Mythen der neoliberalen Ökonomie

Zu den Mythen der neoliberalen Ökonomie – wir verwenden den Ausdruck: neoliberale Ökonomie im Sinne der historischen Fortentwicklung der liberalen Marktwirtschaft – gehört im Kern der Ansatz, dass die Entwicklung der liberalen Marktwirtschaft, also eines Systems wirtschaftlichen Handelns auf der Grundlage der Liquidierung von Privateigentum innerhalb einer privatrechtlich verfassten Grundordnung, zugleich auch dem Wohlstand der Nation dient, also die soziale Wohlfahrt mit dem individuellen Wohlstand harmonisiert bzw. synchron verläuft. Harmonisierung meint sowohl einen Ausgleich bzw. eine Angleichung des individuellen Wohlstands wie die Angleichung der sozialen Wohlfahrt für alle Bürger. Diesen Ansatz der Harmonisierung der Lebensverhältnisse trägt auch die moderne Monetary Theory in sich mit allen Antinomien, die diesem Ansatz inhärent sind, und aus einer Vielzahl von strukturell asymmetrischen Bedingungen innerhalb einer sozialen Gemeinschaft herrühren, seien sie politisch-ökonomischer, wirtschaftlich, rechtlicher oder kultureller Art.

Der neoliberale Mythos der Gleichheit, der seinen Anfang in der Rechtsauffassung der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer demokratischen Staatsform genommen hat, wurde, wenig hinterfragt, einfach als innerer Kern der liberalen Marktwirtschaft übernommen. In dieser Wirtschaftsform wurde lange Zeit behauptet, dass die Spaltung einer Gesellschaft in wirtschaftlich reiche und arme Gruppen am besten harmonisierbar sei. Die Empirie hat aber gezeigt, dass mit der Angleichung der Lebensverhältnis, also einer rein mechanischen Betrachtung, dass immer mehr Menschen immer mehr verdienen und immer bessere Chancen in den soziale Wohlfahrtssystemen finden, nicht stimmt. Die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich vergrößert in den westlichen Marktwirtschaften, was heißt, dass immer weniger Reiche immer mehr Wohlstand erreichen und immer mehr Arme immer weniger an den Wohlfahrtsystemen angemessen partizipieren. Eine graduelle Abweichung davon haben wir versucht zu beschreiben in dem, was man gemeinhin als eine Soziale Marktwirtschaft bezeichnet.

An diesem neoliberalen Mythos will auch die EU als Ganze und die Eurozone im Besonderen gemessen werden. Und eben daran entzünden sich die schwersten Kritiken, die heute sowohl von der MMT wie auch vonseiten der kritischen Monetaristen ausformuliert werden, wobei die deutschen Vertreter dieser Denkmodelle langsam dazu kommen, Grundauffassungen von der MMT mit denen des akademischen Monetarismus zu verbinden . Deshalb kommen wir nicht umhin, uns weiter mit Denkmodellen zu beschäftigen, die die Welt nach Wynne Godley in einen privaten, einen öffentlichen Sektor und den Rest der Welt unterteilen. Diesem Denkmodell entsprechend führt die Asymmetrie zwischen Arm und Reich zu einer fundamentalen Störung des Prinzips des Homo oeconomicus, führt also zu einer strukturell immer schwächer werdenden Nachfrage, die immer weniger Wohlstand produziert und gleichzeitig durch steigende Arbeitslosigkeit und deren Alimentierung die Substanz der gesellschaftlichen Wohlfahrt im Kern bedroht. Holzschnittartig plädieren Autoren der MMT für eine Umverteilung des Wohlstandes und wissen einzig eine Betrachtung auf ihrer Seite, dass nämlich mit der Ausweitung der Wohlstands-Kluft sich auch die Wohlfahrt nicht mehr finanzieren lässt, selbst in Form einer höheren Steuer oder Sonderabgaben für die Reichen einer Gesellschaft; das ist mäßig.

