Sanfte Enteignung

„Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“, lässt Bertolt Brecht den Mackie Messer in seiner „Dreigroschenoper“ fragen. Bei kaum einem anderen Delikt können die Täter nach einem gelungenen Coup auf so viel Respekt hoffen, wie nach einem Einbruch in eine Bank, kaum weniger Respekt hatte man vor einer Bank als Institution von Geld und Macht als im 19. Jahrhundert und so verzieh man den Bankräubern schon einmal, solange keine Menschen zu Schaden kamen.
Überfälle von Räuberbanden in der vorindustriellen Zeit gab es schon bevor der Bankraub Ende des 19. Jahrhunderts als Phänomen in Erscheinung trat . Und alles begann mit dem Überfall auf die Postkutsche, einer amerikanischen Erfindung in den Zeiten des Wilden Westens. Meistens beim Sonnenuntergang kamen die Räuber aus ihren Verstecken und jagten im gestreckten Galopp hinter der Kutsche her, wild um sich schießend, während der Lenker auf dem Bock den zwei oder vier Pferden die Peitsche gab und die Peitschenhiebe mit den Revolverkugeln und den die Pferde antreibenden, wilden Schreien durch die Prärie hallten; das war die Urszene für alle Wild-West-Liebhaber. Dann rollte noch dieser vertrocknete Busch über den Postkutschenpfad und man nahm Abschied von dem Sheriff, der hinten auf der Kutsche vergeblich versucht hatte, den Angriff abzuwehren und nun zusammengesunken irgendwie zwischen dem Gepäck der edlen Damen hing.
Den Räubern ging es um die Kiste, von der sie wussten, dass sie heute zu dieser Stunde in der Kutsche mitgefahren sein würde. Sie nahmen sie, meist mussten zwei bärtige Kerle die Kiste anheben, so schwer war sie von Gold- und Silberdollars; manchmal nahm einer der unrasierten, verwegenen Typen mit den vielen Lücken in den Zähnen und einem schielenden Auge einer den edlen Damen ihren Halsschmuck noch ab. Aber das war eigentlich nicht Ziel der Sache und irgendwie auch nur ein psychologisches Spannungsmoment und außerdem konnte der Regisseur ein Close Up auf das reizende Dekolleté der Dame unterbringen.

Dollarnoten kamen in Amerika erstmals im Jahr 1861 in den Umlauf. Vorher gab es nur Münzen, deren Gold- oder Silbergehalt durch Bundesgesetze geregelt war und nur staatliche Münzanstalten die Dollarmünzen prägen durften. Wir haben am Anfang des Bandes: „An die Arbeit“ notiert, dass in Europa die ersten Vorläufer der Banknoten, die Wechsel, zu Zeiten der Fugger herausgegeben worden sind, auch um den Räubern ihr schmutziges Handwerks zu legen, die die Händler, die oft aus Norditalien zurück nach Augsburg ritten, regelmäßig überfielen und ausraubten. Dann wurden die Wechsel durch die Bank of London eingesetzt, um Englands Kriege zu finanzieren und wurden Schuldscheine bzw. Krediturkunden. Kein Wunder, dass sich diese lange Geschichte im Amerika des 19. Jahrhunderts konzentriert wiederholte, denn die Dollarnote wurde just dazu eingeführt, den Sezessionskrieg zu finanzieren.

Die amerikanischen Schuldscheine, IOU – von „I owe you“, ich schulde dir – genannt, wurden vom Bundesstaat herausgegeben, um die Gehälter der Soldaten und die vielen anderen Kriegskosten zu bezahlen, dann sagte man: zu finanzieren, da nie genügend Münzen aus Gold und Silben zur Hand waren. Schuldscheine waren nicht schwer und vor allem für Postkutschenräuber wertlos, mussten sie doch in einer Bank eingetauscht werden; wie dumm für die rohen Kerle. In dem großen, weiten Land wurden daher nicht mehr Kisten mit Gold und Silber zwischen den Banken hin- und hertransportiert, sondern schöne Papiere. Und auf diesen Papieren war nun notiert, wie hoch die Summe war, die von einer Bank an eine andere zu überweisen war. So kam es auch damals schon vor, dass eine der beiden Banken, die überweisende Bank, nicht genug Geld für die Überweisung hatte und sich dieses Geld kurzfristig leihen musste, sich also temporär verschuldete und eine Summe kreditieren musste. Aber damit es nicht zu großen Schieflagen im Zahlungssystem Amerikas kam, hatte man beschlossen, die Salden in regelmäßigen Abstanden auszugleichen. Dieser Saldenausgleich fand physisch statt, also fuhren, nicht mehr ganz so oft, aber regelmäßig wieder Postkutschen mit Kisten voller Gold und Silber durch die Prärie; das Datum des Saldenausgleichs war eins der best-gehüteten Geheimnisse der USA. Aus Postkutschen wurden dann Züge, später Airlines und heute elektronische Datenwege, Glasfaser und Satelliten, aber die Zeit des Bankraubs war nicht wirklich vorbei und wird es auch nicht sein im Zeitalter der Kryptowährungen und des Digitalgeldes.

