Der Kunstmarkt – ein Spezialfall?

Marktwirtschaft sei ein Tauschsystem vorteilssuchender Wirtschaftssubjekte; so gesehen, wäre der Kunstmarkt durchaus ein Teil der Marktwirtschaft. Betrachten wir aber den gesamten Tauschprozess, kommen doch einige erhebliche Zweifel. Wir haben gesehen, dass in einer auf Privateigentum aufbauenden Wirtschaft Kaufkontrakte auf Märkten jene Operationen zu einem Abschluss bringen, die mit einem Kontakt zwischen einem Gläubiger und einem Schuldner beginnen und deren Dynamik zielgerichtet ist, insofern sie einer verzinsten und zeitlich befristeten Tilgung von Zins und Schuldsumme folgt. Auf dem Markt der Kunstauktionen fehlt dieser Kontext meist ganz oder überwiegend.
In einer Marktwirtschaft werden höchst selten singuläre Luxusgüter verkauft, deren Herstellungskosten sehr gering sind. Auf dem Kunstmarkt ist dies häufig der Fall. Arbeiten, die flüchtig sind und den Vanitas-Gedanken behandeln, also an Vergänglichkeit erinnern, die sich auflösen, verschimmeln oder verrotten wie Arbeiten von Joseph Beuys oder Dieter Roth, in der Eat Art etc. kann man sich schwerlich im Supermarkt vorstellen. Großformatige Fotografien von einem Supermarkt von Andreas Gursky erzielen Höchstpreise bei Auktionen, im Supermarkt findet man nicht einmal Abzüge im Postkartenformat.

Überhaupt ist Kunst im Supermarkt allein deshalb schon nicht auffindbar, weil Kunst fast nie von „Endkunden“ resp. normalen Käufern nachgefragt wird. Eine Ware, also ein Angebot, ohne klassische Nachfragestruktur, ist das noch Marktwirtschaft? Zur Marktwirtschaft gehört der internationale Finanzmarkt, wo auf Wertdifferenzen spekuliert wird. Das gilt auch für den Kunstmarkt. Dort wird auf Wertsteigerungen spekuliert und Kunstwerke wie Spekulationsobjekte von Kunstinvestoren bzw. deren Agenten ersteigert oder in einer Art Vorabvertrag der Erwerb gesichert und bis zur erhofften Wertsteigerung dann, diskret vom Markt verborgen, in Tresoren und von der Öffentlichkeit kaum kontrolliert verwaltet.
Deshalb ist der Kunstmarkt auch für Geldwäsche und Steuerhinterziehung interessant und seine Intransparenz wird noch gesteigert durch die Verbindungen der anonymen Geldströme aus den sog. Steuerparadiesen zum Kunstmarkt und zurück. Wie wir gezeigt haben, ist ein Wesenszug der Marktwirtschaft, dass der Gläubiger, also der, der durch die Liquidierung seines Privatvermögens die Marktwirtschaft mit Geld versorgt, durch die Liquidierung weder Güter noch Geld verliert. Was er verringert ist seine relative Geldbeschaffungsfähigkeit und die nur nachhaltig, wenn Zins und Tilgung durch den Schuldner ausbleiben.

Auf dem Kunstmarkt, wo fast schon semi-legal, also staatlich geduldet Schwarzgeld, Gelder aus illegalen Geschäften von der Steuerhinterziehung bis zum Drogen- und Menschenhandel investiert bzw. gewaschen werden, verringert sich die Geldbeschaffungsfähigkeit der Investoren natürlich nicht.
In der Marktwirtschaft hat die Geldbeschaffung eine so wesentliche Rolle inne, dass mit allen nur erdenklichen und justiziablen Vorsichtsmaßnahmen dafür gesorgt wird, dass sowohl die Anrechte auf Eigentum auch mit Eigentum gedeckt sind und zugleich dadurch auch deren Echtheit gewährleistet bzw. bestätigt ist.

Auf dem Kunstmarkt ist dies häufig nicht der Fall. Weder sind die Gelder, die dort beim Kauf eines Kunstwerkes fließen so echt wie die Kunstwerke selbst, die Heritage der Geldwerte mitunter völlig im Dunkeln. Das „Money proper“ hat bis zur Verwandlung in hochwertige Kunst nicht selten erheblichen Dreck am Stecken. Aber da man in die Sphäre des „Money of account“ in den Steuerparadiesen bzw. anders gesagt, hinter die Kulissen der staatlich geduldeten Finanzkriminalität nicht schauen kann, weder in Delaware, Panama, den Bahamas etc. ist dessen „Wertlosigkeit“ auch nicht festzustellen. Es fehlt also auf dem Kunstmarkt ein ordentlicher Finanzmarkt, der kontrolliert und transparent ist, obwohl und gerade, weil über 60 Mrd. USD jährlich dort an Umsätzen getätigt werden . Den Kunstmarkt kann man nach heutigen Maßstäben, die etwa auf anderen Investitions- bzw. Finanzmärkten gelten, nicht als vergleichbar reguliert und transparent bezeichnen. Die Auswirkungen dieser höchst problematischen Form der Privatisierung im Kunstmarkt sind vielfältig.

