicht doch weiterhin zum maschinellen Lernen zu zählen sein wird, ist nach wioe vor gänzlich ungewiss.

Zwischenzeitlich sucht sich das immense Risikokapital ständig neue Renditemöglichkeiten, die es neben den Plattformökonomien und der KI auch weiterhin auf den internationalen Finanz- und Immobilienmärkten findet; je nach Trend, hier wie dort auch teure Spekulationsblasen, also Effekte übertriebener Renditeerwartungen, hinter sich her ziehend. Wie das Risikokapital also je nach Renditeaussichten einmal seinen Weg in die traditionellen Märkte findet, so wechselt es schnell auch in die sog. Neuen Märkte. Und mit diesen Kapital-Transgressionen in zeitlich verzögertem Abstand einher gehen staatliche Regulierungen und Kontrollen, bzw. das alte Ideologiethema der Macht.

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1 Vgl auch: Hans Christoph Binswanger (1982): Geld und Wirtschaft im Verständnis des Merkantilismus. In: Fritz Neumark (Hrsg.): Studien zur Entwicklung der ökonomischen Theorie II. Geschichte merkantilistischer Ideen und Praktiken. Duncker und Humblot, Berlin 1982, ISBN 3-428-05110-6
2 Wir verwenden diesen Begriff bewusst außerhalb seiner üblichen Bestimmung als „real bestehende Produktion“.
3 Chief Scientist at Salesforce, Richard Socher.


Hans Christoph Binswanger (* 19. Juni 1929 in Zürich; † 18. Januar 2018 in St. Gallen)
Michael Irwin Jordan (* 25. Februar 1956 in Maryland)

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