Heute werden die am Ende eines Geschäftstages verbliebenen Forderungen und Verbindlichkeiten aller an Target-2 teilnehmenden, nationalen Zentralbanken der Eurozone gemäß einem Abkommen im Eurosystem an die Europäische Zentralbank (EZB) übertragen und dort saldiert. Die hier bereits oft angesprochenen Target-2-Salden sind somit das Ergebnis der grenzüberschreitenden Verteilung von Zentralbankgeld innerhalb der dezentralen Struktur des Eurosystems. Das dezentrale Eurosystem ist eine Besonderheit, wie wir bereits notierten, und hat mit den Target-2-Salden eine spezielle Kontoführung, die es so in den USA nicht gibt. Den Unterschied zwischen beiden Zahlungssystemen herauszuarbeiten erscheint uns von fundamentaler Wichtigkeit zum Verständnis der beiden Wirtschaftsräume und der Frage, wohin die Entwicklungen gehen werden? Werden die Unterschiede beider westlicher Wirtschaftssysteme auf der Basis ihrer Geldsysteme im Prozesse der Entwicklung der Weltwirtschaft angeglichen, oder bleiben die Unterschiede bestehen? Und wohin können diese Unterschiede sich entwickeln, welche Auswirkungen haben diese Unterschiede in Bezug auf das Eigentum und die Wohlfahrt einer Gesellschaft?

Schauen wir uns also das Eurosystem und das Federal Reserve System (Fed) einmal etwas genauer hinsichtlich ihrer Strukturen an. Die Fed ist ein System, bestehend aus zwölf regionalen Notenbanken und einem Direktorium in Washington. Man sieht, die regionalen Notenbanken, auch District-Feds genannt, sind nicht nach den US-Bundesstaaten organisiert, bilden also kein, nach Regionen organisiertes, föderales System, welches einen wie auch immer gearteten Ausgleich zwischen autonomen Regionen, politischen Verwaltungen und Institutionen beabsichtigt und bewerkstelligt. Es ist also strukturell darin schon verschieden von der Eurozone, die aus einem EZB-Rat, aus dem Direktorium und den nach Staaten organisierten, nationalen Notenbanken besteht. Hier wie dort werden die Regeln der Geldpolitik bestimmt, hier aber sitzen im EZB-Rat neben dem EU-Ratspräsidenten die Präsidenten aller (noch) 28 nationalen Mitgliedsstaaten der EU. Mit anderen Worten: der ‚Erweiterte Rat‘ umfasst die Vertreter der 19 Länder des Euro-Währungsgebiets sowie die Vertreter der neun Länder, die den Euro noch nicht eingeführt haben. Die anderen Mitglieder des Direktoriums der EZB, der Präsident des EU-Rats und ein Mitglied der Europäischen Kommission können an den Sitzungen des Erweiterten Rats teilnehmen, sind jedoch nicht stimmberechtigt.

Hätte sich der EZB-Rat strikte an die Vorgabe der No-Bail-Out Passage der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU), die in Art. 125 AEU-Vertrag festgelegt ist und die Haftung der Europäischen Union sowie aller Mitgliedstaaten für Verbindlichkeiten einzelner Mitgliedstaaten ausschließt gehalten, wäre das Geldsystem der EZB und das der Fed miteinander vergleichbar. Beide Geldsysteme wären Systeme, die vornehmlich zur steuernden Beeinflussung der jeweiligen Konjunkturen ihrer Wirtschaftsräume tätig wären. Diese „Offenmarktpolitik“ genannte Handlungsweise umfasst den An- und Verkauf festverzinslicher Wertpapiere zur Erhöhung bzw. Minderung des Geldumlaufs mit dem Ziel der Konjunkturbeeinflussung; sonst nichts. Darin sollte jede Notenbank autonom entscheiden über Zeitpunkt, Zeitraum und Zinssatz ihrer geldpolitischen Maßnahmen. Und der An- und Verkauf von Wertpapieren aus dem Besitz von Notenbanken und Privatbanken sollte begrenzt sein auf bundesstaatliche Wertpapiere wie etwa Schatzwechsel und Wertpapiere von Bundesbehörden sowie Obligationen, die von staatlichen Unternehmen oder Gemeinden als festverzinsliche Wertpapiere ausgegeben wurden.

