Sprechen wir also ĂŒber Geld, Geld, welches man nicht hat, mit dem man aber sehr viel bewegen kann. Dass Geld die Welt bewegt, weiĂ man seit vielen Jahrhunderten, allein begriffen hat es kaum jemand, wie aus keinem Geld mehr Geld werden kann. Denn es ist nicht so einfach, wie man denkt. Einfach ist der Sachverhalt, dass mir jemand Geld leiht und ich mit geliehenem Geld durch etwa geschĂ€ftliche AktivitĂ€ten so viel Geld âschöpfenâ kann, das ich zu vereinbarten Zinsen und Zeitraum in der Lage bin, das geliehene Geld wieder zurĂŒckzuzahlen. Das, was man heute fast schon als einen eher seltenen Idealfall bezeichnen muss, ist in seiner Grundkonstruktion so einfach zu verstehen und auch durchzuhalten, dass KreditgeschĂ€fte schon fast so alt sind wie die menschliche Zivilisation. Aber wer hat wirklich verstanden, wie Cum-Ex-GeschĂ€fte funktionieren? Wie Cum-Cum-GeschĂ€fte funktionieren ist demgegenĂŒber einfach zu verstehen. Das ist ja nichts anderes als eine Absprache mit einer Bank, den Staat um Steuern zu betrĂŒgen und sich dann mit der Bank die Steuerersparnis weidlich zu teilen. Mit Sparen hat solche Ersparnis nichts zu tun, aber durchaus viel mit der Tatsache, dass nicht jeder Staat auf der Welt die gleichen Steuergesetze hat. Hier geht es also einmal mehr um eine Differenz, aus der findige Menschen in angesehenen Instituten ordentlich viel Geld mit krimineller Energie schöpfen.
Ăber Geld haben wir an verschiedenen Stellen unserer Philosophie ausfĂŒhrlich gehandelt, immer mit einer bestimmten Perspektive, etwa Geld in den Formen von Money Proper und Money of Account, also von Bargeld und Buchgeld. Geld in Form von Krediten und Investitionen, also von Kapital und Anlagevermögen, Geld in Form von Finanzkapital, von Aktien und Anleihen, privaten wie öffentlichen Anleihen, Geld in Form von WĂ€hrungen, von Kryptogeld und KryptowĂ€hrungen usw. Geld kommt in den ersten vier BĂ€nden unserer Philosophie ĂŒberall vor, denn ohne die Formen von Geld zu erkennen, lassen sich auch die Formen des Wirtschaftens, lassen sich nicht geschichtliche Unterschiede, gar kulturelle Unterschiede verstehen. Ohne Geld bleibt die âDifferanceâ eine Differenz und also unverstanden. Wir wollen nicht vergessen, dass Geld in seinen verschiedenen Formen durchaus keine reine DifferenzialitĂ€t, also eine KontinuitĂ€t gesellschaftlicher und kultureller Entwicklungen vorstellt. Geld macht auch Bedeutungen vorstellbar, die einen Anfang und ein Ende einer Differenzialgeschichte markieren. Geld kann eine mythologische Bedeutung haben, die ĂŒber seinen Funktionen, etwa als Zahlungsmittel, liegt. Geld kann religiöse Bedeutung annehmen und die Moralvorstellung ganzer Kulturen mitprĂ€gen. Der Judas-Effekt des Geldes wabert noch heute durch westliche Industriestaaten und leitet die Vorstellungen vom Geld und dem Umgang damit in eine moralische Richtung, die vor nicht allzu langer Zeit Millionen Opfer gefordert hat und auch heute keine Formen von Immunisierung dagegen aufweist.
