Die Erfindung des Geldes

Geld macht erfinderisch. Diesen Satz wird wohl jeder unterschreiben. Dieser Satz ist zum Axiom moderner Wachstumstheorien geworden. Sie unterstellen ein endogenes Wachstum, da Geld resp. Kapital ja nun mal zu einer makroökonomischen Kategorie zählt. Dass Geld im Sinne von Kapital eine makroökonomische Kategorie ist, daran zweifeln wir nicht. Aber damit ist noch nicht bewiesen, dass allein makroökonomische Betrachtungen die produktiven Faktoren für wirtschaftliches Wachstum bzw. Technischen Fortschritt erreichen.
Kontrastieren wir den von Oded Galor entwickelten Ansatz der ‚Unified Growth Theory‘ mit Weatherfords ‚Geschichte des Geldes‘ , dann sieht man, dass etwa das skythische Protogeld für die Händler damals, die ganze Warenlager an Olivenöl, Weizen und Bier etc. transportierten, sehr vorteilhaft war, für die normalen Menschen aber, die ihren täglichen Bedarf auf den Märkten deckten, keineswegs. Die Transformation von Warenwerten in ein Äquivalent half jenen wenig, die weder zählen, rechnen noch messen konnten und auch nichts besaßen, was man messen und zählen hätte können.

Eine der Kernfunktionen des Geldes, dass man fast alles, was Menschen schaffen oder besitzen, damit bewerten kann, kam also allein denen zugute, die Getreide, Vieh, Transportmittel und Mathematik besaßen; wer nichts davon hatte, brauchte auch nicht rechnen. Die, die Handel trieben, waren also auch des Rechnens fähig. Dass somit Mathematik keine makroökonomische Kategorie ist, dürfte einleuchten. Eben solche externen Wachstumsfaktoren kamen mit dem Handel ins Spiel, zum Beispiel eine antike, imperiale Infrastruktur. Die historisch ältesten Tauschmärkte waren lokal, später dann oft um Tempel und Theater organisiert. Die alten Tauschmärkte waren oft Gütermärkte, also wurden Waren gegen Waren getauscht. Der Transport hin und weg von den Märkten war allein schon auf lokaler Ebene beschwerlich. Geld erleichterte diese Translozierungen der Warenmengen erheblich.

In der Welt des einfachen Warentausches können daher Verkehrsmittel wenig bewirken, zumal die meist verderblichen Waren der Subsistenzwirtschaft ohnehin keinen weiten Transportradius vertrugen. Wenn aber die Tauschwirtschaft zum Äquivalenten Tausch, also in eine entwickelte Tauschwirtschaft sich wandelt und zugleich durch Handel die Vielfalt der Waren zunimmt, wird es enorm sinnvoll, Straßen zu bauen und zu unterhalten; nicht nur, aber auch zum Truppentransport. Straßen waren schnell zur Schlüsseltechnologie des Imperium Romanum geworden und das Geld natürlich in seiner geprägten Gold- oder Silber-Münzform Ausdruck seiner historischen Form der Tauschwirtschaft.

Schon in der Antike, sogar in der Vorzeit der Antike, war es von ganz erheblicher Bedeutung, dass Geld seinen Wert behielt. Seinen impliziten Wertcharakter hatte Geld damals noch in seiner materiellen Form, in Gold und in Silber. So sind denn auch Gold und Silber nicht an Geld gebunden, dieses aber im ökonomischen Sinne sehr stark. Man machte sich damals also eine außerökonomische Werthaftigkeit, also einen materiellen Wert außerhalb von Tauschvorgängen für ökonomische Zwecke nutzbar. Zudem war an den materiellen auch ein psychologischer Wert direkt gekoppelt, das Vertrauen in die Wertbeständigkeit, die bei den Lydiern noch vor Gold und Silber dem Elektron, eine natürliche Legierung aus Gold und Silber, zugesprochen wurde.
Neben dem Vertrauen wird dem Geld, besonders in Form von Edelmetallen, auch die Eigenschaft von Glück attestiert. Heute sind Edelmetalle zugleich ’sichere‘ Wertaufbewahrung, besonders in volatilen, d. h. Zeiten schwankender Wertgrößen, Zeichen von einem materiell gelungenen Lebensentwurf und staatlicher Macht in Form von Währungsreserven. Edelmetallen, vor allem Gold, haftet der Fluch der Macht an, ihnen folgten Krieg, Versklavung und Verlust von Leben und Land. Gold als Währungsreserve ist ein Phänomen demokratischer Gesellschaften, eine Art Augenwischerei.
Erinnern wir uns zurück an den sagenumwobenen König Kroisos, Lydier, sehr reich. Seinem Reichtum, seinem Glück und seiner Macht stand der persische Großkönig Kyros entgegen. Entgegen landläufiger Meinung, Kyros habe Krösus dem Scheiterhaufen überlassen, berichte der bekannteste Geschichtsschreiber der Antike, Herodot, Kyros habe Krösus am Leben lassen, da ein reicher König nützlicher wäre als ein toter. In den beiden gegensätzlichen Geschichtsschreibungen mag man den Übergang von Macht aus einer geldlosen Zeit bzw. einer Zeit, in der das Geld den eben erwähnten Tauschzusammenhang noch nicht eingenommen hat, in die Zeit des monetären Tauschhandels sehen.

