Party unter Palmen

Zum ersten Mal lebten im Jahr 2014 mehr als hundert Milliardäre in Großbritannien. Das Vereinigte Königreich ist damit das Land mit dem weltweit höchsten Anteil an UHNWIs – Ultra High Net Worth Individuals, so die wissenschaftliche Bezeichnung – der Bevölkerung. Und sogar unter den Top 25 UHNWIs weltweit sind mittlerweile einige Briten aufgetaucht. Während mit 72 Milliardären die reichsten Menschen Englands in London residieren, was uns wenig überrascht, leben dort auch 16 Prozent der landesweit ärmsten Menschen im Vereinigten Königsreich, was uns tatsächlich überrascht, haben wir die doch eher in Wales und in den schottischen Highlands vermutet.
Die Segregation zwischen Wohlstand und sozialem Fortschritt ist in London am augenfälligsten. Hier am Temple Bar verläuft exakt die Trennline zwischen dem englischen Modell einer politischen Ökonomie und der „normalen“, britischen Marktwirtschaft. Hier findet man die Demarkationslinie zwischen den normalen Bürgern Großbritanniens und der Banker- und Investment-Szene der City und dem internationalen Geldadel sowie den Steuerflüchtlingen weltweit.

Dieses geheime Imperium, gebildet aus einer exterritorialen Enklave in Großbritanniens Hauptstadt, hat den Reichtum nach Inner London gebracht und Londons Bürger aus den historischen Vierteln des alten County of London gedrängt. Indische Finanz- und Stahlmogule, russische Magnaten und Fußballclubbesitzer, der Duke of Westminster, die „Barclay Brothers“, Virgin Chef Richard Brenson sowie der Theater- und Musicalproduzent Cameron Mackintosh, neuestes Mitglied im Milliardärs Ranking, wohnen hier und treiben im Verein mit Saudis und Kataris die Kluft immer tiefer in Londons einst „Swinging“ Zentrum.
Im Londoner Stadtteil Tower Hamlets, zu dem auch die Canary Wharf mit ihren glitzernden Banken- und Bürotürmen und den Luxus-Immobilien der Docklands gehört, findet sich laut einer vom „Guardian“ zitierten Erhebung der Organisation mit dem bezeichnenden Titel: „End Child Poverty“ gleichzeitig die höchste Anzahl in Armut lebender Kinder des gesamten Königreichs. Und die Gentrifizierung Londons schreitet voran. Dort werden ganze Viertel verkauft und billiger Wohnraum muss Luxusapartments weichen. Aus einer Stadt für alle ist so eine Metropole für wenige geworden.

