World Wide Oeconomy

Wären die wild ausufernden Line Extension auf lediglich eine Volkswirtschaft beschränkt, das Phänomen wäre nicht sonderlich bedeutend. Auch in früheren Jahren beklagte man die Wegwerf- und Abfallwirtschaft besonders in den USA und den westlichen Industriestaaten. Beides aber ist weder identisch noch weisen beide Marktphänomene nicht auf dieselbe Sache. Letzteres ist ein Effekt einer Produktion, die auf immer preiswerteren Output zielt, um so Marktdominanz und Wettbewerbsvorteile zu erreichen. Wenn aber das Warenangebot derart ausufert, dass die Märkte und die Produktion von Waren sich vollständig ablösen von jeglicher Nähe zu den Bedürfnissen der Käufer, dann ist damit ein ganz anderer Zusammenhang zwischen Produktion und Markt signifikant.
Darin zeigt sich eine, die Produktion wie die Märkte überschwemmende Liquidität, die gleichsam wie bei einem Überdruck sich unventiliert Bahn sucht. Und der Überdruck entsteht in einer Vorstellung von grenzenlosen Märkten. Gleichsam Inhalt und Methode dieser Vorstellung grenzenloser Märkte, die ihr Ziel, ein vollständiger Markt jemals werden zu können, aus diesem Prinzip heraus nie wird erreichen können, ist die Grenzkostenrechnung.

Die Grenzkostenrechnung ist dieses Prinzip grenzenloser Märkte, mit dem das Bedürfnis der Käufer nicht mehr aus der Nachfrage heraus kalkuliert und in der Produktion realisiert wird. Die Bedürfnisse erscheinen in der Grenzkostenrechnung allein aus der Sicht der Kosten für die Produktion von Produkten. Oder einfacher gesagt, aus ihrem Geldwert. Ist es kostengünstig, ein zusätzliches Produkt herzustellen, warum sollte der Hersteller es dann nicht herstellen, wenn er genügend Liquidität dazu zur Verfügung hat, und dann noch in der Folge auf die damit verbundenen Wettbewerbsvorteile verzichten. Mit Hilfe der Grenzkosten können Unternehmer die optimale Menge eines Produktes berechnen, wobei diese optimale oder optimierte Menge sich nicht ableitet von den Bedürfnissen der Käufer. Es handelt sich hierbei also allein um Kosten, die entstehen, wenn von einem Produkt eine Einheit mehr produziert wird. Somit kann an diesen Kosten lediglich erkannt werden, wie viel es kostet, wenn das Unternehmen eine Einheit mehr produzieren will und nicht, ob es überhaupt außerhalb des Geldwertes einen Sinn macht oder ein tatsächliches Bedürfnis befriedigt, diese Mehreinheit eines Produktes zu produzieren.

Niemand fragt, wie viele Tomaten braucht ein Kunde? Welche Menge, wie viele Sorten, wie viele Farb- und Geschmacksvarianten? Sind die Kosten gedeckt, fällt ein Gewinn ab, werden Line Extension auf den Markt geworfen. Die Märkte werden geradezu überschwemmt mit kosteneffizient hergestellten Waren, deren Herstellung etwa im Lebensmittelsektor sogar noch dann aufrecht erhalten wird, wenn tagtäglich eine Überproduktion aus verschiedenen, nebensächlichen Gründen, also den Kauf der Waren nicht betreffenden Gründen, vernichtet werden muss. Stimmt die Grenzkostenrechnung, stimmt die Produktion. In Menge und Geldwert.