Die Geldschöpfung innerhalb der Notenbanksysteme in Europa wie in den USA hat sich aber von dieser Idee weit entfernt. In den USA hat die Notenbank Papiere des privaten Sektors gekauft, die wir als Asset-Backed-Securities im Zusammenhang mit der internationalen Finanzkrise kennengelernt haben. ABS, das sind toxische Wertpapiere, weil man in diesen Ansprüche auf Rückzahlungen aus ganz verschiedenen Pfändern verbrieft. Einst erdacht zur Risikodiversifizierung haben sie den unrühmlichen Titel toxische Anlage bei Ausbruch des Vorläufers der Finanzkrise erreicht, im Subprime-Markt, diesem amerikanischen Traum eines Geschenkes vom Himmel, nur war der Himmel das Oval Office zu Zeiten der Präsidentschaften von Clinton und Bush. Aus dem Traum: jeder Amerikaner bekommt sein Häuschen, wurde ein Alptraum, aus dem so mancher in den USA und in Europa bis heute nicht erwacht ist. Damals auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, sah sich auch das US-Notenbanksystem dazu gezwungen, zur Rettung bzw. zeitlichen Überbrückung von in Not geratenen Banken reichlich viel an öffentlichen Krediten bereitzustellen. Daraus entstand unter Regie einer der District-Feds, der New York Fed, das „System Open Market Account“ (SOMA), in dem für alle District-Feds Käufe und Verkäufe von Wertpapieren getätigt wurden, um den Hunderten von kriselnden Banken in den Districts mit Liquidität unter die schlaffen Arme zu greifen. Das war alles andere als konjunkturstützend, das war staatliche Hilfe für private Banken. Und das ging schnell in den USA, schneller als Europa überhaupt jemals zu solchen Beschlüssen kommen kann, weil Einstimmigkeit unter allen gefordert ist.

Das Jahr 2009 war dann eines der bedeutendsten Jahre der Notenbankpolitik. Parallel zu den massiven Zinsschritten hat die Fed ein ganzes Sammelsurium zusätzlicher Maßnahmen zur geldpolitischen Stimulierung ergriffen. Wegen der Fülle an verschiedenen Instrumenten mit so vielsagenden Abkürzungen wie z.B. TAF, TALF, CPFF oder AMLF (um nur wenige zu nennen) wirkte dieses Vorgehen auf den ersten Blick etwas unstrukturiert und fand nicht einmal in den USA Eingang in einen breiten, öffentlichen Diskurs, ganz zu schweigen von Europa. Was man später auch in Frankfurt gelernt hat war, dass diese ganze Palette an Abkürzungen für Instrumente stand, in deren Vordergrund die Stabilisierung der Kreditmärkte herausragte, die dann in einem zweiten Schritt auch an die Realwirtschaft adressiert waren und wovon diese profitieren sollte. Von 2009 an ging es Bernanke also erstens um die Bereitstellung zusätzlicher, kurzfristiger Liquidität für Finanzinstitute. Zweitens stützte die Fed strategisch wichtige Kreditmärkte, so z.B. das Commercial Paper-Segment, indem sie entsprechende, kurzfristige Schuldverschreibungen, unsere Asset Backed Securities, aufkaufte. Drittens stabilisierte die Notenbank die Kreditmärkte auch durch den Kauf längerfristiger Wertpapiere, z.B. der staatlichen Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac.

Die Instrumente, die die kurzfristige Liquidität der Finanzinstitute adressieren, gehören ins traditionelle Repertoire einer Notenbank. Der Diskontsatz wurde in die Nähe zum Tagesgeldsatz gebracht und die Laufzeiten der Ausleihungen von „über Nacht“ auf bis zu 90 Tage ausgedehnt. Des Weiteren hat die Fed ihre Diskontaktivitäten durch die Schaffung der „Term Auction Facility“ (TAF) ausgedehnt, im Rahmen derer Kreditinstitute (die über Einlagen verfügen, wie z.B. Sparkassen) gegen die Hinterlegung von Sicherheiten Kredite der Notenbank mit Laufzeiten von 28 bzw. 84 Tagen erhalten.
Die „Term Securities Lending Facility“ (TSLF) adressierten die sogenannten Primary Dealer, also Banken, die direkt im Rahmen der Offenmarktgeschäfte mit der Fed handeln. Ihnen stellte die Fed liquide US-Staatsanleihen im Tausch gegen weniger liquide Assets zur Verfügung. Hier waren die Einfallstore für die hoch toxischen Verbriefungsgeschäfte geschaffen, die nicht nur innerhalb Amerikas sperrangelweit offenstanden, sondern über die sogenannten „Currency Swap Facilities“ auch Finanzinstituten mit Sitz außerhalb der USA zusätzliche Liquidität in USD bereitstellten. Damit konnte die Fed zwar den wichtigen Interbankenmarkt stabilisieren, aber der Preis war hoch dafür. Bei der Stützung strategisch wichtiger Kapitalmärkte ging es in erster Linie um die „Commercial Paper Funding Facility“ (CPFF). Die Emission von CPFF war das Mittel der Wahl, nachdem durch die Pleite der Lehman Bank die Risikoaversion für kurzfristige Finanzmittel für Unternehmen hochschoss. Ohne diese Emissionen wären die Unternehmen von kurzfristigen Finanzierungsquellen abgeschnitten gewesen, also kaufte die Fed bei den Primary Dealern eben jene Unternehmensschuldtitel einfach auf, die die Banken hätten in Verzug und Verdruss bringen können. Allein die beiden ersten Pakete tragen immanent schon jene Problematik in sich, dass Banken auf der einen und Unternehmen auf der anderen Seite durch die Rettungsinstrumente der Fed gewissermaßen am Markt vorbei sich finanzieren konnten bei einem Risiko, das 2009 kein vernünftiger Kaufmann eingegangen wäre. Und welche verheerenden Folgen die Verbriefungen allein in Deutschland angerichtet haben, sind unvergessen. Noch heute zahlt die einst so stolze Deutsche Bank ihren Preis dafür, dass sie bei diesen Geschäften bedenkenlos mitgewirkt hat. Mitgewirkt an einem Programm, welches die Fed zur Stabilisierung der heimischen Geldmarktfonds entwickelt hatte, denen die Mittel im Strömen abflossen.

