In Band IV. haben wir mit einem dĂŒsteren Ausblick auf das Bargeld geschlossen. Und dies war mehr als eine These bzw. Hypothese auf die Zukunft, dass die goldenen Zeiten des Bargeldes gezĂ€hlt sind. Noch wird in weiten Teilen der westlichen Welt, der einst so erfolgreichen Industrienationen mit Bargeld bezahlt. Und dies nicht nur im Markt des privaten Zahlungsverkehrs. Industrie, Massenproduktion und barer Geldwert schienen unauflöslich miteinander verbunden zu sein, ânur bares Geld ist wahres Geldâ lautete die Universalformel der Wertermittlung, die dann spĂ€ter auch ihre Entsprechung darin fand, dass der Monetarismus den Formelbezug zwischen Menge der Produktion und Geldmenge fand.
Wir haben uns die Geldmengen bereits genauer angesehen und die Relation zwischen GĂŒter-Menge und Geld-Menge widerlegen können. Wir sind dabei auf eine andere Relation gestoĂen, eine, die sich disproportional zueinander entwickelt, nĂ€mlich die Relation zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Schulden-Wachstum. Eigentlich mĂŒsste mit dem wirtschaftlichen Wachstum das Schuldenwachstum umgekehrt proportional abnehmen; aber das weltweite Schuldenwachstum erfreut sich munterer BlĂŒte, gleichwohl wirtschaftliches Wachstum weltweit signifikant zunimmt; die aktuelle Corona-Krise einmal auĂen vorgelassen.
Nun wĂ€re es einfach zu behaupten, das weltweite Wirtschaftswachstum beruhe auf Schulden; aber so einfach ist es nicht. Es ist wahr, aber deshalb noch nicht einfach, weder einfach zu verstehen noch einfach zu Ă€ndern. Was uns aber an dieser Stelle deutlich mehr interessiert ist, welche Auswirkungen haben die anwachsenden Schulden in der Wirtschaft â und wir fĂŒgen ausdrĂŒcklich hinzu â bei den Regierungen in der Welt, fĂŒr die Wirtschaft, die Menschen und letztlich auch fĂŒr die gesellschaftspolitischen VerhĂ€ltnisse, in denen sie leben? Schauen wir uns die Entwicklung von Bargeld und Schulden an, dann werden wir schnell feststellen, dass es diese Form der Entwicklung, ohne die Entwicklung der Digitalisierung des Zahlungsverkehrs nicht gĂ€be und nicht einmal oberflĂ€chlich zu verstehen wĂ€re. Also, nun ein Blick nach China, wo diese Entwicklung sich am deutlichsten zeigt.
Kein Land der Welt, nicht einmal die USA, verabschiedet sich so schnell und konsequent vom Bargeld wie China. Selbst in den entlegensten Regionen der VRC, selbst in der Mongolei, ist der Zahlungsverkehr fast ĂŒberall bargeldlos möglich. Dies ermöglicht WeChat. Was im Rest der Welt bislang noch von verschiedenen Apps in verschiedenen sozialen Netzwerken â wir gehen spĂ€ter nĂ€her auf die Funktion sozialer Netzwerke detaillierter ein â angeboten und erledigt wird, ist in WeChat sehr weit in einer âWunder-Appâ vereint. Soziale Dienste wie Facebook, Netflix, Instagram, WhatsApp, Spotify oder YouTube, Pinterest, Xing, Twitter und andere mehr entwickeln sich zwar als Dienste-Netz auf einer gemeinsamen Plattform, sind aber im Vergleich mit WeChat von heute gerechnet (2021) um Jahre zurĂŒck und vor allem in ihrer Grundkonzeption deutlich unterlegen.
Heute nutzen etwa 3,6 Mrd. Menschen solche Netzdienste, eine unglaubliche Zahl, und dabei stehen auĂerhalb von China Facebook und seine Tochterunternehmen Instagram und WhatsApp, was die reinen Nutzerzahlen angeht, ganz oben im Ranking. Aber Ranking ist nicht alles, bei weitem nicht. Was WeChat von allen sozialen Netzwerken unterscheidet ist, dass es grundsĂ€tzlich anders âkonstruiertâ ist als die vergleichbaren, westlichen Apps, die alle nach einem marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen ausgerichtet sind. Damit wir diese wesentliche Unterscheidung leicht mit in die nĂ€chsten Kapitel nehmen können, fokussieren wir auf die folgende, technologische Differenz. In der westlichen, der marktwirtschaftlichen Welt sind alle Apps sogenannte âWeb Appsâ, also Anwendungen, die sich auf eine oder ganz bestimmte Funktionen beschrĂ€nken, auf etwa Sprachnachrichten und Datentransfers. Es gibt also eine funktionale Relation zwischen den unterschiedlichen BedĂŒrfnissen der Anwender und den unterschiedlichen Anwendungen zur Befriedigung dieser BedĂŒrfnisse in der ökonomischen Hand verschiedener Dienstleister. Ob wir daher von einer digitalen Zeitung, einer Bank mit digitalen Diensten, ob wir von digitalen Dienstleistungen im Verkehr, im Individualverkehr oder im Taxigewerbe sprechen, im Tourismus oder im Einzelhandel, stets veröffentlichen Dienstleistungsunternehmen ihre ganz speziellen Anwendungen in Form von Apps fĂŒr mobile EndgerĂ€te, vornehmlich das Smartphone. Ein einziger Blick auf unsere EndgerĂ€te zeigt dies nur zu deutlich: dort wimmelt es von unterschiedlichen Apps, die sich an die unterschiedlichsten BedĂŒrfnisse richten und sich dort in einer wahren Anwendungsflut inflationieren, teils kannibalisieren; inwieweit Apps auch tatsĂ€chlich unseren BedĂŒrfnissen entsprechen, darauf gehen wir ein wenig spĂ€ter ein.