Der Band VI. unserer Philosophie des menschlichen Daseins beschĂ€ftigt sich mit der Frage, wie kommen VerĂ€nderungen zustande, was sind die KrĂ€fte, die danach streben, dass etwas sich verĂ€ndert, welche geistigen VorgĂ€nge sind bestimmend dafĂŒr? Und, ohne dies geht es nicht, kommen natĂŒrlich auch alle KrĂ€fte zu Worte, die keine VerĂ€nderungen wĂŒnschen, alle Vorstellungen, Meinungen und Ăberzeugungen, die BestĂ€ndigkeit und Beharrungsvermögen, KonformitĂ€t und Konsens tragen. Da es uns nicht um ein Gegeneinandersetzen von Meinungen, Vorstellungen und Handlungen mit unterschiedlichen Ausrichtungen geht wie etwa in den Kulturwissenschaften, im Journalismus oder in den Sozialwissenschaften, bleiben wir auf den Feldern der Philosophie, nicht, ohne immer wieder einen Blick ĂŒber die Grenzen zu werfen und quasi in Nachbars GĂ€rten nachzuschauen, was dort so blĂŒht und gedeiht.
Als philosophisch orientiertes Denken kommen wir nicht umhin, den antiken griechischen GĂ€rten gelegentlich einen Besuch abzustatten. Das grĂŒndet nicht in historischer oder fachlicher GrĂŒndlichkeit, sondern in der Tatsache, dass vieles von dem, was wir heute unter BestĂ€ndigkeit und VerĂ€nderung verstehen, uns seit den âGriechenâ beschĂ€ftigt und diese BeschĂ€ftigung zugleich auch in vielerlei Hinsicht die Bestimmungen definiert, die unseren beiden zentralen Begriffen von VerĂ€nderung und dessen Gegenteil, die BestĂ€ndigkeit gemein sind. Dynamis und Energeia sind die historischen und die epistemologischen VorlĂ€ufer beider Begriffe, mit denen die Griechen vor mehr als zwei Jahrtausenden bereits komplexe gesellschaftliche RealitĂ€ten hinterfragten. Sie fanden damals bereits, und dafĂŒr stehen beide Begriffe Dynamis und Energeia, allgemeine Grundcharakteristika der gesellschaftlichen und politischen RealitĂ€t im antiken Griechenland, vor allem im Stadtstaat Athen, was wir als eine Ontologie vorliegen haben.
Solche historischen Denk-Formationen von Gesellschaft und Politik wurden damals stets auch betrachtet aus der Frage heraus, was menschliches Denken, der Geist, der Nous ĂŒberhaupt und in welcher Weise ĂŒber diese RealitĂ€t von Gesellschaft und Politik wissen kann, also aus einer epistemologischen Perspektive, die wir mit Beginn der Neuzeit, also mit der Renaissance etwa historisch datiert, als Erkenntnistheorie kennengelernt haben. Um also hier mit möglichen BegriffsĂŒberschneidungen und Analogien besser umgehen zu können, bestimmen wir die Ontologie als die Philosophie, die sich mit den allgemeinen Grundmustern bzw. Grundcharakteristika einer RealitĂ€t, also von etwas, was existiert, beschĂ€ftigt. Dass dies keine rein historische Betrachtung ist, ergibt sich nun von selbst, da Grundmuster und -charakteristika im philosophischen Sinne nicht nur allgemein sind, sondern auch universell und damit fĂŒr mehr als eine historische Zeit, eine Epoche GĂŒltigkeit beanspruchen. Betrachten wir denselben âSachverhaltâ aus der zeitlichen Perspektive, dann kann unser Wissen von der RealitĂ€t sich als ungenĂŒgend, als insuffizient, als unscharf herausstellen, was nicht falsch sein muss, aber eben unvollstĂ€ndig bzw. mangelbehaftet sein kann, insofern eine umfassendere und vielleicht auch bessere Sicht auf eine historische Wirklichkeit sich dabei ergeben kann.
Wenn wir dies im âKann-Modusâ, also im Modus der Möglichkeit und nicht der Notwendigkeit formulieren, so liegt das einfach daran, dass wir bis heute und immer wieder neu mit Fragen der Epistemologie, also mit Fragen wie etwa: welchen Stellenwert hatten Frauen im antiken Athen neue Gesichtspunkte, neue Charakteristika der antiken Gesellschaft herausfinden und auch neue, soziale, politische, wirtschaftliche und kulturell relevante Muster erkennen können, die die Beziehung der Menschen untereinander, hier am Beispiel der Beziehung zwischen Mann und Frau, bestimmen. Wir sehen, ein Muster ist also nicht dasselbe wie ein Charakteristikum und kommt auch nur durch eine ganz andere Herangehensweise an die RealitĂ€t zustande. Und deshalb ist die Herangehensweise an die RealitĂ€t, die sehr unterschiedlich sein kann, von ganz zentraler Bedeutung fĂŒr diesen Band unserer Philosophie des menschlichen Daseins, von dem wir also nicht nur allgemein sprechen, sondern auch mit Fragen begegnen, die universellen Charakter haben und auf allgemeine Grundmuster des menschlichen Daseins orientiert sind; nicht quasi philosophisch vereidigt, sondern kritisch jeder Wissenschaftstheorie gegenĂŒber, auch der Philosophie also.
Wir haben dafĂŒr einen âJungenâ eingefĂŒhrt, der an seinem ersten Tag unterwegs von einem anderen Jungen namens Paul kurz vor Erreichen des Kindergartens verprĂŒgelt wird. Das erinnert Menschen mit literarischen Kenntnissen schnell an die berĂŒhmte Szene zwischen Sosias und Merkur in Kleists Amphitryon:
Sosias tritt mit einer Laterne auf: Heda! Wer schleicht da? Holla! [âŠ]
Merkur vertritt ihm den Weg: Halt dort! Wer geht dort?
Sosias. Ich.
Merkur. Was fĂŒr ein Ich?
Sosias. Meins mit Verlaub. Und meines, denk ich, geht hier unverzollt gleich andern. Mut Sosias!
Merkur. Halt! mit so leichter Zech entkommst du nicht. Von welchem Stand bist du?
Sosias. Von welchem Stande? Von einem auf zwei FĂŒĂen, wie Ihr seht.
Merkur. Ob Herr du bist, ob Diener, will ich wissen?
Sosias. Nachdem Ihr so mich, oder so betrachtet, Bin ich ein Herr, bin ich ein Dienersmann.
Merkur. Gut. Du miĂfĂ€llst mirâŠâ
Wir begegnen hier dem unausweichlichen Konflikt zwischen Ontologie und Epistemologie, nĂ€mlich einem, heute sagen wir evidenz-basierten Wissen â Heidegger spricht von einem phĂ€nomenologischen Wissen â und einem transzendentalen Denken, wenn transzendental meint, ein Denken nach den Bedingungen seiner Möglichkeiten, also einem epistemologischen Denken, welches die Bedeutung von Nicht-da-seiendem mit einbezieht. Unser âJungeâ steht paradigmatisch fĂŒr VorgĂ€nge, die in fundamentaler und universeller Hinsicht menschliche Möglichkeiten, eine RealitĂ€t auszulegen und mit ihr umzugehen beteiligt sind. Seit Aristoteles, aber mehr noch seit Descartes beschĂ€ftigt sich die Philosophie mit solchen VorgĂ€ngen, mit sinnlichen Wahrnehmungen, mit der Vorstellungs- und der Urteilskraft und deren vielfĂ€ltigen ZusammenhĂ€ngen, und keine Fachwissenschaft kann sich solchen Fragen entziehen, ob sie die ZusammenhĂ€nge zwischen ihrer Ontologie und den darin verborgenen epistemologischen Dimensionen berĂŒcksichtigt. Wenn heute in der Medizin an verschiedenen UniversitĂ€ten der Fachbereich: Gender-Medizin eröffnet wird, nicht immer, ohne einen gewissen Protest, ohne auch ein herablassendes Auge, das leicht lĂ€chelnd sich ĂŒber Fragen lustig macht, ob und inwiefern diese ach so allgemein verbindliche Wissenschaft der Medizin nicht doch Unterschiede zur Kenntnis nehmen muss, die in der Diagnostik und mehr noch in der Therapie den Unterschied zwischen einer erkrankten Frau und einem erkrankten Mann notwendig voraussetzt, dann spricht dies bereits bis hierhin schon fĂŒr sich.
FĂŒhren wir den Unterschied zwischen Ontologie und Epistemologie zurĂŒck auf unser Dasein, dann finden wir diesen Unterschied in sehr verschiedenen strukturellen ZusammenhĂ€ngen und erkennen die MĂŒhen, die er macht, ein komplementĂ€res VerhĂ€ltnis in ein logisch relationales zu ĂŒberfĂŒhren. Diese Transformation von KomplementaritĂ€t in RelationalitĂ€t ist eine der Herzkammern des abendlĂ€ndischen Denkens, datiert von der aristotelischen Logik bis in die Logik des Industriezeitalters, das werden wir auch in diesem Band unserer Philosophie aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten und seinen Wirkungen wie Folgen auf unser Dasein nachspĂŒren. Eine Betrachtungsweise, die diese Transformation in sich trĂ€gt, ist die des menschlichen Daseins selbst, wie sie vor allem von Heidegger angestellt wurde. Das Problem hat er vom Existenzialismus quasi geerbt, als Dasein und Existenz in eine epistemologische Relation gebracht worden sind und damit auch das Leben resp. die Geburt und der Tod in eben eine solche Relation eingedacht wurden.
Wir fragen uns daher: sind Dasein und Existenz wie auch Leben und Tod wirklich aufeinander bezogene Begriffe? Wir befragen diese Relation als eine logische Relation von notwendigen und hinreichenden Bedingungen, aber natĂŒrlich auch in einer Betrachtung, die von intersubjektiven und interaktiven Beziehungen eines Daseins zu einem anderen Dasein, also zwischen Menschen ausgeht. Es bleibt stets dabei die grundlegende Frage, was ein Dasein ist und was es mit anderen Menschen verbindet? Ist es individuell oder in seiner Art besonders, also bereits ĂŒber sich selbst hinaus? Und wie sind aus dieser Betrachtungsweise Massenbewegungen wie etwa der Bauernaufstand, die Französische und die Russische Revolution, der Prager FrĂŒhling bis hin zur 68er Bewegung ontologisch und epistemologisch zu unterscheiden? Kurzum, entsteht eine Massenbewegung als eine additive Ansammlung individuellen Protestes oder als ein MassenphĂ€nomen an sich? Gibt es MassenphĂ€nomene als einen kollektiven Ausdruck von Leiden oder von Gegenwehr gegen eine politische Machtformation, die massenhaft Individuen unterdrĂŒckt, oder ist ein politisch motivierter Massenprotest vielleicht gegrĂŒndet auf ganz anderen Ursachen bzw. HandlungszusammenhĂ€ngen? Wir beantworten diese Fragen eindeutig mit der These: Alle Formen von Aufstand sind Mobilisierungen gegen eine Vereinzelung des Menschen durch strukturelle, durch politische Machtorganisationen.
DissozialitĂ€t also ist ein Seinsentwurf einer von Staats- oder Gesellschaft-wegen vereinzelten Persönlichkeit und ein Heraustreten aus einer Seinsfrage, die keine Antwort gibt auf die Beziehungen eines Individuums in seiner Gesellschaft. Jede Seinsfrage, so zeigen wir, ist durchschnittlich, ob sie metaphysisch als Wesen nachgefragt oder ontologisch vom Dasein aus befragt wird. So können wir von jedem Begriff ausgehend auf alles schlieĂen, was gemein, was verallgemeinerbar ist und kommen letztlich von einer substanziellen, mithin statistischen Sichtweise nicht los. Ob wir Eigenschaften oder Besonderheiten unterscheiden, biologische, physiologische, sprachliche, soziologische, kulturelle und viele mehr, letztlich verlegen wir stets unsere Betrachtung vom Individuum auf die besonderen und allgemeinen Durchschnitte, auf eine Art GauĂsche Normalverteilung in der ânegatio est determinatioâ. Auch die Philosophie wurde auf dem falschen FuĂ ĂŒberrascht durch die Digitalisierung, die eine Betrachtung eröffnet im statistisch nicht mehr signifikanten Bereich bis hin zur individuellen Krankheit. Deshalb ist Individualmedizin zurecht ein neuer Blickwinkel auf Krankheiten, weil der Blick direkt auf das PhĂ€nomen der Krankheit als nicht bzw. noch nicht im ICD-10 katalogisiert sich richtet. Hier steht also die Statistik umgekehrt reziprok zum ânegatio est determinatioâ, dem berĂŒhmten Satz des Spinoza; es wĂ€re jedenfalls wĂŒnschenswert, wenn dies gelĂ€nge.