Lange Zeiten waren die US-Geldmarktfonds ideal, um Liquidität bei guten Zinsen zu parken. Diese guten Zeiten waren natürlich in Gefahr, als die Fed ihre Nullzinspolitik begann; und so kam es auch. Zwischen Dezember 2008 und Dezember 2015 verharrte der US-Leitzins auf einem minimalen Level von 0,25 Prozent und löste die Rendite der Geldmarktfonds-Anbieter regelrecht in Luft auf. Mittels der „Asset Backed Commercial Paper Money Market Mutual Fund Liquidity Facility“ (AMLF) – what a word! – stützte die Fed die Geldmarktfonds und mittels der „Term Asset Backed Securities Loan Facility“(TALF) beabsichtigte die Fed, den Verbriefungsmarkt für spezielle Konsumenten- und Unternehmenskredite zu beleben, was auch geschah. Was weniger bewusst wurde war, dass die Fed mit den TALF Kredite vergab, die mit AAA-gerateten Asset Backed Securities besichert waren. Und das waren überwiegend Verbriefungen, in denen die neu geschaffenen Studentenkredite und die ebenso neu geschaffenen privaten Kfz-Kredite zusammengefasst waren. Wie diese Kredite zu einem AAA-Rating gekommen sind? Einmal mehr muss man sagen: honi soit qui mal y pense. Gerade die hoch verschuldeten Studienabgänger sind dann später ein echtes Problem geworden und die TALF-Instrumente hatten gerade in der von Problemen geschüttelten Autoindustrie nicht die gewünschten Auswirkungen; einmal abgesehen von den Autoimporten deutscher Hersteller, die ordentlich nach oben stiegen. Man mag das noch als Konjunkturprogramm ansehen, wenn die Fed die allseits um sich greifenden Kreditklemmen in den Segmenten Privatkonsum und Unternehmensfinanzierung bekämpft. Aber durch Ausweitung des Konsumangebots entsteht noch kein profitabel arbeitender Autokonzern. Durch Verringerung der Kreditzinsen übrigens auch nicht.

Binnen weniger Wochen stieg die Fed zum größten Commercial Paper-Investor auf und konnte den Markt ausstehender Schuldverschreibungen temporär leicht beruhigen. Besser gelang ihr der Stopp des Mittelabflusses aus den Geldmarktfonds, und der Kauf von Mortgage Backed Securities ließ die Hypothekenzinsen schnell um 1 Prozent fallen.
Erst mit den Jahren des QE-Programms und dem dadurch verursachten, massiven Anstieg der Notenbankbilanz, die sich binnen eines Jahres fast verdoppelte, wurde auch der Renditeabstand zwischen langfristigen Hypothekenzinsen und Staatsanleihen deutlich geringer, gleichwohl der Spread wie auch das Zinsniveau noch einige Jahre relativ hoch blieben.
Die Finanzmärkte blieben unruhig und die Frage, ob alle diese Maßnahmen der Fed irgendwann die Kreditmärkte wieder beruhigen können und die Realwirtschaft wieder in Schwung kommt, blieb ungewiss in der Beantwortung. Das FOMC rechnete mit zwei bis drei Jahren und gab in ihren längerfristigen Prognosen zur Arbeitslosenquote, dem Wirtschaftswachstum und der Inflationsrate ein recht optimistisches Monitoring ab. Demnach hätte die Arbeitslosenquote 2011 bereits wieder nahe des angestrebten Vollbeschäftigungszieles von 5% liegen sollen. Bei der Kennziffer Wirtschafts-wachstum geriet die Fed fast schon ins Schwärmen ob der konjunkturbelebenden Maßnahmen ihrer Geldpolitik. Mit einem BIP-Zuwachs von +2,9 % in 2010 und sogar +4,4 % in 2011 vertrat die Notenbank die Einschätzung, dass das Wirtschaftswachstum nach dem Ende der Krise in kurzer Zeit wieder über den Potentialtrend von ca. 2,6 % hinaus nach oben schnellt; allein es kam anders.