In Zeiten vormonetären Warentauschs war Macht verbunden mit der Herrschaft, insofern ein Alleinherrscher seine Macht zur Durchsetzung auf eine Gruppe von Beamten und Vasallen gründete, die von ihm bezahlt wurden. Wie wir bereits mehrfach gezeigt haben, hat die Nachlässigkeit bei der fundamentalen Unterscheidung zwischen Privateigentum als ein ökonomie-externer Begriff mit dem Begriff Besitz als ein makroökonomischer Begriff zentralen Einfluss darauf, warum die Ökonomik die Dynamik des Wirtschaftens nicht versteht. Dasselbe geschieht allenthalben in der Ökonomie – aber auch in fast allen Lebensbereichen – mit der Nachlässigkeit bei der Unterscheidung von Macht und Herrschaft. Macht und Herrschaft werden theoretisch wie in der landläufigen Meinung gleichgesetzt. Macht ist Herrschaft und Herrschaft ist Macht.

Unser kleiner Rückblick in die Geschichte aber lässt bereits Unterschiede erkennen und ein komplementäres Verhältnis, kein substitutionelles zwischen Macht und Herrschaft vermuten. In vormonetären, Warentausch basierten Gesellschaftsformen, beanspruchten Herrscher grundsätzlich alle verfügbaren Ressourcen für sich. Und auch die benachbarter bzw. anderer Herrscher; man führte Krieg und nahm sich, was einem danach gehörte. Symbolisch legten sich die Herrscher damals Gold und Gegenstände in ihre Grabkammern, die sich den Blicken der Archäologen späterer Zeiten wie Schatzkammern und Rumpelkammern zugleich boten. Was sollte ein Herrscher damaliger Zeiten mit seinem Vermögen auch anstellen? Er investierte nicht, ging kein anderes als ein Kriegsrisiko ein, war an geistigen wie technischen Innovationen nicht interessiert. Sein Interesse galt dem Machterhalt und allem, was seiner Herrschaft über die bestehenden Ressourcen nutzte, sie sicherte.
Despoten Herrschaft und Tyranneien waren und sind, wo sie heute noch in leicht veränderter, aber strukturell ähnlicher Form auftauchen, Raub- und Mordgesellschaften. Geraubt werden Ressourcen und Arbeitskraft, gemordet der Widerstand. Ihre Eigenschaften sind eine Führungsschicht, die sich in einem hermetisch abgeschlossenen Machtbereich verschanzt, ein Volk aus Armut und Elend und eine Partizipationsklasse an der Macht, die Klasse, Schicht, Gruppe oder Familien der Herrschenden und administrativen Vasallen, die den geistigen und ökonomischen Stilstand verwalten und ausbeuten. Und wer als Teil des Prinzips Herrschaft partizipieren will, muss sich vollständig der Macht unterwerfen.
Der monetäre Warentausch war daran gemessen ein Fortschritt in die Trennung und Ökonomisierung von Macht und Herrschaft. Aus dem lydischen Protogeld – man könnte leicht noch weiter zurückgehen in die Zeit der minoischen Siegel – wurde vor allem im Verein mit dem Seehandel die Grundlage gelegt für eine griechische, später römische Organisation von Gesellschaften, die die Axt an der Einheit von Gewalt und Herrschaft legte. Kein Zufall, dass im antiken Athen die Polis auf der Basis des Demos erdacht wurde.

