So wird dann auch die VergĂŒtung bei KonzernvorstĂ€nden nicht danach bemessen, was der Vorstand alles operativ richtig gemacht hat, sondern in wie weit er vorauszudenken vermag. VorstĂ€nde werden bezahlt als VisionĂ€re; ganz im Gegenteil zur Meinung des ehemaligen Bundeskanzlers H. Schmidt, soll man nicht bei Anzeichen von Visionen zum Arzt gehen, sondern bei kleinen Visionen zur Deutschen Telekom, bei gröĂeren zu einem Unternehmen, das an der NASDAQ gelistet ist. KlĂ€ren wir kurz noch den Unterschied zwischen Vision und Spekulation. An den Aktienbörsen wird spekuliert, VisionĂ€re finden dort nichts. Wer mit Aktien spekuliert rechnet, und zwar mit einer Risiko-Gewinn-Chance von maximal 49 zu 51 Prozent. Ein Börsen-VisionĂ€r wĂ€re jemand, der vorausgesehen und -gesagt hĂ€tte, es gĂ€be demnĂ€chst einen Neuen Markt, ein neues Börsensegment. Aber selbst von der richtigen Vorhersage hĂ€tte er nichts gehabt, insofern sind Spekulationen immer wertbehaftet, Visionen nicht. Deshalb richtet sich auch die VergĂŒtung von KonzernvorstĂ€nden ĂŒberhaupt nicht nach wertbehafteten Kriterien, sondern ein Teil, der weitaus geringere, an geleistete Arbeit, der sogenannten GrundvergĂŒtung, und ein weitaus gröĂerer Teil wird ausgehandelt z.B. in Erfolgsbeteiligungen, z.B. in Aktien des Unternehmens. Ein Teil, ĂŒber den nicht gerne gesprochen wird, aber ist wie ein Zins auf die Aufgabe vergĂŒtet, also als eine Risiko- bzw. AusfallsvergĂŒtung anzusehen.
Wir haben bereits im Kontext von Entscheidung und Verantwortung gesehen, dass nicht nur die Verantwortung aus der Entscheider-Ebene auswandert, sondern auch keine VergĂŒtungsklasse mehr findet; wie auch, wenn Verantwortung auf andere Ebenen abwandert? Vorstandsvorsitzende von Konzernen gehen ein hohes Risiko ein. Denn ihre genuinen Aufgabenfelder sind strategischer, also visionĂ€rer und spekulativer Art und also weder gebrauchswert- noch tauschwert-fĂ€hig. Sie haben an-und-fĂŒr-sich keinen Wert, keine Techne. Ihr wahrer Wert liegt im Risiko. Die Frage, wie wird ein Risiko monetĂ€r beziffert, ist ebenso spekulativ wie die Arbeit, die von VorstĂ€nden geleistet wird. Aber was ist das Risiko, das VorstĂ€nde eingehen? Als Entscheidung und Verantwortung noch eine enge Verzahnung hatten, war mit einer strategischen Fehlentscheidung noch der Verlust des Jobs oder ein Riss, eine Unterbrechung der Karriere verbunden, in Deutschland mehr als in den USA auch ein Verlust der Reputation.
Erinnern wir uns z.B. an Ron Sommer; der ehemalige Vorstandschef der Deutschen Telekom wurde Mitte Juli 2002 nach sieben Jahren an der Spitze des Konzerns entlassen. In seiner Zeit als Vorstand gelang der Börsenstart des Unternehmens im November 1996. Da wurden 713 Millionen Papiere im Zuge einer Kapitalerhöhung zu einem Emissionskurs von 28,50 DM (14,57 EUR) platziert, die Telekom nahm damals rund 20 Milliarden DM (rund 10 Milliarden Euro) ein. Aus den beiden folgenden BörsengĂ€ngen flossen noch einmal etwa 25 Mrd. Euro ein, so dass die stattliche Bilanz von etwa 35 Mrd. Euro in den BĂŒchern stand. Der Kursverlauf der T-Aktie ging von anfangs 14,57 EUR bis zum Jahr 2000 auf ĂŒber 103 EUR, was einer Steigerung von etwa 710% oder 178% per anno entspricht; nicht schlecht, aber auch nicht in der Verantwortung von Ron Sommer. Der Börsengang und die Kommunikation der T-Aktie als Volksaktie vollzogen sich in den Boom-Jahren des sogenannten Neuen Marktes, woran Aktie, Staat und Ron Sommer stark partizipierten, aber auch die Privatanleger, wenn sie die Aktie rechtzeitig verkauft hĂ€tten, wofĂŒr wieder Ron Sommer nicht verantwortlich war. Was hĂ€tten Sie mit einem Mann gemacht, der ihr Geld derart vermehrt hĂ€tte, hĂ€tten Sie ihn rausgeschmissen?