Die Inflationsrate zeigt ein beängstigendes Auf und Ab. Von fast 4% fiel sie in einen deflationären Wert und schwankt seitdem Jahr für Jahr. Eine konjunkturpolitisch stabilisierende Wirkung durch die Fed-Programme kann man kaum daraus herauslesen. Die Kennziffern zur Arbeitslosenquote, Wirtschaftswachstum und Inflationsrate werden als Zielgrößen der Geldpolitik gewertet, in den USA wie in Europa. Damit sind sie das Herzstück aller Überlegungen, die Zielgrößen für die Notenbankpolitik und ihre Legitimation; daran sei erinnert, wenn über die Geld- und Fiskalpolitik der letzten beiden Dekaden gesprochen wird. Wir wissen, die Programme zur Versorgung der Finanzinstitute mit kurzfristiger Liquidität sind als Voraussetzung zur Erreichung der Zielgrößen der Geldpolitik zu bewerten. Das kann Notenbankpolitik immer, gehört zu ihrem Kerngeschäft.

Bei dem zweiten Maßnahmenpaket zur Versorgung wichtiger Kreditmärkte mit Liquidität, die den Geldtransfer in die Realwirtschaft ermöglichen soll, sieht es im Ergebnis wesentlich schlechter aus. Alle drei Parameter: Arbeitslosenquote, Wirtschaftswachstum und Inflationsrate zeitigten nicht die gewünschten Effekte und man darf fragen, wenn derart massiv in die Märkte eingegriffen wird und die gewünschten Effekte ausbleiben, ob dann noch der vorgestellte Zusammenhang zwischen Geldpolitik und Realwirtschaft besteht? Weil die Zielgrößen der Kennziffern binnen zwei bis drei Jahren in den USA nicht erreicht wurden, beschloss die Fed ein drittes Maßnahmenpakt, welches wie das zweite ebenfalls zur unmittelbaren Unterstützung der Kreditmärkte erdacht worden war. Damals ging die Fed noch davon aus, dass die Krise im Kern eine Krise auf dem Immobilienmarkt sei und beschloss als Gegenmaßnahme steigender Hypothekenzinsen den Kauf von USD-Anleihen der staatlichen Hypothekenfinanzierer im Umfang von 100 Mrd. USD und im Umfang von 500 Mrd. USD Mortgage Backed Securities dieser Institute.

Fokussieren wir hier also auf die Kennziffer der Hypothekenzinsen, dann stellt sich die Frage: konnten diese Zinsen auf ein Niveau gesteuert werden, dass man von einem ’normalen‘ Immobiliensektor wieder sprechen konnte? Wir wissen heute, dass alle Maßnahmen der Fed zusammengenommen nicht die beabsichtigten Effekte hatten. Als letztes Mittel und als ‚lender of last resort‘ musste die Fed schließlich das berühmt gewordene QE-Programm auflegen, bei dem sie vor allem Staatsschulden durch hypothekenbesicherte Anleihen in ihre Bilanzen nahm. Ein kurzer Blick auf den Immobilienmarkt soll die Frage verdeutlichen, ob die Maßnahmen zur Stabilisierung dieses Marktsegmentes als geglückt angesehen werden dürfen. Dieser Markt ist insofern für die amerikanische Wirtschaft von großer Bedeutung, weil das eigene Heim traditionell jenseits des Atlantiks das Kernelement für die Vermögensbildung der Amerikaner ist. Und weil der Immobiliensektor direkt mit dem Konsumsektor verbunden ist, weil die Häuserpreise umgekehrt reziprok das Konsumverhalten der Amerikaner beeinflussen; steigen die Häuserpreise, sinken die Konsumausgaben. Und weil die amerikanische Wirtschaft zu fast zwei Drittel vom privaten Konsum abhängt, sind Trends im Immobiliensektor so wichtig für die Geld- und Wirtschaftspolitik der USA.

