Einleitung

Band III unserer Philosophie des menschlichen Daseins trägt den Titel: Vom Eigentum zum Markt und beschäftig sich mit der theoretisch in der Ökonomik nicht sonderlich klaren Beschäftigung mit den Eigentumsformen, vor allem den Formen, die aus der Liquidierung von Eigentum als Vermögen entstehen. Die Liquidierung von Eigentum als Vermögen, heute als Kapitalvermögen besser bekannt, bildet die Triebkraft, also die Bedingung für wirtschaftliche Aktivitäten im Rahmen unserer Formen der Marktwirtschaft. Liberale und Soziale Marktwirtschaften können nicht entstehen und sich entwickeln, ohne dass Vermögen seine materiell als Eigentum gebundene Geldform auflöst und in den Wirtschaftskreislauf einbringt, dort als produktives Anlage- oder Sachvermögen bilanziert und „arbeitet“. Ein nicht-ökonomischer Vorgang, der der Liquidierung von Vermögen, ist also transzendentale Bedingung für wirtschaftlichen Handeln, wie wir es aus der Marktwirtschaft kennen. Er ermöglicht Zinseinkünfte und Dividenden einerseits, Erlöse und Gewinne für Unternehmen also im Aggregat Kapital und Löhne und Gehälter im Aggregat Arbeit.

Dass die unterschiedlichen Lehrmeinungen der Ökonomik diesen Zusammenhang ausblenden, ist verständlich aber nicht verzeihlich. Verständlich, weil sie alle sich auf ökonomische und nicht auf außer-ökonomische Sachverhalte kaprizieren. Unverzeihlich, weil sie allein deshalb schon sich in zahllose Aporien verstricken, aus der sie theoretisch nicht herauskommen, was noch verzeihlich wäre. Weil sie aber den Diskurs auch außerhalt ihres Wissenschaftsgebietes, also den politischen, den sozialen und den kulturellen Diskurs maßgeblich mitbestimmen, wenn nicht gar fehlleiten wie eine Fehlallokation in Finanzwerten, muss dieser Sachverhalt umso genauer betrachtet und umso wichtiger genommen werden.

Es geht daher in Band III zentral um die Erweiterung der volkswirtschaftlichen Perspektive auf das, was dort als Kapital und als Arbeit betrachtet und analysiert wird. Auf die wechselseitigen Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit, die aber nicht mehr nur immanent, also durch die Marktwirtschaft selbst bedingt sind, sondern die darunter viel bedeutender aus gewissermaßen meta-ökonomischen Sachverhalten angetrieben werden. Zinsen z.B. sind kein Selbstzweck. Für Sparer haben Zinsen eine Reihe von Bedeutungen, etwa als ein kleines Zusatzeinkommen parallel zum Erwerbseinkommen, früher, vor der Finanzkrise von 2008 als mehr oder weniger kleine Zusatzrente, also Grundstock für den Erwerb eines Häuschen mit Garten, selten als Grundstock für den Aufbau eines Aktien- oder Anleihen Depots in Deutschland.

In Form von Aktien sind Zinsen Dividenden, die der Eigentümer für seine Unternehmensanteile in Form von Aktienanteilen meist jährlich erhält. Im Jahr 2019 z. B. beträgt der Dividendenanteil an den Unternehmensvermögen fast 40 Mrd. Euro in Deutschland für den Dax, in dem lediglich die größten dreißig Unternehmen gelistet sind. Während deutsche Sparer nichts an Zinsen bekommen, eher inflationsbereinigt sogar Geld verlieren durch Sparen, erfreuen sich Aktionäre der Dax-Unternehmen doch recht erklecklicher Dividendenrenditen; zurecht.

Zurecht unter anderem auch deshalb, weil die Anteilseigentümer ihr Geld nicht aus den Unternehmen abziehen und vielleicht in amerikanische Indizes verlagern, sondern so die Liquidität der Dax-Unternehmen aufrechterhalten, ohne die das wirtschaftliche Wachstum, also der Wohlstand, den unsere Volkswirtschaft erzeugt, nicht möglich wäre. Aber nicht nur um den Wohlstand geht es hier, sondern auch um das, was wir die Wohlfahrt einer Nation nennen. Dabei muss bedacht werden, dass, anders als A. Smith, der Urvater der politischen Ökonomie in Europa, dachte, die Nation sich längst über ihre Grenzen hinaus entwickelt haben. Wohlstand und Wohlfahrt der Nationen muss heute als eben dieser Plural theoretisch in den Blick genommen werden, sind doch allein schon im Dax, dem einst deutschen Aktien-Leitindex weit mehr als die Hälfte der Unternehmensanteile im Eigentum von nicht-deutschen Personen und Rechtsgesellschaften.

