Heute eine Philosophie des menschlichen Daseins zu entwerfen, scheint höchst zweifelhaft. Wer braucht so etwas? So fragen nicht nur solche Menschen, die mit dem, was sie aus der philosophischen Ăffentlichkeit in jĂŒngeren Zeiten erreicht hat, wenig anfangen können; so fragen auch wir. Die philosophische Ăffentlichkeit, wenn es denn ĂŒberhaupt eine gibt, die mehr sein will, als telegen oder ein unterhaltsames GesprĂ€ch ĂŒber Gedrucktes mit Ratschlags-Charakter, ist recht still geworden und formuliert wohl gerne im Diskreten. Aber was aus den Hinterzimmern der philosophischen Institute dann doch einmal zu uns herĂŒberklingt, ist wenig involviert in die Dinge, die tĂ€glich um uns herum passieren. Und wenn doch, dann kommt sie als Sammlung von vermeintlichen Lebensweisheiten und eben RatschlĂ€gen fĂŒr ein besseres, vielleicht gelungeneres Leben daher, gerne auch im Mantel einer vermeintlich noch notwendigen Ethik.
Und dabei war ein âgelungenes Lebenâ dereinst im antiken Griechenland die höchste Stufe des GlĂŒcks im Dasein der Menschen, zumindest galt dies eine ganze Zeit lang so. Die Frage, was zu einem gelungenen Leben wohl dazugehört, beantwortet heute nicht mehr die Philosophie, sondern philosophische Ratgeber. Philosophie beschĂ€ftigt sich vornehm diskret mit der Spreche, mit sprachlichen Aussagen und sprachlichen Urteilen. Immerhin geht es dabei wenigstens rudimentĂ€r um die Wahrheit und nicht um fĂŒr den Menschen vorderhand bloĂ NĂŒtzliches. Wenngleich der zutiefst philosophische Begriff der Wahrheit in seiner grundsĂ€tzlichen Dimension zum Ur-Repertoire der Philosophie gehört; allein mit der Wahrheit lockt man niemanden mehr vom Sofa oder erschreckt ihn gar so sehr, dass er den Kopf zum Nachdenken neigte. Apropos nachdenken; das ist einigermaĂen auĂer Mode gekommen, trotzdem werben wir um jedes Gramm der menschlichen Vernunft, dieser dem Menschen treusteten GefĂ€hrtin, die ihn all die Jahrtausende begleitet hat, immer auf seine glĂŒckliche Entwicklung bedacht und selbst nach schweren Kritiken, harten Auseinandersetzungen und den ganzen feindlichen Ăbernahmen durch Religion und Wissenschaften sich nicht ganz vom Menschen abgewendet hat, gleichwohl dies nun so scheint und auch nicht ganz unwahrscheinlich am Ende sogar gelingt. Aber dann geht es um so mehr um die Frage nach einem gelungenen Leben.
Dass heute tatsĂ€chlich darĂŒber nachgedacht wird, dass Menschen mit Vernunft und Urteilsvermögen hinter kĂŒnstlicher Intelligenz (KI) zurĂŒcktreten werden und Platz auf ZuschauerbĂ€nken und Beifahrersitzen nehmen dĂŒrfen und dies nicht einmal alle Menschen erschreckt, ist erschreckend. Man traut der Vernunft heute wenig noch zu. Wenn Philosophie sich aber auch hartnĂ€ckig gestrĂ€ubt hat, vor allem in ihrer jĂŒngeren, akademischen Geschichte, Themen wie Arbeit, InterkulturalitĂ€t, individuellen Wohlstand und gesellschaftliche, kollektive Wohlfahrt zu behandeln, dann wundert niemanden mit philosophischer Leidenschaft und Interesse am Dasein der Menschen, dass Philosophie nicht mehr zur ersten LektĂŒre gehört und oben auf der öffentlichen Diskurs-Agenda steht.