Nicht die Macht, sondern die Strukturen der Herrschaft als jene, die die Macht in den Räten bzw. Bulen vertraten und deren Willen durchsetzten, wurden also demokratisiert. Gleichwohl es wenig gesicherte Erkenntnis aus dieser Zeit gibt, ist es wahrscheinlich, dass es bereits damals zu einer strukturellen, d. h. von Institutionen und Organisationen, Gesetzen und Erlassen getragenen Verbindung zwischen Staat, Politik und Herrschaft kam, die sich zunächst daraus entwickelte, dass diese Bürgerlisten der Demen das Gerüst bildeten für die Verteilung des Steueraufkommens, für die Aushebung der Demoten im Kriegsfall sowie die Beteiligung und Festlegung von Beiträgen zu Staatsfesten und anderen gesellschaftlichen Angelegenheiten.
Die damaligen Herrscher nahmen sich mit Gewalt, was sie wollten. Aber ihre Macht sicherten Herrschaftsstrukturen, die sich immer feiner differenzierten, je mehr sich die Gesellschaft bzw. Gemeinschaft oder Stadtstaaten differenzierten. Handel und ein immer größer werdender Bereich der Gesellschaft brauchte Geld. Die Beamten und Vasallen, die Entstehung und Ausbreitung von Berufen, die nicht zu den wirtschaftlichen Tätigkeiten zählten, wie etwa Ärzte, Gelehrte, Künstler, Literaten etc.

Simmel brachte die Entwicklung der Gesellschaft und die Bedürfnisse der Menschen in der Zusammenschau als eine Form der Geldwirtschaft zusammen. Bedürfnisse, die über die Subsistenzwirtschaft des Oikos hinausgehen und die Ausdehnung des monetären Handels erforderten natürlich eine bessere und vor allem systematische Ausbildung. Denn ohne eine Steuerung, d.h. ständige Anpassung des antiken ‚Humankapitals‘ wäre die Aufrechterhaltung eines dynamischen Staatswesens damals schon nicht möglich gewesen. Zu einem standardisierten und verbindlichen Rechtssystem, einer gut ausgebildeten, loyalen Verwaltung, brauchte es also Vernunft und Logik, Pragmatismus, Dienstleistung, Wissenschaften und Erbauung.
Auch die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem sich entwickelnden Staatswesen war notwendig. Jene, die sich damit beschäftigen konnten, waren doppelt verdächtig und verfangen. Der Wissensarbeit, wir hatten das unter Allmende bereits ausgeführt, eigen ist der Zweifel an den Sachen, wie sie sind. Um sie weiterzuentwickeln braucht es neben dem Zweifel sehr viel Kenntnis, quasi Insider-Wissen. Bezahlt wurden die Intellektuellen vom Staat, da ihre Tätigkeiten nicht direkt mit den damaligen Produktivkräften verbunden waren, diese aber maßgeblich beeinflussten. Eine Entwicklung des Staatswesens war also fortan eben so wenig möglich, wie die Entwicklung des Handels und der Geldwirtschaft, der Technik wie der Infrastruktur, des Bauwesens.

Die Polis wurde zu einer Verzahnung von Herrschaftsstrukturen, Geldwirtschaft und Macht, wobei die Herrschaftsstrukturen Demen, Beamte und Wissensarbeiter sowie eine lose, lange Reihe subalterner Günstlinge und Kriminelle umfasste. Aus der Einheit von Macht (Politik), Herrschaft und Geldwirtschaft entwickelte sich in der Zeit Kaiser Augustus in Rom aus einst ehrenamtlichen Demen die Bürokratie. Diese hatte, neben anderen Aufgaben, vor allem die Versorgung des Staates mit Geld in Form geprägter Münzen, die Verwaltung und Versorgung ‚verrenteter‘, ehemaliger Soldaten und die Unterhaltung des Volkes mit jeder Form von Zirkus. Brot und Spiele, Verwaltung und Sozialstaat kosteten eine Menge Geld. Der außerökonomische Input zur Staatswirtschaft überstieg bei weitem den makroökonomischen Output, sogar die Räuberei in fremden Städten und Staaten mit eingerechnet. Ende des 5. Jhd. waren Roms vormals üppige Finanzen an der fortschreitenden Inflation erstickt.