Dollar und Krypto-WĂ€hrungen

Es werden wohl viele Blockchain Anwendungen realisiert werden. Dabei werden unserer Meinung nach die Digital Ledger Technologies (DLT) in der Breite und in der Tiefe der Anwendungen das Rennen machen. Vor allem im Non-Financial Segment, also im Bereich der Wirtschaft, der Industrie, der öffentlichen Verwaltungen, Gesundheit und im Bereich des privaten Konsums. FĂŒr die reinen KryptowĂ€hrungen, also die Blockchain Anwendungen, die sich mit dem Mining, also der Geldschöpfung beschĂ€ftigen, sehen wir noch keine klare Struktur in der Zukunft. Es wĂ€re nicht so unwahrscheinlich, wenn wie so oft in der Geschichte neuer Technologien mit vielfĂ€ltigen Anwendungsbereichen zuerst einmal eine Phase der Erprobung und Orientierungen ansetzt, die letztlich auf den MĂ€rkten entschieden wird, welche Anwendung sich schließlich durchsetzt.

Auf der Seite der Entwickler, sowohl der Unternehmen wie der GrĂŒnder bzw. der derzeitigen CEOs, und dies gilt auch bedingt fĂŒr die Risikokapitalgeber, herrscht noch der Zustand der Hybris mit ihren fatalen Folgen. Entwickler, die eine KryptowĂ€hrung herausgebracht haben und sogar teilweise mit ersten Erfolgen am Markt platzieren konnten, streiten sich nun wie die Kesselflicker, verklagen sich oder arbeiten nach der Trennung voneinander nun gegeneinander. BemĂŒhen wir zur Entlastung der Gedanken ein wenig die Mythologie, dann gleicht die Geldschöpfung sui generis der biblischen Geschichte von der unbefleckten EmpfĂ€ngnis, hat doch die Idee der Gelschöpfung heute etwas von einer Heiliggeistgeburt einiger heiliger MĂ€nner im digitalen Bethlehem Silicon Valley. War im Industriezeitalter noch der Homunculus , ein aus Maschinenteilen zusammengeschraubter Humanoide, dem sein Ingenieur selbst die Seele einhauchte – meist geschah dies durch Hochspannungs-ElektrizitĂ€t – so hat die DigitalwĂ€hrung heute den Golem abgelöst und natĂŒrlich so ĂŒbertroffen, dass der Geist sich seiner Absolutheit gewiss ist und somit auch eine perfekte Vorstellung ohne Referenzbild eines Menschen zu realisieren in der Lage ist.

Pygmalion und Golem hatten noch mythische VorstellungsmĂ€ngel, die neuen WĂ€hrungen sind perfekt. Perfekt deshalb, weil sie wie Phönix aus der Asche des verbrannten bzw. verstorbenen altĂ€gyptischen Osiris, aus dessen sterblichen Überresten wie denen der Banken und Zahlungsdienstleister immer wieder neu hervorgehen, wie stark und wie zahlreich auch deren Erscheinungsformen in der Wirklichkeit der alten WĂ€hrungen auch sein mögen. KryptowĂ€hrungen sind, nachdem einmal der Bitcoin erdacht worden ist, wie mutterlos geborene Töchter, allein gezeugt vom großen logos spermaticos des digitalen Denkens. Wenn jede Bank fasziniert davon trĂ€umt, einen eigenen Bankcoin auszugeben, dann trĂ€umt nicht nur eine GeschĂ€ftsbank davon, zugleich auch Notenbank zu sein. Wenn binnen weniger als fĂŒnf Jahren mehr als zwanzig KryptowĂ€hrungen entstehen und bis zur Marktreife gebracht werden, dann trĂ€umen deren Schöpfer nicht nur den Traum von der Schöpfung eines geldgenerierenden Algorithmus. Phönix, so trĂ€umen die neuen Bewohner der Krypto-Welt wie in der Mythologie, baute am Ende seines Lebens ein Netz, setzte sich hinein und brannte und nach dem Erlöschen der Flammen bleibt ein Ei, ein Algorithmus zurĂŒck, aus dem nach kurzer Zeit ein neuer Phönix schlĂŒpft. Das hat noch Erinnerung an das traditionelle BankengeschĂ€ft, wo Geld geschöpft wurde in Gutsherrenart. Aber es war eben nur Geld, was Banken schufen, keine WĂ€hrung; es war noch mangelhaft.