In schöner, selbstgefĂ€lliger Abstinenz hat Philosophie sich der Themen verweigert, die die Menschen tagtĂ€glich beschĂ€ftigen, um elitĂ€r verschlossen sich um sich selbst zu kĂŒmmern. Philosophische Werke lesen sich neuerdings entweder wie eine Zitatensammlung, wenn es hoch kommt wie eine, in der nicht nur ein Autor in seiner geschichtlichen Dimension bis Aristoteles zurĂŒck, sondern viele, mehrere in der RĂŒckschau auf verschiedene Denkmuster und Systeme vorgestellt werden. Und dabei gab es Hinweise auf mehr relevante Themen. An oberster Stelle frustriert, dass zum Thema Arbeit und den damit verbundenen, politischen, kulturellen wie ökonomischen VerhĂ€ltnissen, in denen der Mensch nach wie vor und seit Urzeiten sein Leben lebt, die gesamte Zunft der modernen Denker kaum etwas Nennenswertes nach Karl Marxâ Kapital zu Wege gebracht hat.
Mit Siegmund Freud wollte man sich auĂer in einer kurzen Phase des Poststrukturalismusâ nicht beschĂ€ftigen. Zu sehr haftete der Psychoanalyse doch der Makel einer untiefen Einzelwissenschaft an. Und das Dilemma mit den Einzelwissenschaften hat dann seinerseits zur fehlenden Relevanz der Philosophie beigetragen. Nicht, dass die Philosophie nicht in einer Art vorauseilender Selbstbeschneidung ihrer Möglichkeiten ordentlich Vorschub dahingehend geleistet hat, dass die Einzelwissenschaften nun das Denken komplett ĂŒbernommen haben, sie hat damit zugleich auch ihr gesamtes âErstes Denkenâ, die Prima Philosophia resp. die Metaphysik den Einzelwissenschaften und ihren willfĂ€hrigen Dienern, den technischen und wissenschaftlichen Fortschritten der Fachdisziplinen ĂŒberlassen, also hauptsĂ€chlich den Ingenieuren und neuerdings den Programmierern.
Nun mĂŒssen wir dem Irrtum gleich vorbeugen, bei den Einzelwissenschaften handelte es sich um viele; dem ist nicht so. Selbst die modernen Humanwissenschaften befleiĂigen sich mĂŒhsam, den Naturwissenschaften nachzueifern und nur noch gelten zu lassen, was man âsehen und anfassenâ kann. Anfassen, das war dereinst jene Zugangsart, die man mit sinnlichem Erfassen bezeichnet hat, also Sehen, Hören, Greifen, Schmecken usw. Das war, philosophisch gesprochen, stets der scheinbar unmittelbarste Zugang zum Sein, aber eben nur scheinbar. Und gerade dieser Zugang soll jetzt komplett die Oberhand ĂŒber die Philosophie gewinnen?
SpĂ€testens Newton hat dem Denken einen ordentlichen Schock versetzt, dann kam Freud und meinte, dem Primat der Vernunft endgĂŒltig den Garaus gemacht zu haben. Das meinten aber bereits viele Denkschulen vorher schon, nicht zuletzt die zahllosen Religionslehren. Was hat man dem Denken zu allen Zeiten nur zugemutet, wie wurde ihm teils aggressiv zugesetzt? WĂ€ren Sie die Vernunft, was hĂ€tten Sie getan? Das Weite gesucht?
WĂ€hrend sich so langsam herausstellt, dass die modernen Einzelwissenschaften nicht nur Segen ĂŒber die Menschen gebracht haben, gleichwohl und ohne Zweifel der viel zitierte Fortschritt der Moderne ohne die modernen Wissenschaften nicht stattgefunden hĂ€tte; jedenfalls nicht so. Wir werden es nicht herausfinden, wie es gewesen wĂ€re, wenn es den technischen und den technologischen Fortschritt nicht so gegeben hĂ€tte, was an diesem komplexen Geschehen nach MaĂgabe einer vernĂŒnftigen Ăbersicht und Beurteilung Bestand hĂ€tte. Was wir wissen, ist, dass es den Traum von einer philosophischen Vernunft, die das Geschehen in den vielzĂ€hligen Einzelwissenschaften ĂŒberblicken und ontologisch bewerten kann, nicht gibt. Hat es sie jemals wirklich gegeben? Nun, da wir das wissen, fragen wir uns, ob nicht als eine Folge des Fehlens einer Meta-Vernunft unser Dasein wie ein trudelnder Asteroid halt- und ziellos seine Bahnen zieht, jederzeit in der Gefahr, abzustĂŒrzen und zu verglĂŒhen.
