NatĂŒrlich hat die osmanische Herrschaft in Al-Andalus einen wesentlichen Beitrag zur AufklĂ€rung und dem Anbruch der Renaissance in Europa beigetragen. Wir lenken den Blick aber hier auf ein anderes Ereignis, welches weit mehr war als ein Ereignis, nĂ€mlich ein fundamentaler Einschnitt in eine, vom damaligen Katholizismus geprĂ€gten, geistigen Ăbereinkunft und einer wirtschaftlichen RealitĂ€t, die den Alltag der ĂŒberwiegenden Mehrzahl der BĂŒrger der europĂ€ischen Staaten bestimmte, die Pest.
Die Pest oder der âSchwarze Todâ wĂŒtete von 1347 bis 1353, verwĂŒstete ganze Landstriche, verschonte wenige. Zwischen 900 bis 1300 vervierfachte sich die Bevölkerung in Europa durch Urbarmachung von Land, dem Wachstum der alten und dem Entstehen zahlreicher neuer StĂ€dte. Die europĂ€ische Gesellschaft vor dem Jahr 1300 entwickelte eine hoch effektive Geldwirtschaft, besaĂ gut ausgestattete UniversitĂ€ten, errichtete beeindruckende gotische Kathedralen und erlebte eine kĂŒnstlerische und literarische BlĂŒtezeit. Zwischen 1214 und 1296 behinderte vor allem in Westeuropa kein gröĂerer Krieg deren Weiterentwicklung.
Ab dem Jahr 1290 verzeichneten weite Teile Europaslang anhaltende Hungersnöte. Die Untersuchungen der Entwicklung des Weizenpreises im englischen Norfolk lassen darauf schlieĂen, dass es zwischen 1290 und 1348 neunzehn Jahre gab, in denen der Weizen knapp war. FĂŒr das französische Languedoc ergeben Ă€hnliche Untersuchungen zwanzig Jahre mit Knappheit an Nahrungsmitteln im Zeitraum von 1302 bis 1348. 1315 bis 1317 waren in ganz Nordeuropa Hungerjahre. In den Jahren 1346 und 1347 herrschte Hunger in SĂŒd- und Nordeuropa. Bereits 1339 und 1340 traten in italienischen StĂ€dten Seuchen auf, was zu einem deutlichen Anstieg der Sterblichkeit fĂŒhrte.
Historiker gehen allgemein davon aus, dass etwa 20 bis 25 Millionen Menschen, rund ein Drittel der damaligen Bevölkerung Europas, durch den âSchwarzen Todâ umkamen, andere Forscher sprechen sogar von 40-50%. âDie Tendenz der jĂŒngeren Forschung deutet darauf hin, dass eher 45-50 % der europĂ€ischen Bevölkerung wĂ€hrend eines Zeitraums von vier Jahren starb. Es gibt betrĂ€chtliche geographische Unterschiede. In den Mittelmeerregionen Europas, Gebieten wie Italien, SĂŒdfrankreich und Spanien, wo die Pest vier Jahre lang grassierte, starben wahrscheinlich etwa 75-80 % der Bevölkerung. In Deutschland und England ⊠lag die Todesrate wahrscheinlich nĂ€her bei 20 %.â
Ein direkter Effekt des âSchwarzen Todesâ war, dass viele Menschen ihn anfĂ€nglich als eine Art Gottesstrafe ansahen und Trost im Glauben suchten. Religiöse Bewegungen entstanden spontan im Gefolge oder in Erwartung der Seuche und viele davon forderten das Monopol der Kirche auf geistliche Lenkung der Gesellschaft und des einzelnen Menschen heraus. Bittgottesdienste und Prozessionen kennzeichneten den Alltag. Flagellanten zogen in âGeiĂlerzĂŒgenâ durch die StĂ€dte. Der âPestheiligeâ St. Rochus wurde intensiv verehrt, Pilgerfahrten nahmen zu. An vielen Orten zeugen Kirchen und andere Monumente wie sogenannte PestsĂ€ulen von der Angst der Menschen und ihrem Wunsch nach Erlösung von der Seuche. Aber was erlebten die Menschen von Kirche und weltlicher Macht? Der italienische Chronist Matteo Villani schrieb: âDie Menschen, in der Erkenntnis, dass sie wenige und durch Erbschaften und Weitergabe irdischer Dinge reich geworden waren, und der Vergangenheit vergessend, als wĂ€re sie nie gewesen, trieben es zĂŒgelloser und erbĂ€rmlicher als jemals zuvor. Sie ergaben sich dem MĂŒĂiggang, und ihre ZerrĂŒttung fĂŒhrte sie in die SĂŒnde der Völlerei, in Gelage, in WirtshĂ€user, zu köstlichen Speisen und zum GlĂŒcksspiel. Bedenkenlos warfen sie sich der Lust in die Arme.â
Die kirchlichen Institutionen waren hilflos gegenĂŒber der Pest, die Kirche selbst verlor zunehmend an AutoritĂ€t. Was aber schwerer wog, war, dass sie weder eine zufriedenstellende Antwort auf die Frage fand, warum Gott der Menschheit eine solche PrĂŒfung auferlegt hatte, noch hatte sie geistlichen Beistand geleistet, als das BedĂŒrfnis der Menschen danach am gröĂten war. Die Bewegung der Flagellanten hatte die AutoritĂ€t der Kirche auf die Probe gestellt. Auch nach dem Abklingen dieser Bewegung suchten viele Gott bei mystischen Sekten und in Reformbewegungen, was letztlich die katholische Glaubenseinheit auseinanderbrechen lieĂ.
