Viel ist ĂŒber Schopenhauer geschrieben worden, kaum etwas von seinen Analogien zwischen Denken und Welt hat die teils vehemente Kritik ĂŒberlebt. Aber schauen wir doch unaufgeregt noch einmal auf seinen Denkentwurf, der ja zugleich ein Entwurf des Denkens selbst ist, dann werden wir feststellen, dass, ausgehend von einem komplementĂ€ren Zusammenspiel von Willen und Vorstellung durchaus ein beachtenswerter Weg zum VerstĂ€ndnis der Welt und des Selbst beschritten worden ist. Lösen wir uns etwas vom Wortlaut seines Hauptwerkes und betrachten es aus der Distanz eines RĂŒckblicks, der eben jenen Vorteil hat, die Dinge in einem neuen Licht zu betrachten und der nicht jeder Kritik im Einzelnen mehr zu folgen braucht. Mit Schopenhauer betreten wir erstmals das Terrain eines wirklich freien, autonomen Daseins. Eines Daseins, welches sich frei aus seinen Vorstellungen heraus entwirft und zugleich fĂŒr seine Vorstellungen und willentlichen Handlungen Verantwortung hat. Keine Moral, kein Sittengesetz, keine Vorgaben ergehen an diesen Kern des Cogito, nun als freier Wille gedacht, hinter dem es sich sozusagen verstecken könnte.
Wie auch immer, ob in erkenntnistheoretischen Analogieketten, in der Art von theologischen, ethischen oder Ă€sthetischen ZusammenhĂ€ngen denkend, der Mensch ist letztlich frei, solche Vorstellungen neu zu verbinden, umzuordnen, zu zerbrechen und nach seinem Willen zu verwirklichen. Nichts hĂ€lt dem Willen stand, nichts kann verhindern, moralische, ethische, Ă€sthetische Urteile zu zertrĂŒmmern, im Gegenteil. So nicht zu handeln liegt auch in der Eigenverantwortung eines freien Willens, es zu belassen bei den assoziativen Vorstellungen, die z.B. Rassismus und Sexismus arrangieren. Diese Vorstellungsarrangements sind ja nichts anderes als Ăbereinstimmungen nach dem Prinzip der Analogie, nach ĂhnlichkeitsverhĂ€ltnissen, die wie ein unsichtbares Netz ĂŒber die Wahrnehmungen gespannt sind und z.B. alles in Form einer Nicht-IdentitĂ€t von Ă€uĂerlichen Merkmalen, etwas die Hautfarbe, die Herkunft usw. beurteilt. Was ist so falsch daran, hier von einem Erkenntnisgrund zu sprechen und dessen Folgen? Wir lassen einfach die holprigen, teils klimmzugartigen Transformationen des Kausalprinzips in die SphĂ€re der Vernunft und die teils unglĂŒcklichen, von altindischen EinflĂŒssen geprĂ€gten Bestimmungen des Individuums, dessen Seele wie die der Weltseele, die allesamt und zum GlĂŒck stark an seine Rezeption der Schriften von Platon erinnern, beiseite, dann behalten wir aber ein erkenntnistheoretisches Geschenk, womit wir auch heute nicht so verschwenderisch umgehen sollten.
