Das erste Opfer der Politischen Ökonomie in Europa ist die Demokratie. Das ist die Lehre aus der letzten Europawahl vom Juni 2019 und der Kanditatenauswahl für die europäischen Spitzenpositionen und Ämter im Nachgang der Wahl. Man darf ruhig sagen, dass der wirklich große und scheinbar auch einzig wirkliche politisch relevante Verlust für Europa, der durch den Brexit nachhaltig verbleibt, das „tertium non datur“ der Deutsch-Französischen Politik ist. Deutsche und Franzosen vertreten diametral entgegengesetzte Auffassungen von Politik und Politischer Ökonomie, die man leicht erkennen kann im Personalpoker der europäischen Institutionen und im Versuch, das Primat der Politik gegenüber dem Parlament zu behaupten.
Das Primat der Politik über Fragen der nationalen und der internationalen Wirtschaft meint natürlich nicht das wirtschaftspolitische Mandat von Regierungen. Es ist ein nie ganz überwundenes Relikt aus feudalen Zeiten, hoch attraktiv in den Händen der Politik als eine Vorstellung, den wirtschaftlichen Erfolg als politischen Ertrag für sich selbst zu verbuchen; wir nennen das neo-feudal. In einer Zeit, in der aber Politik die Wirtschaft begleitet und nicht als bestimmend vorausgeht, ist dies natürlich recht schwierig. Deshalb hat Politik auch nach der großen Bürgerlichen Revolution stets Wege gesucht und gefunden, mehr als nur wirtschafts- und ordnungspolitische Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu formulieren.
Im Rahmen der marxistischen Theoriediskussion, besonders Mitte des letzten Jahrhunderts, wurde eine Engführung zwischen Politik und Kapitalismus versucht, die entweder allgemein auf die Frühphase der industriellen Revolution, oder im Besonderen auf das Verhältnis von Politik und Geld, vom Wechselspiel zwischen Geldpolitik und privaten Großbanken abzielte. Die Beziehungen zwischen Politik und Notenbanken, zum Internationalen Währungsfonds sowie der Weltbank wurden selten und nie ausreichend dargestellt. Dabei waren IWF und Weltbank in ihrer politischen Ausrichtung und personalen Besetzungen Ergebnisse des Machtkartells von Bretton-Woods seit im beschaulichen Kurort 1944, also noch vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die Grundlagen des neuen Weltwirtschaftssystems entworfen worden sind. Auch heute (2019) wird die Problematik der Besetzung des IWF-Direktoriums unter den politischen Tisch gekehrt. Es geht dabei scheinbar um die Frage, ob der IWF von einem Deutschen – im Ausgleich zu Frau Lagarde an der Spitze der EZB – oder einem anderen Europäer geführt werden soll; Amerika leitet ja nach wie vor die Weltbank. Die Frage, ob in einer Zeit, in der die geldpolitischen Entscheidungen mit globaler Reichweite bzw. deren Auswirkungen auf die sogenannten Schwellenländer nicht auch eine personale Besetzung aus dem „Rest der Welt“ angezeigt wäre, geht dabei selbstgefällig in neu-feudalen Diskursen und daraus resultierenden Machtkartellen einmal mehr unter.
Noch bevor wir uns mit der Ausweitung neo-feudaler Machtkartelle über digitale Medien beschäftigen, ist ein Umblick über die geldpolitischen Transformationen hinaus vielleicht hilfreich. Wir haben nicht zufällig mit dem Datum des Beginns der weltweiten Finanzkrise 2008 einen Zeitpunkt markiert, der uns erlaubte, die Geldpolitik in den USA und in Europa deutlicher erkennbar werden zu lassen. Schauen wir auf die europäische Notenbankpolitik, dann blicken wir gewissermaßen in ein „schwarzes Loch“ zwischen 2008 und 2011, also etwa drei Jahre, was in geldpolitischen Angelegenheiten ein fast endlos langer Zeitraum ist, in dem die Politik des damaligen EZB-Chefs Jean-Claude Trichet, der Mario Draghi, der am 1. November 2011 Präsident der Europäischen Zentralbank wurde, voranging. Trichet war der letzte EZB-Präsident, der den Referenzzinssatz noch erhöht hatte, damals auf 1,5 Prozent. Die mehr als dürftige Begründung war, dass die schwere Rezession der Weltwirtschaft auch für Europa als überwunden galt, was natürlich überhaupt keinen Gehalt hatte, weil bereits einige Monate später Draghi mit einer bis heute andauernden Flutung der Märkte mit Liquidität begann. Das ist nun über acht Jahre her und die Weltwirtschaft hat sich in Teilen mehr als erholt und gleichzeitig bleiben starke Zweifel an der Bonität einiger Länder der Eurozone, wie wir dargelegt haben. Wir haben dabei nicht nur die Notfall- und Rettungskredite kritisch hinterfragt, sondern auch die verfassungsrechtlichen Auswirkungen der Geldpolitik der EZB diskutiert.