Das Spiel mit dem Geld hat Sommer bis zum heutigen Stand nicht verloren. Gleichwohl die T-Aktie in 2012 einen Tiefstand mit 7,69 Euro markierte und seit 2015 die Aktie in einem Korridor zwischen rund 13 Euro und rund 18 Euro (Stand: Februar 2021) notiert und damit weiterhin unter den Ausgabepreisen des zweiten und dritten Börsengangs liegt, hat sie den Privatanlegern, die bis dato den Titel gehalten haben, einen kleinen Gewinn beschert, jedenfalls keinen Nettoverlust, da die DTAG regelmĂ€Ăig hohe Renditen jĂ€hrlich ausschĂŒttet; dafĂŒr wĂ€re Ron Sommer prinzipiell verantwortlich gewesen. Summa summarum gĂ€be es keinen Grund im Geld, Ron Sommer zu feuern, rechnet man seine VorstandsbezĂŒge von kolportierten 17 Mio. Euro p.a. mit auf die Kostenseite; der Staat Deutschland hat ordentlich verdient und die Privatanleger, so sie rechtzeitig verkauft hĂ€tten, ebenso, selbst die âSparerâ unter ihnen hĂ€tten nicht einmal ein blaues Auge bis dato. Was also waren die GrĂŒnde fĂŒr seine Entlassung?
Die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes in Deutschland, der bis dato allein von der Deutschen Post et.al. monopolisiert war, fĂŒhrte dazu, dass neue Marktteilnehmer auftraten und der DTAG erhebliche Marktanteilsverluste beibrachten. Januar 1999 musste die DTAG ihre Preise um bis zu 62 Prozent senken, um diesen Markttrend zu stoppen. Sommer hat zwar die Marktliberalisierung nicht zu verantworten, aber hĂ€tte wissen mĂŒssen, was das fĂŒr sein Unternehmen bedeutet. Bereits 1989 hat er eine Ăberkreuzbeteiligung zwischen France TĂ©lĂ©com und Deutsche Telekom in Höhe von zwei Prozent unterzeichnet und bereits im FrĂŒhjahr 1999 ist er mit seinem Plan einer Fusion mit Telecom Italia gescheitert, woraufhin die internationale Allianz mit France TĂ©lĂ©com und mit Wind zerbrach, ĂŒber die die DTAG 24,5 Prozent der Anteile an Enel und France TĂ©lĂ©com hielt.
Dieses Beteiligungsengagement zum Aufbau eines europĂ€ischen Telekom-Riesen, der es im Wettbewerb mit den US-Giganten aufnehmen sollte, war somit eine Vision, die klĂ€glich gescheitert ist. Gleichzeitig brĂŒskierte Sommer den Bund damit, dass bereits im Juni 1999 bei einem Kurs von 39,50 EUR der Kapitalanteil des Bundes auf rund 67 Prozent sank; fĂŒr Sommer ein normaler Vorgang der Umstellung der ehemaligen PosthĂ€uschen-Company zu einem internationalen Konzern, fĂŒr Bundeskanzler Gerhard Schröder damals auch kein Sakrileg, dafĂŒr umso mehr fĂŒr Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber. Finanzminister Hans Eichel und der stellvertretende Aufsichtsratschef und Arbeitnehmer-Vertreter, RĂŒdiger Schulze, standen selbst kurz vor seiner Ablösung als Vorstandschef an der Seite von Ron Sommer, die US-Bank Goldman Sachs, GroĂaktionĂ€r, warnte noch kurz vor der Ablösung Sommers vor einem Management-Wechsel, der dann doch von der Bundesregierung eingelĂ€utet wurde, deren Kandidat, Telekom-Vorstand Gerd Tenzer aber bei Analysten, AktionĂ€rsvertretern und dem Telekom-Vorstand auf Ablehnung stieĂ; bekanntlich folgte Kai-Uwe Ricke fĂŒr vier Jahre auf den Chefstuhl.