Schopenhauer hatte begeisterte AnhĂ€nger, damit stand er nicht allein. Er unternahm auch einiges, um sich in der Philosophie leidlich unbeliebt zu machen, besonders Fichte und Hegel hatten es ihm angetan. Die Welt als Wille und Vorstellung lebte auf und weiter auf dem Feld der Kunst, besonders deutlich erkennbar in den musikalischen Dramen âTristan und Isoldeâ und der Tetralogie âDer Ring des Nibelungen.â, beide von Richard Wagner. Einstein, so wird gelegentlich verwiesen, sei auf die Philosophie ĂŒber Schopenhauer aufmerksam geworden, insofern erstmals dem RĂ€tsel von Raum und Zeit hier auf die Spur gekommen sei. Die NĂ€he zu Einstein beschreibt der Abschnitt ĂŒber den Satz vom Grunde des Seins, also nicht ĂŒber das Kausalprinzip der reellen, natĂŒrlichen GegenstĂ€nde, sondern ĂŒber das ureigenste Grundthema der Philosophie wie der Physik: â⊠wie Vergangenheit und Zukunft (abgesehen von den Folgen ihres Inhalts) so nichtig als irgend ein Traum sind, Gegenwart aber nur die ausdehnungs- und bestandlose Grenze zwischen beiden ist; ebenso werden wir dieselbe Nichtigkeit auch in allen anderen Gestalten des Satzes vom Grunde wiedererkennen und einsehen, daĂ, wie die Zeit, so auch der Raum, und wie dieser, so auch alles, was in ihm und der Zeit zugleich ist, alles also, was aus Ursache oder Motiven hervorgeht, nur ein relatives Dasein hat, nur durch und fĂŒr ein anderes, ihm gleichartiges, d. h. wieder nur ebenso bestehendes ist.â Und gleichsam nebenbei hat Schopenhauer damit auch die Vorstellung von der Zeit als Emulation von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, den drei seltsamen Ekstasen der antiken bis modernen Erkenntnistheorie zur Nichtigkeit erklĂ€rt.
Wittgenstein hat Schopenhauers sprachphilosophische AnsĂ€tze und ganz besonders seine AusfĂŒhrungen zu Sprachspielen geschĂ€tzt, aber mehr noch hat die Psychologie respektive die Psychoanalyse von Beginn an am Erbe Schopenhauers verdient; ganz besonders C. G. Jung, der die Beziehung zur fernöstlichen Philosophie geradezu aufgesogen hat. NatĂŒrlich trat auch Siegmund Freud in diese Reihe als er schrieb: âEs sind namhafte Philosophen als VorgĂ€nger anzufĂŒhren, vor allem der grosse Denker Schopenhauer, dessen unbewusster âWilleâ den seelischen Trieben der Psychoanalyse gleichzusetzen ist.â Was fĂŒr eine FehleinschĂ€tzung, den Willen des philosophischen EinzelgĂ€ngers mit dem Unbewussten, mit den seelischen Trieben gleichzusetzen. Am Willen ist nichts wie an den Trieben, diese nennen wir unwillkĂŒrlich und alles, was in der Folge geschieht, jene Handlungen willentlich, die ein Mensch bewusst ausĂŒbt oder bewirkt. Wir folgen damit nicht der Philosophie Schopenhauers, die den Primat des Willens generell postuliert. Aber in den Handlungen der Menschen ist immer ein Wille, so sie als bewusste Handlungen erkennbar sind, erkennbar im Sinne der Selbstreflexion, wenn man sich fragt, habe ich das gewollt, oder habe ich das nicht gewollt. Selbst wenn ich etwas nicht gewollt habe, ist es bewusst und revozierbar und auch generell verĂ€nderbar, denn jeder kann seine bewussten Motivationen dahingehend beeinflussen, dass sie anders oder gar nicht mehr zur Wirkung kommen. Das ist bei Trieben nicht der Fall, denn diese wirken unwillkĂŒrlich. Ob ich atme, Hunger empfinde, ob mein Herz schlĂ€gt oder der Atem nachts mehrmals aussetzt wie bei einer Schlafapnoe, ob wir trĂ€umen oder unwillkĂŒrlich Stress empfinden in posttraumatischen ZustĂ€nden usw.