Die Entwicklung von Wohlstand und Wohlfahrt, in der Sozialen Marktwirtschaft besonders beansprucht, aber auch in der Liberalen Marktwirtschaft gewissermaßen als eine Art Sekundärgewinn beabsichtigt, geht nicht immer kongruent. Disproportionalität ist hier ein Maß – von vielen – von Marktwirtschaften, die alle primär auf der Grundlage von privatrechtlichen Vermögen und Eigentum sich entwickeln. Eine ungleiche Verteilung von Wohlstand und Wohlfahrt ist daher implizit, deren Grenze aber Armut ist. Also beschäftigt uns Armut generell und speziell ihre ökonomischen Bedingungen. Eine davon entsteht durch Konjunkturschwankungen, besonders aber durch Konjunktur- bzw. Wirtschaftskrisen. Sie nehmen daher einen größeren Raum in diesem Band ein.
Dabei fragen wir uns, ob Krisen lediglich strukturimmanente Schwankungen der konjunkturellen Entwicklung sind, ober, ob darin etwas sichtbar wird, was die Grundlagen von Marktwirtschaften betrifft, mithin externe Faktoren sind, die das Funktionieren von Marktwirtschaften fundamental angreifen und verändern. Dabei zeichnen wir auch die Entwicklung der Marktwirtschaft historisch nach und finden dann Ausprägungen, die so gar nicht in das Bild einer Entwicklung passen wollen, die allenthalben ja als umfassend und resistent gegen Abweichungen beurteilt wird. Die City of London und ihre Kronkolonien spielen dabei eine wichtige Rolle wie andere Steuerparadiese in Großbritannien und den USA. Wir kommen da nicht umhin, uns auch mit dem Phänomen Schwarzgeld, mit Offshore Konten und Geldwäsche zu beschäftigen. Ein dunkles Kapitel, das uns aber auf jene Formen einer Schattenökonomie hinweist, die sich heute parallel zu den marktwirtschaftlichen ausbilden und die neofeudale Strukturen ausweisen und fast schon typisch für post-industrielle Gesellschaften zu sein scheinen; wir prüfen das.

Wenn sich neben den marktwirtschaftlichen auch illegale, ökonomische Strukturen ausbilden können, dann ist dies mit Sicherheit ein Zeichen dafür, dass Politik wohlwissend nicht eingreift und solche „Geschäfte“ zulässt wie sie über Offshore-Gesellschaften Gang und Gäbe sind, die in einem zwar nicht bekannten, aber durchaus beträchtlichen Ausmaß auch im Kunsthandel sich ausgebreitet haben. Der Schritt zu einer Politischen Ökonomie, in der nicht mehr allein der Markt, sondern die Politik eine ganz wesentliche Rolle spielt, ist dann kurz. Nur muss man dabei bedenken, dass eine Politische Ökonomie nichts notwendigerweise zu tun hat mit politischen Formen der Korruption, gleichwohl diese eine Rolle spielen und nicht bagatellisiert werden sollten.
Wir verlassen konsequent die Ideologien, die in der Marktwirtschaft gleich welcher Couleur ein krudes Herrschaftsgebildes sehen wollen, in dem das Kapital gegen die Arbeit zum Kampfe ruft und dabei Geld aus den Mehrwerten der Arbeit als Waffe einsetzt. Wir klären dieses scheinbar dialektische Kapitel von Herrschaft und Knechtschaft auf, indem wir es als ein tatsächlich wirtschaftendes Verhältnis von Gläubigern und Schuldnern unter dem Asphalt der Ideologien freilegen. Dieses Verhältnis ist keins von Herrschaft und Knechtschaft, von Macht und Ohnmacht, sondern entwickelt sich prinzipiell offen aus der Asymmetrie von Vermögen und Eigentum auf der einen, und Arbeit und Konsum auf der anderen Seite. Wir erkennen ein materielles Vermögen dort und ein immaterielles, individuelles Vermögen hier, die beide aus ihrer Asymmetrie heraus sich entwickeln. Vermögen findet seine Richtung zur Arbeit als liquidiertes Vermögen, Arbeit seine Richtung zum Kapital als Verwandlung von Fähigkeiten zu Geldvermögen und Konsum; jedenfalls prinzipiell. Kapital und Arbeit vertauschen dabei ihre Risikostrukturen.