Durchgesetzt hat sich die Auffassung, dass die Einzelwissenschaften, insofern sie auch fĂŒr die Fehlentwicklungen verantwortlich zeichnen, selbstverstĂ€ndlich auch die Aufgabe haben, ihre selbstverschuldeten UnzulĂ€nglichkeiten anzugehen und zu beheben. Es hilft kein Klagen ĂŒber die Abwesenheit einer Supervernunft, die Nachkommen der Metaphysik sitzen nunmehr alleine um den Tisch herum und beraten die Zukunft. Mit den Wissenschaften haben wir also eine ganze Reihe von âWahrheitenâ, in der Runde, die sich in guter alter Manier gegenseitig gelegentlich, meist aber mit sich selbst streiten. So nur auf sich selbst gerichtet, entwickeln sich aus zufĂ€lligen Hypothesen und Ansichten, aus einem wackeligen Konglomerat von Vorstellungen ganze wissenschaftliche Systeme und bleiben doch vorĂŒbergehend wie junge Lebewesen in der frĂŒhen Entwicklung stecken.
Gleichwohl es zur Moderne gehört, Erkenntnisse und Methoden und deren Gewinnung aus unterschiedlichen Wissenschaften zu berĂŒcksichtigen, ja sogar in die eigene Systematik einzubinden, so ist dies weder selbstverstĂ€ndlich Usus noch systemĂŒberschreitend in den meisten FĂ€llen. Einzelwissenschaften finden ihre Systeme in der fortschreitenden Verfeinerung ihrer immanenten, logischen ZusammenhĂ€nge.
Dagegen hat Philosophie nicht mehr viel in der Hand, ist doch die groĂe heroische Zeit der philosophischen Systeme vorbei. So schaut sie zurĂŒck auf bessere Zeiten, als ihr erster, groĂer Systematiker Aristoteles wirkte und die aristotelische Logik Generationen nachfolgender Denker Halt gab. Ach, was waren das fĂŒr Zeiten stolzer Gedanken, als Philosophie noch in Systemen dachte, nach-aristotelisch dann ihren Höhepunkt fand in den Systemen des Transzendentalen Idealismus oder in kritischer Hinsicht im System der politischen Ăkonomie. Stets ging es darum, die Welt zu erklĂ€ren und dabei sowohl ihren wie auch den systemischen Charakter ihrer ErklĂ€rung wie ein Apriori vor sich herzutragen. Zahllose Ontologien lösten die griechischen Metaphysiken ab und wir sehen wenig Sinn darin, diesen neue hinzuzufĂŒgen. Wir haben genug von den SĂ€tzen: âdas ist dasâ, die sich zu Systemen selbstgefĂ€llig hochputschen, die in ihren ultimativen modernen Formen als Systeme des Unsystematischen daherkommen. Heidegger, der Meister und Magier moderner Ontologien steht Pate in der Nachfolge Aristotelesâ und an seiner Philosophie von Sein und Zeit reiben sich die postmodernen Schulen, trennen sich in affirmative Apologeten auf der einen, beiĂende Kritiker auf der anderen Seite. Aber was, wenn Ontologien allesamt unter demselben leiden?
Systeme und dazu gehören die philosophischen Ontologien von der Antike bis in unsere Zeiten hinein, das sind gewissermaĂen die âfensterlosen Monadenâ des Denkens. Ontologien sind ohne Ideen fĂŒr eine Umkehr. Auch sie, selbst wenn in ihnen von Ăffnungen die Rede ist, bleiben system-affin mindestens. Ihnen fehlen schon aus SystemgrĂŒnden die Ideen, die ĂŒber sie grundsĂ€tzlich hinausgehen und somit die Transzendenz. Ideen, das lernen wir bei Platon, und vor dem wir uns an dieser Stelle tief verneigen, sind Ăffnungen. Deshalb haben Ontologien selten mehr als eine Idee, die sie in einem systematischen Zusammenhang vorstellen, weil eine zweite sogleich das System sprengen wĂŒrde. Warum nicht auf Systeme verzichten? Zugunsten von Ideen; wir sehen, man bekommt auch etwas fĂŒr den Verzicht.