Was Schopenhauer das Gesetz der KausalitĂ€t beim Willen nennt, ist seine intelligible Beziehung zwischen einer motivierenden Vorstellung, die als ein Erkenntnisgrund Ursache ist und in Handlungen hineinwirkt, deren Folgen zwar nicht immer absehbar sind, deren Ausgangspunkt aber stets ein Erkenntnisgrund ist, der, selbst wenn eine Willensbekundung in einer Gruppe besteht, stets aber individuell auf meine Willensentscheidung zurĂŒckfĂŒhrbar ist. Das ist auch der Sinn der Auseinandersetzung von Schopenhauer mit der Lehre von Augustinus, die in dem Satz gipfelte: : âDer Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.â Jeglichem Handeln liegt immer und stets der Wille, das heiĂt das Wollen zu Grunde, was an Nietzsches berĂŒhmten Satz erinnert: âDer Mensch will lieber das Nichts wollen, als nicht wollen.â Der Wille, verstanden nun als Wollen, ist eine AktivitĂ€t, die einen Grund, einen hinreichenden Grund hat und eine Folge oder Wirkung und beide, der Grund wie die Folgen in einem bewussten Cogito verankert, also bewusst sind oder bewusst gemacht werden können qua Selbstreflexion. Die Selbstverantwortung im Wollen grĂŒndet einmal in der empirischen Welt, insofern als das Wollen auf die Welt einwirkt, worin aber auch ein ideeller Part assoziiert ist, insofern man seine Vorstellungen von der Welt verĂ€ndern kann.
Betrachten wir das ganz kurz etwas detaillierter. Man kann eine ganze Reihe verschiedener Vorstellungen zum Thema Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau erwerben. Alle Vorstellungen sind Analogieketten, die jeweils mit Mann und Frau assoziieren. Wir kennen alle das Frauenbild der Hausfrau aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts, dem ein MĂ€nnerbild des arbeitenden und Mann und Frau mit Geld versorgenden Mannes assoziiert war. Weitet man die Analogie auf das Familienbild aus, dann arbeitete die Frau am Herd und am Laufstall, dann am Spielplatz und am Tisch, wo die Hausaufgaben erledigt wurden, fĂŒr den Kindergeburtstag usw. alles unentgeltlich, sie war abhĂ€ngig vom Ehegatten bis zum Tode, da sie keine Rententitel ansammeln konnte und bis in die 70er Jahre durfte sie ohne Zustimmung des Mannes keine Arbeit ĂŒbernehmen und also auch kein Eigentum akkumulieren und wenn doch, dann regelte das Steuergesetz ĂŒber das Ehegattensplitting, das Frauen höchstens in Teilzeit arbeiteten, da sonst der Lohnerwerb der Frau ĂŒber die Steuer wieder nichtig wurde.
Die Story resp. das Narrativ wie man heute sagt, könnte lĂ€nger sein, aber wir haben genug, um zu schreiben: diese Analogiekette mit ihren tausendendfachen Assoziationen, die sich in einem Frauenbild und dessen Wirklichkeit niedergeschlagen haben â ĂŒbrigens auch in dem gruseligen Frauenbild von Schopenhauer selbst â können bewusst gemacht und willentlich verĂ€ndert werden. Das ist der Geltungsbereich der Willensfreiheit bei Schopenhauer und in Bezug zu willentlichem Handeln kann natĂŒrlich auch vom Primat des Willen oder Wollen gesprochen werden; dann kommen wir aber sehr schnell an die Grenze zur Tautologie, wenn im Willen der Wille vorherrscht. Also lassen wir das mit dem Primat des Wollens, zumal es wesentlich wichtiger ist, uns auf die Voraussetzungen des Wollens und dessen Folgen zu fokussieren. Was Schopenhauer dem Willen beigegeben hat, macht ihn heute so interessant fĂŒr Themen wie Entscheidungsfindung, Kooperation, MultilateralitĂ€t und einige andere Themen mehr, auf die wir noch eingehen werden. Fassen wir den Geltungsbereich des Willens als Bereich bewusster Entscheidungen und Eigenverantwortung und nehmen beide in den Blick, dann spricht Schopenhauer zurecht ĂŒber eine intelligible Willensfreiheit in einer empirischen Welt, zu der auch der Erkenntnisgrund oder das Handlungsmotiv als bewusstes oder als potenziell bewusste Motivation einer Handlung gehören. Dann ist der Erkenntnisgrund auch ein Teil der empirischen Welt, also bereits eine vom Menschen ausgehende Erkenntnis einerseits, oder andererseits ein rein geistiger Erkenntnisgrund. So ordnet Schopenhauer dem Willen auch zwei intellektuelle VorgĂ€nge zu, den Verstand und die Vernunft.