Als Direktinvestition oder Anlagevermögen in Unternehmen ist der Gläubiger nun dem Risiko der Insolvenz des Schuldners ausgesetzt, während Arbeit sich in die Krisen der Wirtschaft und somit ins Risiko von Arbeitslosigkeit und Armut begibt; ebenso prinzipiell. Funktioniert die Marktwirtschaft, dann entwickeln sich der Wohlstand der Nation und je nach politischem Prinzip auch die Wohlfahrt einer Gesellschaft positiv. Die Relation zwischen materiellem Vermögen und menschlichen Fähigkeiten behält zwar in der Marktwirtschaft ihre asymmetrische Struktur insofern beide akkumulativ an der Wohlstandsentwicklung beteiligt sind, die Spreizung zwischen Arm und Reich aber zunimmt. Hier setzt Politik ein, indem sie wie etwa in den USA eine tiefere Spreizung zulässt und diese mit der Zunahme der Kapitalrisiken bei immer größerem Kapitalbedarf der Wirtschaft bzw. Liberalen Marktwirtschaft legitimiert. Oder in Europa, wo unter dem Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft das Armutsrisiko der Arbeit abgefedert und abgemildert werden soll, ohne dabei die Wohlstandsentwicklung zu stark zu beeinträchtigen; alles dies ist immanent betrachtet.

Die sog. Gretchenfrage über allem dabei ist: Sind die Krisen der Marktwirtschaft hausgemacht? Dann ist die Marktwirtschaft auch verantwortlich für die negativen Auswirkungen in den Bereichen Arbeit und Wohlfahrt. Kann die Marktwirtschaft aus sich heraus mit Hilfe keynesianischer Methoden, also fiskalischen Mitteln aus der Staatskasse ihre eigenen Krisen bewältigen, oder hat sich die Marktwirtschaft aus inhärenten Gründen zu einer Dauerkrise entwickelt, aus der heraus keine Fiskalpolitik mehr herausführt? Dann wäre das marktwirtschaftliche Modell der Ökonomie am Ende, früher oder später, und müsste ersetzt werden durch ein anderes.
Dies also ist unser Fragehorizont, unter dem wir die Wege des Vermögens bzw. des Eigentums, des Geldes und der Zinsen nachzeichnen wollen. Wir schauen dabei natürlich auf alle wesentlichen Elemente, die die marktwirtschaftliche Entwicklung bzw. Dynamik antreiben, auf die technischen Entwicklungen wie auch auf die Wachstumstheorien, auf die Entwicklung auf den Kapitalmärkten wie auf die Entwicklungen innerhalb der Eigentümerstrukturen von börsennotierten Unternehmen. Hier streifen wir lediglich bestimmte strukturelle Veränderungen, die sich durch die weltweite Vernetzung des Kapitals ergeben, dort auf den Kapitalmärkten folgen wir der Globalisierung von Wirtschaft, Handel und Kapital. Und wie sich die realen Entwicklungen innerhalb einer Volkswirtschaft entfalten, so verändern sich auch die theoretischen Modelle der Ökonomik, die sich prinzipiell dadurch kennzeichnen, dass sie Entwicklungen theoretisch nachzeichnen, nicht vorwegnehmen.

Dabei sind alle theoretischen Modelle der Ökonomik eigentlich erdacht worden, um eine bessere, wissenschaftlich fundierte Prognostik zu gewähren, vor allem was die Vorhersage von konjunkturellen Schwankungen und Wirtschaftskrisen betrifft. Wenn z. B. Wirtschaftsweise ein Wirtschaftswachstum von zwei Prozent prognostizieren und schlussendlich eine Steigerung des Brutto-Inlandsproduktes von einem Prozent feststellen müssen, dann liegen Theorie und Wirklichkeit um fünfzig Prozent auseinander; das ist viel. Wenn die Weisen die Finanzkrise 2007/08 überhaupt nicht in ihren Prognosen kalkuliert haben, dann ist das ein Zeichen dafür, dass an den Theorien vielleicht etwas grundsätzlich nicht stimmt. Vielleicht lassen sich Krisen nicht errechnen, nicht mit naturwissenschaftlichen Kalkülen prognostizieren wie Umlaufbahnen der Planeten um die Sonne.
Wenn also zu wirtschaftlichen Entwicklungen wie zu Krisen daselbst keine hinreichenden Wissenschaftsmodelle führen, geschieht dann Wirtschaft überwiegend als eine Art Blindflug? Oder sind bei dieser Entwicklung Kräfte bzw. Faktoren am Werke, die noch keinen angemessenen Eingang in die theoretischen Modelle gefunden haben? Auf alle diese Fragen versucht der vorliegende Band III Antworten. Und da wo keine Antworten erwartet werden können, sollen wenigstens Wege aufgezeigt werden, die die in Frage stehenden Sachverhalte besser in den Blick zu nehmen in der Lage sind, als bisher.