Der Griff in die eigenen Portemonnaies

Europa und Asien befanden sich realwirtschaftlich in einer außerordentlich langen Phase des Aufschwungs bzw. des Wachstums, was an sich bereits als eine Art der Überhitzung betrachtet worden ist. Die USA strebten immer höheren Wachstumszielen zu, gleichwohl ihr Außendefizit wenig nachgab. Die Finanzmärkte und vor allem die Kapitalmärkte waren fast schon überreif; warum dann müssen die USA auf allen Tasten der wirtschaftspolitischen Klaviatur permanente Misstöne produzieren? Es drängt sich die Vermutung auf, dass Unsicherheit und Unordnung auf den europäischen und asiatischen Märkten insgesamt zu erzeugen das Nahziel ist, dass die Politische Ökonomie der USA erreichen will; und dieses Ziel ist schon nach einer kurzen Zeit von weniger als zwei Jahren fast erreicht worden. Wir können auch festhalten, dass monetaristisch geleitete Politik keine sicheren Zieleffekte mehr hergibt. Das stets behauptete inhärente Gleichgewicht der Geldmengentheorie ist zusammengebrochen.

So sehr dies theoretisch mehr und mehr zum Bewusstsein kommt, hat die Politische Ökonomie diesem Umstand mehr und mehr zur Gültigkeit verholfen. Denn der Politischen Ökonomie ist wenig bis nichts daran gelegen, dass in sich schlüssige Theorien auch in der Praxis Gültigkeit besitzen, schränken sie dadurch doch den Handlungsspielraum der Politische Ökonomie auf ein Minimum ein. Eine Expertenpolitik ist nicht gewünscht, allenfalls deren Instrumentalisierung für die politischen Zwecke der Regierungen. Das galt schon im antiken Griechenland für die Philosophen-Demokratie und gilt heute für die wirtschaftswissenschaftliche Demokratie. Und ohne wirkliche, theoretische Alternative ist die Politische Ökonomie am Ziel ihrer eigenen Immunisierung gegenüber einem „Außen“, gegenüber Wissenschaft und Mitwirkung aus den gesellschaftlichen Bereichen. Und mit zur Immuntherapie zählt mittleiweile auch die Ethik.

Dieser Prozess der Transformation hin zu einer umfassenden, hermetischen Immanenz der Politischen Ökonomie ist daher konstitutiv für alle Lebensbereiche der Menschen auch in den westlichen, ehemaligen Industriestaaten. Konstitutiv insofern, als Politik mit der Dienstbarkeit von Wissenschaft und Technik sowie der modernen Plattformtechnologie, die die weltumspannende Daten-Infrastruktur für eine globale Digitalwirtschaft bildet, in alle Bereiche des menschlichen Daseins über die wesentlichen Produktions-, Reproduktions- sowie Kulturfaktoren quasi hineinregieren kann. Was immer an kritischer Literatur dazu jüngst veröffentlicht worden ist, geht hinter den Faktor der Kontrolle nicht zurück. Die Phänomene Kontrolle und Überwachung in der durch die digitalen Techniken möglich gewordenen Dimensionen sind sicherlich aller Kritik wert, als digitale Technologien und Techniken zentral auch die informelle Selbstbestimmung der Menschen zu deren Nachteil treffen können. Aber mit Überwachung und Kontrolle der informellen Selbstbestimmung, gleich wenn sie auch umfassender denn je zu werden scheint, gibt sich die Politische Ökonomie längst nicht mehr zufrieden; sie geht konsequent aufs Ganze. Um aber Vollständigkeit zu erreichen, um Zutritt zu den wichtigen Bereichen der bürgerlichen Existenz zu erlangen, müssen neben den anderen, bereits erwähnten Lebensvollzügen der Staatsbürger zwei ganz zentrale Bereiche der Politischen Ökonomie geöffnet werden. Das sind einmal der Bereich des Wissens um den tatsächlichen Reichtum der Bürger und zum anderen der Bereich der alltäglichen Geldtransfers der Staatsbürger.

Das Wissen um den tatsächlichen Reichtum muss für die Politische Ökonomie ein Wissensmonopol werden und die Bewegungsprofile vor allem des Bargeldes müssen für den Staat in seinem politisch-ökonomischen Universalanspruch lückenlos sein. Beides ist durch digitale Technologie möglich und kurzfristig erreichbar. Die Voraussetzung, um dies zu verwirklichen, ist die Einführung von Digitalgeld bei gleichzeitiger Abschaffung des Bargelds. Die digitale „Vermögensverwaltung“ ist keine neue Prozedur, sondern nur die Schließung der noch bestehenden Lücken in den bisherigen Steuerverwaltungen.

Der Datentransfer zwischen Staat, Geld- und Kreditinstituten sowie zwischen Staat und Unternehmen ist weitgehend geschlossen, ebenso die Bewegungsprofile des Kapitals über die internationalen Finanzmärkte. Steueroasen bzw. Schwarzgeld-Oasen werden wohl noch eine Weile bestehen bleiben und sind gewissermaßen die letzten Residuen für einen elitären Individualismus. Aber Staaten resp. Regierungen haben solange keinen universellen, informellen Durchgriff auf die privaten Vermögen, solange Bargeld existiert, welches sich materiell jeder digitalen Aufzeichnungstechno-logie entzieht. Wenn daher in wenigen Jahren die staatlichen Schuldenregime an ihre ultimativen Grenzen gekommen sind, wenn Kreditpfänder verpfändet und durch Hinterlegung aus den Liquidierungsmechanismen ausgeschlossen sind, die Verschuldung von Staat und Ökonomie aber weiter vorangeschritten sind, bleiben nicht mehr viele Wege der Konsolidierung.
Es gibt nur einen Ausweg aus dem Dilemma für Staaten und Banken gleichermaßen und der ist für beide perfekt; das ist die umfassende Digitalisierung des Zahlungsverkehrs. Und damit beginnt dann das ganz große, neue Spiel der Politischen Ökonomie, ihr neues, goldenes Zeitalter. Und unser nächster Band V. der Philosophie des menschlichen Daseins.