Der Traum der wachsenden Krypto-Gemeinde ist in seinen Vorstellungsbildern nicht mangelhaft; wie auch, wird doch eine WĂ€hrung hier qua Algorithmus aus dem Nichts geschaffen. Nicht Geld wie bei den verbrannten Banken, nein, eine WĂ€hrung. Wie in der SpĂ€tantike aus dem Phönix das Symbol der Unsterblichkeit wurde, weil er nun die FĂ€higkeit besaß, sich unendlich zu regenerieren, wenn Feinde ihn verwundet hatten, wie er bei den katholischen Christen zum Sinnbild der Auferstehung wurde, so findet der Traum von der digitalen Selbsterneuerung in der KryptowĂ€hrung seine nĂ€chtliche Selbstbefriedigung. So trĂ€umt die Krypto-Gemeinde vom Ende der IntermediĂ€re, dem Ende der Banken, Notenbanken eingeschlossen, und der Vermittlungsinstanz, die entscheidet, wer Zugang zur Welt der WĂ€hrungen und in welcher Höhe hat und wer nicht. Sie trĂ€umt von einer neuen Verteilungsgerechtigkeit, einer neuen Justitia Distributiva, die zugleich auch Justitia Commutativa ist, also das Höchstmaß an getrĂ€umter Schöpfermacht.

Was in den TrĂ€umen der Krypto-Welt nicht vorkommt, nicht vorkommen kann, ist das VerhĂ€ltnis von Politik und Wirtschaft, welches komplementĂ€r ist und bleibt. Betrachten wir die Bundesrepublik Deutschland, die wie kaum ein anderes Land aus den TrĂŒmmern des Zweiten Weltkriegs neu entstanden ist, dann steht wenig so paradigmatisch fĂŒr den Erfolg des deutschen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells wie das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft und die darin grundlegende Bestimmung des VerhĂ€ltnisses zwischen Politik und Wirtschaft. Es waren die Vorstellungen der Freiburger Schule der Nationalökonomie – wir haben ausfĂŒhrlich dazu gehandelt – wonach Wirtschaftspolitik apriori Ordnungspolitik ist. Apriori deshalb, weil Ordnungs- bzw. Gesetzgebungs- und also Machtpolitik Vorstellungen verwirklicht, die einer unparteiischen Schaffung von ordnungspolitischen Rahmenbedingungen fĂŒr individuelles wirtschaftliches Handeln folgen. Das will die Krypto-Welt nicht. Aber nicht als ein bewusst verneinender Wille oder ein revolutionĂ€res Bewusstsein, sie will nicht nur die Banken abschaffen, sondern die dezentrale Struktur der Blockchain Technologie trifft die Politik selbst als Ganze. Die Vorstellungswelt der Krypto-Technologie ist, ohne eine zentrale Instanz von Macht, also von Politik, die dies an und fĂŒr sich immer ist, auszukommen. Das ist der Sinn der Dezentralisierung der WĂ€hrungen, Geld zu schöpfen aus sich selbst heraus, ohne politische Rahmenbedingungen. Aber diesen Traum trĂ€umten auch die Banker, vor allem der Deutschen Bank und haben sich in ihrer eigenen Hybris derart verheddert, dass allein aus den SchĂ€den des Investmentbankings herauszukommen eine schier endlose Aufgabe scheint, kommt nicht der Staat in Form von Staatsanwaltschaften verschiedener LĂ€nder und amnestiert das HĂ€uflein brennender Asche mit Hauptsitz Frankfurt am Main.