Im Jahr 2000 auf dem Höhepunkt des Neuen Marktes hielt der Bund nur noch 57% des Aktienwertes und musste zusehen, was andere entscheiden und er zu verantworten hatte, nĂ€mlich eine gigantischen Schuldenentwicklung von knapp 72 Mrd. EUR, die letztlich den WĂ€hlern âgehörtenâ. Juni/Juli 2001 ĂŒbernimmt die Telekom den US-Mobilfunker VoiceStream fĂŒr mehr als 35 Milliarden Dollar. Die Verschuldung liegt jetzt bei 71 Milliarden Euro; Verantwortung Ron Sommer. Februar 2002: Das Bundeskartellamt verbietet den Verkauf von Kabelnetzen fĂŒr 5,5 Milliarden Euro an Liberty Media; FehleinschĂ€tzung Ron Sommer. Die Marktentwicklung setzt die Telekom unter enormen Investitionsdruck, aber das Kapital schmilzt, die Bilanzen entwickeln sich katastrophal, das Geld fĂŒr Investitionen in Netze und Anwendungen wird immer weniger und der Aktienkurs bewertet die Visionen von Ron Sommer als Fata Morgana und am 15. Juli 2002 fĂ€llt der Kapitalmarkt sein abschlieĂendes Urteil: Als im Aufsichtsrat sich noch keine Mehrheit gegen Ron Sommer abzeichnet, verzeichnet die Telekom-Aktie mit minus 15 Prozent und einem Kurssturz auf 10,30 Euro den gröĂten Tagesverlust. Tags drauf, am 16. Juli 2002, als der Aufsichtsrat ĂŒber eine Ablösung Sommers berĂ€t, verkĂŒndet der Vorstandsvorsitzend in einer Sitzungspause vor laufenden Kameras seinen RĂŒcktritt und begrĂŒndet ihn damit, dass er nicht mehr die volle UnterstĂŒtzung des Aufsichtsrates habe.
Zu seiner TĂ€tigkeit an der Spitze der Telekom sagt er: „Ich werde mit einem GefĂŒhl der subjektiven Befriedigung zurĂŒckblicken.“ Das Kapitel Ron Sommer ist zuende, seine Visionen tragen fast schon pathologische ZĂŒge. Es folgte eine Anschlusskarriere mit fast schon irrlichternder Rundreise durch diverse Aufsichtsratsposten, Chairman und Bord of Directors Engagements, BeratungstĂ€tigkeiten etc., was Nils Klawitter im Spiegel (Nr. 29, 2002) treffend mit âPhantom auf Durchreiseâ betitelt hat. Wir sehen, Ron Sommer darf als ein, vielleicht ein letztes PhĂ€nomen beschrieben werden, bei dem Entscheidung und Verantwortung noch eine enge Einheit waren. Entscheidungen, die wie im Falle der Telekom eine Vision, ein komplexes Gedankenspiel voraussetzten, bei dem Entwicklungen auf einem neuen, liberalisierten Markt, Entwicklungen im Wettbewerb, bei der Kapitalausstattung, den technisch-technologischen Entwicklungen, den Kurs- und den Eigentumsentwicklungen wichtige Rollen spielten, um nur einige zu nennen.
Ron Sommer ist auch ein Beispiel fĂŒr einen Top-Manager, der das Risiko seines persönlichen Absturzes zwar gut vergĂŒtet bekam, aber nichts im Vergleich zu Karrieren von z.B. US-Kollegen als Risikoausgleich erhalten hat. HĂ€tte er die politische Dimension seines Jobs besser kennen oder besser damit umgehen mĂŒssen? Hat er gewusst, dass ein Unternehmen in Staatsbesitz sich nicht so leicht privatisieren lĂ€sst, dass er in die MĂŒhlsteine zwischen Politik und Unternehmensinteressen gerĂ€t, als es um die Versteigerungen der UMTS-Lizenzen ging, die alles andere als nach MaĂstĂ€ben der Marktwirtschaft vor sich gingen? Der Staat wollte möglichst hohe Erlöse bei der Versteigerung der Lizenzen erzielen, aber ungern die Verantwortung fĂŒr die daraus resultierenden Schulden gegenĂŒber seinen WĂ€hlern und den privaten Kleinanlegern ĂŒbernehmen. HĂ€tte er von der systematischen Bespitzelung von Mitarbeitern und Journalisten zur Aufdeckung möglicher Informationsquellen innerhalb des Unternehmens wissen mĂŒssen, die wĂ€hrend seiner Amtszeit begann und die natĂŒrlich viel politischen Sprengstoff enthielten?