Mit Verstand bezeichnet er das Urteil ĂŒber empirisch Wahrgenommenes, was in einer Art empirischer Beziehung zueinandersteht, etwa die unterschiedlichen Möglichkeiten, ein Ziel zu erreichen, durch verschiedene Geschwindigkeiten, WeglĂ€ngen und Risiken wie wir das tagtĂ€glich beurteilen und danach handeln oder uns der Hilfe eines digitalen Navigationssystems dafĂŒr bedienen. Hier erinnert Schopenhauer an den Begriff der Dianoiologie , die aus der Wahrnehmung, aus Beobachten und Urteilen besteht, spĂ€ter sich im wissenschaftlichen Diskurs aus Wahrnehmung, Beobachtung und Experiment bzw. Hypothesenbildung differenziert. Wenn Wissenschaft also nichts anderes ist, als die nach Regeln systematische Kombination wissenschaftsförmig geordneter Fragen, SchlĂŒsse und Urteile, dann befinden wir uns auf dem Feld der Dianoiologie in einer Form der vor-wissenschaftlichen Urteilsfindung. Hier werden also nicht einfach nur spontan und willkĂŒrlich Wahrnehmungen und Beobachtungen geordnet, sondern als wahrheitsfĂ€hige ReprĂ€sentation vorgestellt gleichsam wie Platon die Dianoia bestimmte als eine Art Zwischenstatus zwischen bloĂer individueller Meinung und wahrer Vernunfteinsicht.
Im Ăbergang zur Vernunft wird auch der Wille aus der Erfahrung von Handeln und Verantwortung prinzipiell vernĂŒnftig, da ja der Erkenntnisgrund des Handelns erst in seinen Folgen betrachtet werden kann, wenn er willentlich seinen Weg in die Praxis gefunden hat, denn nur dort trifft er auf IntersubjektivitĂ€t und damit auf seine Ăbereinstimmung oder Ablehnung, manchmal auf GleichgĂŒltigkeit. Wir trennen also nicht wie etwa Aristoteles zwischen âdianoetischen Tugendenâ und praktischen Tugenden, zwischen nicht-rational und rational strebenden Vermögen, wenngleich auch in dieser Trennung schon das Wollen als verbindendes Element sichtbar wird. Das ist umso wichtiger und von ganz entscheidender Bedeutung, wenn man zu einer praktischen Philosophie kommen will. Denn ohne den Willen und die daraus folgende Verantwortung ist ein Weg in die praktische Philosophie nicht nur versperrt, die Philosophie bleibt unbeteiligt an den wichtigen Prozessen, wenn sie nur einen Diskurs ĂŒber die ErkenntnisgrĂŒnde anbietet, ohne sich daran zu beteiligen, welche Möglichkeiten der willentlichen Umsetzung in Handlungen sich daraus ergeben.
Zwischen Meinung und wahrer Vernunfteinsicht liegt die komplette Welt als Wille und Vorstellung. Wenn in der Wirtschaft âbest practiseâ angestrebt wird, dann denkt die Wirtschaft nicht in IdentitĂ€ten, sondern in Analogieketten. Wenn benchmark Standards als Erkenntnis- und Entscheidungsgrundlagen herangezogen werden, dann ist dies ein Ăhnlichkeitsprinzip, welches auch Ă€hnlich ist den best Practises. Unsere Gesetze sind systematisierte Fall-Analogien, wie die Werke des architectus in der Antike Analogien, Muster der Idee des Schönen waren. Wir arbeiten mit und denken in wahrheitsfĂ€higen ReprĂ€sentation, in bestmöglichen, möglichst gerechten, möglichst erfolgreichen, möglichst guten ReprĂ€sentation unserer HandlungsgrĂŒnde; heute nennen wir das Zielvorstellungen. Modernes Denken im Alltag reprĂ€sentiert deshalb mehr die antike platonische Dianoiologie, als die aristotelische Alethiologie (siehe Wahrheitsbegriff als âAletheiaâ, Band I. Kap. 1: Wahrheit und SeinâŠ)