Auf ontologische Systeme zu verzichten erschlieĂt Ideen; man wird Ideensammler.
So schaut man zurĂŒck auf bestehende Ideen, nach vorne auf Ideen, die sich noch nicht durchgesetzt haben, auf neue Ideen, die man auch als wesensmĂ€Ăige, zum Dasein zugehörige Möglichkeiten nennen kann. Man schaut von den Ideen in viele, in möglichst alle gangbaren Richtungen, betrachtet sie aus unterschiedlichen Perspektiven in unterschiedlichen ZusammenhĂ€ngen; so wird dann aus einem platonischen Denken ein eklektizistisches. Und wenn es in der Geschichte der Philosophie bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts zwei unverzeihliche Weisen des Denkens gab, dann waren das der Platonismus und die Eklektik. Man war natĂŒrlich Materialist oder PhĂ€nomenologe, aber doch kein Platonist, einer, der dem Abstraktesten folgte, was Denken anzubieten hatte; eben Ideen. Und dies noch dazu in unsystematischer Weise zu tun, umherzuschweifen in Gedanken, Vorstellungen und losen ZusammenhĂ€ngen wie ein Nomade unterwegs, ohne Wege, ohne festen Boden.
Wer also bisher diesen einleitenden Gedanken gefolgt ist und partout ablehnt, etwas mit Ideensammlern zu tun haben zu wollen, der sollte an dieser Stelle den Text verlassen. Wer dem Text folgen möchte, empfindet keine Scham dabei, Platonist zu sein und obendrauf noch Eklektiker, also einer, der nicht einmal systematisch sucht, sondern eher zufĂ€llig findet, wobei der Zufall in diesem Sinne meint, dass man nie anders, denn zufĂ€llig zu etwas kommt, hat man ja nie den gesamten Ăberblick ĂŒber alles Mögliche. So bleibt denn auch nichts anderes, als mit dem, was einem möglich erscheint, umzugehen. Dieser Umgang ist, das Mögliche, das einem erscheint, einzusammeln und nach allen Seiten hin zu betrachten, aber vor allem, in andere ZusammenhĂ€nge zu stellen, als jenen, die es uns so wie es ist erscheinen lassen. Da wir also nicht davon ausgehen, dass es ein Superwissen gibt und wir darĂŒber verfĂŒgen, denken wir wie Eklektiker nun einmal denken; wir nehmen, was andere, hier die Einzelwissenschaften und die Philosophie gedacht haben, wie bare MĂŒnze und stellen das in andere, wenn möglich neue ZusammenhĂ€nge. Wir sind eben nicht der Meinung, dass in unserer modernen Zeit Wissen und Wahrheit fehlen, dass die Zeit quasi dumm ist, unvollstĂ€ndig und auf eine oberste bzw. tiefste Wahrheit wartet.
Wer offenen Auges durch unsere Zeit geht muss feststellen, dass es an Wissen selten fehlt. Es ist bereits alles, was heute möglich ist, ausreichend mindestens gedacht.
Wer von uns weiĂ es besser als der Physiker und der Mathematiker, die uns das Universum erklĂ€ren und Menschen zum Mond hin- und zurĂŒckbringen? Wer sagt besser das Wetter voraus als die Meteorologen mit ihren groĂrechner-gestĂŒtzten Simulationen; wer kennt sich besser aus in unseren leiblichen Angelegenheiten als Internisten, Chirurgen, Biologen und Chemiker? Die Welt bzw. die Menschen sind nicht dumm, so sie Wissenschaft betreiben und deren Erkenntnisse zur praktischen Anwendung bringen; zum GlĂŒck. Sie wissen mehr oder weniger gut, was an Wissen zurzeit möglich ist. Und so ist es in allen Bereichen des menschlichen Daseins, dass es an Wissen weder fehlt, noch dass Wissen um ein Vieles besser verfĂŒgbar ist, als zu den Zeiten, als Wissen ĂŒberwiegend noch Herrschaftswissen war. NatĂŒrlich gibt es viel Wissensmist, vieles, was verfĂŒgbar ist an Wissen und wissenschaftlichen wie öffentlichen Diskursen kann man kaum anders, als mit so unschönen Vokabeln wie Mist, Fake, usw. belegen.
