Allgemeine Marktanomalien

Das Gleichgewicht bei der Preisbildung ist das zentrale Element im Denkmodell der neoklassischen Werttheorie wie auch der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie. Letztere wurde in der Wirtschaftswissenschaft erdacht, um eine Volkswirtschaft als Ganzes abzubilden. Diese Abbildung beruht auf gesamtwirtschaftlichen GleichgewichtszustĂ€nden, die der Analyse unterzogen werden. Gleichgewicht herrscht, wie wir wissen, in gerĂ€umten MĂ€rkten. Wenn also Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht sind. Des Weiteren wird analysiert, ob diese als wesentliche oder auch als natĂŒrlich angesehenen MarktkrĂ€fte die Gesamtwirtschaft in Richtung eines Gleich- oder eines Ungleichgewichtes bewegen, was StabilitĂ€t des Gleichgewichts genannt wird. Mit dem Gleichgewicht und dessen relativer StabilitĂ€t hat dieses Denkmodell einen erweiterten Blickpunkt, da in allen volkswirtschaftlichen Faktoren auch ein Unsicherheitsfaktor mit in die Analyse und Bewertung mit einbezogen werden kann.

Eine dritte Komponente dieses Modells zu einem umfassenden VerstĂ€ndnis einer marktwirtschaftlichen Ökonomie ist die Richtung dieses wissenschaftlichen Blickwinkels. Der findet seine Richtung in der Betrachtung, ausgehend von einzelnen Individuen wie einzelnen Unternehmen, also quasi von unten nach oben zu ĂŒbertragbaren, verallgemeinerbaren, ökonomischen Verhaltensweisen. Man braucht dazu die PrĂ€ferenzen der individuellen Wirtschaftssubjekte, also deren rational nachvollziehbares Kaufverhalten wie auch die Produktionsmöglichkeiten, ĂŒber die ein Unternehmen zur BedĂŒrfnisbefriedigung verfĂŒgt.

Was dann passiert wird betrachtet als eine sich aus NachfrageprÀferenzen und Angebotsmöglichen ergebene Interaktion, die sich in rationalem Verhalten niederschlÀgt. Aber ohne, dass dabei von frei zugÀnglichen Informationen ausgegangen werden kann, wird sich keine Interaktion einstellen. In einer Volkswirtschaft, in der ein hoher Grad an Information jederzeit zugÀnglich ist, sollte dem Modell nach die Interaktion zwischen Angebot und Nachfrage optimal, also effizient verlaufen. Dies sieht dieses Denkmodell in Zeiten und Prozessen, in denen Volkswirtschaften sich zu Informationsgesellschaften entwickeln, als gegeben an.
Der hier angesprochene ‚Homo oeconomicus ‘ wird oft missverstanden als ein hyperrationalistisch und egoistisch handelnder Mensch; so flach sind die Theoreme der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie nicht. Hier wird Verhalten untersucht und zu dem Ergebnis gekommen, dass, wenn zwei Produkte etwa gleicher QualitĂ€t angeboten werden, die ĂŒberwiegende Mehrzahl der Menschen zu dem preiswerteren greift. Besonders auf dem Arbeitsmarkt ist das signifikant, ist doch ein höherer Lohn fĂŒr vergleichbare Arbeit bis zu einer Grenze von Arbeits- und Freizeit sicherlich der attraktivere. Dieses nutzenorientierte Verhalten bezieht sich also keineswegs auf einem Menschen und dessen Eigenschaften oder dessen Charakter, sondern auf einen Entscheidungsprozess im Rahmen von Preisvergleichen.

Zusammengefasst darf man festhalten, dass dem Individual- wie dem aggregierten volkswirtschaftlichen Nutzen die Annahme unterlegt wird, dass in jedem Fall ein höherer Preis zu weniger Nachfrage, aber mehr Angebot fĂŒhrt. Unterstellt, deshalb zu mehr Angebot, weil der Anbieter sich ja auch grĂ¶ĂŸere Erlöse versprechen darf. An dieser Stelle ist bereits eine Grundanomalie im Ansatz versteckt. Der Verallgemeinerung von Individualnutzen liegt ein kardinales NutzenverstĂ€ndnis, das die allgemeinen wirtschaftlichen Entscheidungsprozesse leitet, zugrunde. Nur dieses ermöglicht qualitative, interpersonelle Nutzenvergleiche und somit, was die Ökonomik Aggregation von Individualnutzen nennt .