Betrachten wir den Alltag als in und auf die Empirie angewandtes Denken, dann kommen wir ohne den Willen und die Verantwortung nicht aus. Der Wille ist dann die Schnittstelle zwischen Denken und Handeln und nur so kann er auch die Grundlage fĂŒr eine Ethik, wie etwa die Pflichtenethik, abgeben. Die Dianologie ist gegrĂŒndet in Analogien und dem Willen als Entscheidungselement des Wahrscheinlichen. Der Mensch handelt, wenn er den Erkenntnisgrund seiner Entscheidung fĂŒr wahrscheinlich richtig, erfolgreich, gut, angemessen usw. erachtet. WĂŒrde er auf Sicherheit, auf Gewissheit und IdentitĂ€t, also Ăbereinstimmung von Erkenntnisgrund und Folgen zielen, wĂ€re er Wissenschaftler. Denn die moderne Wissenschaft arbeitet zwar heute mehr denn je mit Ăhnlichkeiten und Wahrscheinlichkeiten, aber anders als im Alltag, systematisiert die moderne Wissenschaft Ăhnlichkeiten und Wahrscheinlichkeit aufwendig in lange Ketten der Raum-Zeit-Beziehung, ohne die eine weitgehende Ăbereinstimmung von schwankender Gewissheit und bruchstĂŒckhafter Wirklichkeit nicht möglich ist. Die Minimalisierung der Differenzen zwischen intellectus und res haftet zwangslĂ€ufig dann auch in der Infinitesimalrechnung und ihren geistigen Derivaten.
Ăberall und allenthalben erfahren wir von der RelativitĂ€t des Alltags. Dahinter steht die Ontologie als Denkform der IdentitĂ€ten. Ihr geht es nicht um Ăhnlichkeiten und Wahrscheinlichkeiten, die sie rigoros einem unintellektuellen Denken, dem Denken des âManâ und âJedermannâ zuweist, ja geradezu als deren Ausweis und (Schein-) IdentitĂ€t betrachtet. Ontologie denkt in EntitĂ€ten, von denen Man und Jedermann nur zwei sind. Man und Jedermann sind also zwei Typen von EntitĂ€ten und man mĂŒsste sie konsequenterweise zur Tafel der Kategorien hinzufĂŒgen und unter Mensch einordnen. Denn Ontologien behaupten, dass nicht die Ăhnlichkeitsbeziehungen, sondern systematische, strukturelle Beziehungen der EntitĂ€ten untereinander existieren, und dies sowohl bei konkreten, empirischen Sachverhalten wie bei abstrakten, nicht durch sprachliche und schriftliche ĂuĂerungen zugĂ€nglichen Sachverhalten; wir unterscheiden damit nicht-empirisch und abstrakt auf der Basis einer einfachen, sinnlichen ZugĂ€nglichkeit. Denn Vorstellungen sind als innere Sachverhalte sinnlich nicht zugĂ€nglich, aber in der Rede und in der Schrift sind sie dies durchaus, wir haben dies durch die gesamte Philosophie des Daseins an den verschiedensten Stellen dargelegt.
Ontologie betrachtet GegenstÀnde, Eigenschaften, Sachverhalte, Ereignisse, Prozesse, Logik, Ethik, Metaphysik in ihren strukturellen Beziehungen und trÀgt diese strukturellen Beziehung wie eine innere Schicht auf ein Dasein auf. Sie werden zu Auslegungstypen und Seinsweisen, die verschiedenen Menschen zugeordnet werden. Dann gibt es die Seinsweisen der Wissenschaften als Auslegungen des Seins, die Seinsweise der Allgemeinheit, des Menschseins als Man und Jedermann usw. und beide stehen nebeneinander, als wÀren sie von gleicher Art, einer Art der unterschiedlichen Verstellung der Wahrheit im Schein wissenschaftlicher oder gemeiner Erkenntnisse. So einfach aber ist es nicht und so leicht lÀsst sich der Wille auch nicht abwerten, bei Schopenhauer jedenfalls wehrt er sich erfolgreich dagegen.