Was aber mit der VerfĂŒgbarkeit von Wissen, dessen Accessibility, nicht zugleich mitgegeben ist, ist dessen relative Bedeutung, ist dessen Sinnhaftigkeit. Da setzen wir an, indem wir vorhandenes Wissen in neue ZusammenhĂ€nge stellen und prĂŒfen, ob so unter bestimmten Fragestellungen sich ein anderer Sinn, eine ĂŒberzeugendere Bedeutung ergibt. Wir relativieren also vorhandenes Wissen und suchen nach anderen BezĂŒgen und nicht selten finden wir so zufĂ€llig neue BezĂŒge, öffnen sich neue Perspektiven, wenn es gelingt. Allein schon deshalb kann von einer methodologischen Strenge nicht die Rede sein, wir deduzieren nicht nach logischen Kriterien und Verfahren eher in einer Art konzentrischer AnnĂ€herung an einen Sachverhalt aus verschiedenen Richtungen. Daher fĂŒhrt dies oft dazu, dass wir bestimmte Sachverhalte immer wieder neu andenken im doppelten Sinne des Wortes. Unsere Denkrichtung ist somit sowohl rĂŒckwĂ€rts gerichtet an den Punkt, von dem aus uns ein Sachverhalt, eine Vorstellung, eine Idee oder auch schlicht nur eine These bzw. Behauptung erscheint.
Diese Punkte können also den Status eines Grundes im logisch-formalen Sinne nicht in Anspruch nehmen, zumal wir ja auch sogleich den Weg nach vorne einschlagen, indem wir etwas anderes, manchmal etwas Neues andenken. Anderes, insofern wir andere BezĂŒge aufzeigen, neu, wenn sich uns eine Idee aufdrĂ€ngt, wie etwas auch ganz anders gedacht und vielleicht auch anders als bisher verwirklicht werden kann. So ist das nun mal mit der Vergangenheit, sie ist nicht vorbei, abgeschlossen, vergessen. Sie ist gewesen und als solche immer noch anwesend. Sonst hĂ€tten wir nicht einmal eine Erinnerung daran, keine BĂŒcher, keine Geschichte.
Ideen sind reinste Zwitterwesen, sich selbst in die Wirklichkeit entlassend. Das ganze Gerede ĂŒber den vermeintlichen Hiatus zwischen Theorie und Praxis macht allenfalls dann einen Sinn, wenn man Ideen behandelt wie GegenstĂ€nde, gleichsam von auĂen an sie herantritt. Hat jemand aber eine Idee, ist diese bereits realisiert, sie ist in der Welt, wo sonst? So beginnen wir auch im Andenken in jener Zeit, als die Ideen, viele davon unser Dasein bis heute leitend, in die Welt kamen. Wir denken zurĂŒck in die Zeit, als Platon noch nicht lebte, die Menschen im antiken Griechenland aber bereits eine neue Welt, eine Welt voller neuer Ideen erschlossen.
Wir wollen aber nicht nur zurĂŒckdenken, sondern diese Zeit als eine des Anfangs betrachten, ein Anfang in viele Richtungen gleichzeitig. Unser erster Gedanke dabei war, diesem Anfang nĂ€her zu kommen mit der Frage, was uns als Menschen seit damals bewegte. Scheint uns auch heute diese Frage nicht mehr ganz so wichtig zu sein, wer oder was uns bewegt, oder ob wir es selbst sind, von denen aus Bewegungen sprich VerĂ€nderungen ausgehen, so gehört diese Frage nicht nur zu den ersten Fragen der Philosophiegeschichte, sie ist heute im Zusammenhang mit Politik, Wirtschaft und Digitalisierung, vor allem im Zusammenhang mit der Entwicklung von KĂŒnstlicher Intelligenz (KI) erneut hoch aktuell und bedeutsam. Dabei bewegen uns im Hinterkopf durchaus auch andere Felder, auf denen die Frage nach dem Ausgangspunkt, dem Ort von VerĂ€nderungen hochgradig virulent erscheint.