Wir kommen nicht umhin, uns mit Hierarchien zu beschĂ€ftigen und zeigen darin auf, dass es in Hierarchien keine Perspektiven gibt, wenn Perspektive als eine neue Sichtweise bestimmt ist, da die Richtung der Sichtweise vertikal und somit affirmativ zum Ausgangspunkt ist. Ansichten, das Nebeneinander von scheinbaren Perspektiven aber eröffnen keine wirklich neuen Sichtweisen, ihnen fehlen die Richtung und die Orientierung. So ist Effizienz in der Wirtschaft keine wirkliche Perspektive, sondern eine Ansicht, die ihrem Ende entgegenlĂ€uft. Effizienz priorisiert in der Ăkonomie allein die Wirtschaftlichkeit des Handelns und wenn dabei die Faktoren wie etwa Arbeit und Kapital so sehr in Widerspruch geraten, dass ein ganzes System und zugleich die Methode des Wirtschaftens zugrunde zu gehen droht. Seit einem halben Jahrhundert entdecken wir zunehmend mehr perspektivisches Denken, das mehr horizontal bzw. faktoriell mehr in Form einer Vektor- als in einer Matrix-Perspektive notiert bzw. formuliert ist, wobei eine horizontale, nicht-linearkombinatorische Sprache auĂerhalb der Mathematik schwer zu finden ist; sie hat, nicht unerklĂ€rlich, kaum eine Abbildung in der Episteme des Abendlandes gefunden. Wir wollen ein wenig mehr Klarheit und eine ErklĂ€rung dafĂŒr finden, warum dies so ist und den Spuren horizontalen Denkens weiter folgen.
Dazu mĂŒssen wir uns mit dem Zusammenhang von Denken, Handeln und praktischer Vernunft beschĂ€ftigen und dabei wie immer im Auge haben Möglichkeiten der VerĂ€nderung. Wir analysieren die philosophischen Implikationen einer reinen bzw. theoretischen und einer praktischen Vernunft und werden erkennen, dass die theoretische der praktischen Vernunft nicht nur vorhergeht, sondern auch in einer vertikalen Ordnung bestimmt und damit der praktischen Vernunft ĂŒbergeordnet ist. Die vertikale Blickrichtung von der theoretischen zur praktischen Vernunft ist inhaltlich bestimmend und wir werden sehen, dass Ideen von Freiheit, von freiem Willen, von Autonomie und unbedingten Vermögen im Denken als Möglichkeiten (Dynamis) dem Handeln vorausgehen; aber ist das wirklich so, oder ist das nur eine bestimmte Sichtweise und welche Folgen hat diese dann?
Wir werden erkennen, dass die praktische Vernunft ihre Bedingungen nicht in einer ĂŒbergeordneten, also bestimmenden Form hat, sondern im Geschehen selbst als bestimmende Bedingung und den dazugehörenden, transzendierenden Möglichkeiten. Hier in der praktischen Vernunft steht mehr die Evidenz des praktisch vernĂŒnftigen Umgangs vor einer umfĂ€nglich verstehenden Vernunft, und nur unter dem Primat der theoretischen Vernunft wird ein ZurĂŒckweisen hinter ein anderes und somit ein Verstellen von Denken, von Vorstellungen und HandlungszusammenhĂ€ngen aus ihren direkten, unmittelbaren ZusammenhĂ€ngen vorgenommen, und so die unmittelbaren Bedingungen hinter vermittelte durch ein bestimmtes Denken verdeckt. Wir formulieren einen Grundsatz, dass Denken den Aufmerksamkeitsamplituden der Wahrnehmung folgt, die sich experimentell ausbilden und in Erfahrungen rĂŒckkoppeln und das sind die elementaren Bedingungen jeder praktischen Vernunft.
Zu einer Philosophie der praktischen Vernunft, das vergessen oder missachten viele, die sich damit beschĂ€ftigen, gehört ganz elementar und natĂŒrlich auch eine BeschĂ€ftigung mit der Kunst und nicht nur weil Kunst ja auch eine praktische Handlung ist und damit, wenn schon nicht vernunft-bestimmt, so doch zumindest eine vernunft-begleitete TĂ€tigkeit ist. Wen sollen wir ĂŒber den Tod, das Leben, die Zeit vor dreitausend Jahren befragen? Die Beteiligten sind tot, deren Artefakte holen die ArchĂ€ologen aus dem Boden und deren Monumente dauern, aber geben die Geheimnisse des Daseins ihrer Erbauer selten preis. Der Umgang mit dem Tod, die Erfahrungen von Leiden und Krankheit, das VerstĂ€ndnis vom Dasein, das und viel mehr noch vermitteln uns die Kunstwerke. Sie sind die metaphorischen Klammern, die Metaphern des vergangenen Lebens, seine metaphysische Ausdehnung. Und darĂŒber hinaus geben sie uns eine Idee von der Freiheit, von dem, was damals Wahrheit war, was Gerechtigkeit, was Weisheit und GlĂŒck und was dies alles fĂŒr uns bedeuteten kann.
Nur in der Kunst, in der Malerei, der Literatur, der Musik und Oper und im Tanz tritt der Mensch in ein VerhĂ€ltnis zum Tod, in ein intimes, ein bis ins Erotische und Sexuelle assoziierte VerhĂ€ltnis. Alle bildenden KĂŒnste kommen ohne einen Pakt mit dem Teufel und dem Tod nicht aus. Und worum geht es in diesem Pakt zwischen Kunst, Tod und Teufel dann? Es geht um nichts weniger als um die Unsterblichkeit und die Ewigkeit der KĂŒnste, um nichts weniger geht es. Und natĂŒrlich geht es auch darum, sich aus jeder Umklammerung, selbst die des Todes wieder zu befreien und zu neuen Sichtweisen auf die Vergangenheit, auf die eigenen Vorstellungen und Erinnerung zu kommen; welche Wissenschaft macht dies zugĂ€nglich? Alles, was Kunst vorstellt, trĂ€gt die Vorstellung einer VerĂ€nderung und von neuen Möglichkeiten in sich und damit auch die Frage nach dem Sinn: Hat das, was noch-nicht ist, mehr Sinn, als das was nicht-mehr ist?
Es mag dem einen oder anderen gegen den âStrichâ des Bewusstseins gehen, wenn wir behaupten, dass die Vorstellung von Zeitlichkeit und mithin Zeit wie wir sie wahrnehmen schlechthin sich aus Vorstellungen von Ewigkeit und Unsterblichkeit entwickelt hat, aber es spricht doch einiges dafĂŒr; was zu zeigen ist. Zeitlichkeit ist eine Form der Verdichtung, eine Abstraktion wie auch das Individuum, die antiken âIdiotesâ es sind, jene, die der Gesellschaft abhandengekommen sind, das meint Idiotes. Und so haben wir auch die Begriffe Existenz und Dasein ontologisch zusammengelegt und ein Leichentuch ĂŒber das Wesen der IntersubjektivitĂ€t menschlichen Daseins gelegt. Wir schauen darunter und entdecken das UrbedĂŒrfnis, uns mit anderen zu verbinden, uns mitzuteilen, die Möglichkeit der Kommunikation und Kooperation neu und zwar aus der Veranlagung unseres Daseins selbst heraus; das zeigen ĂŒbrigens alle Experimente der modernen Entwicklungspsychologie, dass soziales Verhalten, mithin Empathie bei Kleinkindern bereits ausgeprĂ€gt ist.
Notwendig ergibt sich hieraus eine Neubesinnung auf Lernen und Wiedererkennen, nun aber unter einer Neubestimmung aus dem Spiel und der Neugier. Spiel und Neugier sind mittlerweile weitgehend abgewertet worden und fristen ein noch gerade geduldetes Dasein im Leben von Kindern und Alten. Wir erinnern an die poetischen und literarischen Erkenntnisprozesse, die Formen des Wiederkennens, von adaptivem Erkennen beschreiben und an Schiller, der das Spiel ganz zentral fĂŒr soziales Lernen veranschlagte. Ihm folgten inklusive MissverstĂ€ndnis der homo ludens von Johan Huizinga, der eine Antwort auf die von Max Scheler vorgenommene Typisierung des homo faber gab. Bei Huizinga erkennen wir das Spiel in seiner kulturbildenden Funktion und als bestimmenden Faktor, aus dem heraus sich kulturelle Systeme wie Politik, Wissenschaft, Religion, Recht usw. entwickeln. Diese Entwicklung, eingebettet in das soziale Dasein des Menschen und bestimmt aus dessen prinzipiell kooperativen Umgang trĂ€gt insofern spielerischen Charakter, als darin prinzipiell spielerische Verhaltensweisen und generell ein Prinzip der Selbstorganisation beschrieben werden können; der Weg hin zu modernen Spieltheorien ist dann nicht weit.
Dagegen steht der Ansatz des homo faber, des regelbasierten Umgangs mit dem Anderen und in der Sache, die sich zum homo oeconomicus als diejenige Form der wirtschaftlichen Organisation entwickelt hat, wie wir sie in den AusfĂŒhrungen von Vilfredo Pareto nach 1906 kennen. Wir streifen den Homo oeconomicus noch einmal im Hinblick auf Formen der âSelbstorganisation, in deren praktischer Vernunft sowohl kooperative Prozesse wie vorausschauendes Agieren genauso wichtig sind wie die Dehnung von Spielregeln bis hin zum Regelbruch; auch soziale Techniken wie das Tricksen und das TĂ€uschen schauen wir uns genauer an mit einem RĂŒckblick auf die Grundlegung dessen, was Wahrheit und Falschheit im antiken Griechenland einst bedeuteten. Und unter diesem Topos von Wahrheit und Falschheit im antiken „prĂłsopon“, der Persona und Maske schlagen wir einen groĂen Bogen zwischen der Antike und den virtuellen RealitĂ€ten im Cyberspace.
Wir kommen zum Begriff der praktischen Vernunft, die wir kennengelernt haben in einem sozialen Geschehen, einer intersubjektiven Interaktion und so bestimmen wir auch den Begriff aus einer interaktiven Gruppe und aus den vorhandenen sozialen Möglichkeiten eines Individuums. Draus entwickeln wir eine kritische Sicht auf Sorge und FĂŒrsorge, also auf ein wichtiges Element der Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft, die nicht nur im Sozial- bzw. FĂŒrsorge-Staat sich verwirklicht hat mit all den Unterschieden, die wir an mehreren Stellen unserer Philosophie bereits unterschieden haben zwischen Staaten nach angelsĂ€chsischem und Staaten nach kontinental-europĂ€ischem Muster. Von hier bedarf es nur eines kurzen Schritts, um einen Blick auf die âBills of Rightâ zu werfen, der fĂŒr uns unter der Alternative zwischen âglobal und universellâ im Gegensatz zu âproprietĂ€r und nationalstaatlichâ eine erste Zuspitzung erhĂ€lt. Eine weitere erhĂ€lt er im Fokus auf das universelle Recht des Zugangs zum Wissen der Welt, vor allem, wenn es darum geht, Bestehendes wie z.B. ein politisches oder ein sozio-kulturelles System zu verĂ€ndern. Ohne diesen freien Zugang zum Wissen ist ein neuer Anfang notgedrungen ein âSpiel mit dem Naturrechtâ, mit einem âTrial-and-Errorâ von Geschichte und den Möglichkeiten, die sich in einer konkreten historischen Situation fĂŒr die Menschen ergeben.