Insbesondere der österreichische Kulturhistoriker Egon Friedell, der eine direkte, kausale Verbindung zwischen der Katastrophe des âSchwarzen Todesâ und der Renaissance sieht, vertrat in seinem Werk âKulturgeschichte der Neuzeitâ die Auffassung, dass die Seuche der Jahre 1348/49 die Krise des mittelalterlichen Welt- und Menschenbildes verursacht und bis dahin bestehende Glaubensgewissheiten erschĂŒttert habe. Vor allem der Glaube an die Gleichheit der Menschen vor Gott war angesichts von Elend und Tod in einem solchen AusmaĂ im Diesseits von diesem vollends ins Reich des Jenseits, in die Welt nach dem Tod verschoben. Im Diesseits war Gleichheit nicht mehr zu erreichen.
Dazu kam noch, dass die Kirche, von zahlreichen Seuchenopfern als Erbe eingesetzt, schlussendlich reicher aus der Zeit des âSchwarzen Todesâ hervorging, was ihr gesteigerte UnpopularitĂ€t einbrachte.
Mit der weltlichen Macht verhielt es sich Ă€hnlich. Nach der Pest war alles anders. Der BevölkerungsrĂŒckgang erzwang eine radikale VerĂ€nderung im Wirtschaftsleben, die sich bald als vorteilhaft in vielerlei Hinsicht erweisen sollte. BewĂ€hrte soziale, kulturelle und ökonomische Verhaltensweisen aus der Zeit vor der Pest verloren an Bedeutung aufgrund massiver VerĂ€nderungen an ihren tragenden SĂ€ulen. Die Entvölkerung ermöglichte einem gröĂeren Prozentsatz der Bevölkerung den Zugang zu Bauernhöfen und lohnenden ArbeitsplĂ€tzen. Unrentabel gewordene Grenzböden wurden aufgegeben, was in manchen Regionen dazu fĂŒhrte, dass Dörfer verlassen oder nicht mehr wiederbesiedelt wurden (sogenannte WĂŒstungen), die im Hochmittelalter im Zuge des Landesausbaus abgeholzten WĂ€lder breiteten sich wieder aus.
Die ZĂŒnfte lieĂen nun auch Mitglieder zu, denen man zuvor die Aufnahme verweigert hatte. WĂ€hrend der Markt fĂŒr landwirtschaftliche Pachten zusammenbrach, stiegen die Löhne in den StĂ€dten deutlich an. Damit konnte sich eine gröĂere Anzahl von Menschen einen höheren Lebensstandard leisten als jemals zuvor; allerdings kam es teilweise auch zur Nahrungsmittelknappheit, weil viele Felder nicht mehr bewirtschaftet wurden, so z. B. in England, wo die Löhne fĂŒr Landarbeiter stark anstiegen.
Obwohl die Adeligen 1349 im Parlament das âStatute of Labourersâ durchsetzten, das die Löhne fĂŒr Feldarbeit begrenzte, wurden die Landarbeiter zusĂ€tzlich mit Naturalien bezahlt . Die Lohnkonflikte fĂŒhrten schlieĂlich zum groĂen Bauernaufstand von 1381, der (Peasantsâ Revolt), in dessen Folge England als erstes Land Europas die Leibeigenschaft abschaffte. Freie Bauern wurden in der Folge durch PĂ€chter ersetzt, die weniger arbeitsintensive Schafzucht verdrĂ€ngte den Ackerbau. Der deutliche Anstieg der Arbeitskosten sorgte dafĂŒr, dass manuelle Arbeit zunehmend mechanisiert wurde. Damit wurde das SpĂ€tmittelalter zu einer Zeit eindrucksvoller technischer Errungenschaften. Das wohl bekannteste Beispiel ist der Buchdruck: Solange die Löhne von Schreibern niedrig waren, war das handschriftliche Kopieren von BĂŒchern eine zufriedenstellende Reproduktionsmethode. Mit dem Anstieg der Löhne setzten umfangreiche technische Experimente ein, die letztlich zur Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg fĂŒhrten.