Dort kann man nicht mehr unberĂŒhrt den philosophischen Grundfragen nachgehen, dort geht es um fĂŒr Menschen oder fĂŒr die Natur schĂ€dliche AktivitĂ€ten, deren toxische AnsteckungsfĂ€higkeit nicht nur im medizinischen Sinne, sondern auch ökonomische, politische und soziale Ursachen und Folgen haben kann. Die sind nicht weniger virulent als medizinische oder biologische Ursachen, wobei stets zu bedenken sein wird, dass Ursachen, also im ursprĂŒnglichen Sinne, in der griechisch-antiken Bedeutung des Wortes ArchÄ als Ursprung bzw. Anfang gedacht wurden.
Die Frage ist also nicht zuerst eine der logischen Ursache, aus der etwas logisch und nachvollziehbar folgt, sondern eine der Dynamis, was wir verstehen wollen ganz im aristotelischen Sinne als eine Kraft, beim Menschen ein Vermögen, eine Möglichkeit oder Potenz im Sinne der Energeia. So dachten Platon und Aristoteles, letzterer schon in einer umfassend differenzierten Art das Bewegende als ein Prinzip, das keiner besonderen Extra-TĂ€tigkeit zu ihrer Verwirklichung bedarf. Heute scheint das bewegende Prinzip gleichbedeutend zu sein mit der TĂ€tigkeit, mit jeder TĂ€tigkeit zumal, aber das ist nicht nur stark verkĂŒrzt gedacht, es verliert in der KĂŒrze auch seine schöne KomplexitĂ€t. Wie schmal und fahl ist, wenn wir denken, dass von jeder TĂ€tigkeit etwas Bewegendes ausgeht? Wie reduziert ist der Gedanke, dass allein schon die Anspannung des Bizepses die Welt verĂ€ndern könnte? Solche kraftstrotzenden Gedanken werden sofort schon am Anfang zu plumpen Ăbergriffigkeiten, nur leider haben wir uns mittlerweile fast schon daran gewöhnt.
Nach Platon muss schon noch etwas dazukommen, genau gesagt, mit dabei sein, soll eine TĂ€tigkeit von einem Prinzip und nicht vom Bizeps geleitet sein; es darf dies das Schöne, das Gute oder das Wahre durchaus sein. Die drei berĂŒhmten metaphysischen Geschwister aber sind nach Platon Ideen, blieben es aber leider nicht mehr allzu lange. Was aber von Dauer war, bis heute, und wie es scheint auch fĂŒr alle Zeiten, ist, dass die platonischen Ideen nicht nur als bewegende Prinzipien entdeckt wurden, sondern als Elemente der menschlichen Freiheit. Platon war also ein RevolutionĂ€r. Denn in seinen Vorstellungen entwickelte sich die Idee der Freiheit von der Tragödie aus der antiken Mythologie. Das wurde von der Philosophie nicht so recht gewĂŒrdigt, las man doch aus Platons Schriften nicht die komplette, radikale Absage an den griechischen Mythos heraus. Wie dem auch sei, es ist und bleibt eine Tatsache, die Ideen verĂ€ndern die Welt.
Nun war es dann so, dass vor allem nach dem deutschen Idealismus man der Ideen ĂŒberdrĂŒssig wurde und schwadronierte man von der Revolution, hatte man sich schnell auf andere auslösende Elemente geeinigt; man höre und staune, die Welt wurde verĂ€ndert von WidersprĂŒchen, vom Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit als deren Kardinal-Widerspruch. Die waren sowohl logische WidersprĂŒche wie auch historisch-materialistische, aber wie dem auch sei, man sprach diesem widersprĂŒchlichen Gebilde von Kapital und Arbeit letztlich das am Anfang aller VerĂ€nderungen stehende Prinzip zu. Schauen wir also, wie dies gelang.