Eucken, Böhm und RĂŒstow, um nur die wichtigsten zu nennen, hatten den scholastischen Ordo-Gedanken im Hinterkopf, als sie das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft entwarfen. Der Freiburger Kreis hatte bei seinen Überlegungen einer neuer Wirtschaftsordnung nicht nur den Begriff Ordnung als abstrakten Begriff aus der scholastischen Denktradition im Auge, sondern war vielmehr beeindruckt von der nationalsozialistischen Denktradition und deren Folgen. Da konnte kein „FĂŒhrerprinzip“ mehr Raum in der Vorstellungswelt erringen, ihre Welt war eine, wo Ordnung nicht im Gegensatz zum Individuum steht. Oft findet man in der Literatur zu den ‚Freiburgern‘ den Irrtum aufgeschrieben, Euckens Ordo-Begriff stĂŒnde im Gegensatz zu dem der Scholastik; mitnichten . Eucken hatte sowohl eine metaphysische Legitimierung des Ordo-Begriffes als auch seine ökonomische Ausrichtung im Blick, aber von der Metaphysik wollten und wollen bis heute die Autoren aus den angelsĂ€chsischen Sprachgebieten nichts hören. Eucken betont ausdrĂŒcklich die metaphysische Dimension des Ordo-Gedankens. Dies bezeugt er in einem Brief aus dem Jahr 1943 an Alexander RĂŒstow: „Nicht dadurch verfiel m. E. der Liberalismus, dass er religiös-metaphysisch fundiert war. Im Gegenteil. Sobald er seinen religiös-metaphysischen Gehalt verlor, verfiel er – was sich nun ganz genau historisch und systematisch erweisen lĂ€sst.“ Und Ă€hnlich wird es der Krypto-Welt ergehen. Ohne Metaphysik, ohne eine Idee einer Ordnung, in der eine freie und soziale Marktwirtschaft sich vom Individuum ausgehend entfalten kann, wird die Marktwirtschaft zur Freiheit selbst, zum Prinzip des Laissez-faire.

In der Tat lehnt Eucken, wie Nils Goldschmidt in seiner Untersuchung gezeigt hat, nur den Laissez-faire Liberalismus ab, sein Harmonie-Denken und dessen wirtschaftspolitische Konzeption, jedoch nicht die Intention und die Suche nach der „freien natĂŒrlichen gottgewollten Ordnung“ . Diese Idee kommt deutlich im folgenden Zitat zum Ausdruck: „Der Wirtschaftspolitik des Laissez-faire lag ein großer Gedanke zugrunde. Freiheit soll gegeben werden, damit sich die natĂŒrliche, gottgewollte Ordnung entwickelt“. Eucken fĂŒgt dennoch hinzu, dass diese Wirtschaftspolitik „nicht das erreichte, was sie wollte“: „Und auch eine freie, natĂŒrliche Ordnung entsteht nicht einfach dadurch, dass die Wirtschaftspolitik ihre Verwirklichung der Entwicklung ĂŒberlĂ€sst – sondern nur dann, wenn sie selbst darauf gerichtet [ist].“ Aber worauf ist die in Dezentralisierung sich entwickelnde Krypto-Welt gerichtet? Wir sahen, sie hat keine Richtung, sie kann gar keine Richtung und damit auch keine Orientierung haben anders, als auf sich selbst gerichtet zu sein. Sie hat und kennt in RekursivitĂ€t kein „Anderes“ außerhalb seiner selbst, sie hat kein „heteron“, nicht einmal ein wirklich von sich selbst Verschiedenes. In der Un-Ordnung des Laissez-faire ist Wirtschaft ein Tangle, ein Netz von Notes, von Knotenpunkten, die immer nur in eine Richtung zeigen, auf sich zurĂŒck. In diesem Netz von Nodes sind alle gleich, insofern es nur um eine einzige Sache geht, um universelles Geld. Und das war schon das VerhĂ€ngnis der Banken zu glauben, es ginge lediglich um Geld, und wer Geld zu schaffen in der Lage ist, dem gehöre die Welt.

Die Deutschland AG war auf dem besten Wege, eine Welt AG zu werden, bis dass die Deutsche Bank sich verhob im Investmentbanking. Nun verheben sich die modernen, digitalen Geldmacher an ihrer eigenen Idee, zu glauben an eine reine Selbstverantwortung, die ohne Staat auskommt. Das klingt in den Ohren der Krypto-Gemeinde vielversprechend, ja ist das einzige Versprechen, welches sich weder aus der WĂŒrde einer Person noch aus dem Apriori einer gesellschaftlichen Idee ableitet bzw. auf etwas außerhalb ihrer selbst bezieht. Kein Zufall, dass Mark Zuckerberg in seinen Kreisen auch schon mal Mr. God genannt wird.