Deshalb erscheint es uns auch zwingend, sich mit den âDiskursenâ zu beschĂ€ftigen. Diskurs bestimmen wir ganz aus der Tradition des Ausdrucks: discursus als âumherlaufenâ bzw. âhin und her gehendes GesprĂ€châ, was mithin als GesprĂ€che mit verschiedenen anderen Menschen betrachtet werden kann, worin die gesamte Palette zwischenmenschlicher Beziehungen mitgeht, mitumherlĂ€uft. Und selbstverstĂ€ndlich mĂŒssen wir eine BrĂŒcke zu unseren neuen Kommunikations- und Informationstechnologien schlagen, wozu wir uns die Bedeutung von âOpen Contentâ vergegenwĂ€rtigen. Open Content, auch bekannt als Creative Commons in dessen rechtlichen Mittelpunkt, bezeichnet Zugang zu Inhalten, deren kostenloser Nutzung, VerĂ€nderung, Bearbeitung, Zusammenstellung und Weiterverbreitung, so dies urheberrechtlich erlaubt ist. Wir gehen nicht mehr detailliert â das haben wir bereits an anderen Stellen unserer Philosophie ausgefĂŒhrt â auf die heillosen ZustĂ€nde im europĂ€ischen Datenschutzrecht ein, ein Zustand, zu dem selbst die Juristerei mittlerweile nur noch KopfschĂŒtteln ĂŒbrig hat; immerhin regt sich hier ein Diskurs als ein neuer Anfang, das Recht auf freien Zugang zum Wissen neu aus rechtlicher Sicht zu diskutieren.
Es geht uns um die wichtigen Dinge, um eine paradigmatische Geltung einer negativen Freiheit, wenn es um Meinungsfreiheit in dem Sinne geht, dass jemand seine Meinung frei Ă€uĂern darf, ohne von anderen z.B. durch Zensur daran gehindert zu werden. Und es gilt ebenso paradigmatisch, dass wir heute von einer positiven Freiheit sprechen, wenn die modernen, multilateralen Kommunikationstechnologien offen erreichbar und zur freien MeinungsĂ€uĂerung uneingeschrĂ€nkt zur VerfĂŒgung stehen mĂŒssen und zwar so, dass eine freie MeinungsĂ€uĂerung nicht nur prinzipiell möglich ist, sondern, dass Meinungen auch tatsĂ€chlich geĂ€uĂert werden, Kommunikation und kommunikative Interaktion auch tatsĂ€chlich stattfinden kann. NatĂŒrlich muss dabei auch ein Fokus gelegt werden auf das, was allenthalben als âHate-Speechâ gefasst wird und damit auch auf die Frage, was ist eigentlich eine Meinung? Wo endet sie und wird ein Straftatbestand?
Aber vorher muss noch eine grundsĂ€tzliche Bestimmung stattfinden, die eine neue Sicht auf die praktische Vernunft erhellt und zwar aus der Betrachtung der neuen digitalen Daten-Technologien und wie wichtig es ist, dass Zugang zur Kommunikation uneingeschrĂ€nkt fĂŒr jeden möglich ist. Dabei werden wir entdecken, dass es eben kein Zufall ist, dass dieser, nicht einmal uneingeschrĂ€nkt freie Zugang zu den modernen Daten- und Kommunikationstechnologien, die Vorstellung einer Ordnung ohne Herrschaft befördert. Und es ist ein offenes Geheimnis, dass Regierungen sich generell schwertun mit Formen herrschaftsunterlaufender Diskurse, sie am liebsten verbieten oder stark einschrĂ€nken wĂŒrden. Aber so einfach ist die Steuerung der MedienkanĂ€le heute nicht mehr, schon rein technisch nicht mehr. Vom politischen VerstĂ€ndnis her wĂ€re es ein Einfaches, GrĂŒnde fĂŒr die EinschrĂ€nkung der digitalen Kommunikation zu erfinden, aber auch das erweist sich politisch als kleiner Selbstmord. Man greift die moderne Kommunikation gerne in Bausch und Bogen an als gesetzlose Kommunikations-Anarchie, wobei es gerade diese Anarchie ist, auf der unsere Zukunft aufbaut.
Dass Anarchie die Vorstellung einer Ordnung ohne Herrschaft in den politischen Diskurs gebracht hat, eine Vorstellung, in der eine gesellschaftliche Ordnung sich selbst organisiert und selbst regelt, idealerweise ĂŒber freie ĂbereinkĂŒnfte aller Mitglieder im Sinne von funktionalen Entscheidungen, also keineswegs konnotierend mit Gesetzlosigkeit und WillkĂŒr- bzw. Gewaltherrschaft, wird dabei gerne und vielleicht auch noch eine Zeitlang ausgeklammert. Aber die Zeit der Ausklammerung ist auch bereits abgelaufen. Unsere westlichen Industrienationen erleben gerade eben diese Form der Transformation einer Gesellschaft hin zu zeitlich und rĂ€umlich und in aufgabenspezifischer Hinsicht schnell wechselnden agilen Gruppen in der zivilgesellschaftlichen Kommunikation, in der Unternehmens- wie der institutionellen Kommunikation; ein wesentlicher Transformationsprozess, der uns fortan stets explizit wie auch implizit in unserer Philosophie begleitet.
Erinnern wir uns also an die unterschiedlichen Bestimmungen des Freiheitsbegriffs, einmal die angelsĂ€chsischen, die Freiheit ĂŒberwiegend und bis heute noch ökonomisch, sozial und kulturell derart segregativ bestimmen, dass damit zu arbeiten und zu denken wenig eintrĂ€glich ist fĂŒr eine Vorstellung und Perspektive zu einer neuen Gesellschaft, in der eine positive Freiheit ĂŒber eine negativ bestimmte verwirklicht werden kann. Wir greifen dazu zurĂŒck auf Leibniz, dessen Freiheitsbegriff ganz in unserem Sinne eigebettet ist in eine praktische Vernunft und als Handlungsfreiheit beschrieben wird. Zwar ist der âlibertĂ© de droitâ, der TrĂ€ger der Freiheitsrechte nicht mehr nur rein negativ bestimmt, etwa als Abwesenheit von UnterdrĂŒckung und Zwang, von Sklaverei und Ausbeutung, vielmehr als vor dem Recht gleicher BĂŒrger; aber einen Ausweg aus Unfreiheit hat Leibniz allenfalls skizziert.
Wir wissen heute, wie wichtig es ist, die soziale und die strukturelle Dimension von Unfreiheit genau zu erkennen und detailliert zu beschreiben, und hierbei hilft auch, wenngleich nicht ausreichend Piketty, auf den wir eingehen werden, besonders, wenn es um moderne Formen der strukturellen Ungleichheit geht. Nicht umhin kommt man, sich in diesem Zusammenhang mit der Charta der Menschenrechte zu beschĂ€ftigen, so auch wir nicht. Die Charta der Menschenrechte enthĂ€lt keine proprietaristischen Vorstellungen und steht, juristisch betrachtet, wohl an der Spitze der zivilen Entwicklung von einem universellen Rechtsstaat, wobei dieser Rechtsstaat auch schon keine nationalstaatlichen Grenzen mehr kennt und somit den BĂŒrger als WeltbĂŒrger veranschlagt.
Die Menschenrechte gelten transnational bzw. global und fĂŒr alle Menschen, was deren IntegritĂ€t und Schutz vor WillkĂŒr, wenngleich dies eher virtuell zu verstehen ist betrifft, und dem menschlichen Dasein eine Perspektive ökonomischer, sozialer, kultureller wie individueller Selbstbestimmung eröffnen. Manche werden sich verwundert die Augen reiben, wenn wir in der Folge unserer Bestimmung der menschlichen Freiheit aus einer praktischen Vernunft heraus auf den Begriff der Anarchie zurĂŒckfinden, was mehr sein soll als eine Illustration dessen, was wir mit Freiheit und Selbstorganisation sowie neuen Formen von VerĂ€nderung und Perspektiven meinen. Ein kurzer Abstecher in die Welt der Hedgefonds und der Praxis anarchischer Umverteilung von erheblichen Geldvermögen schlieĂen wir mit einem Beispiel aus der jĂŒngsten Vergangenheit an den US-FinanzmĂ€rkten ab; bekannt geworden als die âWallstreet Betsâ.
Dass nicht nur in der Finanzwirtschaft Informationen und Medien von auĂerordentlich groĂer Bedeutung sind, weiĂ man. Heute sprechen wir sogar von Codierungen erster und zweiter Ordnung im Alltag, in der Wissenschaft, im Kulturbetrieb wie in der sozialen, ja sogar in der privaten Umgebung und tun uns immer schwerer, die Sprachen und Ideologien auseinanderzuhalten, mit denen wir unser VerstĂ€ndnis der Welt versuchen. Hinzu kommt, dass heute in einer global vernetzten Kommunikation die erste Codierung, die erste Quelle einer Information kaum noch identifiziert werden kann. Besonders elektronische Medien verbreiten nicht nur Informationen ĂŒber den gesamten Globus, sie sind bei deren Erzeugung autopoietisch, also selbstaktiv und damit konstitutiv fĂŒr die mediale Interaktion. Informationsmaschinen sind selbst aktiv, sie verwenden Informationen und Daten eigenstĂ€ndig, verknĂŒpfen sie mit anderen Informationen und Daten von anderen Maschinen oder innerhalb einer Cloud.
Mit kaum nennenswerter KI (KĂŒnstlicher Intelligenz) bringen sie es schon zu einem intelligenten Vorschlagswesen, also einer bereits hochgradig individuellen Informationsselektion und zu Hypercodierungen. Suchmaschinen, Datenbanken und Cloud Services sind dabei die Hauptakteure elektronischer Diskurserzeugung, was wir in Anlehnung an die aristotelische Logik ein âProton Pseudosâ, eine erste LĂŒge oder einen Grundirrtum nennen wollen, wobei es uns darauf ankommt, dass dieses âErsteâ durch keine Logik mehr zur Wahrheit und zur Erkenntnis mehr korrigiert werden kann. Was wir erreichen können ist also nicht, durch Nach- und Bedenken einen Prozess der Wahrheitsfindung einzuleiten, sondern â im Vorgriff auf SpĂ€teres â worum es wirklich geht ist, unser objektives Unwissen zu verkleinern. Das beginnt mit einem Abstand, einer Distanz zum Unwissen, die sich z.B. in Formen des Protests ausdrĂŒckt, etwa durch: Weg mit Rassismus, Schluss mit Antisemitismus usw. Diese im Raum-stehenden Aussagen des Abstands aber haben noch keine Perspektiven, das âWohinâ darin hat noch keine Aussage.
Wir folgen daher den verschlungenen Wegen, wie Aussagen ihre Bedeutungen gewinnen und beginnen bei einer grundsĂ€tzlichen Betrachtung, bei Mimik und Gestik. Sie sind neben anderen Verhaltungen Spiegelbilder unserer Stimmungen und zugleich Spiegelbilder unserer kognitiven Dissonanzen, was wir mit dem neueren Terminus aus der strukturellen Kommunikationswissenschaft bezeichnen, mit Codierung und Ăbercodierung . So beginnen wir mit den Ăberzeichnungen von Befindlichkeiten und emotionalen Stimmungslagen, die stets beteiligt sind am Verstehen und Auslegungsprozessen und im Alltag einen weit gröĂeren Raum belegen, als Prozesse des rationalen Denkens.
Wir werden spĂ€ter sehen, dass diese ersten Auslegungsprozesse von intuitiver Art sind, die schneller, meist spontan und unwillkĂŒrlich bzw. vorbewusst ablaufen, wohingegen rationales Denken post festum erfolgt und sehr viel langsamer ablĂ€uft und mit erheblich viel mehr an âAufwandâ verbunden ist. Intuitives Denken ist immanenter Teil des Geschehens und imponiert als âWas-Frageâ, als: was passiert hier z.B. Rationales Denken bezeichnen wir mit âNachdenkenâ und âReflexionâ und imponiert als âWarum Frageâ und setzt nachtrĂ€glich ein Geschehen in einen Bedeutungs- und BegrĂŒndungszusammenhang.