Die Holzschnitte nehmen dann in summa noch zu, wenn es um die Wohlfahrt in den Ländern der Eurozone geht. Einig ist sich die MMT anscheinend darin, dem privaten Sektor jegliche Aussicht abzusprechen, die Harmonisierung von Arbeit zur sozialen Wohlfahrt jemals erreichen zu können. Und die MMT sieht im Faktor Arbeit als wichtigsten Teil des privaten Sektors eben jenen Spaltpilz der Gesellschaft, der zwar durch technische Innovationen und marktwirtschaftliche Dynamik am Wachstum gehindert werden kann, Innovation und Dynamik aber sind daselbst durch deren Angewiesenheit auf Liquidität und der dauernd damit verbundenen Gefahr der Inflation nicht in der Lage, auf mittlere bis lange Sicht Vollbeschäftigung zu garantieren.
Ein wenig wird man erinnert an die sozialdemokratischen Ideologien der 60er und 70er Jahre des letzten Jahrhunderts und wundert sich nicht schlecht, aus welcher Richtung und welchen Denkmodellen die wieder auf uns zu schwappen. Diese Modelle, die den Zeigerfinger der Vorsicht bei jedem Boom in der Realwirtschaft, bei jeder Blase in der Finanzwirtschaft hoch in die Luft recken, haben anscheinend immer noch nicht die innere Dynamik der Märkte in einer Marktwirtschaft verstanden. Die brauchen den Finger nicht, schon gar nicht einen, der von einem Verstand gesteuert wird, dem die Marktmechanismen nicht vertraut sind. Jeder Markt innerhalb einer marktwirtschaftlichen Ordnung hat ein Selbstkorrektiv, um überbordende Prozesse einzudämmen; das ist das Prinzip der Preise, sich nach oben und nach unten dynamisch anzugleichen. Wenn aber Phasen eines Booms sich ausbilden, dann sind es eben nicht die Preise und die anderen Marktmechanismen, die hier aussetzen, sondern politischen Regelungen, oder ausgebliebene, politische Regelungen, die dies verursachen. In der letzten großen Finanzkrise kamen dabei mehrere Faktoren der Politischen Ökonomie zusammen, die wir eingehend erklärt haben. Und so ist es auch bei der aktuellen Krise in Staaten der Eurozone.

So ist das Urteil der MMT, dass allein der öffentliche Sektor wesentlich beitragen könnte zur Vollbeschäftigung, geradezu ein Lehrbeispiel für mangelnde Kenntnisse und dies aus dem Munde ausgewiesener Ökonomen sogar kontraindiziert. Ohne einen Ansatz einer Politische Ökonomie werden dann aus der Giftküche die Rezepte für eine gesunde Ernährung entwickelt. Dann wird eben der Staat zum Allheilmittel gegen Rezessionen, die den Boom- und die Übertreibungsphasen der Wirtschaft strukturell begleiten. Dann glaubt man, der Staat könnte in Zeiten der Rezession, sofern seine „monetär-fiskalischen Regeln vernünftig ausgestaltet sind, die ausgefallene private durch eine erhöhte staatliche Nachfrage ersetzen, um so die Ökonomie [zu] stabilisieren.“ (Ehnts 2017)

Der Ruf nach mehr Staat wird dann um so lauter, je näher die MMT sich an die Eurozone heranwagt. Die westliche Ökonomik steht Kopf in manchen Auffassungen, vor allem in der, dass die Regierungen durch hemmungslose Ausgabenpolitik sich der Marktkontrolle durch die Finanzmärkte, die Devisenmärkte eingeschlossen, entziehen könnte. Das Bild von autonom über ihre Haushalte entscheidenden Regierungen, von Regierungen, die politisch und finanziell sowie in Sachen Haushaltsdisziplin, also von transnationaler Verbindlichkeit vernünftig motivierten Regierungen, ist ein fast schon metaphysisches Bild; jedenfalls keins von empirischer Wahrscheinlichkeit. Wann hat man je eine solche „Regierung“ in den letzten viertausend Jahren in der westlichen Welt gesehen oder von einer solchen gehört? Gewiss, für die Zukunft sollte alles vorstellbar sein, aber auch eine Wirklichkeit, die dieses Bild zur Grundlage hat? „Die Rezeption der MMT in Deutschland war bisher skeptisch bis ablehnend. Dies ist allerdings zu erwarten bei einer neuen Denkschule, die verschiedene Stränge neu kombiniert und dadurch natürlich alte Stränge gegen sich aufbringt.“ (Ehnts, 2015, S.99)
So oder ähnlich klingen des Öfteren die Erwiderungen auf Kritik, man sei zu neu und die anderen verstehen einen deshalb nicht; wie billig. Weder ist die MMT neu, noch ist sie zu brisant, zu disruptiv. Alles das ist sie nicht, gleichwohl einige Grundüberlegungen wert sind, angestellt zu werden. Die grundlegendste aber aller Überlegungen, dass allein der öffentliche Sektor, also der Staat über eine expansive Geldpolitik Vollbeschäftigung herstellen kann, ist nicht nur zu bezweifeln, sondern die fundamentale Kritik daran geht weit darüber hinaus.