Vollends nebulös wird es, wenn es um Geldschöpfung geht, was man vielerorts als Geld aus dem Nichts vorstellt. Es ist beruhigend und erhebend zu wissen, dass in solch einer materialistischer Denkweise wie der ökonomischen Begriffe der alten Metaphysik wieder auftauchen, nun auch noch in umgekehrter Bedeutung, war doch immer das Sein jener Bereich, aus dem etwas entsteht, seltener das Nichts. Das stand eher fĂŒr die Atempausen, leichten ProduktivitĂ€ts-Apnoen des Seins, auĂer bei Nietzsche. Der hat dem Nichts als Nihilismus ein Denkmal gesetzt, den man heute als Nihilismus der Macht und anderen Seinsformen wiederbegegnet. Was hat es also auf sich, von einer Geldschöpfung aus dem Nichts zu sprechen, dessen nihilistischer Gedankengang in der Ăkonomie als Inflation imponiert, also aus einer Vorstellung herrĂŒhrt, dass zu viel Geld geschöpft den Wert des Geldes verfallen lĂ€sst? Und ist diese Vorstellung richtig, wichtig scheint sie ja durchaus zu sein?
Lange Zeit also war Geld eine physische Sache, MĂŒnzen und Papiergeld, aus dem durch geschicktes, sprich kaufmĂ€nnisches Verhalten mehr Geld werden konnte. Nehmen wir also Geldschöpfung einmal in einfacher Bedeutung ins Mindset, dann war Geldschöpfung an Geld gebunden, also an ein Sein im Sinne eines Vorhandenseins. Aus Geld wurde Geld, das war das eherne Gesetz der Kaufleute und des dafĂŒr zustĂ€ndigen Berufsstandes, den Bankier, der Geld an andere verlieh, damit der durch KaufmannstĂ€tigkeit Mehrwert und er selbst entsprechend kaufmĂ€nnisch durch Zins, der ja auch eine Form des Mehrwerts darstellt, mehr Geld schaffen konnten. Das galt auch als die ersten Wechsel auf den Markt kamen, also die Fugger Wertloses erfanden, womit die RĂ€uber im Wald und auf den Handelswegen von NĂŒrnberg nach Bologna und Milano nichts anfangen konnten. Die mussten Geld rauben, sonst gab es nichts zu essen und keine Waffen nebst Rekruten, keine RĂ€uberbanden. Ein Wechsel war kein Geld, war wie Geld, also hat ein physisches Sein in ein Nichts verwandelt und als eine Form von Bedeutung erhalten. Das StĂŒck Papier mit der Zahl darauf war wie Geld, wenn man es eintauschte an der dafĂŒr eingerichteten Stelle, einer Bank. Die sollte erkennen, dass ein Wechsel in RĂ€uberhand wertlos, also uneintauschbar blieb, was damals meistens gut gelang, aber beileibe nicht immer. Gelang dies nicht, dann hatte mit einmal die Bank Schulden gegenĂŒber dem auf dem Wechsel notierten GlĂ€ubiger und um es genau zu sagen, Schulden in Form eines Totalverlustes.
Was tut man im Falle eines Verlustes? Man sinnt nach. Man sinnt darĂŒber nach, wie man diesen Verlust ausgleichen kann, wie man den Betrag auf dem Wechsel und die ausgegangenen Zinseinnahmen wiederbekommen kann, und jeder Bankier wusste schon von Beginn an, dass es nicht ausreicht, Geldsumme und Zins zu addieren und schon ist die Angelegenheit erledigt. Es braucht mehr zum Ausgleich. Und wie die Zeit nicht ist ohne die Mathematik, so ist auch die Gelschöpfung nicht ohne sie und beide, die Zeit wie die Geldschöpfung erfolgen heute aus dem Nichts[1]. In der Philosophie waren es die Mathematiker, die damaligen antiken Naturphilosophen, die die Grundlagen der Berechnung des Sonnenlaufs des Nachts gelegt haben (Band V. Kap. 5). Es war zwar noch einiges zu tun, um aus einem Dreieck einen Halbkreis zu konstruieren, setzt ja der Halbkreis die Vorstellung eines Kreises voraus. Und die Formel fĂŒr die Kreisberechnung kam auch nicht so von UngefĂ€hr wie auch nicht die Vorstellung, was die Sonne macht, wenn es Nacht wird. Wie also das Sinnen um den Weg der Sonne aus dem Nichts dereinst ein neues Weltbild erschuf, so erschufen die Ăberlegungen der Bankiers einen Geldkreislauf, der aus einem Nichts entsteht. Es waren nicht die alten Bankierssyndikate, die auf die Geldschöpfung aus dem Nichts kamen, es waren niederlĂ€ndische Tulpenspekulanten â wahrscheinlich noch andere vor ihnen, so vermuten wir, von denen wir aber nichts wissen â die die Geldschöpfung aus dem Nichts wirklich und tatsĂ€chlich existent werden lieĂen.