Wir gehen kurz auf Leon Festinger ein, dem das Verdienst zukommt, Emotionen nicht wie Charaktereigenschaften betrachtet, sondern ihnen eine Bedeutung innerhalb eines kognitiven Prozesses eingerĂ€umt zu haben. Solche kognitiven Prozesse sind es, die Dissonanzen in der IntersubjektivitĂ€t und Interaktion entstehen lassen können und keine isolierten Befindlichkeiten oder Stimmungen. Die vielleicht einfachste Dissonanz kennen wir alle als Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, ohne die wohl kein soziales Lernen stattfindet, wohl auch nicht stattfinden wĂŒrde. Soziales Lernen wiederum findet nicht allein statt innerhalb rein kommunikativer Prozesse, sondern auch und vor allem in alltagspraktischen ZusammenhĂ€ngen wie etwa dem Beruf, im Umgang mit Medien, im Konsumverhalten usw. und nicht zuletzt ĂŒber das, was wir im Medienzeitalter an Informationen und Narrativen geboten bekommen.
Wir schwenken zurĂŒck auf die politisierten MassenauflĂ€ufe auf den StraĂen der BRD und der USA, auf die Zeit des Brexits und Pegida und versuchen eine ErklĂ€rung, wie nationalistische, antidemokratische, rassistische und ultrarechtsradikale Inhalte ĂŒbertragen werden bis hin zu einem PhĂ€nomen, von dem wir vielleicht glaubten, dass es 1945 mit der ErstĂŒrmung des Reichstags untergegangen wĂ€re, dem âFĂŒhrerprinzipâ; mitnichten, ist doch die ideologisch ultimativ geschlossene Formation: FĂŒhrer, wir folgen dir, lĂ€ngst wieder RealitĂ€t in weiten Teilen der USA und in Teilen der BRD. Was wir hier besonders betrachten ist, wie die Vereinnahmung von Befreiungsassoziationen durch politische Gruppen, die alles andere als eine Befreiung im Sinn haben, gelingt, weil innerhalb differenzieller Gruppenaktionen keine ErklĂ€rungen von AktivitĂ€ten mehr benötigt werden, wenn Dauer, HĂ€ufigkeit und IntensitĂ€t in der MedienprĂ€senz das Prinzip der Priorisierung einer politischen Assoziation vollenden. Vollendet werden dabei oft als Imitation bezeichnete Prozesse, die aber als imitatio veterum, als Nachahmung der Alten und als Mimese, Fetischisierung und Immunisierung zugleich sich herausstellen und die die Herstellung konformen Denkens und Verhaltens und deren AdhĂ€sionskrĂ€fte, also die KrĂ€fte der Bewahrung beschreiben. Dieses VerstĂ€ndnis brauchen wir auch, um aus den assoziativen KrĂ€ften auszubrechen und ein Fenster zu einem Raum öffnen zu können, der ĂŒber die bewahrenden, die konformistischen Elemente hinauszublicken erlaubt.
Wir finden dort und wohin wir auch schauen ĂŒberall eine Struktur vor, die eine Synthese der Begriffe Möglichkeit, Notwendigkeit und Wirklichkeit vorstellt. Ob diese Synthesis an sich besteht oder sich in einem dialektischen Denkprozess herausstellt, ob also ein metaphysisches, sagen wir religiöses System die Begriffe zusammenbringt oder ein irdisches Denken in Begriffen und einer möglichst widerspruchfreien logischen Verwendung wie dies im System des transzendentalen Idealismus von Kant bis Hegel exerziert wurde, wir finden den Weg vom Möglichen zum Notwendigen hin zum Wirklichen in allen Facetten des Denkens seit der griechischen Antike vor.
Was uns verwunderte war, wie eng dieses Denken noch und in seinen unterschiedlichsten AusprĂ€gungen und Denkern verwoben ist mit der Antike und nicht selten mit Teilen der christlichen Metaphysik. Nun, es waren ja auch Kirchenvertreter wie Luther und Calvin, die ausgerechnet den Begriff der Arbeit in dieses System einer nun Glaubens-Dialektik zu nennenden Systematik eingebunden haben. Die Systematik betraf und das ist von glaubenstheoretischer Bedeutung, das Leben der Menschen von Geburt bis zum Tod und darĂŒber hinaus. Möglichkeit, Notwendigkeit, Wirklichkeit, die Realmodi der Neuzeit, bekamen eine neue Systematik und damit Bedeutung und einen Sinn erst aus der Trennung von Transzendenz und Immanenz, wie sie die christliche Glaubenslehre formuliert hat. So sĂ€kularisiert Calvin die menschliche Existenz in eine Arbeitsexistenz und weil Arbeit (Berufsarbeit bei Luther) generell nun der Beiwohnung des Gottesdienstes und einer göttlichen Ordnung gleichgestellt ist und der Christ durch sein Streben nach beruflichem Erfolg einer göttlichen Wahl nachkommt, an dem Ort, an den er beruflich gestellt ist, sein Bestes zu geben hat. Wir können nun leicht einen Bogen schlagen zum angelsĂ€chsischen Puritanismus und dessen religiöser Ăberzeugung, dass der Mensch selbst wie die soziale Gemeinschaft am beruflichen Erfolg ablesen können, ob er von Gott erwĂ€hlt worden ist, oder nicht, und auch in welcher graduellen GĂŒte Gottes der Mensch bzw. seine Familie stehen. Gut sind die Menschen, die beruflich viel schaffen, besser die, die ĂŒber Generationen hin Gottes Wohlgefallen verdient haben; so glaubt bis heute ein groĂer Teil der amerikanischen Nation.
Wir zeigen, dass der Calvinismus Arbeit personalisiert und individualisiert hat, dass es eine Person ist, die hart arbeitet, um sich aus der Armut zu befreien, und es sind alle Armen, die so tun mĂŒssen und tun können, jeder Einzelne. Der Proprietarismus des monetĂ€ren Reichtums ist sogleich als Summe aller Individuen durchgezĂ€hlt eine Gesamtgesellschaft in unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Zur Herausstellung der GrĂŒnde fĂŒr die Entwicklung solcher segregativen Gesellschaftsstrukturen gehört natĂŒrlich zugleich auch ein bestimmtes politisches âMitbestimmungsmodelâ, welches als Zensussystem bekannt geworden ist. Wie in der attischen Demokratie war auch das römische Zensussystem von dieser strukturellen Einteilung der BĂŒrger der römischen Republik in Zensus- und damit auch in soziale Klassen. Das bedingte, dass in der wichtigsten Volksversammlung der Römischen Republik, der Comitia Centuria, auch nur BĂŒrger der wohlhabenden Schichten, die NobilitĂ€t (u.a.) vertreten waren und mit ihrer Stimmenmehrheit politisch stets der realen Mehrheit der einfachen, der gemeinen BĂŒrger im Volke, den sogenannten Plebs stets ĂŒberlegen blieben. Der Ăberlegenheitsgedanke ist also alt und lebt bis heute, gleichwohl in den modernen Gesellschaften die Prinzipien der Meritokratie, des Proprietarismusâ und des Zensussystem nicht mehr auf die antike Art miteinander verbunden sind.
Hieraus haben sich im Laufe der letzten zweihundert Jahre in enormer Differenzierungs-Geschwindigkeit alle Lebensbereiche der Menschen verĂ€ndert, was wir zunĂ€chst epistemologisch angehen. So kommen Fragen in den Blick, wie wir etwas bewerten, sei es politisch, ethisch oder moralisch, aber vor allem aus der Perspektive eines Grundes, also der âWarum-Frageâ. Wir werden zeigen, dass ein Sachverhalt, der aus der Frage nach dem Warum zunehmend an Gewicht gewinnt, dadurch ge-kennzeichnet ist, dass er die RealsphĂ€re von der Wirklichkeit und Notwendigkeit hin zu einer Möglichkeit verschiebt, hier bestimmt als eine neue Möglichkeit der Sicht auf einen Sachverhalt.
Und diese neue Sichtweise ist eine, die sich so weit wie möglich von einer metaphysischen Sichtweise entfernen will, was zu einem neuen VerstĂ€ndnis von Kultur und Wissenschaft fĂŒhrt. Am Beispiel der Covid-19-Pandemie zeigen wir, dass Fachwissenschaften wie die Virologie, die Medizin etc. allesamt als getrennte diskursive Systeme neben anderen wie etwa die Politik, die Wirtschaft, die Medien etc. existieren und welchen Einfluss diese schwer wieder zusammenzubringenden, zu synthetisierenden Systeme auf die LebensfĂŒhrung und auf die modernen Gesellschaften haben.
Kommen wir sodann auf einen wichtigen Unterschied: WĂ€hrend die fachwissenschaftlichen Diskurse alle ihre Aussagen referenzieren auf ein System methodisch strukturierter Aussageformen und einen Konsens herstellen durch Rede und Gegenrede oder in Form wissenschaftlicher Abhandlungen bzw. öffentlicher Diskussion, fehlen diese Formen im alltĂ€glichen Diskurs weitgehend. Der Alltagsdiskurs funktioniert ohne jede Metaebene, die vorab eine Form des Konsenses garantiert. Verbindlichkeit, Vertrauen in das Ausgesagte, VerlĂ€sslichkeit und anderen konsensuale VerstĂ€ndnisformen sind also im Alltagsdiskurs weder gegeben wie in der Wissenschaft der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis, noch sind sie leicht zu bekommen, nicht einmal leicht unter zwei Personen. IntersubjektivitĂ€t im Sinne einer alltĂ€glichen Ăbereinstimmung von Wahrnehmungen, Meinungen und Urteilen ist ein Desiderat ohne Referenz und bleibt damit als ein fortwĂ€hrender Prozess der Auseinandersetzung mit Aussagen im Diskurs erhalten. Dem Alltagsdiskurs bleiben nur Fragen, Fragen nach Meinungen und Intentionen, nach einem möglichweise vorhandenen Hintergrundwissen resp. nach Informationen, nach GesprĂ€chskonventionen, wie man sie vor allem im Berufsalltag kennt, fragen nach Definitionen und Referenzierungen usw. und jeder weiĂ wie schwierig es ist, eine Bedeutung im GesprĂ€ch zu erschlieĂen und Verstehen zwischen zwei und mehr Personen herzustellen.
Was also in-Frage-steht sind Meinungen, Intentionen, sind Bedeutungen und der Sinn des Gesprochenen, nicht selten dessen Relevanz; nach alledem fragen wir auch und erkennen, dass Bedeutung bestimmt ist von einem Zeitfaktor, also nicht plötzlich erscheint, und dass ĂŒber einen eher langen Zeitraum die Bedeutung einer Aussage ihr quasi von auĂen zugeschrieben wird durch eine diskursive Auseinandersetzung, durch einen öffentlichen Diskurs. Deshalb ist auch jede Rede von einer Bedeutung innerhalb eines privaten Diskurses fehl am Platze. Und wir nehmen noch eine andere Erkenntnis mit, dass nĂ€mlich selbst was ein Richter sagt, keine Bedeutung hat, wenn es nicht als geschriebenes Urteil ĂŒberreicht oder per Post nachweislich ĂŒbermittelt worden ist. Es ist völlig egal, was wer irgendwann oder irgendwo aussagt, ohne schriftliche Aufzeichnung und eine offizielle Auszeichnung ist alles Gerede. Deshalb beschĂ€ftigen wir uns gleichsam notgedrungen mit dem PhĂ€nomen, dass der schriftlichen Aufzeichnung so wenig Bedeutung zugeschrieben worden ist, vor allem in der Philosophie, gleichwohl doch die Philosophie selbst sich mit Schriften beschĂ€ftigt.
