MonetÀres Theatrum mundi

Wir konzentrieren uns auf den Übergang von der klassischen zur keynesianischen Theorie der MĂ€rkte und deren wissenschaftstheoretisch prinzipiellen Folgen. In der klassischen Theorie galt das sog. Tauschparadigma, welches fĂŒr die Marktwirtschaftler auf Adam Smith und fĂŒr die Kommunisten auf Marx zurĂŒckgeht. Beide eint, dass sie von einem Tauschhandel ausgehen, auf dessen Grundlage das Geld sich entwickelte, Geld also ein Tauschmittel ist.

Ludwig von Mises, einer der wichtigsten Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie im 20. Jahrhundert, ist in seiner Schrift: Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel der Frage nachgegangen, woher Geld seine Funktion als Tauschmittel bezieht? Dabei folgte er dem sog. Menger’schen Zirkelschluss, nach dem der Wert des Geldes, seine Kaufkraft, durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Mengers Theorie ist eine subjektive Wertlehre, der die These voransteht, dass der Wert eines Gutes durch die subjektive WertschĂ€tzung seiner jeweils letzten Einheit, seiner Grenzeinheit, bestimmt wird; wir erkennen hier eine kurze Verbindung zu den soeben ausgefĂŒhrten Betrachtungen zur Grenznutzenrechnung.
Ziel der Menger‘schen Untersuchungen war die bis dahin gescheiterte Entwicklung einer einheitlichen Preistheorie, die seiner Auffassung nach zugleich auch eine befriedigende ErklĂ€rung von Tausch und der Preisbildung liefern sollte. Da dies bislang nicht gelang, postulierte Menger sein nominalistisches und parasoziales Prinzip: Der Wert eines Gutes hĂ€ngt vom individuellen Nutzen ab. Der Nutzen „[
] ist demnach nichts den GĂŒtern Anhaftendes, keine Eigenschaft derselben, eben so wenig aber auch ein selbstĂ€ndiges, fĂŒr sich bestehendes Ding. Derselbe ist ein Urteil, welches die wirtschaftenden Menschen ĂŒber die Bedeutung der in ihrer VerfĂŒgung befindlichen GĂŒter fĂŒr die Aufrechthaltung ihres Lebens und ihrer Wohlfahrt fĂ€llen, und demnach außerhalb des Bewusstseins derselben nicht vorhanden.“

Was Menger erkannte war, dass die Kaufkraft nicht den Waren und GĂŒtern anhaftet wie eine Eigenschaft. Da er aber den fatalen Schluss schon in seiner Ausgangshypothese machte, dass das Geld ein Tauschmittel ist, das im Warentausch seinen „Grund“ findet, war der Weg zu einem Zirkelschluss nicht weit. Demnach entsteht die Nachfrage nach Geld, weil das Geld Kaufkraft hat, und Kaufkraft hat es, weil es nachgefragt wird. Mengers Annahme, dass der Wert des Geldes vom Geldangebot und von der Nachfrage nach Geld bestimmt wird, fĂŒhrt natĂŒrlich unweigerlich in diesen Zirkel, insofern der Geldwert von einem bereits vorhandenen Wert, einer bereits vorhandenen Kaufkraft bestimmt wird. Das, was Menger als Ergebnis seiner Analyse herausbekommen wollte, lief gewissermaßen dem Ergebnis qua Hypothese bereits vorher.

Menger wird einiger philosophischer Einfluss von der Antike bis zum deutschen Idealismus nachgesagt, rudimentÀr in Richtung Platon, akribisch und umfassend nach Aristoteles. Kant, der Rationalismus und der Idealismus in der Auslegung Christian Wolffs sollen seinen philosophischen Hintergrund gebildet haben, und dies darf durchaus als mehr als wahrscheinlich gelten. Das gibt uns die Gelegenheit, im Vorgriff auf spÀteres hier bereits anzumerken, dass mit den Denkmustern, die sich aus der aristotelischen Philosophie bis in das 18. Jhd. in Europa entwickelt haben, viele aktuelle PhÀnomene im Alltagsleben der Menschen sich nicht oder kaum nur noch hinreichend erklÀren oder beschreiben lassen.
Positivismus, also eine phĂ€nomenologische Betrachtung des Seienden in Verbindung mit einem Essenzialismus, also der Annahme eines, dieses Seiende vermittelnden, wesentlichen Grundes (in Opposition zu einem akzidentiellen Grund) genĂŒgen nicht mehr einer komplexen und kritischen Betrachtung. Zu viele der Unterschiede verschwinden im Meer der Universalien. Man sieht gleichsam den Reichtum der Riffe durch die opake OberflĂ€che der Abstraktion nicht mehr.