Geld schöpfen aus dem Nichts
Was steht dahinter, hinter dieser Idee ex nihilo? Wenn Sie Geld verleihen, Geldverleih mithin ihr einziges Business ist, dann erfahren oder fĂŒrchten sie Verluste. Das schreckliche Ende der Idee des Verlustes ist das Nichts, verkörpert in einem Saldo, den sie nicht mehr ausgleichen können. So ist es noch heute in weiten Teilen der Wirtschaft, dass der Steuerberater oder WirtschaftsprĂŒfer in ihre Firma kommt und ihnen empfiehlt, das Insolvenzverfahren aufzunehmen, wenn die TragfĂ€higkeit der Schulden nicht mehr gewĂ€hrleistet ist. TragfĂ€higkeit? Das ist wie mit einer BrĂŒcke, fahren zu viele LKWs darĂŒber, kann sie einstĂŒrzen. So ist es auch mit einem Unternehmen. Gibt es ĂŒber einen gewissen Zeitraum mehr aus, als es einnimmt, stĂŒrzt es ein. Dann greift das uralte kaufmĂ€nnische Prinzip, welches zugleich auch der Standpfeiler der Marktwirtschaft ist, dass ein jeder fĂŒr die Folgen seiner Handlungen einsteht, im Guten wie im Schlechten. So soll verhindert werden, dass schlechte Kaufleute viele gute mit sich in den Schuldenabgrund ziehen, ĂŒber den keine BrĂŒcke mehr fĂŒhrt und man lĂ€sst sie vom Markt verschwinden.
Das Nachsinnen ĂŒber Verluste hat die menschliche Vorstellungskraft beflĂŒgelt, auch dahingehend, dass man sich vorstellte, ob man nicht Geld verdienen könnte, ohne selbst Geld zu haben. Geld aus keinem Geld zu machen, war und ist fĂŒr viele Menschen nach wie vor unvorstellbar, ist aber ein einfacher Sachverhalt. Sie stehen am Beginn einer Karriere als Bankier, haben eintausend Euro und verleihen die als Kredit an einen anderen. Sie schreiben ins Buch: eintausend Euro auf die Habenseite und eintausend Euro auf die Sollseite. Da Sie ja das Geld irgendwann mit Zinsen zurĂŒckbekommen, haben Sie eintausend Euro und die verleihen Sie wieder an den nĂ€chsten Kunden ihrer Bank. Nun haben Sie bereits zweitausend Euro und so geht es weiter. Was Sie wissen ist, es gibt ein Risiko, das ganze Geld zurĂŒckzubekommen, also lernen Sie so schnell wie möglich die mathematischen Formeln fĂŒr den Verlustausgleich, heute ein sehr wichtiges Element im sog. Risikomanagement und im Börsen-Trading. Das Paradox dabei ist, dass die Methoden der Mathematik, mit denen Sie Risiken minimieren, eben auch jede Methoden sind, die gegen Sie gehen. Haben Sie einen Verlust z. B. von zehn Prozent realisiert, mĂŒssen Sie 11,1 Prozent Gewinn realisieren, um diesen Verlust auszugleichen. Ein Verlust von 50 Prozent erfordert eine Verdopplung des Gewinns, was schwierig werden dĂŒrfte, ein Verlust von sechzig Prozent einen Gewinn von 150 Prozent, was man durchaus fĂŒr unrealistisch halten kann, nach Risikomathematik noch berechenbar im Bereich des Möglichen liegt, aber nach realistischer MaĂgabe bereits viel frĂŒher ein Insolvenzverfahren eingeleitet hat. So ist auch zu verstehen, dass WirtschaftsprĂŒfer, ihre Risikoberechnungen vornehmend, von sich aus tĂ€tig werden und dem armen Firmenchef die schlechte Nachricht ĂŒberbringen mĂŒssen, von der dieser gar nicht gewusst hat, dass die Refinanzierungskrise bereits so weit fortgeschritten ist[2].