Unter dieser Randnotiz der Schrift steht gewissermaĂen eine Zeile darauf eine andere, die uns weiter beschĂ€ftigt und mit in das geistige Arsenal der Urteilskraft aufgenommen werden muss: Niemand im antiken Athen oder Rom wĂ€re auf die Idee gekommen, beim Anblick eines Tempels von wahr oder falsch, sondern allein von der Göttin oder dem Gott âwĂŒrdigâ zu sprechen, was darauf hinweist, dass Urteile wie etwa âwĂŒrdigâ Vernunfturteile sind und Urteile wie wahr und falsch logische Urteile und man beide Former des Urteilens unterscheiden sollte, ja muss. Und dies hat dann sogleich wieder einiges an Bedeutung. Bevor wir uns mit der âUrteilskraftâ dann eigens beschĂ€ftigen, bearbeiten wir vertiefend noch deren Umfeld. Dort unterscheiden wir zunĂ€chst zwischen gesprochener Rede und schriftlichen Dokumenten, die vor allem in der praktischen Vernunft eine ganz wesentliche Rolle spielen. Kaum etwas in der praktischen Vernunft ist von Relevanz ohne Dokumente, sei es ein Vertrag, ein âletter of agreementâ usw. Kaum etwas trĂ€gt hier eine Orientierung an neuen Perspektiven, verlöre die praktische Vernunft ihre Aufzeichnungsebene.
In den Wissenschaften ginge nichts, ohne diese. Auch wissenschaftliche Diskurse laufen stĂ€ndig Gefahr, wie Gerede zu enden, werden sie in sprachlichen Auseinandersetzungen gefĂŒhrt. Eine öffentlich gefĂŒhrte Rede hat in der Hinwendung zum Publikum mit Ă€hnlichen Prozessen zu rechnen wie eine öffentliche Auseinandersetzung in den neuen Medien. Wir werden zeigen, dass die Ausrichtung an den kleinsten Nenner oder anders gesagt, die ErfĂŒllung von Erwartungen auf einem niedrigen bzw. durchschnittlichen Niveau nicht nur den Diskurs spaltet in Relevanz und Irrelevanz, sondern dass der ĂŒberwiegende Teil der klassischen Reichweitenmedien und der gesamte Teil der neuen Medien mit groĂem Erfolg an der organisierten Agnostik und an neuen Formen der HĂ€resie arbeiten; und das hat weitreichende Konsequenzen. Und wir bemĂŒhen dazu noch einmal die Frage ĂŒber die Möglichkeiten und Grenzen von Meinungs- und Redefreiheit und deren Funktion innerhalb demokratischer Systeme wie wir sie aus den USA und Europa kennen.
Im weitesten Sinne nĂ€hern wir uns Urteils- und Entscheidungsprozessen an ĂŒber eine Betrachtung, was in den letzten Jahrzehnten mit Verantwortung und Entscheidung in der Ăkonomie passiert ist. Wir fragen: Was sind eigentlich die TriebkrĂ€fte, die Top-Manager dazu treiben, ihrer Verantwortung rigoros auszuweichen? Wir erkennen eine Verschiebung, wenn immer es möglich ist, die Verantwortungsebene von den EntscheidungstrĂ€gern abzutrennen und in die Organisation hinein zu verlagern, dorthin, wo operative Teams in der Form des neuen, des agilen Managements unter Verantwortungsstress arbeiten, ohne an der Entscheidungsfindung direkt und ausreichend beteiligt zu sein.
Und wir erkennen, dass Verantwortung auszuweichen zugleich den gröĂeren Raum der Gestaltungsmöglichkeiten fĂŒr Entscheider eröffnet, dort zu entscheiden, wo mit jedem Grad an Wichtigkeit und Reichweite einer Entscheidung Gestaltung möglich wird, politische, wirtschaftliche, kulturelle und private Gestaltung. Und das hat bisweilen sogar libidinösen Charakter, gleichsam eine fast sĂŒchtig machende Entscheidungs- und Gestaltungslust, der manche Top-Entscheider geradezu verfallen sind. Dabei leitet uns auch die Frage, was den Willen zur Gestaltung antreibt bzw. woraus sich dieser Wille entwickelt, denn vom Himmel fĂ€llt er weder noch erwirbt man ihn en passant im Laufe des Berufslebens. In unserer Betrachtung dieses Beispiels werden wir entdecken, dass es nicht einfach das Denken ist, welches als die stĂ€rkste Antriebskraft im Dasein des Menschen begriffen werden muss, weil Denken komplex ist und verschiedene Formen beinhaltet, die weit ĂŒber rationales Denken hinausgehen und nicht wie Phasen in einer Entwicklung abgelöst werden. Wir können die Dialektik der Aufhebung vorheriger in höheren Phasen des Denkens erschĂŒttern und zeigen, dass verschiedene Formen des Denkens ein Leben lang komplementĂ€r, also nebeneinander bestehen bleiben. Der Drang nach Wissen entspringt wie auch sonst kein Antrieb aus einem A-Privativum, ob aus einem Mangel, einer Angst oder einer Sorge, wie dies die Philosophie in der ersten HĂ€lfte des letzten Jahrhunderts bestimmt hat.
Wir bestimmen dagegen den Drang zu verstehen und zu wissen im Rekurs auf die Neugier, zumal nur hier auch die Motivationen und Emotionen im Drang nach Wissen und in der Wissbegierde deutlich hervortreten. Wir nehmen zur Neugier noch das Spiel hinzu, aber in einer Bestimmung, die das Spiel nicht nur als zweckfrei bestimmt, denn das Spiel kennt auch den Nutzen in den Informations- und Lernspielen, kennt Regeln und Sanktionen. Im Spiel lassen sich Menschen auf die Gegebenheiten und Möglichkeiten ein, die ihnen die Welt als Aufgabe stellt und so ist kein Plan, keine GeschÀftsplan, Bauplan, Projektplan usw. ohne spielerisches Element.
Wir fragen uns: Aber wer vermutet Ăhnliches in der Arbeit von VorstĂ€nden? Wir versuchen eine Antwort in der Betrachtung der TĂ€tigkeiten von Entscheidern und vergleichen deren Denken, Motivation und Kontext mit anderen EntscheidungstrĂ€gern in Unternehmen, mit der heute sogenannten Projekt-Ebene im Unterschied zur Ebene der strategischen Unternehmensentscheidungen. Und wir werden auch hier entdecken, welchen hohen Bedeutungsgrad gerade bei strategischen Entscheidungen die Elemente des Spiels und der Neugier besitzen, sie heiĂen hier natĂŒrlich anders.
Ohne eine grĂŒndliche Reflexion auf das, was eine IdentitĂ€t ausmacht, kommen auch wir nicht aus und nicht in die NĂ€he unseres Ziels, die Begriffe VerĂ€nderung und Perspektive umfassend zu bestimmen und vor allem, bei diesem Bestimmungsversuch die Elemente freizulegen, die in jeder Bestimmung von IdentitĂ€t maĂgeblich beteiligt sind. Diese Elemente sind allesamt Denkformationen, auch Ideologien zu nennen, wenn es um starre, sich nicht verĂ€ndernde Formen der IdentitĂ€tsbestimmung geht. IdentitĂ€t ist also keine rein individuelle Angelegenheit und das hat Einiges an Auswirkungen fĂŒr jeden Einzelnen wie auch fĂŒr unser Denken und Handeln. Da es, wie wir mehrfach nachgewiesen haben, nichts gibt, was sich nicht verĂ€ndert im Laufe der Zeit, können starre IdentitĂ€ten daran erkannt werden, dass BeharrungskrĂ€fte wirken, was ja Ideologien sind, seien diese politischer oder im weitesten Sinne kultureller Art. Solche sind z.B. der Rassismus, auch, wenn er als ein struktureller Rassismus ohne Rassen imponiert. NatĂŒrlich gehören konfessionelle Ideologien hierher wie einige andere mehr wie z.B. soziale bis hin zu wissenschaftlichen Ideologien, deren Erscheinungsformen wir versuchen aufzudecken und deren Spuren in der Geschichte wir folgen. Und nicht zuletzt auch der Existenzialismus, der doch gerade dafĂŒr stehen sollte, eine Denkformation ohne Ideologien zu sein.
Damit wagen wir uns in ein Feld vor, welches selbst als ein hochgradig ideologisiertes Feld beschrieben werden muss, das der Freiheit, die auf IdentitĂ€t, auf personale wie auf nationale IdentitĂ€t basiert. Wir bleiben noch ein wenig beim Existenzialismus und zeigen auf, dass Grundbestimmungen der Existenz nicht ohne die Erfahrung und die Auseinandersetzung mit zwei Weltkriegen in Deutschland und in Europa sich so gefĂŒgt hĂ€tten. Existenzialphilosophie fokussierte auf die Themen Angst, Mangel, Tod, Verantwortung im Geiste wie im Handeln, die als die elementaren Erfahrungen des menschlichen Daseins das neue GedankengebĂ€ude einer Theorie des Einzelnen, des menschlichen Daseins tragen sollten. Freiheit, einst elementare Bedingung des aufgeklĂ€rten Menschseins, wurde natĂŒrlich in den Nachkriegsjahren zuerst zu einem politischen Desiderat, was zĂ€hlte, war die unmittelbare Erfahrung, die das Dasein trug. Die âFacta brutaâ, bei Leibniz noch das Prinzip des Widerspruchs und das Prinzip des zureichenden Grundes reichten nicht mehr an das heran, was zwei Weltkriege an Erfahrungen vermittelten, Erfahrungen, die scheinbar bedingungslos grausam und widersprĂŒchlich, grundlos und fĂŒr nichts gut die Menschen miteinander konfrontierten, sowohl, was deren Interaktion wie deren IntersubjektivitĂ€t im Modus des Krieges offenbarten.
NatĂŒrlich ist es ein weiter Bogen ĂŒber wenige Jahrzehnte der Nachkriegszeit hinweg zwischen 1945 und Mai 1968 zu spannen, aber ohne diesen Bogen wĂ€ren die neuen Bestimmungen von Freiheit und IndividualitĂ€t kaum sichtbar zu machen. 68 sah man sie buchstĂ€blich auf allen StraĂen, die existenzial-ontologischen Bedingungen der Möglichkeit des Freiseins, die ohne BH und im Minirock, mit neuem Beat und experimenteller Musik, mit einem schier endlosen Happening in den bildenden KĂŒnsten auf BĂŒhnen und LeinwĂ€nden und neuen privaten Lebensformen wie etwa Kommunen und mit wechselnden IdentitĂ€ten einhergingen; rein Ă€uĂerlich betrachtet. Mit einher ging eine neue Philosophie der Praxis, am Beispiel von Lefebvre vorgestellt, die in Anlehnung an Hegel und die Zeit den Moment der âtotalen Philosophieâ, der Wahrheit und des absoluten Wissens postulierte; voilĂ , c’est si bon.
Die neue Philosophie der Praxis legte in Anlehnung an ihre Zeit eine neue Sichtweise in die Philosophie, die den Menschen ins Zentrum des Denkens stellte, vor jede Ideologie, vor jeder rein theoretischen und vor jeder rein wissenschaftlichen Betrachtung; so jedenfalls war ihre Absicht. Der Mensch lebt in ZusammenhĂ€ngen von IntersubjektivitĂ€t, also nicht nur allein und auf sich selbst bezogen, und in interaktiven ZusammenhĂ€ngen, die das, was ist, verĂ€ndern wollen. VerĂ€nderungswille ist damit noch keineswegs dogmatisch zu verstehen, also als eine Form der Negation oder eines irren Willens zu Macht, niemand wollte damals seinen Eltern ein Leben in einer Kommune mit wechselnden Sexualpartnerschaften aufzuzwingen, sondern neue Lebensformen einfach fĂŒr sich ausprobieren. NegativitĂ€t gegenĂŒber bestehenden Lebensformen, sagen wir nun SeinsentwĂŒrfe, sind selbst wiederum SeinsentwĂŒrfe, aber andere als bestehende, verĂ€nderte, vielleicht neue. In-der-Welt-sein ist also die Basis, ist das, was wir sind und verstehen und wenn das so ist, dann ist auch die Philosophie in der Lage, die Probleme, wie sie z.B. in der sozialen Praxis gegeben sind, zu verstehen, vielleicht auch zu lösen; und wenn nicht die Philosophie, wer sonst?
