Die Rückkehr des Patriarchats nach Europa

Nur für kurze Zeit war das Patriarchat in Europa ein wenig schwächelnd. Vor allem, was seine Destabilisierung durch transnationalen Handel anbelangte. Die EU ist im inneren Kern eine Handelsvereinbarung, noch ohne eine wirklich internationale Idee. Die europäischen Staaten, allen voran der Exportweltmeister Deutschland, haben in den vergangenen Jahrzehnten extrem vom globalen Handel profitiert, allen voran mit dem Handel zwischen der VRC und der EU. In den vergangenen Jahren (2017-2021) sind die chinesischen Importe aus der EU auf etwa gleichen, hohem Niveau geblieben (ca. 250-280 Mrd. USD p.a.), die Exporte in die EU haben zwischen 2020 und 2021 sehr stark zugenommen (von 380 auf 520 Mrd. USD). Betrachten wir den reinen Waren- und Güterverkehr kann man wenig erkennen, woran es liegen kann, dass Vereinbarungen so schwer zu schließen sind.

Handel ist immer politisch. Dies ausgeblendet zu haben zeichnet geradezu die Europäer aus und unterscheidet sie von den USA, die diese Erkenntnis stets als ihre Handelsmaxime betrieben haben. Seit ein paar Jahren ist den Europäern diese handelspolitische Dimension vor Augen geführt worden, vor allem durch ein erstarktes China, das seine wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen versteht und ebenso versteht, seine Handelsinteressen mit seinen politischen Interessen zu verbinden, und dabei steht nicht nur Taiwan und das Projekt Seidenstraße ganz oben auf der Agenda. Europa hat die Idee eines wertebasierten Handels versucht in seine Handelsbeziehungen einzubilden und diese Idee einer umfassend wertebasierten Politik steht seit ein paar Monaten über der Politik insgesamt der neuen deutschen Regierungskoalition. Es verwundert noch mehr, dass ausgerechnet mit den „Grünen“ eine wertebasierte Politik, jüngst schon in peinlicher Berührung der deutschen Außenpolitik aufgefallen, in die deutsche Wirtschafts- und Außenpolitik zurückgekehrt ist. Eine Rückkehr aus alten, sehr alten Zeiten, als der Handel auf dem europäischen Kontinent stets noch verbunden war mit einer religiösen Dimension, die nicht selten zu erschütternden Waffengängen aufgerufen hatte.

Wir haben ein wenig vorher gezeigt, dass die Werte der EU nicht von hoher Substanz und Stabilität sind, nicht einmal innerhalb der EU. Nun tritt ausgerechnet ein aufgeklärtes Europa, das in seiner Grundkonzeption eben die unterschiedlichsten Wertauffassungen seiner Mitglieder zulässt in die Welt, um dieser Mores der europäischen Werte zu lesen. Sich zum Maß für die Welt zu machen, ist paternalistisch und aus der politischen Situation innerhalb der EU, aber auch nicht in Bezug auf die internationale Staatengemeinschaft erklärbar. Wenn Europa soziale und ökologische Standards setzen möchte, kann es dies tun. Wenn Europa Datenschutzstandards für alle Ländern verbindlich erklären möchte, die mit Daten aus Europa Geschäfte machen wollen, kann es dies erlauben oder verbieten, kann Standards des Datenschutzes aber nicht exportieren wie Zuckerrüben oder Kartoffeln. Auch dies gebietet ein Rest an Wertorientierung, dass Europa sich zwar nicht an Werten anderer Staaten orientieren muss, diese aber auch nicht an den europäischen oder gar den deutschen Standards. Das universelle Muster aller Patriarchate, von etwas Besonderem, meist dem eigenen, auf etwas Allgemeines zu schließen, das Eigene zum Maß für alles andere zu machen, ist nach einer Zeit der Relativierung mit voller Kraft nach Europa zurückgekehrt. Das Prinzip der Maßgabe nach eigenen Mustern ist immer an die Rechtfertigung gebunden, andere Menschen oder andere Länder zu instrumentalisieren und diese Instrumentalisierung wiederum rechtfertigt sich so, dass alle Wirklichkeit unter geltendes Recht gestellt wird, dessen Geltung aus der Idee des eigenen Maßstabes formuliert wird; hier als Rechtspflege eigener Gesetze und verbindlicher bzw. technologischer Regularien. So setzen die Industriestaaten die neuen Weltstandards der Ökonomie und den Zwang zur Transformation in ökologische und digitale Standards für die gesamte Weltwirtschaft, die zwar an den großen Diskussionsrunden sich beteiligen dürfen, aber nicht wirklich teilnehmen, weder, indem sie ihre besondere Situation berücksichtigt finden, noch indem sie eine Chance der eigenen, ökonomischen Umsetzung erhalten. Für die Schwellenländer und Entwicklungsländer gelten die festgelegten Klimaziele und die Standards zur Zielerreichung, die dazu notwendigen Technologien und technologischen Standards besitzen sie nicht bzw. sind sie nicht in der Lage, nach eigenen Möglichkeiten und Kriterien umzusetzen.

Diese an sich selbst orientierte Union tritt nun wie ein Patriarchat in den Welthandel, das kann nicht gelingen. Auch Neuseeland oder Australien sind westlich orientierte Demokratien und souveräne Staaten und beide haben RCEP ratifiziert, sind somit Bedingungen im Handel mit Staaten eingegangen, die ein völlig anderes Wertesystem staatlich verfolgen. Aber auch diese beiden westlich orientierten Staaten müssen auf ein Oktroi von Wertesystemen verzichten, sollen Handelsbeziehungen überhaupt funktionieren können. Wir sehen in der aktuellen Situation, was Handelsbeziehungen betrifft, dass Staaten wie Australien und Neuseeland, Japan und Südkorea trotz erheblicher Wertedifferenzen etwa mit der VRC in Fragen der Sicherheit, der Demokratie, der Menschenrechte usw. im Handel durchaus zusammenarbeiten können, dass eine wertebasierte Realpolitik nicht unbedingt bedeuten muss, fundamentale Meinungsverschiedenheiten, Ansichten und Ansprüche nicht in einer Weise zu organisieren, die eine Kooperation und einen Austausch auf vielfältige Weise ermöglicht. Denn Handel impliziert eine Vielfalt an Formen der Zusammenarbeit in wirtschaftspolitischer und besonders in technologischer Form. Warenströme global zu steuern ist eine große technologische Aufgabe. Warenströme weltweit in den Austausch zu bringen erfordert ein Höchstmaß an Problemlösungsbereitschaft und Abstimmung technisch-technologischer Arbeitsteilung und Vielseitigkeit und dabei sind die Finanztransaktionen noch nicht berücksichtigt. Meinungsverschiedenheiten und Widersprüche müssen allesamt soweit ausgeräumt werden, dass der Handel nicht zusammenbricht und dessen Aufrechterhaltung setzt Problemlösungen auf vielen Seiten voraus; das nennt man Probleme beherrschbar werden zu lassen.