ZurĂŒck zur Geschichte des Geldes. Wie Hegel bereits an der Geschichte des Denkens ausgewiesen hat, befand sich das Geld bis weit in die Neuzeit hinein noch im Zustand einer Substanzberechnung. Geld war in irgendeiner Form da und selbst ein Aktienkurs ist noch ein Substanzwert, steht hinter dem Börsenwert ja die Wertschöpfung eines Unternehmens und die geschah nicht aus dem Nichts. Wir haben gesehen, dass der Börsenwert eines Unternehmens heute eine mathematische Kombination von Substanzwert und Goodwill ist (Band III. Kap. 6.), wobei der Goodwill den Substanzwert bei weitem ĂŒbersteigt. Was bei Unternehmen so als ein Prozess der hegelschen Dialektik von der Substanz zum Subjekt, also von der Bedeutung des Denkens hin zur reinen, absoluten Idee betrachtet werden kann, ist bis heute noch im Wesentlichen begrenzt, die absolute Idee vom Wirtschaften zu erreichen. Denn in jedem Unternehmen steckt in welcher Geldform sie auch erscheint, ein Substanzwert, wenngleich dieser auch grenzwertig erscheint; so aber nicht in BankgeschĂ€ften.
Die Geschichte der BankgeschĂ€fte und damit die Geschichte der GeldgeschĂ€fte formierte sich neu, als mit Wechseln begonnen wurde, GeschĂ€fte zu machen. Das sind im Prinzip SeriengeschĂ€fte, die aber, anders als bei SubstanzgeschĂ€ften, reine DifferenzgeschĂ€fte vorstellen, also GeschĂ€fte, die die Differenz zwischen Substanzwert, also dem Wert (Underlying) der Ware bzw. dem Geldbetrag auf dem Wechsel und einem spekulativen Wert, dem Risikowert, dem Zins oder Kapitalerhalt als die Summe aus beiden vorstellt. Handle ich als Bank nun mit Wechseln, gebe ich also auf einen Wechsel einen Kredit, dann kann, wie man so schön sagt, der Wechsel auch platzen. Ich brauche somit einen Zins, der das Risiko ausgleicht, wobei aber die Krux der Geschichte darin besteht, dass mit jedem BankgeschĂ€ft der Risikozins exponentiell, also nicht linear ansteigt. Wir haben eben grob diesen Risikozinsanstieg vorgestellt, der mathematisch berechnet bei einer Verlustwahrscheinlichkeit von 5 Prozent gerade einmal 5,3 Prozent ausmacht, bei 10% entsprechend 11,1%, bei 50% bereits 100% usw. Bei einem Ausfallrisiko von 90% mĂŒsste ein Unternehmen einen Gewinn von 900% in einem Zeitraum der Refinanzierung machen, was schon rein rechnerisch als unmöglich gilt.
Schauen wir auf die Entwicklung der Buchwerte bzw. der Bilanzsumme der Banken, dann erkennen wir, dass einerseits durch Methode der Bilanzierung eben jener exponentielle Anstieg berechnet wird, der aus der exponentiellen Errechnung von Substanzwert und Kapitalerhalt gebildet wird. Das kennen wir von Serienbriefen bzw. – GeschĂ€ften, dass mit jedem neuen Unterzeichner das Risiko fĂŒr ihn in exponentieller Form ansteigt, so dass der Erste bzw. die frĂŒhen Unterzeichner noch in einer Gewinnzone sich wohlfĂŒhlen können, ab einer gewissen Anzahl von Unterzeichnern Verluste wesentlich höher wahrscheinlich sind fĂŒr die SpĂ€teren, als vorher. Wie hier so ist auch bei Banken ein stĂ€ndiger und anwachsender Strom an zusĂ€tzlichen GeschĂ€ften mit steigenden Volumina notwendig, um einen Bank Crash dauerhaft abzusichern.