Angedeutet haben wir auch, dass das eigentliche Mandat der EZB, für Preisstabilität zu sorgen, ein Postulat ist, welches aus der heutigen Sicht einige grundlegende Zweifel erlaubt. Das Postulat hat seinen Anfang in der Geldmengentheorie von Milton Friedman, die behauptet, dass die Preisstabilität in einer notwendigen Beziehung steht zur Geldmenge und diese wiederum in Relation zu den Wachstumsmöglichkeiten, dem Potenzialwachstum einer Volkswirtschaft. Man erkennt unschwer, dass die Relation zwischen Preisstabilität und Geldmenge keine starre, sondern eine flexible Größe darstellt und dass mit dem Potenzialwachstum eine spekulative Größe ins Spiel gekommen ist, die aus einer Ableitung von Vergangenheitswerten in Formeln fortgeschrieben wird. Wichtig und willkommen war die Geldmengentheorie bei Großbanken und der Politik und wurde so, unserer Auffassung nach, zur Geburtsstunde der neuen Politischen Ökonomie in Europa und den USA. Es verwundert vielleicht, dass ausgerechnet die Deutsche Bundesbank es war, die damals als erste Notenbank der Vorstellung folgte, mit der Steuerung der Geldmenge auch die Preise und somit das Potenzialwachstum der Wirtschaft so grundlegend beeinflussen zu können, wie dies bis dato weder theoretisch formuliert noch praktisch ausprobiert worden war. Alles schien einfach und klar und vor allem praktikabel. Aber die Vorstellung von der Steuerbarkeit der Wirtschaft durch das Bankensystem mit der Notenbank an deren oberster Spitze währte nicht lange und die Politik, die sich auf die Expertisen der Bundesbank und den Geldtheoretikern resp. dem Monetarismus verließ, wurde mithin zunehmend mehr enttäuscht. Das Gekungel zwischen Geld und Staat, Geld und Macht in einem Kartell musste fehlschlagen, da sich die Geldmenge, so zeigte die Erfahrung, schlechterdings nicht steuern lässt, nicht jedenfalls, was deren Verwendungsformen angeht, und auch der vorgestellte Zusammenhang zwischen Inflation und Geldmenge somit obsolet wurde.
Es dauerte keine fünfzehn Jahre und schon hatte das Grundpostulat des Monetarismus ausgedient. Aber die Vorstellung von der Steuerbarkeit bzw. der Kontrolle der allgemeinen Preissetzung der Wirtschaft wollte man nicht so schnell über Bord werfen, und so wurde es die Geldpolitik via Notenbank, die den nächsten Versuch startete, über die Inflationssteuerung einer Abwärtsspirale der Preise und somit, so die These, auch einem Wirtschaftsabschwung wie des Rückgangs des allgemeinen Wohlstands entgegenzuwirken. Letztlich war es wie alter Wein in neuen Schläuchen, denn über die Inflationssteuerung behauptete nun die Notenbank die Transmission zu den Preisen, und je mehr Geld durch Zinssteuerung in einer wirtschaftlichen Krise in die Transmission kam, umso eher wäre eine Deflation zu stoppen. Es war also mitnichten das Ende der Geldmengentheorie, sondern dieselbe mit anderen Mitteln.