Die neuen Facta bruta der Empirischen Sozialwissenschaften erhielten einen ungeahnten Aufschwung, eine neue Dynamik in der Wissenschaft, in der technisch-technologischen Entwicklung, aber auch in den Entwicklungen politischer Systeme. Es war von Vorteil fĂŒr viele, das Europa zu wirtschaftlicher und dann zu politischer Zusammenarbeit fand, was sollte dagegensprechen? Galt bislang das âIch denke, also bin ich, so kehrte es sich nun um in ein âIch bin, also denke ichâ mit der EinschrĂ€nkung: ââŠwenn es unbedingt nötig und zu meinem Nutzen ist.â War der Existenzialismus noch eine Betrachtungsweise, in der Existenziales wie Dasein, Geburt, Tod, Endlichkeit, Uneigentlichkeit, Verfallensein bis hin zu Schuld und Gewissen im Vordergrund standen, so entzerrte sich dies in die SerialitĂ€t von existenziellen EinzelphĂ€nomen mit den PhĂ€nomenen von Arbeit und Kapital an deren Spitze. Zu sehr hat der Existenzialismus an einer bestimmten Betrachtungsweise laboriert, âdie es ablehnt, dem Menschen eine fĂŒr immer festgelegte Natur zuzuschreiben“, aber das war eine Scheinbefreiung, denn auch eine existenzialistische Betrachtungsweise kann die StrukturzusammenhĂ€nge nicht freilegen, die das Leben in einer modernen Gesellschaft weitgehend bestimmen. So ist die Radikalisierung der existenziellen zu einer existenzialen Sichtweise zwar gelungen, aber fĂŒr das VerstĂ€ndnis der DaseinsentwĂŒrfe sind beide kaum brauchbar. Und letztlich hat sich dann doch die existenzielle Sichtweise durchgesetzt, oder?
Wirtschaft lehrt die Facta bruta, so war und ist die Kernlehre dieses Denkens, welches sich hauptsĂ€chlich der Naturwissenschaften in weiten Teilen bediente, besonders der empirischen Sozialforschung mit ihren statischen Hochrechnungsmodellen, den Kausal- und Wahrscheinlichkeitsberechnungen. Wir folgen dem ein StĂŒck des Wegs und sehen in einer spezifischen Raum-Zeit-Betrachtung die Ressourcentheorie euphorisch aufsteigen und entdecken einige wichtige Substanzen wie z.B. Dampf, Plastik, Papier, Holz, Ăl und Metalle, passager auf Seltene Erden, die vor allem fĂŒr die mobile Kommunikation gebraucht werden, was aber auch eine arge VerkĂŒrzung noch im semantischen Realismus der Wissenschaften markiert. Wie die âSubstanzenâ so dematerialisiert sich auch der semantische Realismus aus demselben Grund, dass nĂ€mlich Raum und Zeit als substanzielle Bedingungen unserer Wirklichkeit sich als wenig brauchbar erwiesen haben wie auch die SubstanzialitĂ€t bzw. MaterialitĂ€t der Dinge, des Seienden um uns herum ein flĂŒchtiger Faktor zu sein scheint, so flĂŒchtig, dass mit jeder Dematerialisierung auch die Raum-Zeit-Koordinaten des Seienden sich verflĂŒchtigen, aus den Erinnerungen verschwinden, vergessen werden, und auch den Wahrnehmungen nicht mehr zugĂ€nglich sind. Und die PhĂ€nomenologie der Dinge zeigt uns nicht nur die Geschwindigkeit ihrer Dematerialisierung â heute ungenĂŒgend mit Digitalisierung bezeichnet â sondern auch, dass aus unserem linear strukturierten Denken in Raum und Zeit lĂ€ngst ein serielles Denken in Raum-und-Zeit-VerschrĂ€nkungen geworden ist, wobei wir bereits im Band V. ausfĂŒhrlich nahegelegt haben, in fraktalen Modellen zu denken; an dieser Stelle sei angemerkt, dass fraktale Denkmodelle keine BrĂŒche mit Kausalmodellen bezeichnen, weil sie aus dem inneren Kern von seriellen Modellen entstehen, also wenn schon, dann BrĂŒche mit diesen seriellen Modellen markieren.
Das Dilemma mit der IdentitĂ€t ist auch das mit dem Wahrheitsbegriff antiker, griechischer Herkunft, dass nĂ€mlich etwas in eine Beziehung als ĂŒbereinstimmend gesetzt wird, was einer ganzen Reihe von VerĂ€nderungen unterliegen kann und so auch die Grundlagen von IdentitĂ€t und Wahrheit verĂ€ndert. Wir studieren dies ein wenig entlastend vom schweren Gedanken an PhĂ€nomen der personalen, kulturellen und nationalen IdentitĂ€t am Beispiel von Sarden aber auch am Beispiel eines sogenannten Seevolkes, den Vezos. Wir werden sehen, dass die Anerkennung der Zugehörigkeit zur sardischen Kultur nicht einfach eine beliebige Form der Zustimmung, sondern eine Auszeichnung bestimmter Merkmale der Zugehörigkeit ist, die den BegrĂŒndungszusammenhang herstellen, warum jemand als Sarde gilt und warum nicht und der dann in Form eines gesellschaftlichen Urteils: du bist ein Sarde bestĂ€tigt wird. Nun haben wir in anderen Kontexten gesehen, wie löchrig alle Merkmale und deren ZusammenhĂ€nge im Lauf der Zeit oder in der Vita eines Menschen werden können, trotzdem bleiben das Urteil bzw. die Urteilsfindung, was etwas im Sinne der BestĂ€ndigkeit, also der IdentitĂ€t ist, stoisch an dieses BegrĂŒndungs- und Legitimationsverfahren gebunden; mit weiteren nachhaltigen Konsequenzen.
Wahrnehmungen, Wahrheiten und IdentitĂ€ten sind Bestandteile von Konzeptionen, mit denen wir die Wirklichkeit auszeichnen. Solche Auszeichnungssysteme aber beginnen gleichsam bescheidener mit Intuitionen, Vor-Wissen, Vorerwartungen und Vorurteilen, mit Klischees und Muster von Ăhnlichkeiten. In die sind unsere Wahrnehmung wie WĂ€sche in die frische Luft hineingehĂ€ngt, sie unterwandern unsere Sinne und belĂŒften sie mit dem Ăther der Geschichte, aus dem sie heraustreten mĂŒssen, irgendwann in irgendeiner Weise. Diese Weise, die das uralte Problem der Methexis berĂŒhrt, beginnt damit, dass wir Menschen ontologisch nicht unterscheiden können, was an unseren Wahrnehmungen ist tatsĂ€chlich von uns und was von den âAltenâ, was ist tradiert.
Im sprichwörtlich doppelten Sinne der Frage: Was haben wir von den Alten? versuchen wir den Kern freizulegen, einmal festzustellen, was tradiert und ĂŒbernommen wurde und welchen Sinn solche Traditionen haben? Wir werden zeigen, dass es eben nicht das Problem der Methexis ist, Reales von Idealem zu unterscheiden, sondern deren sehr unterschiedlichen Beziehungen zueinander nachzuspĂŒren. Wir sagen nachspĂŒren um zu verdeutlichen, dass die Beziehungen reflektorischer Art sind, also in uns selbst entdeckt und nachgedacht werden wollen. Wir bebeispielen dies und haben in allen diesen Formen der Methexis, seien dies immersive RealitĂ€ten wie etwa die Welt der Augmented Reality (AR), die Welt der Kunst, der Medien o.a. eben diese spezifischen Formen der âĂbereinstimmungâ im Blick, aus deren Unterschiedlichkeit wir unterschiedliche Formen der ReprĂ€sentation der Wirklichkeit herauslesen.
Wir sprechen von Ăhnlichkeitsbeziehungen und von hochgerechneten Wahrscheinlichkeiten, die uns eine bestĂ€ndige, eine stabile Weltwahrnehmung zu erzeugen in der Lage sind und bemĂŒhen dazu das alte Motiv der âKette des Homersâ, die Aurea catena homeri, die vielleicht das sinnfĂ€lligste Bild ist der verketteten Welt der Ăhnlichkeiten, der âconvenientiaâ zwischen allem, was zum Reich der Götter gehört und zusammenhĂ€ngt mit allem Irdischen. Sie mag das Urbild der Verkettung sein, aber sie ist als diese Form der ReprĂ€sentation zugleich auch eine Art Befreiung aus scheinbar stabilen Bindungen des Menschen. Mit der Aurea catena homeri ist zugleich auch eine andere Form der ReprĂ€sentation erfunden worden, deren Prinzip der Schein ist, das ist das Prinzip der âaemulatioâ. Das Prinzip der Aemulatio, der Nacheiferung, basiert auf zwei geistigen KrĂ€ften, einmal der wetteifernden Nachahmung und das Ăberbieten, wobei letztere historisch sich am Vorbild der Natur und der Götter, spĂ€ter dann sich am Vorbild in der Literatur und der bildenden Kunst orientierte. Anders ausgedrĂŒckt, steht die Aemulatio nicht in direkter, gleich ursprĂŒnglicher Beziehung wie die Convenentia, die aurea catena, sondern steht mit ihr im (kĂŒnstlerischen) Wetteifer oder, ökonomisch gesprochen, im Wettbewerb. Denn die Emulation will nicht sein wie und steht daher auch nach antiker Auffassung nicht im Gegensatz zum Original, zur Eigentlichkeit. Aemulatio steht in wetteifernder Nachbildung, die nach weiteren Möglichkeiten sucht, die bislang nicht in den Ăhnlichkeitskonzeptionen enthalten sind. Das ist der Kern des Wettbewerbs, nicht nur Nachahmung, sondern eine Verbesserung anzustreben, eine Sicht auf mehr als die vorhandenen Möglichkeiten freizulegen.
Mit der Emulatio ist der Geist aus der Flasche, der Geist, der wetteifert und dies in massenhafter Vermehrung von Ăhnlichkeiten, der SerialitĂ€t oder seriellen Produktion, der VervielfĂ€ltigung, dem Wettbewerb und der Ăberbietung im Kern; das ist der Industriestandard nicht nur der Produktion, sondern auch der Industriestandard modernen Denkens und dessen Seinsart ist die Proportion. Es reicht heute nicht mehr, bevor man ans Werk geht, die Welt auf eine je eigene Art und Weise nachzuahmen, man soll sich auch auskennen darin, man muss Wissen erworben haben und Wissen zu den Talenten hinzufĂŒgen. Das wird erwartet und nicht nur von KĂŒnstlern, die daselbst in der ĂŒbergroĂen Menge heute viele Aufgaben mehr selbst ĂŒbernehmen mĂŒssen, die einst von Galeristen ihnen abgenommen worden sind. Die Aufgaben steigen somit mit den Erwartungen und Anforderungen, die Arbeitsteilung, einst eine Ă€uĂerliche Angelegenheit der Differenzierung von TĂ€tigkeiten und deren Aufteilung unter die Menschen, wird zunehmend eine Angelegenheit des einzelnen Menschen selbst, ganze neue Berufsfelder sind entstanden und Multitasking ein Ausdruck darin.