Was aber machen Banken, um ihre Risiken zu begrenzen? Wir haben gesehen (Band IV. Kap. 5), dass auch die Risikobegrenzungen durch Abkommen wie Basel II. und Basel III. nicht ausreichen. Das liegt daran, dass der Eigenkapitalbestand einer Bank schon in kurzer Zeit nicht mehr das exponentiell wachsende Risiko abdeckt. Zudem kommen zwei andere Faktoren, die sich in der Geschichte des Geldes ausgeprĂ€gt haben. Der erst Faktor ist, dass, um das wachsende Risiko zu kompensieren, haben Banken die Geldschöpfung aus dem Nicht erfunden, was nichts mit Gelddrucken zu tun hat, sondern mit Geldideen, die ohne Geld funktionieren und heute nicht einmal mehr Papierkosten entstehen lassen. Geld nimmt in Derivaten fast endlos viele Formen an, dann funktionieren diese Derivate wie ein Vertrag zwischen zwei Parteien, der festlegt, dass ein bestimmter Basiswert zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einem im Voraus vereinbarten Preis gekauft werden kann oder muss. Ein Basiswert kann zum Beispiel eine Aktie oder ein Rohstoff sein. Solche TermingeschĂ€fte handeln also Differenzen als zeitliche Voraussagen, wobei der Basiswert lediglich noch eine Bedeutung hat, nĂ€mlich die, dass er angibt, welche Wertform der Differenzhandel annehmen soll. Die mit jedem Derivatehandel verbundene(n) Option (en) ist fĂŒr die Wertbestimmung von ausschlaggebender Wichtigkeit, das Underlying bleibt der Phantasie des auflegenden Unternehmen oder Bankinstituts ĂŒber-lassen.
Schauen wir auf die Finanzökonomie dann zĂ€hlen wir letztlich vier Formen, die Geld annehmen kann, zusammengefasst unter die Geldmengen Null bis Drei. In Wahrheit aber inflationieren die Geldformen eher gegen Einhunderttausend, allein in der Gruppe der Derivate. Das zeigt, dass man von Substanzwerten eher nicht sprechen sollte als eher von einem Markt, auf dem die Idee der Geldschöpfung aus dem Nichts zur RealitĂ€t geworden ist. Wenngleich allen Derivaten gemein ist, dass ihr Kurs sich von einem Basiswert ableiten soll, so ist diese Ableitung aber nichtiger als die Vorstellung, dass ein Aktienkurs den Substanzwert eines Unternehmens wiederspiegelt. So sind Derivate, die sich auf den Basiswert einer Aktie beziehen, selbst wenn sie ihn 1:1 wiederspiegeln, durch ihre Optionselemente eher vergleichbar mit Globuli und deren homöopathischen Herstellungsprozessen. Wie ein Tropfen Wasser im Ozean verdĂŒnnt sich die Substanz schlussendlich, wenn ein Basiswert einen Index nachbildet. Niemand kann wirklich sagen, wie viele Zertifikate, Optionsscheine und Aktienanleihen es weltweit gibt, niemand kennt wirklich die verschiedenen Konstruktionen der Optionselemente, deren Bedingungen allein schon bei den Optionen ins schier Unendliche gehen, die den Kurs eines Basiswertes eben nicht 1:1 abbilden. Hier werden die Kurse des Basiswertes mit komplizierten mathematischen Formeln berechnet, die eben von der Art des Derivats abhĂ€ngt, und mit geistigen Bordmitteln des Verstandes nicht kompatibel sind.