Wir haben aufgeführt, dass der amerikanische Häusermarkt vor zehn Jahren im Mittelpunkt der globalen Finanzkrise stand, deren Auslöser er gewissermaßen war. Fallende Häuserpreise waren nach einer spekulativen Aufschwungsphase durch die Subprime-Krise der Auslöser einer schweren Rezession gewesen. Genauer rekapituliert war die Refinanzierung der US-Hypothekenkredite auf den internationalen Finanzmärkten, die in Form von Kreditverbriefungen stattfand, so sehr in Risikoverwerfungen geraten, dass die Subprime-Krise ab Mitte 2007 auch die Finanzmärkte anderer Industrieländer erreichte und darüber in der Folgezeit eine weltweite Finanzkrise und Konjunkturkrise auslöste. Die Immobilienpreise in den USA befinden sich nun schon bereits seit dem Jahr 2012 wieder im Aufschwung und haben nominal das Rekordniveau des Jahres 2006, also kurz vor Ausbruch der Subprime-Krise erreicht. Unter Berücksichtigung der Inflation haben sich die Häuserpreise allerdings nur in wenigen Ballungszentren wie Dallas oder Seattle vollständig erholt und sich sonst aber quasi umgekehrt zu den damals politischen Absichten entwickelt. Hießen die politischen Vorgaben vor 2007 noch Häuser zu erschwinglichen Preisen für ‚alle‘ Amerikaner und zur privaten Wohlfahrtsfürsorge zu ermöglichen, sehen wir heute einen geradezu gegensätzlichen Trend auf dem Immobiliensektor.

Immobilien werden vor allem in den Regionen weniger erschwinglich, wo die Preise in den letzten zehn bis zwanzig Jahren überdurchschnittlich stark gestiegen waren. Im Ballungsraum Las Vegas hatten sich die Häuserpreise laut Case-Shiller-Index im Juli 2018 gegenüber dem Vorjahr um fast 14 Prozent verteuert wie auch die Preise in den Metropolen Seattle und San Francisco prozentual im zweistelligen Bereich anstiegen; in Seattle z.B. um 12,1 Prozent, in San Francisco um 10,8 Prozent. Der Preisauftrieb wird in diesen beiden Ballungszentren stark durch die hier ansässige Technologiebranche getrieben. Seattle ist der Standort von Microsoft und Amazon. Im Ballungsraum San Francisco befinden sich u.a. die Zentralen von Apple, Alphabet (Google) und Facebook. Im Gegensatz zu Seattle und San Francisco haben die Häuserpreise in Las Vegas noch nicht wieder das nominale Vorkrisenniveau erreicht. Las Vegas gehörte zu den Regionen, in denen die Häuserpreise mit der Subprime-Krise besonders stark eingebrochen waren und wurde nicht zu Unrecht „Ground Zero der Häuserkrise“ genannt. Heute ist Las Vegas der Ort, an dem der Stand der Erholung und deren Bruchstellen deutlich sichtbar werden. Allein in der Vorstadt North Las Vegas wurden von 23 000 Einfamilienhäusern in den Jahren seit 2006 mehr als 7500, also rund dreißig Prozent zwangsvollstreckt.

Mit dem Erfolg der New Technology- und Plattform-Unternehmen wächst auch die regionale Wirtschaft insgesamt und zieht weitere, neue Unternehmen in die Region. Amazon eröffnete zwei große Vertriebszentren und plant einen dritten Standort. Das Kosmetikunternehmen Sephora expandiert in die Region und andere tuen es ihm gleich. Das hat dazu geführt, dass North Las Vegas mit seinen 250 000 Einwohnern als eine der am schnellsten wachsenden Städte des Landes gilt. Hier wie in den tausend anderen Boom-Areas der USA vollzieht sich aber etwas, was man als eine Art sanfter Enteignung vor allem des voll erwerbstätigen und gut ausgebildeten Mittelstands bezeichnen muss. Viele Erwerbstätige verdienen zwar relativ mehr als jemals zuvor, können sich aber dort kein Eigenheim mehr leisten; ähnliche Zustände, wie wir sie auf der anderen Seite des Atlantiks in Dublin beschrieben haben. In North Las Vegas wie in den Metropolen San Francisco, Los Angeles, New York City usw. stehen fast die Hälfte der Einfamilienhäuser nicht mehr im Eigentum, sondern im Mietverhältnis. Vor zehn Jahren war es nur ein Drittel gewesen. Die Wirtschaft boomt aber für die Menschen ist es zunehmend schwerer, selbst bei steigenden Löhnen sich ein Haus in Las Vegas oder einer der anderen Boom-Regionen zu kaufen; die Leute verdienen einfach nicht genug Geld dafür. Und dies hat Auswirkungen auf die Altersversorgung.