Wie dem auch sei; Sommers Visionen waren allesamt wohl richtig, kamen aber zur falschen Zeit und an falschen Orten ans Licht, sowohl, was das Unternehmen, als auch, was die KapitalmĂ€rkte betraf; der Ort der Politik ist generell kein guter Ort fĂŒr Erneuerer von der Energie, der visionĂ€ren Kraft eines Ron Sommerâ. Er hat seine Verantwortung nach langer Uneinsichtigkeit â noch am 10. Juli 2002 lehnt er einen RĂŒcktritt ab â angenommen, und die Telekom hat ihm dagegen die Ăberweisung des angemessenen und zugesagten Risikozinses verweigert; am 17. Juni 2002 greift Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) die Erhöhung der VorstandsbezĂŒge als Wahlkampfthema auf und bereits einen Tag spĂ€ter, am 18. Juni 2020, soll Sommer auf seine Aktienoptionen verzichtet haben; wer das glaubt, ist halb irre. Gleichzeitig und ebenso kurzfristig, fast ĂŒberstĂŒrzt, soll Sommer auf eine Abfindung von 65 Millionen Euro verzichtet haben, deren Summe natĂŒrlich durch die Deutsche Telekom hĂ€tte aufgebracht werden mĂŒssen.
Was man öffentlich diesbezĂŒglich findet ist, dass die Abfindung fĂŒr Sommer lediglich 11,6 Millionen Euro betragen haben soll; wer das auch noch glaubt, ist jetzt komplett irre; vergleichen wir dazu nur kurz die Interimszeit von Prof. Helmut Sihler, der vom 1. Juli 1996 bis 2000 Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Telekom war und nach dem RĂŒcktritt von Ron Sommer im Juli 2002 bis zum Amtsantritt Kai-Uwe Rickes im November 2002 Interims-Vorstandsvorsitzender des Konzerns war, wobei Sihlers Hauptaufgabe darin bestand, sich so schnell wie möglich ĂŒberflĂŒssig zu machen und Ricke zu inthronisieren, daneben noch krĂ€ftig die Preise fĂŒr die deutschen Telefonierer zu erhöhen und mit seinem herausragenden Namen die Börse zu beruhigen, wofĂŒr, wie kolportiert wird, er etwa fĂŒnf Mio. Euro erhalten haben soll, also ein MonatssalĂ€r von ĂŒber 1 Mio. Euro, dann wirkt im Risikovergleich Ron Sommers VorstandsvergĂŒtung wie ein Almosen. Zumal sein âKonsolidierungsprogramm auf den MaĂnahmen aufbaut, die Sommer bereits eingeleitet hatte, die Sihler, so gesprochen, âvertiefen, verstĂ€rken, erweiternâ will und auch die âVier-SĂ€ulen-Strategie-Sommers, den Konzern in die Sparten T-Com, T-Systems, T-Mobile und T-Online aufzuteilen lediglich ĂŒberprĂŒft werden sollte; daran hat sich dann auch nichts geĂ€ndert.
Von einer visionĂ€ren Kraft kann daher nicht gesprochen werden und die Frage, die sich fortan fĂŒr den Vorstand stellte, ob denn die VorwĂŒrfe an Sommer wirklich richtig waren, er habe durch die riskanten FirmenzukĂ€ufe vor allem in den USA der Aktie stark zugesetzt, durch fehlerhafte Unternehmensstrategien, einen ĂŒberteuerten Kauf der UMTS-Lizenzen, einem enormen Schuldenstand und einem zu hohen Preis fĂŒr den Erwerb des US-Mobilfunkanbieters VoiceStream, so lauteten die hĂ€ufigsten VorwĂŒrfe an den Telekom-Chef, das Unternehmen auf einen zu riskanten Boden gestellt und in die falsche Orientierung gefĂŒhrt, am Ende nicht doch die richtige Vision war. Am 12. November 2006 trat Ricke mit Wirkung zum Folgetag von seinem Amt zurĂŒck. Sein Nachfolger im Amt des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom wurde RenĂ© Obermann, der von 13. November 2006 bis zum 31. Dezember 2013 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom war. Fast sieben Jahre, die gezeigt haben, dass gerade Sommers US-Engagement fĂŒr die Telekom ĂŒberlebensnotwendig war, die Vier-SĂ€ulen-Strategie keine wirkliche Alternative und das Unternehmen keinen besseren, erfolgreicheren Weg im Wettbewerb fand und auch die technologische Erneuerung wenig vorankam.