Was die Mathematik hier vorstellt, entzieht sich der Vorstellungskraft der meisten Menschen. Hinzukommt, dass nicht nur die Berechnung des Basiswertes bereits Schwierigkeiten macht, einen Sach- oder Substanzbezug herzustellen, wer dies versucht, darf sich schon als hoffnungslosen Fall bezeichnen, sondern, dass es auch bei den Laufzeiten erhebliche Unterschiede gibt, die die Berechenbarkeit der Option noch einmal an Schwierigkeiten potenziert. Die meisten Derivate werden nach ein bis drei Jahren fĂ€llig. Es gibt aber auch Derivate, die unbegrenzt laufen (âopen endâ). Die Frage: wer legt Basiswert, Konstruktion, Rechenformel und Laufzeit fest, beantwortet sich dagegen einfach: der Emittent. Das ist der Herausgeber des jeweiligen Derivats, meist eine Bank, die im sogenannten Eigenhandel so handelt wie groĂe Shopping Malls einst und heute die groĂen Handelsplattformen. Hier findet man alles, was vielleicht noch im Entferntesten an Waren zur BedĂŒrfnisbefriedigung der Menschen erinnert, meistens jedoch an die Kunst, BedĂŒrfnisse zu wecken, die es nur gibt, weil sie in den Arrangements der Malls erzeugt werden. Die Auswahl ist riesig nicht, weil die BedĂŒrfnisse und Vorlieben riesig sind, sondern weil der Erfindungsreichtum von Banken, Vermögensverwaltungen wie Malls riesig ist und ein Universum an Kaufmöglichkeiten geschaffen hat, das so viele Möglichkeiten vorstellt wie Sterne am Nachthimmel erscheinen, von denen wir auch nicht wissen, welche bereits vor Jahrtausenden oder Milliarden von Jahren verglĂŒht sind.
Halten wir uns am Erfindungsreichtum und kommen zu dem zweiten Faktor in der Entwicklung der Geldformen. Wie ein Institut kann prinzipiell jeder Mensch Geld aus dem Nichts schöpfen. Und es gehört zu den Ă€ltesten Gewerben der Menschheit, mithin zu den polyvalentesten sprachlichen BedeutungstrĂ€gern, also auch zu den Derivaten, hier der Sprache, der BetrĂŒger. Das etymologische Wörterbuch beginnt seine Liste der Wortbedeutungen mit âbetrĂŒgen, tĂ€uschen, irrefĂŒhrenâ und macht gebildet darauf aufmerksam, dass das aktuelle Bedeutungsreservoir sich in Deutschland im 15. Jahrhundert gebildet hat und Vorformen dessen bereits im 9. Jahrhundert. Wir haben im Band I. bereits ausgearbeitet, dass in der antiken griechischen Philosophie die TĂ€uschung keine bewusste oder unbewusste Handlung bezeichnet, sondern gleichberechtigt im Kern der Suche nach der Wahrheit enthalten ist. Wir haben dort geschrieben: Techne und ArchĂ© stehen (âŠ) in keinem direkten VerhĂ€ltnis zueinander wie die Wahrheit (αλΟΞΔÎčα) zum Dasein, insofern ihr stets etwas an der gewĂŒnschten Möglichkeit der Vollkommenheit fehlt, ihr etwas genommen, âgeraubtâ (privare) ist: das a privativum (S. 420ff). Das A-privativum ist auch die TĂ€uschung in der Bedeutung von Trug oder Trugbild, Trugvorstellungen, die wie Gespenster oder WiedergĂ€nger, Schatten und falscher Schein die Geschichte des Logos begleiten.[3]
[1] Was Heidegger in SuZ S. 419 ff zur Zeit schreibt, ist alles andere als eine Sternstunde der Philosophie. Niemand auf der Welt und zu keiner Zeit hat jemals den Lauf der Sonne ĂŒber einen ganzen Tag lang nirgendwo auf der Welt je gesehen. Ăberall ist das In-der-Welt-sein etwas, was tags und nachts stattfindet und so ist es auch mit der Sonne, sie ist weg fĂŒr die HĂ€lfte des Tages. Aus dem Lauf der Sonne nun eine runde Uhr mit Zeigern zu fantasieren grenzt schon an Halluzinationen, nicht aber an ernsthaften philosophischen Vorstellungen.