Wo einst wie in Spitalfields nur Secondhand-Flohmärkte und billige Basare das Stadtbild beherrschten und heute junge Familien, deren Wurzeln nicht selten in der indischen Provinz Bengal liegen, und Rentner, die in Sozialwohnungen leben, schaut man aus jedem Fenster zu, wie der Finanzdistrikt der Londoner City Straße um Straße näher rückt. Dort, wo ein 1.500-Quadratmeter-Penthouse für die Rekordsumme von etwa 170 Millionen Euro den Besitzer wechselte, wird für Sozialwohnungen ganz sicher bald kein Platz mehr sein.
In den einst heruntergekommenen Gegenden, wo heute auch der Tummelplatz gestresster, zugedröhnter, vollgekokster und gelangweilter Banker ist, hatten früher junge, unbekannte, engagierte Künstler ihre Ateliers und konnten sich auch Menschen mit kleineren Gehältern eine Wohnung leisten. Dann wurden Stadtteile wie Shoreditch oder Hackney von sog. Besserverdienenden entdeckt, folgten schicke Boutiquen und coole Coffeeshops, wurden Sozialwohnungen zu hippen Designer-Lofts umgebaut. Dann, einmal mit den neuen Bewohnern des aufstrebenden Mittelstands bezogen, folgten noch schickere Boutiquen, Spezialitätenläden, Privatarztpraxen spezialisiert auf jede Körperzelle und dann die Wellnesstempel für hinterher.
After-work-Parties kann man dann besuchen auf den neuen Roof-Tops der von Profi-Investoren sanierten Hochhausimmobilien, wo auch gleich noch die Finissagen der angesagtesten zeitgenössischen Künstler gefeiert werden. Dort, wo in den Hinterhöfen einst junge Kunst sich mit der Gentrifizierung des Viertels kritisch auseinandersetzte, ziehen nun einige der Glücklichen von ihnen und die bereits upgedateten Stars der Kunstszene in die schicken Lofts der einstigen Hinterhof-Atelierhäuser ein. Nicht weit von ihren trendigen Galerien, die natürlich gleich mitgekommen sind.
Das alles ist natürlich nicht allein dem Glück und der autonomen Geschäftstätigkeit zu verdanken, würde die Stadt diesen Prozess der akkumulativen Gentrifizierung nicht selbst rigoros betreiben. Ohne ihr engagiertes Zutun hätte sich das Stadtbild wohl kaum so radikal verändert, würde nicht so massiv Siedlung für Siedlung abgerissen und durch schicke Hochhauskomplexe ersetzt. Jene Viertel, wo einst die letzten Glieder der traditionellen Wertschöpfungsketten lebten, gehören heute zu den wertvollsten Stücken Land, dass die Stadt besitzt und veräußern kann. Denn nun sind die wertmindernden Bewohner vertrieben. Der lukrative Verkauf füllt dann den Stadtsäckel, der durch Subventionen, Steuersenkungen und -geschenke für die Investoren recht leer geworden ist, wieder auf.
Städtische Gebäude und Grundstücke werden fast lückenlos privatisiert, so dass bezahlbarer Wohnraum oft schwer zu finden ist. Und die Summen, um die es in London geht, sind ungleich höher, als in anderen Metropolen Europas und es ist nur allzu verlockend für die Stadt, immer neue Bauplätze zu finden, für die Investoren ¬viele Millionen hinlegen. Die Geschäfte in der Glitzermetropole an der Themse gehen so gut, dass fast schon der Punkt von selbstberauschender Überheblichkeit erreicht ist. Kein Zufall, dass, wenn Geld in rauen Mengen vorhanden ist, nicht mehr ganz so richtig beim Bau hingeschaut wird, wie etwa bei dem wegen seiner Plumpheit von den Londonern spöttisch „Walkie-Talkie“ genannten Glitzerbau dessen gläserne, konkave Fassade die Sonne dermaßen bündelte, dass auf dem Bürgersteig gegenüber die Plastikstühle auf den Trottoirs der To-Go-Cafés schmolzen.

Dort also schmolzen die Plastikstühle im Brennglas Effekt der Milliarden an Immobilieninvestments der City, hier die lange Tradition des sozialen Wohnungsbaus. Nach dem Zweiten Weltkrieg verstaatlichten die Councils, die Bezirksverwaltungen Londons, die Flächen mit den zerbombten Häusern und schufen dort bezahlbaren Wohnraum. Dort wohnten also jene Bürger Londons, die nicht nur Hitlerdeutschland erfolgreich die Stirn geboten hatten, sondern die auch London aus den Trümmern wieder aufgebaut haben und zu dem werden ließen, was London Jahrzehnte lang war; eine der lebendigsten, interessantesten Städte der Welt, die den Begriff der Gentrifizierung auf ihrem Stadtgebiet kaum kannte. Londons Bürger konnten die nach dem Krieg durch die Councils geförderten Wohnungen dann sogar, überwiegend als Erbpacht, kaufen. Egal, ob im nun reichen Kensington oder im bisher noch nicht ganz gentrifizierten Tower Hamlets, überall gab es Wohnsiedlungen, die sich in öffentlicher Hand befanden. Nun bilanziert der Wohnungsmarkt in Greater London ein jährliches Defizit von über hunderttausend bezahlbaren Wohnungen.