Kam Eucken in seiner metaphysischen Grundlegung der Marktwirtschaft noch ganz ohne Gott aus, so scheint die Krypto-Welt ein höchstes Wesen wieder zu brauchen. Einen Demiurgen, wie wir ihn von Platon aus unserem ersten Band her kennen (Band I. Kap. 1: Raum. Zeit
), der zwar nicht wie bei Platon agiert, aber einen, der wie der Demiurg der Neuplatoniker sich als ein Weltbaumeister und Allvater eines neuen Zeitalters geriert. Eines gerade angebrochenen Zeitalters der Digitalisierung, in dem eine Form der Transsubstantiation stattfindet, wo Ideen nur noch in ihren digitalen Formen Wirklichkeit werden, wo die Verwandlung von etwas göttlich Virtuellen ins irdisch Reale stattfindet, wie dies die neue Geldschöpfung in KryptowĂ€hrungen vorstellt. Leider ist aus dem neuplatonischen Demiurg etwas spĂ€ter dann der gnostische Demiurg geworden und so scheint auch bei der neuen Geldschöpfung im neuen Bauplan der göttlichen Idee vom Geld fehlerhafter, verunreinigter Code sich eingeschlichen zu haben. Die Idee einer neuen Weltordnung des Geldes, einer neuen WĂ€hrungsordnung, die auf der Abschaffung jeder Ordnung des Geldes abzielt, ist mehr als nur anmaßend. Sie gleicht dem bösen demiurgischen Gott der Gnostiker, die ihn mit dem Gott des Alten Testaments gleichsetzen, der die Menschen im Zustand der Unkenntnis in der materiellen Welt belĂ€sst und ihre Versuche, Wissen und Einsicht zu erlangen, hart bestraft.

Wenn so bei einer Transaktion von einem in ein anderes WĂ€hrungsgebiet Wechselkursumrechnungen stattfinden bei einer KryptowĂ€hrung, wer weiß dann, welcher Kurs gerade angewendet worden ist? Niemand kann das wissen und eine Einsicht in die Wechselkursberechnungen kann es ja per definitionem schon nicht geben. Man stelle sich vor, es kommt zu Bankcoins und jedes nur einigermaßen großes Institut hat „seinen“ Coin, dann mĂŒssten die Kunden sehr sicher sein, dass eine Ordnungsinstanz ĂŒber die Wechselkursschwankungen wacht und alle Bankcoins in dieser Hinsicht auch auf die Einhaltung des Wechselkurs-Bandes ĂŒberprĂŒft. Aber wie soll das gewĂ€hrleistet werden, wenn KryptowĂ€hrungen nicht in den jeweiligen nationalen Notenbanken verankert sind? FĂŒr die ausgebende Bank wĂ€re dies nicht nur praktikabel, sondern höchst profitabel, wenn sie allein den Wert der KryptowĂ€hrung gegenĂŒber ihren Kunden bzw. Transaktionen bestimmt; aber daran glauben heute selbst die Banker mit der grĂ¶ĂŸten Hybris nicht mehr so richtig.

Und geradezu schicksalshaft mutet an, dass die neuen WĂ€hrungen am Ende sowohl ein technologischer wie ein politischer RĂŒckschritt sind. Staat und private Unternehmen sind heute global vernetzte Systeme wie die BĂŒrger eines Wirtschaftsraumes wie etwa die EU ebenso. Fuhr man frĂŒher nach Italien in ein fremdes Land, verbrachte dort seinen Urlaub und brachte die Herrlichkeiten der italienischen Kultur und Erinnerungen an die Köstlichkeiten seiner KĂŒche sowie die beeindruckenden Gewohnheiten des Dolce Vita mit nach Hause, so sind Italiener heute mit Deutschen tagtĂ€glich verbunden, sei es durch die Fragen der Migration oder der Staatsschulden. Das Silicon Valley aber scheint bei der digitalen Transformation des Geldsystems nicht realisiert zu haben, wie vernetzt und dadurch wie verletzlich die digitale Gesellschaft geworden ist. Alle sind daran beteiligt, die Digitalisierung soweit voranzutreiben, dass sie unser ganzes Leben erfĂŒllt, nun auch auf unser Geldsystem ĂŒbergreift, und damit die BĂŒrger in einen umfassenden und vernetzten Datenzusammenhang stellt, denn mit dem Geld als universellen Zahlungssystem ist nun auch unser gesamtes Konsum- und Freizeitverhalten transparent und fĂŒr jeden, der Zugriff auf die Daten hat, luzide. Selbst wenn die Intention nur war, geringere Kosten- und höhere Gewinneffekte zu erzielen, das Verhalten der BĂŒrger wird in der Digitalwirtschaft zur DispositiongrĂ¶ĂŸe. Und, unfĂ€hig zur Kooperation, wird der Wettbewerb der Digitalkonzerne zum RĂŒstungswettlauf um die letzten Skaleneffekte, fĂŒr die die BĂŒrger mit ihren Daten herhalten mĂŒssen. Jeder will noch mehr wissen als in den durchschnittlich 40 000 DatensĂ€tzen pro BĂŒrger bereits gespeichert sind. So wird die digitale Wirtschaft fĂŒr jeden BĂŒrger weniger stabil, weniger unangreifbar, und er oder sie mehr abhĂ€ngig, unwillkĂŒrlich.