[2] Vgl. Karin Roller: Trading fĂŒr Dummies, S. 274
[3] Weil es so schön, so vielfĂ€ltig ist und so reichhaltig ist an Bedeutungen, hier die Etymologie zu trĂŒgen:
trĂŒgen Vb. âbetrĂŒgen, tĂ€uschen, irrefĂŒhrenâ. Das nur im Dt. und Nl. belegte stark flektierende Verb ahd. triogan (8. Jh.), mhd. triegen â(be)trĂŒgen, tĂ€uschenâ, reflexiv âsich tĂ€uschen, sich irrenâ, asĂ€chs. driogan âbetrĂŒgenâ, mnd. drÄgen, mnl. drieghen (germ. *dreugan) ist verwandt mit ahd. gitrog âTrugbild, Gespenstâ (9. Jh.), asĂ€chs. gidrog âTrugbildâ, anord. draugr âGespenst, WiedergĂ€ngerâ, mit der unter Traum (s. d.) behandelten Wortgruppe sowie mit aind. drĂșhyati âbeschĂ€digt, sucht zu schadenâ, dráčghaáž„ âschmĂ€hend, boshaft, trĂŒgerischâ, awest. draog- âlĂŒgen, trĂŒgenâ, mir. aur-ddrach âGespenstâ. Alle Formen fĂŒhren auf ie. *dhreugh- âtrĂŒgen, listig schĂ€digenâ, vielleicht eine Erweiterung der Wurzel ie. *dhuÌŻer(É)- âdurch TĂ€uschung, Hinterlist zu Fall bringen, schĂ€digenâ. Im Nhd. gilt zunĂ€chst triegen mit den PrĂ€sensformen du treugst, er treugt. In der 2. HĂ€lfte des 17. Jhs. wird entweder zu -ie- oder (nach dem Vorbild von lĂŒgen) zu -ĂŒ- vereinheitlicht. EndgĂŒltig setzt sich trĂŒgen, trĂŒgst, trĂŒgt im 19. Jh. durch. Trug m. âBetrug, TĂ€uschung, falscher Scheinâ, mhd. truc, fĂŒr mhd. trĂŒge âTrug, Betrugâ eintretend. Trug ist vor allem lebendig in der FĂŒgung Lug und Trug (16. Jh.). Trugbild n. âTĂ€uschungâ, ahd. trugibilidi âTeufelsbild, Gespenstâ (um 900), mhd. trĂŒge-, trugebilde âtĂ€uschendes Bildâ; gelĂ€ufig seit dem 18. Jh. und wohl von Herder neu gebildet als Verdeutschung von Phantom im Sinne von âSinnestĂ€uschung, von der Phantasie geschaffene Vorstellung, SelbsttĂ€uschung, Irrtumâ. TrugschluĂ m. Terminus der Logik âunrichtiger, von einer falschen PrĂ€misse ausgehender SchluĂâ (1743 bei Gottsched fĂŒr frz. un grand sophisme), allgemein âauf einem Denkfehler beruhende SchluĂfolgerung, Irrtumâ (Ende 18. Jh.); zuvor BetrugsschluĂ (1. HĂ€lfte 17. Jh.). trĂŒgerisch Adj. âbetrĂŒgerisch, hinterlistig, heuchlerischâ (16. Jh.), âtĂ€uschend, irrefĂŒhrendâ (18. Jh.), zu ahd. triogÄri âHeuchlerâ (um 800), mhd. trigĂŠre, trieger. betrĂŒgen Vb. â(be)schwindeln, sich einen Vorteil durch TĂ€uschung ergaunernâ, (reflexiv) âsich nicht die Wahrheit eingestehenâ, ahd. bitriogan âbetrĂŒgen, tĂ€uschenâ (8. Jh.), mhd. betriegen âverlocken, betrĂŒgen, betören, verblendenâ; BetrĂŒger m. (15. Jh.); Betrug m. âSchwindel, TĂ€uschung, LĂŒgeâ (15. Jh.); vgl. ahd. bitrog (11. Jh.), mhd. betroc. (mhd = mittelhochdeutsch. ahd = althochdeutsch. Nl = niederlĂ€ndisch. AsĂ€chs = altsĂ€chsisch. Aind=altindisch. NHD=Neuhochdeutsch.