Wir entdecken Schopenhauer neu, was nicht heiĂt, unkritisch. Was Schopenhauer vom modernen Denken einfordert ist, Vorstellungen, Begriffe und Urteile nicht lĂ€nger mehr thematisch voneinander so zu unterscheiden, dass Vorstellungen, Begriffe und Urteile gesonderte Teilbereiche des Denkens ausmachen, nun gehören sie zusammen wie Multitasking, also die Erledigung von verschieden Aufgaben in einem Arbeitsprozess. So bestimmt Schopenhauer auch konsequenterweise den âSatz vom Grundâ neu und entwickelt seine Reflexion zu einem Modell, welches groĂe Ăhnlichkeit besitzt mit den spĂ€teren Erkenntnissen der Neurophysiologie und deren Aufteilung des Gehirns in verschiedene Areale, in denen verschiedene kognitive Prozesse in einer Art arbeitsteiliger Parallelverarbeitung stattfinden. Wir fragen: Und wo ist der Unterschied im Kern des Schopenhauerschen Modells im Vergleich zur Konfiguration moderner Rechnersysteme, bestehend aus emulierten Betriebssystemen und daran per Schnittstellen locker verbundenen, verschiedenen Anwenderprogrammen, den Apps? Wir erinnern an Schopenhauers Wiederentdeckung des Begriffs der Dianoiologie, die aus der Wahrnehmung, aus Beobachten und Urteilen besteht, spĂ€ter sich im wissenschaftlichen Diskurs aus Wahrnehmung, Beobachtung und Experiment bzw. Hypothesenbildung differenzierte. Wenn Wissenschaft also nichts anderes ist, als die nach Regeln systematische Kombination wissenschaftsförmig geordneter Fragen, SchlĂŒsse und Urteile, dann befinden wir uns auf dem Feld der Dianoiologie in einer Form der vor-wissenschaftlichen Urteilsfindung. Hier werden also nicht einfach nur spontan und willkĂŒrlich Wahrnehmungen und Beobachtungen geordnet, sondern als wahrheitsfĂ€hige ReprĂ€sentationen des Wirklichen vorgestellt, gleichsam wie Platon die Dianoia bestimmte als eine Art Zwischenstatus zwischen bloĂer individueller Meinung und wahrer Vernunfteinsicht.
Und wie findet der Mensch heraus aus diesem Zwischenstatus? Es ist nach Schopenhauer der Wille, der zwischen Vorstellung und Wirklichkeit vermittelt. Diese Vermittlung aber ist keine, wie wir sie seit der Philosophie der Renaissance kennen, also keine zwischen einem Denken und einer Wirklichkeit: Ich denke, also bin ich. Dass wir Schopenhauer so viel Aufmerksamkeit wieder widmen hat einen Grund, und der liegt in der Tatsache, dass die Philosophie sich mehr mit den Bestimmungen des Denkens beschĂ€ftigt hat als mit den Bestimmungen, die das Denken in die Wirklichkeit zur Umsetzung bringt, in die vielen Facetten des praktischen Umgangs des Menschen mit seiner Wirklichkeit also. So wenig sich die transzendentale Philosophie mit dem Willen beschĂ€ftigen musste, so sehr muss eine Philosophie der Praxis dies tun. Ohne Willen ist menschliche Praxis weder möglich noch denkbar. Zum Willen aber gehören Entscheidungen und Verantwortung, ohne die der Weg zu einer Philosophie der Praxis versperrt bleibt, weil Interaktion trĂŒb und IntersubjektivitĂ€t folgenlos und leer bleiben ohne RĂŒckkopplung aus den praktischen Beziehungen und Anforderungen, die der Mensch eingeht.
Wir streifen im Feld des Willens natĂŒrlich den Dialog, also den Austausch von Gedanken, Einstellungen, Meinungen, Ăberzeugungen und Erkenntnissen mit anderen Menschen und ĂŒber Medien und bestimmen die Grenzen dieses Austauschs als leere Rede einmal und als diskursive Vereinnahmung andererseits, wobei der Wille bei beiden Extremen stets noch als treibende Kraft sichtbar wird. Und ebenso sichtbar wird auch, worum es bei der leeren Rede und bei der Vereinnahmung geht, eine Vereinnahmung zielt nicht auf den im Willen enthaltenen Erkenntnisgrund, da bleibt es meist bei der Bekundung gröĂten VerstĂ€ndnisses fĂŒr das Anliegen, sondern die Vereinnahmung zielt direkt auf den Willen selbst. Der Wille soll sozusagen kaltgestellt werden. Es geht darum, den Erkenntnisgrund von seinen Handlungsoptionen abzuschneiden, jede Handlung und auch jede Anschlussaktion abzustellen. Die leere Rede, bei der beide Seiten Gedanken, Einstellungen, Meinungen, Ăberzeugungen etc. einfach nur austauschen und in der ein nicht erkennbarer Willensakt auf einer oder beiden Seiten beteiligt zu sein scheint, bleibt leer, weil ohne Folgen, ohne Anschlusshandlungen; weite Teile des medialen Diskurses folgen diesem Muster heute: sehr schnell, sehr viel reden.
Hierbei haben wir unmerklich bereits ein weiteres Begriffspaar gestreift, die Thematik von Willen und Relevanz. Motivation allein genĂŒgt nicht, um relevante Prozesse anzustoĂen. In der Kommunikation, in der Politik, in den Medien, vor allem in der Wissenschaft wird nach der neuen Generalthese der ReziprozitĂ€t gehandelt, wobei man jedem Teilnehmer oder Teilhaber an kommunikativen Prozessen die gleiche Relevanz grundsĂ€tzlich einrĂ€umt. Nur haben sich zwischenzeitlich die VerhĂ€ltnisse, in denen relevante Willensbekundungen und gerichtete Handlungen erscheinen, fundamental verĂ€ndert. Es ist eine Alltagserfahrung, dass jemand, der z.B. im beruflichen Kontext in seiner Abteilung ĂŒber hohes Ansehen und hohe Relevanz in seinen Entscheidungen und Handlungen verfĂŒgt, in der benachbarten Abteilung allenfalls noch höflichen Respekt erhĂ€lt, aber keinerlei Relevanz mehr dort hat. Wir sprechen seither deshalb nurmehr von funktionalen bzw. von Teilrelevanzen und haben dabei die Systemtheorie von Luhman entweder im Hinterkopf oder gehen direkt auf sie ein, bis wir zur letzten, entscheidenden Relation kommen, der zwischen Willen, Wahrheit und Verantwortung.
Zum Willen gehören viele Aspekte, ein wichtiger dabei ist eine Form der Negation, die des Nicht-Hinnehmens im Wissen-Wollen. Genau genommen ist dies bereits eine doppelte Negation, wenn das Wissen-wollen nicht einfach nur affirmativ ist, ohne zu hinterfragen, ob denn das, was man wissen will, nicht auch etwas ist, was man nicht hinnehmen will oder kann. Diese doppelte Negation ergibt nun nicht nach MaĂgabe der Dialektik ein Positives, es bleibt negativ und drĂ€ngt sich dem Fragenden so auf, dass er selbst dem Grunde nachgehen muss. Wir haben 2021 ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts erleben dĂŒrfen, das politische Entscheidungen in eine neue Zeitdimension von politischer Verantwortung gestellt hat . Politik verantwortet nun auch in ihrer Klimapolitik weit mehr, als das, was sie in ihrer Legislaturperiode an politischen Entscheidungen trifft. Und dies nicht nur generell, sondern auch speziell, insofern die Freiheit, die finanzielle Selbstbestimmung und die Gesundheit jedes Einzelnen zukĂŒnftiger Generationen von politischen Entscheidungen mit Langzeitfolgen betroffen sind.
Wir können quasi ablesen, wie ein Denkmuster ein anderes abzulösen beginnt. Wenn Freiheit nicht mehr als persönliche Freiheit in Anschlag gebracht wird, dann verĂ€ndert dies nicht nur den Begriff der Freiheit, sondern auch alle damit verknĂŒpften politischen Implikationen wie Verantwortung und Relevanz; leider noch nicht ausreichend auch die Haftung. Es ist dann eine neue Denknotwendigkeit, dass, wenn Freiheit grundsĂ€tzlich als eine soziale Freiheit begriffen werden muss, alle möglichen Formen, auch die der individuellen Freiheiten, nicht als Freiheiten von einer Gesellschaft, sondern als Freiheiten in einer Gesellschaft zu verstehen sind. So haben wir bereits auch kooperatives Handeln und ökonomische TauschvorgĂ€nge als Freiheit nicht nur in einem nationalen, sondern auch transnationalen Sinne verstanden als eben eine grenzĂŒberschreitende Interaktion, die ihre Freiheit darin findet, dass Kooperation als Kooperation gelingen kann. Und dies gelingt natĂŒrlich nur in der ReziprozitĂ€t verbindlicher Regeln, die die Freiheit des anderen anerkennen wie dies vom anderen fĂŒr die eigenen Freiheitsrechte erwartet werden darf. Hier die Wettbewerbsrechte, dort die privaten Freiheitsrechte sind also im Sinne Hegels Anerkennungsrechte, wechselseitige Anerkennung von z.B. ökonomischen bzw. politischen Bindungen, Vereinbarungen und multilateralen Regeln. Das heiĂt etwas fĂŒr die neue Semantik der Freiheit, dass hegemoniale, nationale und persönliche, sprich individuelle Auslegungen von Freiheit nichts anderes mehr bewirken, als die globale und die universelle Semantik der Freiheit in Kooperationen, in Interaktion und IntersubjektivitĂ€t auf nationale Eigeninteressen und einen strukturellen, affirmativen Eigennutz hin zusammenstutzen.
So gehört auch der Begriff der SolidaritĂ€t in dieses Muster, der, wie wir mehrfach an verschiedenen Stellen bereits ausfĂŒhrt haben, nicht als ein isolierter Begriff allein betrachtet werden darf. Lange Zeit beschĂ€ftigten sich verschiedene Wissenschaften mit dem Begriff der KlassensolidaritĂ€t, worunter eine bestimmte Form der SolidaritĂ€t mit und unter den WerktĂ€tigen, heute den LohnbeschĂ€ftigten verstanden wurde. SolidaritĂ€t wurde zum Ausgangspunkt einer Form der AnnĂ€herung an besser bezahlte WerktĂ€tige und diese AnnĂ€herung wurde verstanden als Lohn- bzw. Angleichung der VergĂŒtung durch Umverteilung des gesellschaftlichen Wohlstands. Das als ein Muster des Denkens betrachtet offenbart recht schnell, dass die Angleichung von Arm und Reich eine Form des materiellen Ausgleichs vorstellt, die nichts anderes ist als ein Nullsummenspiel, welches nicht nur Defizite im nationalen, also volkswirtschaftlichen Rahmen, sondern auch im globalen Wirtschaftsgeschehen ausweist. Der âdummeâ Kern von Nullsummenspielen ist zu glauben, dass eine gerechte Verteilung eines Ergebnisses, also des gesellschaftlichen Wohlstands, auch die begĂŒnstigt, die vorher weniger hatten und bei dem die Besserstellung der Armen bzw. prekĂ€ren Schichten der Gesellschaft zu Lasten der Reichen bzw. Besserverdienenden allein geht. Das aber macht den Kuchen nicht gröĂer und den BĂ€ckerlehrling nicht zu jemanden, der nicht am Ergebnis, sondern bei der Wertschöpfung beteiligt ist. Wir werden also die verschiedenen Denkmuster wie die Umverteilung analysieren und der Vorstellung einer Umverteilung, also einer distributiven Vorstellung eine inklusive entgegenhalten. So alt und hartnĂ€ckig der (Um-) Verteilungsgedanke sich in der politischen wie der ökonomischen Diskussion hĂ€lt, so kindisch ist er und hat wenig an intellektuellem Potenzial und auch historisch nichts anderes als diese traurige Tatsache beweisen können.
NatĂŒrlich kommen wir auf Verantwortung zu sprechen. Verantwortung wird abgeleitet aus einem individuellen Rechtsgeschehen, das beginnt mit einem Erkenntnisgrund und einer institutionellen wie auch privaten Beurteilung der willentlichen wie der stellvertretenden Folgen einer Handlung zum Schaden einer anderen Person, Institution oder Körperschaft, so bestimmen wir den Begriff. Persönlich oder stellvertretend trĂ€gt also eine Person oder eine Körperschaft die Verpflichtung, fĂŒr etwas Geschehenes einzustehen und ggf. entstandenen Schaden zu begleichen; das sind dann FĂ€lle eines Aktionsergebnisses, das zu unterscheiden ist von einem Interaktionsergebnis. Letztere sind keine Folgen, die auf individuelle Handlungen und auch auf keinen handlungsfĂŒhrenden Erkenntnisgrund zurĂŒckgefĂŒhrt werden können. Wir werden zeigen, dass es nicht ausreicht und ganz besonders nicht fĂŒr eine digitale Zukunft, in der weltweit kommuniziert, interagiert, entschieden und gehandelt wird, auf der Basis komplexer Interaktion und kulturell recht verschiedener, intersubjektiver Handlungsmotivationen, Verantwortung wie bisher traditionell aus der begrifflichen Semantik von Individuum und Gesellschaft zu bestimmen. Was nottut ist eine Neubestimmung systemischer Formen der Betrachtung intersubjektiver und interaktiver Handlungsoptionen, wozu wir einen Ă€lteren Terminus aus der Systemtheorie neu bemĂŒhen, den der Governance. Er bezeichnete allgemein das Steuerungs- und Regelungssystem innerhalb von Strukturen wie etwa bei Aufbau- und Ablauforganisationen einer politisch-gesellschaftlichen Einheit wie Staat, Verwaltung, Gemeinde, sowie bei privaten oder öffentlichen Organisationen; wir verwenden ihn ganz generell im Sinne einer Steuerung oder Regelung einer jeglichen Organisation öffentlicher oder privater Rechtsformen.