Wir haben die neuen WĂ€hrungen in dem alten Ordnungssystem aus Notenbanken und GeschĂ€ftsbanken diskutiert. Wir haben dabei stets das Primat der Politik im Sinne der Justitia Distributiva gegenĂŒber der Justitia Commutativa, also der Wirtschaft betont und ĂŒberlegt, ob aus diesem komplementĂ€ren VerhĂ€ltnis ein Ausgang besteht, der eine bessere Ordnung oder einen besseren Umgang zwischen Mensch und Welt und zwischen Menschen untereinander auf der Ebene der Wirtschaft sichtbar wird. Nun behaupten die Apologeten der KryptowĂ€hrungen, es ginge gut, es brĂ€uchte die alte Ordnung des Geldes nicht mehr in der neuen Zeit. Die, die das neue Geld schöpfen, erklĂ€ren sich selbstbewusst fĂŒr nicht zustĂ€ndig fĂŒr Regeln, nach denen wir mit dem neuen Geld verfahren; es gibt, außer den Regeln der Geldschöpfung selbst, also außerhalb der Algorithmen und der Proof-Mechanismen, ĂŒberhaupt keine Regeln mehr; das Virtuelle ist das Reale. Die Dezentralisierung von Ordnung und Regeln geht davon aus, dass eine erfolgreiche Gesellschaft lediglich Algorithmen als „unsichtbare Hand“ braucht, dass Erfolg immer subjektiv ist und das Gemeinwohl ein Ergebnis aus der Summe aller subjektiven Handlungen ausmacht. So wird aus der KomplementaritĂ€t von Politik und Wirtschaft die IdentitĂ€t zwischen Wirtschaft und Politik im wirtschaftlichen Laissez-faire. Und wo bleibt dann also die Politik?

Jeden Ordnungsrahmen gleichsam abzusetzen, das Primat der Politik aus- und das Primat der Wirtschaft an dessen Stelle zu setzen, macht Wirtschaften zu einer bedingungslosen Angelegenheit. Aber wer setzt dann noch Regeln, wer kontrolliert die Wirtschaft und wer kann dann noch demokratische Kontrolle ausĂŒben? Solche Allmachtsgedanken – wir sahen das bereits in unseren Darlegungen zum „Milgram-Experiment“ (Bd. I. Kap. 6: Macht bewusst) – waren auch schon im Industriezeitalter in Wirtschaftskreisen nicht fremd. Nun belassen es die WĂ€hrungsschöpfer nicht bei kalkulierter Gesetzesverletzung, nun gehen sie aufs Ganze und setzen sich selbst als selbst gewĂ€hlte, als eine gesetzte Ordnungskraft aus eigenem Willen. Noch glaubt die chinesische Regierung an die WillfĂ€hrigkeit ihrer Technologiekonzerne und ruft, wie aktuell z.B. im Falle von Tencent zu milliardenschweren Investitionen in neue Infrastrukturen wie Cloud-Computing, KĂŒnstliche Intelligenz und Cybersicherheit auf; und die Konzerne folgen dem Ruf, noch Ă€ngstlich in der Vorstellung von Widerstand. Und so handeln US-amerikanische Konzerne und folgen der Aufforderung ihrer Regierung, nach Indien und Europa, resp. Deutschland zu gehen und dort das neue Geldsystem einzufĂŒhren bzw. eine globale EinfĂŒhrung digitaler Transaktionen auf der Basis neuer WĂ€hrungen wie etwa Libra zu testen.