Der Wille ist frei im Wollen. Nichts kann ihm vorschreiben, etwas anderes zu sein, als was er ist, nĂ€mlich willkĂŒrlich im Wollen. Was jemand will, wohin jemand will, welches Ziel jemand erreichen will, das ist dem Willen als Erkenntnisgrund des Handelns bereits immanent. Man kann den Willen nicht von auĂen negieren, man kann ihn brechen durch Sanktionen, man kann ihn stumm machen, aber nicht ausschalten. Auch kann niemand selbst seinen Willen ausschalten und doch ist er, wie gesagt, verschieden von einem Trieb. Im Willen strebt der Mensch, seine Vorstellungen in eine soziale Interaktion oder in eine kontemplative Manifestation zu verwandeln, in die Tat umzusetzen oder in kĂŒnstlerischen Ausdrucksformen. Was wĂ€re ein Tanz ohne Willen? Ein GemĂ€lde, eine Musikkomposition, die Politik, die Philosophie ohne Willen?
Wir stehen einmal mehr vor dem PhĂ€nomen der KomplementaritĂ€t, dass der Wille eben keine âSacheâ ist, die dem intellectus, dem Verstand gegenĂŒber steht. WĂ€ren Verstand und Wille in eine Ăbereinkunft zu bringen, als Convenientia in eine Denkfigur wie z.B. die ontisch-ontologische Differenz zu bringen, dann wĂ€re auch so der Wille als Wille nicht verstanden, sondern seine Manifestationen wĂŒrden ontologisiert. Dem Willen aber ist ontologisch nicht beizukommen, denn nicht jede Bewegung im Tanz, im modernen Tanz, ist eine willkĂŒrliche Bewegung, nicht jede Note einer Komposition ist kalkuliert, nicht jedes Ergebnis eines Willensaktes ist intelligibel in den Willenshandlungen, also als zielgerichtetes, willensgesteuertes Handeln verstĂ€ndlich. Ach, wĂ€re es schön, wenn dies so wĂ€re, wenn man in der willentlichen Umsetzung von Zielen und Motiven in Resultate so einfach unterwegs wĂ€re. Ein blöder Wille wĂ€re unser treuer Begleiter und unser Handeln ein Behaviorismus. Aber so ist der Wille nicht, so ist allenfalls eine verkĂŒrzte Sicht darauf.
Die Psychologie sieht im Willen eine bewusste Entscheidung eines Individuums fĂŒr eine bestimmte Richtung, also fĂŒr zielgerichtetes Handeln und schlussfolgert richtig auf dieser Basisannahme, dass der Wille nichts anderes zur ĂuĂerung in eine Handlung bringt, als eben jene kognitiv verarbeitete Motivation, der ein âIchâ den Vorzug vor anderen Motivationen gegeben hat. Der Wille steht also wie ein KĂ€ufer im Supermarkt vor einem Regal, in dem Motivationen ausgelegt sind und wĂ€hlt die fĂŒr ihn gĂŒnstigste oder geeignetste und das warâs dann. Die Soziologie sieht ganz im Tunnelblick ihres Erkenntnisgrundes gefangen im Willen einen, der auf Gemeinschaften hinzielt und einen, der auf Gesellschaften hinzielt und begrĂŒndet aus beiden Willensformen das Primat des Willens gegenĂŒber dem Verstand im Voluntarismus. Die Juristerei nun wiederum hat sui generis ihrer eigenen Sache einen ganzen StrauĂ an Willenstypen identifiziert, einen Rechtsfolgewillen wie einen Besitzwillen, einen GeschĂ€ftswillen und auch einen Willensmangel, wenn Wille und ErklĂ€rung nicht ĂŒbereinstimmen. Dann gibt es auch einen bewussten und einen unbewussten Willensmangel sowie einen Willensvertreter, etwa ein Testament, als Ausdruck eines mutmaĂlichen Willens. Ăberall die gleiche Systematik, hier ein Wille, da die möglichen oder tatsĂ€chlichen Folgen. Das macht Ontologie in welcher Systematik auch immer, sie versucht ĂŒber Gleichheiten eine systemische Sicherheit im SchlieĂen und Urteilen zu finden, aber so ist der Wille nicht.