Sowohl die relative StabilitĂ€t wie auch die Richtung dieser Nutzenaggregation vom einzelnen Wirtschaftssubjekt zur Wohlfahrtsökonomik wĂŒrden bei einer ordinalen Nutzenbestimmung nicht funktionieren. Gleichzeitig begrĂŒndet und erklĂ€rt die Annahme eines kardinalen NutzenverstĂ€ndnis der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie die Wohlfahrtsökonomik und stellt diesen Zusammenhang als einen kausalen wie als einen teleologischen Zusammenhang dar. KausalitĂ€t und FinalitĂ€t hĂ€ngen zusammen, insofern FinalitĂ€t prospektiv von der KausalitĂ€t her zu begreifen bzw. zu erklĂ€ren ist. KausalitĂ€t meint diesen notwendigen Zusammenhang, dass von einer Ursache ein Zweck sich ableitet, jene als realer Grund dieser Möglichkeit angenommen werden kann.
KausalitĂ€t ermöglicht zudem mathematische Berechnungen. Wenn, anders als etwa bei Platon, mit KausalitĂ€t keine menschlichen, resp. göttlichen Werte als inhĂ€rent gedacht werden wie etwa das Gute, das Wahre und das Schöne. In der mathematischen Berechnung hat das Denken so nicht mehr die Augen auf eine ideelle Dimension der Nutzenaggregation gerichtet, sondern allein die Hand fest am differenziellen, formal codierten physischen Aspekt von wirtschaftlichem Nutzen ĂŒberhaupt, der dann seine berechenbare Form im Geld, in der Preisdifferenz materialisiert findet.
Die Annahme eines berechenbaren Individualnutzens ist erklĂ€rende Grundlage, aus der heraus sich, gleichsam durch dessen ermöglichende, gelenkte FinalitĂ€t ein Prozess des logischen Fortschritts zu einer Wohlfahrtsökonomik sich reprĂ€sentiert und formallogisch darstellen lĂ€sst, und wurde schon bald durch das Unmöglichkeitstheorem problematisiert. Aber selbst dieses sog. Arrow-Paradoxon wurde lediglich auf einen formalen Widerspruch hin untersucht und so die grundlegende Formalisierung des kardinalen NutzenverstĂ€ndnisse nicht ĂŒberschritten.

In der Folge fĂŒhrte die Beibehaltung formallogischer ProzessualitĂ€t zu einer ganzen Konjunktur an neoklassischen Berechnungen einer angenommenen Wohlfahrtsökonomik, deren Existenz durchaus angenommen wurde, ja aus wissenschaftlich-methodischer Übereinkunft angenommen werden musste. Wissenschaft wurde so zum Aktanten, zum Demiurg, dessen Nachfolge sie antrat und bis heute nicht aus der Hand zu geben bereit ist. Und sie darf dabei durchaus in der abendlĂ€ndischen Tradition stehend fĂŒr sich verbuchen, dass ihr Denken in ProzessualitĂ€t, das oder die Wirtschaftssubjekte nicht als ein einzelnes oder als eine Gruppe von realen Subjekten begreift, sondern als eine unpersönliche, als impersonelle, universale OperationalitĂ€t bzw. Funktion, die sich als VerĂ€nderung, als Fort- oder RĂŒckschritt zu mehr Wohlfahrt manifestiert. Wie aber aus einer individuellen Nutzenorientierung ein universelles Verhalten abgeleitet werden kann, bleibt strittig. Man hĂ€tte es besser wissen können, eine LektĂŒre erkenntnistheoretischer Schriften hĂ€tte vor dem schlimmsten bewahrt. Der Demiurg erfreut sich nun seiner Wiedergeburt.