Die neuen, angelaufenen Regenerationsprojekte der Councils erweisen sich zunehmend als Flop. Z.B. Die Plattenbausiedlung Heygate im Süden Londons; sie umfasste rund 1.200 Wohnungen in mehr und mehr zerfallenden Häusern, und da der Bezirk kein Geld für die Sanierung hatte, verkaufte er das Objekt um die Jahrtausendwende an das australische Unternehmen Lend Lease. Die Bewohner protestierten und verweigerten den Auszug. Den Council kostete allein der Kampf um die Räumungen 60 Millionen Pfund. Wohnungen wurden den Anwohnern abgekauft, es folgte deren Umsiedlung. Manche zogen an den Stadtrand, andere gingen in große Städte wie Manchester. Es gab sogar Fälle, in denen Familien jahrelang in einem „Bed and Breakfast“ (B&B) lebten. 2011 wurde begonnen, die Häuser der Heygate-Siedlung abzureißen, über zehn Jahre nach dem Beginn des Regenerationsprojekts. Heute steht das Projekt zum Verkauf. Im „Elephant Park“, wie Heygate nach der Fertigstellung heißen wird, kostet eine Ein-Zimmer-Wohnung bis zu einer halben Million Euro. Und während im alten Heygate fast nur -Sozialwohnungen existierten, sind in den neuen Apartmentblöcken gerade einmal vier Prozent der Gesamtfläche dafür vorgesehen.

Dieser Prozess der Privatisierung von Wohnraum lässt die Renditen in London explodieren. In der Nähe von Covent Garden wurde jüngst eine Drei-Zimmer-Wohnung, die 1990 noch 130.000 Pfund gekostet hatte, für 1,2 Millionen Pfund verkauft, was einem Wertzuwachs von 800 Prozent entspricht. Entsprechend sind auch die Angebote der Immobilienkäufer, die die Wohnungsinhaber der einst günstig erworbenen, städtischen Wohnungen schwach werden lässt, zumal die Lebenshaltungskosten in diesen Vierteln auch immer höher zu Buche schlagen.
Man darf sich vorstellen, dass erhebliche Summen, die in den Abriss von Hunderttausenden von Wohnungen und deren Neuaufbau bzw. Sanierung zu Luxusobjekten fließen, auch aus den Steueroasen der City stammen; man weiß nicht genau, wieviel, aber das ist üblich mit Geld von den Inseln mit Palmen. Geld, das aus der Arbeitskraft von russischen Bürgern und aus saudi-arabischen Tagelöhnern exploitiert wurde, fließt ebenso in Strömen in die Stadt. Diese Klientel des neofeudalen Reichtums und eines fundamentalistischem Steinzeitislams aus systematischen Menschenrechtsverletzungen, Frauenfeindlichkeit, Terrorismus, Grausamkeit, Korruption und Verkommenheit, die eine autoritär geführte Vetternwirtschaft, die den Islam in etwa so interpretiert wie der IS (Islamischer Staat) und die für grundlegende, westliche Werte nur Verachtung übrig hat, wird nun in Stadtenklaven Londons distanzierter Nachbar der alteingesessenen Londoner Bevölkerung.

Ganze Viertel wurden an Bauunternehmen verhökert und damit die historisch gewachsene Milieumischung zugunsten einer Monokultur von Neureichen zerstört. Selbst Menschen, die im Jahr über 100.000 Pfund verdienen, müssen zuweilen in kleinen Apartments mit wenig Licht wohnen; wir erinnern an Dublin. Aber was ist so anders in Paris? In München und Hamburg, Berlin in der Tendenz? Ist das der Weg der europäischen Großstädte? Und was das Fluchtkapital nicht schafft, schafft schließlich Airbnb.