Zunehmend geraten Orte und Institutionen, an denen Kunst ausgestellt, gesammelt, diskutiert oder produziert wird, von öffentlichen in private Hände, was wir im Rahmen der Transformation von Allmende bereits aufgezeigt haben. Private Sammler bestimmen immer mehr als Leihgeber oder Stifter von ganzen Sammlungen zunehmend, welche Kunst in welchen Museen zu sehen ist. Dies tuen sie aber nicht nur, um ihre Sammlungen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sondern durchaus aus Eigeninteresse. Mit jeder, fast immer auch mit erheblichen Aufwendungen an Personal und Finanzmittel verbundenen Ausstellung in öffentlichen Museen steigern sich nicht nur die Aufmerksamkeit an der Sammlung, sondern auch deren Wert nicht unerheblich. Zudem kann ein Leihgeber oder Stifter sich für einen Zeitraum auch noch Kosten für Versicherungen und Räumlichkeiten nebst Klimaanlage und Sicherheitsdienste sparen; ehrbar, aber nicht ganz unlukrativ und selbstlos.
Eine Besonderheit auf dem Kunstmarkt sind Garantiepreisabsprachen, eine mittlerweile schon fast übliche Marktgepflogenheit, die in der Marktwirtschaft eigentlich überhaupt nicht gerne gesehen, sondern systematisch, wo identifiziert, auch sanktioniert wird. Solche Preisabsprachen, bei denen Sammler Werke oder ganze Sammlungen bei Auktionshäusern einreichen und im Gegenzug einen garantierten Mindestpreis durch das Auktionshaus erhalten, dieses also das volle Risiko trägt, finden zwar nicht in aller Öffentlichkeit statt, sind aber Insidern im Vorfeld von Auktionen durchaus transparent. Hieran erkennt man schnell eine weitere Eigenschaft des Kunstmarktes, nämlich eine nicht ganz legale Selektion der Käufer, wobei die Begünstigungen bzw. der Wettbewerbsvorteil für bestimmte Personen und Gruppen bzw. Institutionen erheblich ausfällt.

Spricht man im Segment der Investitionsmärkte, besonders in den Börsensegmenten von Liquidität, dann bedeutet in aller Regel eine hohe Liquidität oder liquide Märkte auch eine hohe Transparenz und hoher Preiswettbewerb. Keine der beiden Eigenschaften trifft also auf den Kunstmarkt zu. Auf der Bieterseite sehen wir dem gegenüber bei den teureren Losen meist das Verhältnis zwischen Präsenz- und Telefonbietern in der Größenordnung von 1:2, also doppelt so viele anonyme wie identifizierbare Personen im Bieterwettbewerb.
Nicht selten übernehmen auch große, bekannte Galerien weltweite Repräsentanzen für Ausstellungen von Sammlungen resp. Retrospektiven, was prima vista einer Öffentlichkeitsarbeit gleichkommt, oft aber durch eine gezielte Betreuung von Sammlern aus dem Galeriefundus sich verdankt. Was so der Öffentlichkeit an Informationen präsentiert wird, entspricht mitnichten den Informationen, die Sammler und Investoren erhalten. Galerie-betreute Großausstellungen haben mehr das Ziel, Begehrlichkeiten zu wecken und große Preissprünge im Sammlungswert zu erzielen. Und vergeblich sucht man auf einem fast involatilen Markt über ein Jahrzehnt hinweg betrachtet Formen der Marktbereinigung. Jedes Investment und sei es ein noch so spekulatives und durch kein marktadäquates Kriterium gerechtfertigt scheint aufzugehen. Preissteigerungen von tausend Prozent sind keine Seltenheit. Verkäufe, die aus heutiger Sicht schon völlig aus der Rolle fallen, erbringen nach einigen Jahren, sogar, wenn der heutige Verkäufer das Werk wieder zurückkauft, noch immense Wertsteigerungen. Netto-Wertverluste sind selten.

Sucht man einen öffentlichen Diskurs über die Bedingungen und Folgen des Kunstmarktes, über die aktuellen Markttrends, so wird man schwerlich fündig. Dort, wo solche Themen diskutiert werden sollten, etwa in der Kunstkritik und in der Kunsttheorie beherrscht Kunstgeschichte den Diskurs. Die klassische Berichterstattung in den elektronischen Medien beschränkt sich in der Regel auf einzelne Phänomene des Kunstmarktes, insbesondere die bereits erwähnten, monetären Auktionsergebnisse und weniger auf den Kunstmarkt im Allgemeinen. So wird kaum über Markttrends, Marktverhalten und Marktstrukturen berichtet, schon gar nicht über die kulturelle Bedeutung von Kunst im Sinne einer Allmende.