Dem Willen sind Sicherheit und Gleichheit liebenswerte Nebeneffekte innerhalb sozialer Interaktion. Er bevorzugt aber Ăhnlichkeiten und Wahrscheinlichkeiten deshalb, weil er um seine AnpassungsfĂ€higkeit und um seine FlexibilitĂ€t weiĂ. Der Wille ist daher richtig verstanden, wenn man ihn als eine interaktive Kraft versteht, die sich in stĂ€ndiger RĂŒckkopplung mit der Welt entfaltet und sich im sozialen Raum kurzschlieĂt. Was ist das fĂŒr ein Wille, der in seinen Handlungen auf einen oder verschiedene Mitmenschen trifft, und völlig unflexibel auf deren Interaktion reagiert? Das nannte man frĂŒher Durchsetzungskraft und bezeichnete so Menschen mit starkem Willen oder heute mit einem ausgeprĂ€gten autoritĂ€ren Charakter. FĂŒr den autoritĂ€ren Charakter geht es immer um Sein oder Nichtsein, um alle Formen von Exklusion im SchlieĂen und Urteilen. Sie tragen die Asymmetrien zwischen Ich und Anderem, zwischen den gesellschaftlichen Gruppen, zwischen Institutionen und Zivilgesellschaft in die Systematik der verschiedenen Lebensbereiche ein; so war das bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts. Alles stand in Konkurrenz zueinander, die Wahrheit mit der Unwahrheit, das Kapital mit der Arbeit, die Geschlechter-IdentitĂ€t mit der moralisch-sittlichen Verwerfung usw.
Die lexikalische Listung der Synonyme fĂŒr AutoritĂ€t summiert sich auf ĂŒber fĂŒnfhundert Analogien in achtundzwanzig verschiedenen Analogieketten, gleichsam fĂŒr jeden Lebensbereich mindestens eine. Sie systematisieren die verschiedenen Bedeutungen zu ganzen Gesellschafts- und Gemeinschaftsbereichen wie sie aus den vormodernen Epochen mit ihren StĂ€nde- bzw. Kastenordnungen, ihren Herrschaftsformen und politischen sowie religiösen Systemen in die Moderne hinĂŒbergenommen worden sind. Vieles von damals existiert also auch heute noch, vieles rudimentĂ€r, manches noch allgemein gĂŒltig. Ăber die generativen Bedeutungsanalogien der Macht haben wir gesprochen, sie organisieren Bereiche der Arbeit wie der Gemeinschaft in Assoziationen von Macht, FĂŒhrung, Kontrolle, StĂ€rke, Gewicht des Wortes oder der Entscheidung, Vermögen, Image, AutoritĂ€t, GĂŒltigkeit und Geltung, Achtung, Einwirkung und Willens- wie Durchsetzungskraft, WertschĂ€tzung, Machtbereiche im öffentlichen wie im privaten Leben, Prestige und Wichtigkeit sowie vielfĂ€ltige Formen der ökonomischen, rechtlichen und sozialen Beherrschung.
Zugleich aber erkennen wir in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fast ĂŒberall in Europa und der Welt, wie sich diese Assoziationsketten und systemischen Analogien beginnen aufzulösen. Und es sind gerade diese Auflösungserscheinungen und in der Folge deren Neu- und Umkodierungen, die uns deutlich zeigen, dass selbst in Jahrhunderte alten demokratischen Verfassungen in der Wirklichkeit recht undemokratische VerhĂ€ltnisse noch vorherrschten können. Die alten Bedeutungen von Herrschaft als Staatsmacht, als staatliche FĂŒhrung, Kontrolle und Gewalt, als Obrigkeit und WillkĂŒr staatlicher Institutionen sind beileibe nicht ganz verschwunden, haben sich aber doch sichtbar verĂ€ndert, vor allem durch den politischen Willen der Zivilgesellschaften. Es ist also der politische Wille, der sich in solchen VerhĂ€ltnissen bestĂ€tigt oder zu VerĂ€nderungen fĂŒhrt, in dem also die Vorstellungen assoziiert sind, die sich rĂŒckkoppeln und zur KonformitĂ€t wie zu VerĂ€nderungen bereit sind, was in politischen Wahlen sichtbar wird.