Und was hat dann das ganze QE-Programm inklusive dessen Vorläufer-Pakte gebracht? Ziel war es, die US-Wirtschaft aus der Krise zu holen und die Arbeitslosigkeit zu senken. Dazu senkte die Fed die Leitzinsen auf nahe Null. Das Wachstum (BIP) liegt natürlich nominell über dem der Vorkrisenzeit, aber bei weiten nicht da, wo es eigentlich liegen müsste, nämlich über dem Vorkrisentrend, den hat das BIP-Wachstum noch nicht erreicht. Die Arbeitslosenquote ist zwar deutlich gesunken und hat auch die Zielgröße < 5% erreicht. Aber das kommt hauptsächlich daher, weil viele Erwerbstätige aus dem Arbeitsmarkt ausgeschieden sind; das erkennt man unschwer daran, dass der Anteil der Erwerbstätigen an der US-Bevölkerung gesunken ist, in manchen Wirtschaftssektoren wie etwa der Industrie sogar deutlich.
Betrachtet man den Immobiliensektor nur aus der Sicht der Hypothekenzinsen, dann hat die US-Geldpolitik bedingt ihr Ziel erreicht; tiefere Zinsen sollten es den Schuldnern erleichtern, ihre Schulden zu bedienen. Einher damit geht aber ein Eingriff in die marktwirtschaftlichen Prozesse, insofern eine groß angelegte Umverteilung stattgefunden hat, bei der sich die Bürger immer mehr verschuldet haben und nun in einem Zwillingsdefizit gefangen sind. Die Stabilisierung des Immobiliensektors gelang ja nur durch öffentlich Schulden, die letztlich die Schulden der Bürger dieser und der nächsten Generation(en) sind. Die Bilanz der Fed stieg dabei auf eine Summe von 4,5 Billionen USD und wird voraussichtlich Anfang 2020 noch 3,5 Billionen USD betragen.

Im Vergleich zur Vorkrisenzeit ist das immer noch gigantisch. Vor Beginn der Finanzkrise lag die Bilanzsumme bei weniger als 1 Billion USD und der Bilanztrend verhielt sich ziemlich unspektakulär und wuchs einfach gemütlich und sehr vorhersehbar vor sich hin, bis das QE-Programm die Bilanz geradezu mit Wertpapieren vollgestopft hat. In der Wirtschaft verteilt sich das auf Geld in Umlauf (inkl. Reverse Repurchase Vereinbarungen und Geldbeständen des Staates) und Überschussreserven der Banken. Die Menge Geld, die sich im Umlauf befindet, ist seit der Krise um 1,6 Billion gestiegen. Allein deswegen wird die Fed-Bilanz nicht wieder auf 1 Billion USD zurückgehen.
Bereits seit zwei Jahren machen die Amerikaner wieder frische Schulden zur Häuserfinanzierung. Die Maßnahmen der Fed haben das Deleveraging gestoppt, so die offizielle Lesart der US-Regierung, allein, glauben muss man es nicht, im Gegenteil. Überall auf der Welt sind die Schulden gewachsen, einmal abgesehen von Großbritannien und Deutschland. Beziehen wir diesen Ausdruck auf die Immobilienschulden, dann darf man feststellen, dass die in den USA stark schwankenden Zinsen für Hypotheken ihren Schwankungsgrad verringert haben, was durchaus den Schuldnern zugutegekommen ist, also denen, die heute überhaupt noch den Schritt zu einem Immobilienerwerb gehen. Insgesamt aber musss man festhalten, dass die Bekämpfung der Wirtschafts- und Finanzkrise zwar zu einem steigenden BIP und zu steigenden Löhnen und Gehältern geführt hat, zugleich aber die Preise für Hypotheken in den Metropolregionen und den angrenzenden im Umkreis einer (heute) zumutbaren Fahrtzeit von etwa einer bis eineinhalb Stunden einfachen Fahrt zur Arbeit sogar überproportional gegenüber der Vorkrisenzeit angestiegen sind.

Die Zunahme der Staatsschulden führt eben nicht notwendig dazu, dass nach einer Rezession mit einem temporären BIP-Einbruch die Output-Lücke einfach wieder geschlossen wird, die Wirtschaft zu Wachstumsraten wie vor der Krise zurückkehrt und die Preise sich wie vor der Krise an das Wirtschaftswachstum angleichen. Beim zweiten Wirkmechanismus, den Vermögenswerten, kann man mehr als deutlich feststellen, dass alle Maßnahmen der Fed die asymmetrische Struktur der Vermögensverteilung noch befeuert haben. Der Wohlstand in den USA ist stark angewachsen, aber hat sich nicht breiter verteilt und schon gar nicht zu Wohlfahrtseffekten geführt, die aber im amerikanischen Modell grundsätzlich strukturell nicht auf breite Empfängerschichten angelegt sind. Die Politik des „billigen Geldes“ hat somit nicht zu einer breiten Erhöhung der Kaufkraft geführt, allenfalls konnte man den angestrebten Nachfrageeffekt in den hochpreisigen Luxussegmenten verzeichnen.
Bei einer der für die Wirtschaft wichtigsten Kennziffern, der Inflationsrate, haben die Maßnahmen der Fed keine der gewünschten Wirkungen gezeitigt. In den Jahren zwischen 2011 und 2016 drohten sogar deflationistische Tendenzen und trotz massiver Bilanzausweitung waren die Inflationsraten in dieser Zeit stark rückläufig. 2015 drohte wieder eine Deflation und ließ die Fed nochmals massivst eingreifen, was Bernanke bereits im Jahr 2003 angekündigt hatte, nämlich eine deflationäre Krise wie in Japan nicht zulassen zu wollen. In diesem Jahr entstand das berühmt gewordenen „Helikoptergeld“, welches die Fed auf alles, was in der Wirtschaft auch nur bedürftig erschien, herabregnen ließ.