Mit seinem Prinzip der Grenzkostenrechnung setzt Menger Infinitesimalrechnung und die abendlĂ€ndische Seins-Philosophie analog. Wie das antike „Werden“ sich im abendlĂ€ndischen Logos allein in den Grenzen von Sein und Nichts denken lĂ€sst, gehorchen bei Menger die Entwicklung der MĂ€rkte, also die Waren- und Wertentwicklungen eben jenem Infinitesimalprinzip der Grenzkosten- und Grenznutzenrechnungen. Diesem Prinzip zufolge bestimmt sich der Wert einer Ware wie auch die Kaufkraft, also der Wert des Geldes nach Angebot und Nachfrage in direkter, kausallogischer ReziprozitĂ€t. Je höher der (subjektive) Nutzen einer Ware, desto höher ihr Preis. Darin enthalten ist zugleich aber als Grund der Mangel, insofern als der subjektive Wert oder Nutzen zunimmt, je weniger Menschen in der Lage sind, sich diesen Nutzen zu leisten. Steigt auf dieser Grundlage also die Nachfrage, steigt auch der Wert der Ware bis zu ihrem Grenzwert, zugleich aber sinkt die Kaufkraft auf ihren Grenzwert gegen Null. Nach diesem verhaltenstheoretischen Denkmodell mĂŒssten also alle Waren und GĂŒter je weniger Wert sein, je universeller sie verfĂŒgbar sind.
Dass dem nicht so ist, sieht man heute recht deutlich am Beispiel der sog. sozialen Medien. Hier ist nicht nur das Prinzip des Grenznutzen bzw. der Grenzkosten außer Kraft gesetzt, sondern auch der implizierte kausallogische Zusammenhang. Bei den sozialen Medien sehen wir den Wert der Plattformen dramatisch exponentiell ansteigen, je mehr Menschen die sozialen Medien, also die Plattformen nutzen. So zeigt die Nutzenfunktion just das Gegenteil der Menger’schen Annahme, dass nĂ€mlich mit jeder konsumierten Einheit der Nutzen wĂ€chst, aber dieses Wachstum aufgrund der allgemeinen BedĂŒrfnisbefriedigung einem SĂ€ttigungslevel entgegenlĂ€uft, mithin also das Wachstum immer geringer werden mĂŒsste. Nach Menger hĂ€tte das Interesse am Konsum sozialer Medien bereits stark nachlassen mĂŒssen und die Bereitschaft der Konsumenten, mit jeder konsumierten Einheit fĂŒr den Konsum zu zahlen ebenso. Nur war der Konsum der sozialen Medien bislang kostenlos, jedenfalls, was die direkten Nutzungskosten angeht, was Mengers Theorie in diesem Grenzbereich eines Wirtschaftsgutes total in KalamitĂ€ten bringt.
So sehr man nun auch Menger dafĂŒr in Anspruch nimmt, die klassische Kostenwertlehre ĂŒberwunden zu haben, nach der die Preisbildung einer Ware ĂŒber deren Herstellungskosten abzuleiten ist, hat Mengers Marginalprinzip zwar den Übergang von der Klassik hin zur Neoklassik vollzogen, allein gewonnen an Klarheit war nicht viel. Die alten Ungereimtheiten und Wissenschaftsdramen blieben bestehen.