Daher ist auch mit den Kategorien Angebot und Nachfrage vorsichtig umzugehen. Selbst auf den traditionellen Warenmärkten, wo die Wissenschaft nach wie vor von einem Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage ausgeht und die Geldform der Waren bzw. die Preise als das alles vermittelnde, also ausgleichende Element oder als das X in der Formel betrachtet wird, wird zunehmend grundsätzlicher Zweifel lauter. Gänzlich wild geworden aber ist eine neue Form des Finanzmarkt-Segments, die sog. ICO (Initial Coins Offerings), an denen man schon bei einem ersten Blick darauf erkennen kann, dass Marktvorgänge mit Geldvorgängen nicht immer viel zu tun haben. Dass die Geldform die Warenform repräsentiert, wie dies die klassische wie auch die keynesianische Wirtschaftstheorie verstehen, steht hier fundamental und prinzipiell in Zweifel. Und damit auch eine kausale Beziehung zwischen Kredit und Finanzierung von Realinvestments.
Seit 2017 erleben virtuelle Börsengänge parallel zum Wachstum der Kryptowährungen einen regelrechten Boom. Bei den sog. ICOs sammeln Unternehmen, häufig Start-ups, Geld, meist in Form von Bitcoins, von Investoren für Geschäftsprojekte ein. Im Gegenzug erhalten Investoren sogenannte Tokens, meist eine Art digitaler Gutschein . Häufig sind diese Tokens jedoch und anders als Aktien nicht mit Stimmrechten verbunden. Investoren können die Gutscheine, die auf der Blockchain-Technologie basieren, später handeln und über diese Form des Finanztradings am Kursanstieg bzw. -Fall Gewinne erzielen. Darüber hinaus als sog. Frühinvestoren sowohl am Kurs des Projekts oder Unternehmens wie auch am Kurs des Bitcoins selbst, der im Jahr 2017 sagenhafte Kurssprünge vollzogen hat.

Nicht nur, dass diese Finanzprodukte Betrüger und Hochstapler anziehen, die vor allem davon profitieren, dass kaum einer der Investoren wirklich etwas substanziell über die Qualität der komplizierten Blockchain-Technologie auszusagen in der Lage ist, ist von Bedeutung. Von Bedeutung ist, dass mittlerweile – und dies gilt nicht nur für das Finanztrading – Produkte, Waren und Dienstleistungen, ja ganze Marktsegmente und Unternehmen gewissermaßen in den Handel kommen, sprich auf virtuellen Handelsplattformen erscheinen, die nichts anderes als sich selbst repräsentieren.
So untersagte Ende Januar die SEC den bereits angelaufenen ICO von Arise Bank, einem Start-up aus Dallas, das bereits 600 Millionen Dollar von Investoren eingesammelt und fälschlicherweise die Übernahme einer klassischen Bank vorgetäuscht sowie die kriminelle Vergangenheit wichtiger Manager verschwiegen hatte. Und dies in einer Art, die für fast alle, auch die kritischen und informierten Investoren kaum zu entlarven gewesen war . Um diesem kaum zu durchschauenden Markt innovativer, virtueller Finanzmarktprodukte und Börsengänge einen gewissen Einhalt, eher Aufschub entgegenzustellen, hat die SEC nun klargestellt: Alle Coins sind erst einmal Wertpapiere. Aber mit der Übertragung des US-amerikanischen Wertpapiergesetzes auf die ICO hat die SEC nicht nur komplettes Chaos aus der Inkompatibilität von ICOs und Wertpapierhandel in dieses Marktsegment gebracht, da weder beides in Einklang zu bringen ist, noch sich so ein Kurs eines Coins einigermaßen nachvollziehbar bestimmen lässt. Darüber hinaus hat die SEC die ICOs und Krypto Märkte in Richtung Europa und China, vor allem nach Deutschland und in die Schweiz verschoben, wo man mit der Regulierung sich schwertut bzw. noch zurückhält. Wenn auch die amerikanische Antwort nicht von großer, regulatorischer Qualität ist, hat sie aber den Markt fundamental verschreckt und andernorts hin vertrieben.

In Deutschland und in der Schweiz versuchen die Behörden den Spagat, Investoren zu schützen, aber gleichzeitig die Innovatoren nicht zu vergraulen. Dies spiegelt auch die technische Seite der aufkommenden, virtuellen Börsen mit ihren virtuellen Währungen wieder, die in der Frage gründet:
Ist die Krypto Welt auf Dauer regulierbar? Oder existiert sie in einer Sphäre bzw. Technologie, die von staatlichen Behörden nicht erreicht werden kann? Wir werden später diese Frage im Rahmen unserer Überlegungen zur Digitalisierung und Globalisierung eingehender betrachten. Dabei wird in aller Voraussicht aus den Vorgängen in der Gegenwart durchaus die Frage sogar noch verschärft zu stellen sein: Ist es angesichts der zunehmenden Bemühungen bei der Abschaffung des Bargeldes nicht nötig, Bereiche der Finanzwirtschaft zu besetzen, die dem Zugriff von staatlichen Behörden und Verwaltungen entzogen sind?