Wir können im Feld der sozialen Bedeutung eine Reihe verbundener Assoziationen erkennen, die das Ansehen einer Person auszeichnen, wie etwa die Stellung im Beruf, die berufliche und soziale Anerkennung ĂŒber Besitz, Ruf, Ansehen, Image einer Person, den Grad ihrer Verehrung in den Medien, von Ruhm und seinen Auszeichnungen, medialem Glanz, im Respekt vor ihrer Leistung und deren WertschĂ€tzung, selbst die Achtung aufgrund von Tugendhaftigkeit ist bei jungen Menschen heute wieder angestiegen. Und wer sonst, als der Wille bestĂ€tigt in seinen Einstellungen und den daraus folgenden Handlungen die normative Systematik wie auch deren Auslegung als ĂŒberholt oder unangemessen? Ohne den Willen kann und wird es keine Philosophie der Praxis geben, weder der individuellen, noch der sozialen und schon gar nicht der politischen Praxis. Auf den Willen im Rahmen philosophischer Reflexionen zu verzichten bedeutet, sich allein im Feld der Hermeneutik bewegen zu wollen. Das ist legitim, zumal die ErkenntnisgrĂŒnde sich fĂŒr die AuĂenstehenden und auch fĂŒr den WillenstrĂ€ger nicht an sich erschlieĂen. Die ĂŒberwiegend meisten Willenshandlungen und zahlreichen RĂŒckkopplungserfahrungen im sozialen Raum geben die wirklichen Assoziationen, die sich in den verschiedenen Motivationen verbergen, nicht sofort frei.
Freie Willensentscheidungen können zwar als solche wahrgenommen werden, nicht aber deren wahre Herkunft. Die Ontologie des Willens konstruiert sehr gerne die Selbstillusion sinnkonstituierender Systeme, selbst noch im Bewusstsein, dass alle Wahrheit sich relativ auf ein Dasein oder auf einen WillenstrĂ€ger bezieht, wird allenthalben noch am Glauben festgehalten, es gĂ€be zeitĂŒberdauernde, ewige Wahrheiten und IdentitĂ€ten. Was eigentlich immer Konstruktion, was bestenfalls eine Form der Dekonstruktion ist und daher in der Zeit jeweils von Moment zu Moment verschieden ist, kann mĂŒhelos auf Vorhandenes als dauerhaft BestĂ€ndiges bezogen werden. Dann belĂ€sst man es glĂŒcklich dabei, dass es dieses Vorhandene immer schon gegeben hat und es dies auch weiterhin geben wird und trĂ€gt es wie eine Monstranz vor sich her, ohne gewahr zu werden, dass allein ein Wille sich dagegen entschieden hat, nicht ein mangelndes VerstĂ€ndnis, es so zu belassen wie es war und wie es ist. Der Bogen ist ĂŒberspannt und Geschichte bzw. die Episteme der Analogien dient der Orientierung, der imitatio veterum, als reaktualisierte Differenzierung, was wir besonders heute als Wertediskussion erleiden mĂŒssen; wir kommen darauf zurĂŒck. In eben dieser Welt der Ontologien, die sich anmaĂen, die Grundstrukturen der Wirklichkeit als allgemeingĂŒltige Aussagen formulieren zu können und dabei im Strukturganzen des menschlichen Daseins ein fĂŒr alle Menschen allgemeingĂŒltiges Werkzeug des Denkens bereitzustellen, welches erlaubt, die Welt in ihren Struktur- und SinnzusammenhĂ€ngen zu verstehen, hat es der Wille âzur Machtâ nicht leicht. Verstehen wir diesen Willen zur Macht nicht als MĂ€chtigkeit, sondern als Handlungsoption und damit als Wille, der seine Möglichkeiten sucht, weil er das, was ist, bestĂ€tigen und verĂ€ndern kann will, dann wĂ€re dem Willen wieder TĂŒr und Tor geöffnet, jedenfalls einen Spalt breit.