Im Jahr 2017 erreichte die Inflation endlich den gewünschten Wert von 2,14 Prozent, stieg aber von da weiter und hat 2018 bereits wieder 2,44 Prozent erreicht. Es wäre nicht gerade verwegen zu behaupten, dass sie sich der aus Krisenzeiten wieder annähern könnte. In der Inflationsrate sehen die US-Ökonomen vor allem die Lohnentwicklung eingekapselt, die Lohnentwicklung spielt daher eine entscheidende Rolle für die Geldpolitik der Fed, weil Lohnsteigerungen großen Einfluss auf die Inflation haben. Und richtig, im Jahresvergleich zu 2017 stiegen die Löhne im Oktober um 3,1 Prozent und legten sogar im Dezember noch einmal zu. Damit ist der Anstieg der stärkste seit dem Jahr 2009. Dennoch bleiben die Lohnzuwächse geringer als in vorherigen konjunkturellen Aufschwung Phasen und seit zwei Monaten verzeichnet der Arbeitsmarkt sogar leichte Zuwächse an Arbeitslosigkeit. Alles also nur ein Strohfeuer?

Die Grundlage für die Fed-Programme war letztlich im japanischen Modell gefunden worden. Japan hat gewissermaßen QE erfunden und in den vergangenen Jahrzehnten angewendet. Die Wirkungen in Japan blieben aber aus und in der amerikanischen Fed war man der Meinung, die Ursachen für die ausgebliebenen Wirkungen auf Inflation und Arbeitsmarkt erdacht zu haben: QE muss früher und viel konsequenter angewandt werden, um Wachstum erzeugen zu können. Es ist schon nahe an der Hybris zu meinen, ein Direktorium oder Komitee von Bankern wäre in der Lage, mit dem simplen Instrument einer Gelddruckpresse auch nur nationale Wirtschaftsprozesse nachhaltig beeinflussen zu können. Was sie beeinflussen ist eine Umverteilung von privaten zu öffentlichen und wieder zu privaten Schulden, eine sanfte Enteignung bürgerlichen Wohlstands und eine Verringerung der nationalen Wohlfahrt. Auf die Zusammenhänge mit weltwirtschaftlichen Vorgängen kommen wir zurück. Bislang aber müssen wir feststellen, dass die Fed bei der Schuldenkrise in den USA deutlich schneller und deutlich aggressiver vorgegangen ist und Japan nun seinerseits diesem Vorgehen folgt, wenngleich ebenfalls und erneut ohne nachhaltigen Erfolg.

Jeder Hobbygärtner weiß sehr schnell, dass er die Spritzrichtung seines Bewässerungsschlauches im Garten dadurch nicht bestimmen kann, wenn er den Wasserhahn voll aufdreht. Um bei diesem Bild zu bleiben; die Fed hat mit ihrer Geldpolitik des leichten Geldes, also ihrer Niedrigzinspolitik geglaubt, sie könnte damit die Geldmenge und die Kreditvergabe steuern; allein, es kam anders. Was die Fed erreicht hat war zweifellos eine Erhöhung der Geldmenge auf indirektem Wege, insofern sie die Kreditvergabe über Zins und Steuerung der Mindestreserve sowie eine implizite Staatsgarantie auf zukünftige Schulden beeinflusst hat. Die Folge dieser Niedrigzinspolitik aber war eben nicht die Erhöhung der Geldumlaufgeschwindigkeit so, dass von einer Erholung auf den Kreditmärkten die Rede sein konnte. Der sogenannten „Money Multipier“, der die Differenz zwischen der Zentralbankgeldmenge und dem Kreditvolumen an die Realwirtschaft misst, lag im Jahr 2014 bei etwa 3.0 gegenüber einem Vorkrisenwert von über 9. Heute liegt dieser Faktor bei 4,5 und hat historisch betrachtet den Wert erreicht, der im Jahr 1940 zur Zeit der großen Depression gemessen worden ist.