Wie die Legende, dass Geld erst im Tauschhandel als dessen universelles Substitut entstand, sind auch andere ErklĂ€rungsversuche voll der empirischen Evidenz, aber bar jeder klĂ€renden Erkenntnis. So wenig stimmt die These, dass erst die Patriarchen bzw. Herrschenden das Geld erfanden, so dass der Tribut leichter einzutreiben war, wie die, dass Geld nur durch Kredit entsteht. Wir haben das Thema des Giralgeldes und die Problematiken des Zinses eingehend untersucht und die abenteuerliche Behauptung widerlegt, dass eine Bank das Geld der Sparer verleiht, welches Sparer vorher eingezahlt haben mĂŒssen. Auch die Bundesbank hatte diesen Mythos lange aufrechterhalten. Und von den Notenbanken, die es wissen mussten, was das fĂŒr ein Unsinn war, hörte man bis ins Jahr 2016 in der Öffentlichkeit so gut wie nichts dazu. Da stellt sich schon die Frage, warum die Notenbanken so konsequent schwiegen, zumal in einer Zeit, in der die Krise der Geldversorgung auf einem Höhepunkt war; wir kommen darauf zurĂŒck.
Schaut man etwas genauer auf die Welt der Waren und die VorgĂ€nge auf den MĂ€rkten, dann wird man in höchst partieller Form noch TauschvorgĂ€nge feststellen können . Von daher auf eine in systematischer und gesamtwirtschaftlicher Hinsicht arbeitsteilige Marktwirtschaft zu schließen, finden wir zu abenteuerlich. Auch eine historische KontinuitĂ€t von reinen TauschvorgĂ€ngen wie etwa dem „Potlatch“, den Marx vor Augen hatte, in einer Art Hegelscher Geschichts-Dialektik der Aufhebung historisch frĂŒherer TauschvorgĂ€nge in historisch spĂ€tere TauschvorgĂ€nge zu behaupten, erscheint am PhĂ€nomen vorbei konstruiert.

So kann man von einer Tauschwirtschaft auch getrost als „Neandertaler-Ökonomik“ sprechen, wo es vereinzelte, rudimentĂ€re TauschvorgĂ€nge gab. Dass dies aber eine geplante, systematisch arbeitsteilig organisierte Marktwirtschaft mit inhĂ€renter Überschussproduktion war, deren Warenreichtum man nun miteinander geldvermittelt tauschte, kann schon keine Rede mehr sein.
Das Problem allein liegt, wie wir bereits sahen, auch hierin nicht. Es liegt einzig darin, dass mit der Annahme des Tauschparadigmas das geistige Unheil seinen Lauf nimmt. Und in diesem Tauschparadigma erkannten wir mit der Betrachtung der Grenzkostenrechnung die vollstĂ€ndige Denomination dessen, was Menger so gerne als Grund allen wirtschaftlichen Handelns erkannt hĂ€tte, das subjektive BedĂŒrfnis, den subjektiven Nutzen. Nehmen wir nur einmal als ein Beispiel einen Teil des KonsumgĂŒtermarktes. Untersuchungen in 2015 haben ergeben: Frauen besitzen mit durchschnittlich 118 KleidungsstĂŒcken deutlich mehr als MĂ€nner mit 73 Teilen – StrĂŒmpfe und UnterwĂ€sche nicht mitgerechnet. Im Durchschnitt besitzen die Deutschen 95 KleidungsstĂŒcke, im Osten sind es nur 83. Rund ein Drittel hat mehr als 200 KleidungsstĂŒcke. Jede/r Deutsche kauft im Schnitt 60 neue KleidungsstĂŒcke im Jahr und trĂ€gt sie nur halb so lange wie noch vor 15 Jahren. Zara, H&M und andere große Hersteller bieten jedes Jahr bis zu 24 verschiedene Kollektionen an. Wer angesichts solcher Zahlen noch daran glaubt, dass Konsum BedĂŒrfnisse befriedigt, muss schon eine ganz Weile im Tiefschlaf verbracht haben. Sprechen wir also in weiten Teilen der Tausch- bzw. KonsumgĂŒtermĂ€rkte also besser von Wunschtraum-ErfĂŒllung als von BedĂŒrfnisbefriedigung.