Hier in Hong Kong hatte man nie vergessen, dass die Kunst des Krieges darin liegt, dass es in der Geschichte keinen Fall aufgezeichnet gibt, in dem eine Nation von einem lang andauernden Krieg je profitiert hätte. Der Krieg wie er dem Westen als Vater aller Dinge erscheint, der die einen zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven und die anderen zu Freien macht, war ihrem Gedankengut eher fremd. Sie fanden den Krieg stets als letzten Ausweg und die List, Ausländer zu den eigenen Interessen und Zwecken anzuhalten, sie für sich und ihre Interessen kämpfen zu lassen, als das probatere Mittel und schließlich auch die erfolgreichere Idee. Geschichten von Helden und ihren Taten sind in der chinesischen Mythologie eher seltener anzutreffen als in ihren westlichen Pendants, trotzdem empfinden Chinesen sich als rechtmäßige Mittelmacht, die aus der Mitte der Welt die Welt beherrscht. Nichts macht ihnen mehr Freude und mehrt ihren Weltmachtanspruch, als die Welt mit Silber und Seide zu besänftigen und ihre eigene Kultur als die einzig wahre, zivilisierte Kultur in die Welt zu exportieren. Chinesische Intellektuelle halten für sich den Weg der Ablehnung jedweder Kriegsführung offen und selbst die Scharen an Bürokraten im Reich der Mitte, wovon es unglaublich viele dort gibt, haben nichts für Krieg übrig und finden Militärs durchaus als unzivilisiert. Selbst die große Bauernschaft war und ist in ihrer Mehrheit wenig kriegsbegeistert, nicht zuletzt, weil eben sie als erste zur Wehrpflicht herangezogen worden ist, sie die Frucht ihrer Arbeit ein ums andere Mal als erhobene Naturalsteuern zur Finanzierung zahlloser und kostspieliger Feldzüge schwinden sahen, nicht vergessen die rigorosen und immer wieder erlebten Plünderungen ihrer bescheidenen Höfe, wenn es wieder einmal schief gelaufen ist bei einem ihrer Feldherren.
Anders als im Westen waren sich schon in alten Zeiten vom Kaiser über den Landadel, die Intellektuellen bis hin zu der Bauerschaft alle in China darüber im Klaren, was in einem Krieg zu verlieren war und das chinesische Bewusstsein machte keinen Bogen um die Verluste und die Grausamkeiten, die ein Krieg nun mal mit sich bringt. Aber jahrhundertelange, nicht enden wollende Kämpfe zwischen zahllosen, rivalisierenden chinesischen Machthabern haben im Laufe der Jahre eine Kriegsbereitschaft entstehen lassen, die in aktuellen Zeiten besonders von einer durchtrieben kriminellen Schicht von sich selbst überzeugter Phantasten fortgeführt wird. Sie sind die nützlichen Willfährigen einer mittlerweile großspurigen Hegemonialmacht und erfreuen sich einer straflosen Gewährung selbst schlimmster Machenschaften. Zu dieser Schicht zählten die zehn Männer, die sich im Jockey Club zu später Stunde versammelt hatten, um das anstehende Geschäft mit Raubkunst aus dem Irak zu besprechen und zu organisieren. Sie hatten im Fortune, einem der Private Rooms zu später Stunde Platz genommen und hatten, was auch nicht so einfach und jedermann vergönnt ist, ein üppiges, kantonesisches Dinner genossen, als nach einer Zeit Kiki und zehn ihrer Schwester im Fortune Room erschienen.
Die Schwestern trugen alle einen Cheongsam, ein traditionelles, knöchellanges Kleid aus Seide mit hoch geschlossenen Krägen und Seitenschlitzen, jedes in einem anderen ornamentalen oder einfarbigen Design, ihr zartes Lächeln war betörend; nur Kiki hatte einen modernen Qipao gewählt und blickte ernst. Sie waren wie aus dem Nichts erschienen und blickten die fast erstarrten Männer aus freundlichen Augen an. Keiner der Männer konnte etwas sagen, ihre Münder blieben geschlossen, ihre Rede blockiert wie durch einen Bann. Der Bann der schönen Frauen ließ die Männer sich von ihren Sitzen erheben und die Frauen gingen langsamen Schrittes auf sie zu, jede der Schwestern fand ihren Platz neben einem der Männer, Kiki neben Lun Xiao. Sie nahmen ein wenig später die Männer bei den Händen und führten sie feierlich nach unten in das Labyrinth, welches sich direkt unter dem Club befand und aus tausend verschachtelten Räumen bestand. Hier war es absolut dunkel, kein Fenster, kein Licht war zu sehen und man roch den beißenden, ekelerregenden Gestank des menschenfressenden Ungeheuers, das hier umherstürmte, immer bereit zu töten und zu fressen.