Diese Erweiterung von Steuerung und Verantwortung auĂerhalb des politischen Sektors deutet schon an, worauf der Terminus in unserer Bestimmung auch zielt, nĂ€mlich auf Elemente und Strukturen von Eigenverantwortung in zivilen Sektoren einer Gesellschaft. So beinhaltet der Begriff Governance auch Formen der Kooperation mehrerer Akteure, was fĂŒr uns von zentraler Bedeutung sein wird. Lenkung ĂŒber kooperative Formen kann dann, wenn keine Kooperation mit dem ersten Sektor einer Gesellschaft (Politik) stattfindet, sondern im zweiten oder dritten Sektor verbleibt, als vollstĂ€ndige private Selbststeuerung bestimmt werden. Im Zusammenhang mit dem EuropĂ€ischen Integrationsprozess wurden spezielle Lenkungsstrukturen entwickelt, die in der Forschung auch unter dem Begriff der New Governance bzw. New Public Governance versammelt wurden.
Wir betrachten den Prozess einer immer schneller wachsenden Differenzierung einer Gesellschaft, der die traditionellen Semantiken immer mehr auflöst auf einem Weg wachsender und einflussreicher BĂŒrgergesellschaften, die sich aktiv in die politischen Gestaltungsprozesse einbringen. Corporate Citizenship, also das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen, hat sich in den letzten Jahrzehnten spĂŒrbar weiterentwickelt, weiter, als man gemeinhin angenommen hat. Nicht alles daran war und ist mehr als Lobbyismus zu verstehen, vieles verdient eine nĂ€here Betrachtung. Denn es gibt mittlerweile viele Probleme, die sich einfach nicht mehr mit den traditionellen Mechanismen der Regierungen und der Nationalstaaten lösen lassen; wir haben den Klimawandel erwĂ€hnt, den Hunger in der Welt, die aktuelle Pandemie.
Wenn also nationale Regierungen die groĂen Probleme der Welt nicht allein zu lösen in der Lage sind, was bedeutet das dann fĂŒr die Zivilgesellschaften? Dass Ăberzeugungen wie auch Entscheidungsprozesse davon abhĂ€ngen, wie stark logische- und diskursive ErklĂ€rungssysteme, wie Meinungen, Erfahrungen, BegrĂŒndungen und Wissen miteinander vernetzt sind und die Engmaschigkeit solche vernetzten Ăberzeugungen in argumentativen Ketten angelegt sind, sagt heute angesichts globaler Herausforderungen selbst unter wissenschaftlichen Kriterien an und fĂŒr sich nichts aus ĂŒber die QualitĂ€t von Ăberzeugungen und Entscheidungen. Und selbst wenn Ăberzeugungen auf dem Boden hochgradig kohĂ€renter logischer und erklĂ€render, also in sich zusammenhĂ€ngender inferentiellen Beziehungen sich gebildet haben, ein wissenschaftliches Ăberzeugungssystem z.B. ist deshalb noch nicht sinnvoll, weder in seiner Ăberzeugungs- noch in seiner ErklĂ€rungstiefe.
Das hat die Wissenschaft der Mathematik und ihre nahen Anwendungsgebiete, besonders in den empirischen Sozialwissenschaften beeinflusst. Mathematik hat eingesehen, dass ihre aus der Natur entlehnten GesetzmĂ€Ăigkeiten fĂŒr die Sozial- bzw. die Humanwissenschaften nicht mehr hinreichen und ein neuer Denkansatz deshalb notwendig geworden ist. Dieser Denkansatz, den wir bereits im Band V. unter der Ăberschrift KĂŒnstliche Intelligenz behandelt haben, beschĂ€ftigt sich mit dynamischen Systemen, also mit allen Datentypen, die aus statischen und Bewegungsdaten bestehen. Bewegungsdaten mathematisch zu analysieren und zu berechnen fĂŒhrt dazu, verĂ€nderliche Positionen und Geschwindigkeiten gemeinsam so prĂ€zise wie möglich zu schĂ€tzen, dass Fehler in der SchĂ€tzung so minimal sind, dass man sie vernachlĂ€ssigen kann. Filter wie der Kalman-Filter dienen dazu, nicht direkt messbare SystemgröĂen zu schĂ€tzen, wĂ€hrend gleichzeitig die Fehler der Messungen optimal auf ein Minimum reduziert werden.
Aus SchĂ€tzwerten, FehlerschĂ€tzungen und Korrelationen bildet der mathematische Filter dabei eine Art GedĂ€chtnis fĂŒr die gesamte bisher gewonnene Information aus vergangenen Messwerten. Nach jeder neuen Messung verbessert der Kalman Filter die bisherigen SchĂ€tzwerte und aktualisiert die zugehörigen FehlerschĂ€tzungen und Korrelationen. So spricht man heute beim Kalman-Filter von einer âZustandsraummodellierungâ, bei der, im Gegensatz zu traditionellen Filtern der Zeitreihenanalyse, explizit zwischen der Dynamik eines Systemzustands und dem Prozess der Messung unterschieden werden kann, was natĂŒrlich gerade bei solchen Anwendungen von deutlich besserer Effizienz ist, die sich mit dynamischen Systemen beschĂ€ftigen. So seltsam es auch klingt, aber in unserem Denken ist die Zukunft solch ein System, ein geschĂ€tzter Zustandsraum, und wir bewegen uns darin mit virtuoser GegenwĂ€rtigkeit.
Es klingt seltsam, weil jeder weiĂ, die Zukunft kann man nichtvorhersagen, auch nicht schĂ€tzungsweise. Aber wir machen das tagtĂ€glich und entscheiden auch tagtĂ€glich auf der Grundlage von SchĂ€tzungen, Vermutungen, Ahnungen mit möglichst wenig Irrtumswahrscheinlichkeiten. Nun sprechen wir in diesem Zusammenhang zwar nicht ĂŒber sequenzielle Monte-Carlo-Methoden (SMC-Modelle), die zur Klasse der stochastischen Verfahren, die ZustĂ€nde in einem dynamischen Prozess errechnen gehören, aber ein kleines Spiel mit dem GlĂŒck ist es selbst, wenn wir uns verabreden, zur U-Bahn gehen oder unseren Job wechseln, eine neue Beziehung eingehen oder eine politische Partei turnusmĂ€Ăig wĂ€hlen gehen. Ăberall dort geht es um die Zukunft und die betrachten wir als einen SchĂ€tzwert möglicher ZustĂ€nde; vielleicht weniger bei der âLiebe auf den ersten Blickâ.
SMC-Methoden kommen zur Anwendung, wenn in der Anwendung sichtbare und unsichtbare ZustĂ€nde zugleich zu berechnen bzw. zu schĂ€tzen sind, also etwas, was der traditionellen naturwissenschaftlichen Methodik geradezu extrem widerspricht, dass sie sich nicht mehr allein auf empirisch messbare, sichtbare Erscheinungen beziehen, sondern die Welt sich in sichtbaren und unsichtbaren Variablen operationalisieren und so in Aussagen ĂŒber den wahrscheinlichsten Systemzustand des dynamischen Systems formulieren lĂ€sst. SMC-Modelle sind also in der Mathematik und in den Sozialwissenschaften veranschlagt als modellhafte Spiele mit dem Zufall und wir werden dem entgegenhalten, dass sie Mustererkennung von verborgenen aber möglichen Mustern in Wahrheit sind. Sie schĂ€tzen die gesamte unbekannte âA-posteriori-Wahrscheinlichkeitsdichte, d.h. nicht sichtbare SystemzustĂ€nde und weil keine Messung die SystemzustĂ€nde korrekt wiedergeben kann, sind diese SystemzustĂ€nde mit sequenziellen, nichtlinearen Methoden der Stochastik mit einer hohen Wahrscheinlichkeitsdichte qualifizierbar.
Wir sprechen dabei nicht nur ĂŒber Wetter- oder Wahlprognosen. Wir berĂŒhren Themen wie die mobile Robotik und die mobile Navigation, die unsere Arbeitswelt und die private wie die öffentliche MobilitĂ€t bereits heute stark beeinflussen. SMC-Modelle sind im Einsatz in verschiedenen Echtzeitsystemen verschiedener technischer Anwendungsbereiche wie bei der Auswertung von Radarsignalen oder von GNSS-Daten zur Positionsbestimmung sich bewegender Objekte, aber auch in allgegenwĂ€rtigen elektronischen Regelkreisen in Kommunikationssystemen wie etwa Radio oder Mobilfunk oder in der Steuerung von elektromobilen Fahrsystemen. Und kaum ein Bereich der Ăkonomie, der Politik und der Sozialsysteme kommt heute mehr ohne solche Zukunftsmodelle aus. Was weniger im Detail als viel zu allgemein betrachtet wird, ist der Einfluss solcher Modelle auf unser alltĂ€gliches Leben, insofern uns ein Bild der Zukunft vermittelt wird, dass diese als beherrschbar, als einigermaĂen kalkulierbar erscheinen lĂ€sst. Und solange wir noch etwas von den Modellen und den darauf basierenden Prozessen verstehen, können wir solche Prognosen auch kritisch begleiten; aber das wird nicht lange mehr so der Fall sein.
Schleichend werden wir an VerĂ€nderungen gewöhnt, die wir nicht mehr beeinflussen können, so als seien diese ein Schicksal erster Ordnung, also VerĂ€nderungen, die scheinbar notwendig uns erscheinen. Dabei verbergen sich darin dynamische Prozesse, die wir durchaus gewohnt sind fĂŒr unsere Entscheidungen jederzeit heranzuziehen. Es ist daher nicht unwichtig, uns wieder an diese Denkmuster zu erinnern und gleichzeitig diese kritisch zu betrachten, auf deren Grundlage sich unsere schier unĂŒberschaubar vielfĂ€ltigen Auslegungsmuster unserer Wirklichkeit entwickelt haben, um alte und neue Auslegungsmuster unterscheiden zu können. Und wir sagen es an dieser Stelle bereits im Vorgriff auf die AusfĂŒhrungen in diesem Band: waren in der Antike noch Auslegungsmuster der Wirklichkeit rar und ĂŒber eine lange Zeit hinweg mehr Desiderate als Gewissheiten, mit denen wir in einem leidlich stabil Rahmen unsere Welt wahrnehmen und uns darin zurechtfinden, auch was die Zukunft betrifft, so sind solche âstabilenâ Muster heute ganz und gar als instabil verworfen worden. Heute scheint alles nach Mustern abzulaufen, die wir gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Berechnungen sind unser Schicksal erster Ordnung geworden, woran wir uns orientieren, auf deren Grundlage wir entscheiden, die unsere Handlungen diskret beeinflussen und steuern. Schauen wir also auf das, was unserem Dasein begegnet, als das, was so zu sein scheint, wie es ist, und auf das, was unser Dasein beeinflusst, insofern wir selbst es sind und VerĂ€nderungen, die sich unserem Bewusstsein entziehen, unserem Willen nicht zuzurechnen scheinen, sich aus unseren Handlungen sich scheinbar nicht erschlieĂen und unsere Freiheit im Denken und Handeln ĂŒbersteigen.